Fehler Nummer 1 in studentischen Arbeiten

Im Lauf der Zeit merkte ich, dass ein erheblicher Teil der studentischen Arbeiten denselben gravierenden Fehler aufwies. Einen Fehler, den die Studierenden kaum durch andere Pluspunkte ihrer Arbeit ausgleichen konnten. Einen Fehler, der sie letztlich zum Straucheln brachte oder, je nach Studienfortschritt und Prüfer, auch zum Fallen.

Den schlechten Arbeiten fehlte vor allem eine gut abgegrenzte Fragestellung.

Einige der betreffenden Studierenden nahmen an, dass das (vorgegebene) Thema bereits ihre Forschungsfrage sei, und schrieben den Text dann mehr oder weniger einfach runter. An den passenden Stellen fügten sie ein paar Zitate ein, um irgendwie dem wissenschaftlichen Anspruch Genüge zu tun. Im Ergebnis war das für den Korrektor nur eines: lang-wei-lig! Zudem hatte das mit einer wissenschaftlichen Herangehensweise nicht viel zu tun.

Andere Studierende waren mit diesem grundlegenden Schritt im wissenschaftlichen Arbeitsprozess schlichtweg überfordert. Das zu bearbeitende Gebiet war ihnen fremd, und die Literatur fanden sie überwältigend. Beim Eingrenzen des Themas hatten sie daher Angst, etwas Wesentliches außen vor zu lassen. Die versuchsweise formulierten Fragestellungen schienen ihnen trivial, dabei wären sie wahrscheinlich einfach nur gut zu bearbeiten gewesen.

Also, was tun?

Wie also bringe ich die Studierenden dazu, das Formulieren einer Forschungsfrage als einen wichtigen (den wichtigsten?) Arbeitsschritt zu erkennen? Und wie helfe ich ihnen dabei, zu einer sinnvollen Lösung zu kommen?

Was nichts brachte: Es einfach erklären. Ich habe lange Zeit die Studierenden in der Lehrveranstaltung mehrfach, zur Not wöchentlich, darauf hingewiesen, dass sie aus dem Thema eine Fragestellung ableiten müssen, bevor sie sich in die Arbeit stürzen. Das war zu abstrakt. Darunter konnten sich die wenigsten etwas vorstellen. Abgenickt war es immer schnell. Aber das ist ja nicht das Ziel.

Was ein bisschen etwas brachte: Konkrete Beispiele aus dem eigenen Fach anführen. Diese Beispiele nahm ich entweder aus Arbeiten der Vorsemester oder aus den entsprechenden Ratgebern zum Wissenschaftlichen Arbeiten. Die Studierenden konnten diese Beispiele gut nachvollziehen. Aber irgendwie hatte es nichts mit ihrer Realität und der bevorstehenden Arbeit zu tun. Gerade im ersten Semester hatten sie trotzdem den Eindruck, sie müssten „alles“ schreiben.

Was deutlich mehr brachte: Eine Übung zu diesem Thema durchführen. Hier konnte ich sehen, ob die grundlegenden Prinzipien klar geworden waren. Bei der Besprechung der Übung kamen dann auch meist die Ängste auf den Tisch, die ich oben beschrieben habe, und ich konnte versuchen, sie auszuräumen. Ich behaupte absichtlich nicht, dass das Anwenden dieser Übung der Königsweg ist. Denn das würde für mich bedeuten, dass als Folge alle studentischen Arbeiten auf einer sauber formulierten Fragestellung basieren würden. Und das ist leider nicht der Fall.

Übung „Vom Thema zur Fragestellung“

Um diesen Arbeitsschritt zu üben, benötigte ich natürlich erst einmal ein passendes Thema. Es muss zwei wesentliche Kriterien erfüllen:

  1. Das Thema muss den Studierenden gut bekannt sein, so dass wir es sofort und ohne Literaturrecherche bearbeiten können.
  2. Das Thema sollte vielseitig sein, so dass sich leicht viele unterschiedliche Fragestellungen ableiten lassen.

Vor einigen Semestern habe ich von einer Kollegin das Thema „Mobile Kommunikation“ übernommen und seitdem häufig genutzt.

Ich finde dieses Thema perfekt. Es spricht die Studierenden meist direkt an („Generation Smartphone“ eben), und die meisten können spontan kann etwas dazu sagen: Eigentlich jedem fallen verschiedene Ausprägungen mobiler Kommunikation ein, und viele Studierende haben sich bereits Gedanken über die Auswirkungen von mobiler Kommunikation gemacht. Damit haben wir also schon einmal gute Voraussetzungen, dass wir ohne viele Vorarbeiten mit dem Eingrenzen beginnen können.

Im Vorfeld erläutere ich den Studierenden die möglichen Ansatzpunkte der Themeneingrenzung, also beispielsweise die

  • örtliche Eingrenzung („…in Deutschland“),
  • zeitliche Eingrenzung („…von 1995 bis 2015“, „…seit der Einführung des Iphone 6S“) oder
  • Eingrenzung nach Personengruppen („…bei Senioren“, „…bei Managern“).

Viel tiefer gehe ich im ersten Semester nicht hinein.

  • Theoretische Grundlagen („…anhand der Systemtheorie“) sind im ersten Semester noch nicht vorhanden, ebenso wenig wie
  • methodische Kenntnisse („…mit Hilfe einer Längsschnittstudie“),
  • und Aspekte wie Unterarten, Ursachen, Determinanten ergeben sich von selbst oder können beim Besprechen der Übung aufgegriffen werden.

Mit diesem minimalen Rüstzeug starten wir in die Gruppen. Sicherlich wäre die Aufgabe auch sehr gut oder vielleicht sogar besser als Einzelaufgabe lösbar. Das würde mich jedoch später in Zeitnot bringen, wenn ich jeden einzelnen Vorschlag besprechen und würdigen wollte. Also bündele ich das und organisiere die Aufgabe in Dreier- oder Vierergruppen.

Die Gruppen arbeiten für sich die Eingrenzungsmöglichkeiten ab und können sich dabei erfahrungsgemäß schnell auf eine oder mehrere Ideen einigen. Eine gesonderte Herausforderung ist jedoch die konkrete und prägnante Formulierung des Titels dieser fiktiven Arbeit und ihrer Forschungsfrage(n). Dieser Schritt benötigt manchmal etwas mehr Zeit und gegebenenfalls auch die Hilfe des Dozenten. Meist nutze ich allerdings diese Vorarbeiten auch für das Thema „Gliederung“, so dass sich der Aufwand doppelt lohnt.

So gut wie immer entstehen in den Gruppen interessante Ideen. Eine kleine Auswahl:

  • „Mobile Kommunikation – Nutzungsverhalten von Tablets in der Altersgruppe 50+“ (rein deskriptiv)
  • „Jugendliche und mobile Kommunikation: Analyse der Auswirkungen auf die schulische Leistung am Beispiel ausgewählter Realschulklassen“ (Ursache-Wirkungs-Beziehung)
  • „Evaluation von Maßnahmen zur Stressreduktion – Eine Untersuchung der gesundheitlichen Folgen ständiger Erreichbarkeit bei den Geschäftsführern kleiner und mittelständischer Unternehmen“ (Handlungsempfehlungen)

Die genannten Beispiele finde ich prinzipiell umsetzbar, wenngleich man sie bei fortschreitender Sach- und Literaturkenntnis noch weiter eingrenzen oder präzisieren würde. Aber hier ging es ja erst einmal um die absoluten Grundlagen und den Mut, eben nicht „alles“ zu schreiben.

Bei der Besprechung im Plenum achte ich darauf, die verwendete Eingrenzungsart jeweils zu benennen (damit sich das einprägt) und, wenn sinnvoll, weitere Aspekte hinzuzufügen. Für jedes Thema gebe ich eine Einschätzung ab, ob es bearbeitbar wäre oder wo gegebenenfalls Probleme auftauchen könnten. Das geschieht natürlich alles auf eine eher oberflächliche Art, weil wir alle keine Experten in Mobiler Kommunikation sind. Aber wir brauchten ja im ersten Schritt ein gut zugängliches Thema. Bei den Besuchern meiner Lehrveranstaltung handelt es sich um Erstsemester, daher darf ich das Niveau bei einem allgemein gehaltenen Beispiel nicht so hoch ansetzen wie bei Bachelor-Kandidaten mit einem selbst ausgewählten Spezialgebiet.

Jetzt interessieren mich zwei Dinge: Erstens, wie machen Sie das? Haben Sie besonders geeignete Beispiele, an denen Sie mit den Studierenden üben, Fehler Nummer 1 zu vermeiden? Oder zweitens, ist das alles bei Ihnen überhaupt kein Problem?

2 Kommentare zu “Fehler Nummer 1 in studentischen Arbeiten

  1. Hallo!

    Zunächst vielen Dank, dass Sie Ihre Erfahrungen und Probleme sowie Ihr Wissen so offen teilen. (Das ist mir sehr sympathisch.)

    Ihre in diesem Beitrag geäußerten Erfahrungen habe ich ebenfalls so gemacht und bin dadurch auf einen ähnlichen Weg wie Sie gekommen. Mein Weg ist aber eben nur ähnlich und ich konnte durch die Unterschiede zu Ihrem Weg vielleicht schon etwas Wichtiges für mich lernen.

    Die von Ihnen vorgestellten Beispiele gelungener Formulierungen für eine Fragestellung finde ich in dieser Art auch bei jenen Studienanfängern, mit denen ich zu tun habe. Obwohl diese Beispiele – hier teile ich Ihre Sichtweise vollkommen – wissenschaftlich bearbeitbare Fragestellungen darstellen, sind diese Fragestellungen für Hausarbeiten von Studienanfängern gesundheits- oder pflegewissenschaftlicher Studiengänge nach meinen Erfahrungen sehr problematisch, weil es sich dabei um einen Typus empirischer Fragestellungen handelt, der aufgrund seiner bereits starken Eingrenzung den Prototyp für Fragestellungen darstellt, die man in der empirischen Sozialforschung formuliert, wenn man eine eigene empirische Forschungsarbeit durchführt. Mir ist zumindest noch nicht ersichtlich, wie man im Rahmen einer Literaturarbeit (im Sinne von Abgrenzung zu einer empirischen Arbeit) eine derartige Fragestellung bearbeiten und beantworten können soll. Eine weitere Eingrenzung und Präzisierung würde dieses Problem wohl sogar noch verstärken.

    Derzeit sieht es aus meiner persönlichen schreibdidaktischen Perspektive so aus, dass man – zumindest in gesundheits- oder pflegewissenschaftlichen Studiengängen – das Erarbeiten und Formulieren einer für eine wissenschaftliche Hausarbeit ‚gelungenen‘ Fragestellung nur mit Blick auf das angestrebte Textgenre sinnvoll lehren und erlernen kann. Dies setzt aber voraus, dass das Textgenre seitens der ‚Fachlehrenden‘ explizit gemacht würde. (Mit der Bezeichnung ‚wiss. Hausarbeit‘ ist noch kein Textgenre in dem Sinne verbunden, wie ich es hier meine, wenngleich einige Schreibdidaktiker dieser Zeit bei Hausarbeiten sehr häufig von einem didaktischen Textgenre sprechen. Für die schreibdidaktische Theorie wäre es m.E. hilfreicher, wiss. Hausarbeiten eher als Schreibanlass/-kontext zu verstehen.)

    Derzeit orientiere ich mich in meinen schreibdidaktischen Lehrveranstaltungen an das Textgenre des ‚systematischen Reviews‘, das aufgrund seines hohen Formalisierungsgrades leicht lehrbar und erlernbar ist. Es setzt allerdings voraus, dass man den Diskurs zu dem Thema, das man bearbeiten möchte, relativ gut kennt. Dieses Problem lässt sich für Studienanfänger meiner Erachtens dann nur noch dadurch lösen, dass man Ihnen ein bereits stark eingegrenztes Thema vertieft vorstellt, was zur Folge hat, dass inhaltlich gesehen nur noch 2-4 verschiedene Fragestellungen überhaupt formuliert werden können. (Die subjektiven ad hoc-Präferenzen und -Motivationen der Studienanfänger spielen damit dann aber freilich eine im Vergleich zur derzeitigen deutschen hochschuldidaktischen Praxis sehr untergeordnete Rolle. Allerdings lässt sich auch als Liberaler und Anhänger einer liberalen Didaktik hierfür eine begründete Position formulieren und die derzeitige Praxis als Laissez-faire kritisieren.)

    Wie stehen Sie denn zu einer textgenreorientierten Schreib- und Hochschuldidaktik und dem Vorwurf, dass das Erlernen des wissenschaftlichen Schreibens dadurch behindert wird, dass von den Lehrenden in den Fächern nach der derzeit dominierenden Praxis keine Textgenreorientierung explizit gemacht wird?

    1. Hallo Herr Röding,
      recht herzlichen Dank für Ihren aufschlussreichen, ausführlichen Kommentar!

      Den Einstieg über systematische Reviews halte ich für sehr gelungen, eben gerade weil er eine klare Orientierung bietet. Dazu bedarf es allerdings seitens der Lehrenden der Freiheit, selbst das Thema und die Anforderungen zu stellen. Das ist in meinen Lehrkontexten leider nicht immer der Fall, da ich mit der Lehrveranstaltung „Wissenschaftliches Arbeiten“ gewissermaßen eine fächerübergreifende Schnittstelle bediene. Ich muss die Studierenden in die Lage versetzen, zu einem vorgebebenen oder von einer Liste ausgewählten Thema eine klassische wissenschaftliche Hausarbeit zu schreiben. In späteren Semestern müssen sie in der Lage sein, sich selbst ein Thema zu suchen, das sie empirisch oder auch nicht bearbeiten. In den Fällen, in denen ich selbst die Fachlehrende bin, dürfen meine Aufgabenstellungen dann auch nicht zu sehr aus dem institutionellen Rahmen fallen.
      Darf ich fragen, wie es bei Ihren Studierenden nach den systematischen Reviews weitergeht? Haben Sie den Eindruck, dass andere Textgenres in der Folge besser verstanden und umgesetzt werden?
      Bezüglich der im Artikel genannten Beispiel-Fragestellungen haben Sie natürlich recht, dass diese in die Richtung empirischer Sozialforschung weisen. Sie erfordern jedoch nicht unbedingt eine „echte“ empirische Arbeit mit eigener Datenerhebung, sondern lassen sich auch mit bereits vorliegenden Daten bearbeiten. Je nach Ausgestaltung wären wir da schon fast wieder bei einem systematischen Review.
      Schöne Grüße
      Andrea Klein

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