Bevor ich das erste Mal „Wissenschaftliches Arbeiten“ unterrichten sollte, schien mir alles sonnenklar: Erst einmal ausführlich erklären, wie man Literatur sucht und auswählt. Danach zeigen, wie das Zitieren funktioniert, und abschließend noch besprechen, wie die richtigen Formulierungen eine wissenschaftliche Arbeit aufwerten können. So. Eigentlich alles recht übersichtlich.
Minimalprinzip trifft Maximalprinzip
Viele Studierende gestalteten das Wissenschaftliche Arbeiten für sich auf eine andere Art sehr übersichtlich. Ihre Fragen zielten darauf, den Aufwand zu minimieren. Für sie ging es darum, wie viele Bücher sie nutzen „müssen“ und wie viele Zitate sie pro Textseite verwenden „müssen“. Und überhaupt: Es stehe doch sowieso zu jedem Thema genug im Internet, wozu müsse man da heutzutage noch in eine Bibliothek? Diese Herangehensweise schockierte mich damals. Ich war einfach davon ausgegangen, dass die Studierenden sich (wie ich) (mittlerweile) gern in ein Thema vertiefen, gern viel darüber lesen und dann gern eigene Ideen entwickeln. Wie naiv!
Und nun?
Nach dieser Erkenntnis kam mir die Situation aussichtslos und ja, frustrierend, vor. Wie sollte ich unter solchen Voraussetzungen „Wissenschaftliches Arbeiten“ lehren? Mittlerweile ist mir aber sonnenklar, dass es für mich nur eine Lösung für dieses Problem gibt. Ich erzähle weiterhin in der Lehre aus meiner idealen Welt. Denn verbiegen will ich mich nicht. Und wer weiß, vielleicht ist ja doch der eine oder andere dabei, der ähnlich denkt wie ich. Gleichzeitig ist mir mittlerweile bewusst, dass es in der Welt vieler Studierender anders gelagerte Prioritäten oder auch Sachzwänge gibt. Da geht viel Zeit für den Nebenjob drauf, oder eine Klausur in einem anderen Fach ist wichtiger als die Hausarbeit. Diese Studierenden sind dankbar für jeden Tipp, der ihnen das Leben erleichtert. Also versuche ich, das auch zu berücksichtigen, indem ich erkläre, wo die Minimalanforderungen liegen. Luft nach oben ist schließlich immer.