„Da liegt er wieder, der Stapel…“ Sie setzen sich an Ihren Schreibtisch. Darauf: ein Berg von Hausarbeiten, die auf die Korrektur warten. Es gibt sicher Schöneres und Erfüllenderes als diese Aussicht- zum Beispiel einen Schreibtisch mit einem Berg von gerade fertig korrigierten Hausarbeiten. Ah, dieses Gefühl, wenn alles erledigt ist… herrlich!
Was ist es eigentlich, was mich so mitnimmt bei der Korrektur? Ich bin der Sache mal auf den Grund gegangen.
Vorab möchte ich etwas Entscheidendes klarstellen. Ich meine in diesem Beitrag nicht die größeren Arbeiten, die in den meisten Fällen mit Hingabe und Herzblut verfasst werden, wie etwa Bachelorarbeiten. Hier soll tatsächlich die Rede von den kleineren und mittleren Arbeiten im Studium sein, die aus der Sicht der Studierenden reine Pflicht sind und die hauptsächlich einem Zweck dienen, nämlich dem Erlangen des Leistungsnachweises. Sicher werden auch dann wirklich sehr gute Arbeiten eingereicht, aber mal ehrlich, das Verhältnis von sehr guten Arbeiten zu „Pflichterfüllungsarbeiten“ könnte besser sein, oder?
Woher rührt der Frust genau?
Ich habe das nun mehrere Jahre an mir beobachtet und komme zu dem Schluss, dass mich vor allem eines stört (und ja, je nach Tagesform nicht nur stört, sondern sogar ärgert):
Es handelt sich immer wieder um dieselben Fehler!
Damit beziehe ich mich nur bedingt auf Fehler Nummer 1, die fehlende Fragestellung. (Diesbezüglich habe ich den Eindruck, dass es gerade besser wird. Vielleicht fruchtet die von mir verwendete Übung mittlerweile doch? Das wäre zu schön.) Nein, ich meine andere Dinge damit.
Ich sitze also da und korrigiere wieder und wieder die gleichen Fehler. Nicht alle in einer Arbeit, aber eben doch gehäuft. Es handelt sich oft um unwesentliche Fehler. Leider kann ich sie deswegen ja nicht einfach unkorrigiert stehen lassen.
Manchmal wünschte ich, ich hätte einen Stempel. Gerade für die formalen Kleinigkeiten, die gern falsch gemacht werden, wäre das nützlich. „Fußnoten enden mit einem Punkt“, um mal ein banales Beispiel zu nennen. Wie oft habe ich das schon hingeschrieben? Oder „Zitation so nicht richtig, bitte im Leitfaden nachschlagen!“ Oder, auch sehr beliebt: „Quelle?“, wenn offensichtlich fremdes Wissen ungekennzeichnet verarbeitet wurde.
Warum passieren immer wieder die gleichen Fehler?
Es scheint mir also in der Lehrveranstaltung nicht immer gelungen zu sein, die Inhalte zu 100 Prozent zu vermitteln. Über die Gründe für diesen Umstand kann jetzt trefflich spekuliert werden.
- „Gehört ist nicht verstanden“, um es einmal mit Konrad Lorenz zu sagen.
Vielleicht kam bei einzelnen Studierenden gar nicht erst an, was wir in der Lehrveranstaltung besprochen und erarbeitet haben. Vielleicht sind auch Missverständnisse unbemerkt geblieben.
- Die Eigendynamik in der Semestergruppe spielt ebenfalls eine Rolle.
Gerüchte verbreiten sich, und Halbwahrheiten kursieren. Schnell ist es da passiert, dass sich alle Beteiligten über die vermeintliche Lösung eines Problems einig sind. (Dieses Semester führen plötzlich auffällig viele Studierende auch diejenigen Abbildungen im Abbildungsverzeichnis auf, die sie nicht im Text, sondern im Anhang verwenden. Das war noch nie ein Problem. Wieso es jetzt zu einem wurde? Ich kann nur spekulieren!)
- Weiter mit Lorenz: „Gewollt und gekonnt ist nicht getan“.
Manche Konventionen im wissenschaftlichen Arbeiten finden einzelne Studierende schlichtweg doof und nicht logisch nachvollziehbar. Daher halten sie sich nicht daran. Punkt. Und einigen Studierenden ist es auch einfach egal – Hauptsache bestanden.
- Außerdem: Die lieben Kollegen
Je nach institutionellem Setting kämpft man eventuell noch damit, dass Kolleginnen und Kollegen manchmal falsche Auskünfte geben. Das geschieht oft aus einem einfachen Grund: In ihrer Rolle als Fachdozenten (und nicht als Lehrende im Wissenschaftlichen Arbeiten) haben sie sich nicht mit allen Details des Leitfadens der Hochschule vertraut gemacht. Sie antworten, was aus ihrer Erfahrung heraus richtig ist, und ignorieren, dass es so an der Hochschule nicht vorgesehen ist. Die Verwirrung bei den Studierenden ist dann groß.
Wen interessieren meine Korrekturen?
Außer der Wiederholung der immer gleichen Fehler stört mich noch etwas: die Ungewissheit, ob meine Korrekturen überhaupt gelesen und nachvollzogen werden. Mache ich mir die ganze Arbeit umsonst? Wird es den Studierenden weiterhelfen? Ich kann es vorab nicht wissen.
Wie also beim Korrigieren glücklich bleiben?
Diese Frage gehe ich von mehreren Seiten gleichzeitig an.
Schritt 1: Akzeptieren, was nicht zu ändern ist.
Das klingt erst einmal philosophisch, ist für mich aber enorm hilfreich. Bevor ich loslege mit der Korrektur, führe ich mir noch einmal vor Augen, wie ich die Situation auch interpretieren könnte:
- Fehler, die aufgrund von Missverständnissen auftauchen: Zu einem Missverständnis gehören immer zwei. Nicht nur die Studierenden sind also „schuld“ (wenngleich manche sicher aufmerksamer sein könnten), sondern auch ich muss mir überlegen, was ich zu dem Missverständnis beigetragen habe. (siehe auch unter Schritt 2, Verbesserung des Skripts und der Lehre)
- Fehler, die aufgrund von Gerüchten und Halbwahrheiten entstehen: Die Studierenden haben immerhin versucht, die Aufgabe eigenständig zu lösen, und haben sich nicht wegen vermeintlichen Kleinigkeiten an mich gewendet. Ist doch auch was wert.
- Fehler aus Gleichgültigkeit: Manche Studierende setzen andere Prioritäten, als wir Dozierende es uns wünschen würden. Sie minimieren den Aufwand und geben eine Arbeit ab, die nicht „ihr Bestes“ ist. Das ist ok. Sie optimieren die Verwendung ihrer kostbarsten Ressource, nämlich ihrer Zeit. Ich sollte stolz auf sie sein, denn auch darüber reden wir ja in der Veranstaltung.
- Fehler aufgrund falscher Auskünfte der Kollegen: Hier fehlt mir noch die zündenden Idee. Wir tauschen uns zwar aus, aber das deckt eben nicht alle Eventualitäten ab.
Schritt 2: Positiv denken und handeln
- Bei der Korrektur nicht nur Fehler suchen, sondern gezielt Positives hervorheben.
Das macht einem selbst gleich bessere Laune, und später freuen sich auch noch die Studierenden. Der alte Spruch „Nicht geschimpft ist gelobt genug“ bringt einen ja auf Dauer wirklich nicht weiter. Die Studierenden motiviert eine ausschließlich fehlersuchende Korrektur nicht, oder schlimmer sie demotiviert sie sogar aktiv. Daher wende ich meine Aufmerksamkeit auf die gelungenen Passagen und versuche, diese nicht als selbstverständlich anzusehen. Ich freue mich darüber, dass etwas richtig oder außergewöhnlich gut gemacht wurde, und formuliere Lob.
- Wie so oft: Krise als Chance nutzen
Ich notiere mir die auffälligen Fehlerhäufungen und sehe nach, ob in meinen Lehrveranstaltungsunterlagen etwas missverständlich ist oder wichtige Punkte vielleicht gar nicht erwähnt wurden.
Schritt 3: Arbeitsaufteilung überdenken
Manchmal hilft es, seine Routine zu hinterfragen und etwas daran zu ändern. Das bringt neuen Schwung und reduziert das „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Gefühl.
- Korrigiere ich so viele Arbeiten wie möglich in einem Rutsch durch, oder nehme ich mir bewusst nur kleinere Päckchen vor?
- Setze ich mir ein Zeitziel („Eine Stunde konzentrierte Korrektur“) oder ein Mengenziel („Drei Arbeiten“)? Danach ist dann wieder Zeit für Abwechslung und/oder eine kleine Belohnung.
- Verfahre ich bei jeder Arbeit nach dem gleichen Schema? Zum Beispiel zuerst die Struktur, dann der Inhalt, dann das Formale? Arbeite ich nach einer Checkliste oder eher nach dem Zufallsprinzip?
- Lasse ich die vermutlich schlechten Arbeiten bis zum Ende liegen oder nehme ich sie mir zuerst vor? Lese ich die vermutlich beste Arbeit direkt zu Beginn, oder spare ich sie mir bis zum Ende auf? Oder arbeite ich den Stapel einfach so ab, wie er da liegt?
Der Notfall-Plan (wenn es gar zu schlimm wird)
- Bei Kollegen Dampf ablassen und sich gegenseitig sein Leid klagen. Innerhalb kürzester Zeit ist es wieder erträglich und man kann sich wieder auf die positiven Aspekte der Arbeiten konzentrieren. Wenn nicht: da capo al fine, zurück zu Schritt 1.
- Korrigiert man im home office, müssen arme unbeteiligte Dritte als Klagemauer (= die Familie) herhalten.
Und jetzt drucke ich mir das alles aus und hänge es über den Schreibtisch. Dort wartet ein Stapel Hausarbeiten auf mich.
Was sind Ihre Tipps und Tricks zum Glücklichbleiben bei der Korrektur von Hausarbeiten?
Liebe Frau Klein, liebe Leserinnen und Leser,
herzlichen Dank für Ihren Beitrag und das Teilhabenlassen an Ihrer persönlichen Sichtweise und Ihren Empfindungen.
In meinen Augen haben Sie den wesentlichen „Glücksbringer“ in der Korrektur studentischer Prüfungsleistungen bereits selbst benannt: sich über gute Arbeiten freuen und Gelungenes loben! Positive Rückmeldung in den Texten zu vermerken, wirkt nicht nur nachhaltig positiv auf den Empfänger, sondern ebenso auf den Sender – so meine Erfahrung.
Ich nehme mir Korrekturen übrigens meist mit ins Home Office und schaffe mir dort ein angenehmes Arbeitsumfeld, koche Kaffee, ziehe mir gemütliche Kleidung an und lege die Füße hoch.
Was mich darüber hinaus motiviert, ist das Gefühl von sinnvollem Tun. Ich suche gern das persönliche Gespräch mit den Studierenden. Insbesondere in meiner Schreibberatung begleite ich einige Studierende über einen längeren Zeitraum, erkenne mit ihnen gemeinsam Fortschritte und verspüre nicht selten Dankbarkeit für die Unterstützung – na, womit wir wohl wieder bei unserem alten Laster, dem symptomatischen Idealismus wären… aber das hatten wir ja schon 😉
Liebe Frau Spanier,
bei mir ist es Tee statt Kaffee, der Rest ist gleich 😉
Das persönliche Gespräch mit den Studierenden halte ich auch für sehr wichtig (für beide Seiten übrigens)! Zwingen kann man dazu natürlich niemanden, auch wenn ich das manchmal gern würde…
Liebe Frau Klein,
das war gerade wie Coaching für mich, der hinter und vor mir liegen diverse Stapel von Arbeiten – ich bin begeistert von Ihrem Schreibstil, Ihren didaktischen Ansätzen und Ihrer hohen Selbst- und Fremdreflexion(sbereitschaft). So sehr, dass ich hier gerade zum ersten Mal in meinem Leben auf einen Blog antworte 🙂
Danke. Ich werde dran bleiben und ab jetzt „meinen“ Studierenden und Lehrenden Ihren Blog ans Herz legen.
Liebe Frau Zimmermann, das freut mich, dass Sie mein Blog so sehr anspricht! Viel Erfolg noch bei den Hausarbeiten!
Liebe Frau Klein,
ich bin gerade auf ihren Blog gestoßen und fühle mich gerade sehr erleichtert, dass ich nicht alleine mit den Gedanken bin… ich lehre im ersten Semester Stadt- und Regionalplanung das Modul Wissenschaftliche Grundlagen und kann sehr Vieles von ihren geschriebenen Beiträgen so gut nachvollziehen… besonders erheitert hat mich der Satz zur ersten eigenen Vorlesung „man ist froh, dass keine Zwischenfrage gestellt wurde“ 😉 ich werde Sie weiter verfolgen und bin inspiriert für das kommende Semester. Vielen Dank!
Liebe Frau Al Samarraie,
da können Sie sehr, sehr sicher sein, dass Sie mit diesen Gedanken nicht alleine sind! Aus vielen Gesprächen und auch aus der Befragung von Lehrenden zum Einstieg in die Lehre weiß ich, dass es den meisten Lehrenden am Anfang so geht.
Ich freue mich, dass Ihnen meine Blogbeiträge helfen. Weiterhin alles Gute für die Lehre!
Andrea Klein