„Handle with care“: Zum Umgang mit den vier Studierendentypen

Wer würde nicht gern das Standardrezept für eine rundum gelungene und störungsfreie Lehrveranstaltung kennen? Wie Sie sich denken können, kenne ich es auch nicht. Die eine Methode, die immer und überall funktioniert, gibt es wohl leider nicht. Ein bisschen mag es jedoch helfen, sich die Menschen etwas näher anzusehen, die da so vor einem sitzen und etwas von einem lernen wollen (oder auch nicht).

In einem früheren Beitrag hatte ich vier Studierendentypen identifiziert, die meiner Erfahrung nach eigentlich jedes Semester aufs Neue in den Kursen anzutreffen sind. Die Zusammensetzung variiert, was erst einmal nur das Klima in der Lehrveranstaltung ändert, nicht aber Ihre grundsätzlichen Interaktionsmöglichkeiten mit den einzelnen Studierenden.

Ich beginne einmal mit den beiden unproblematischeren Studierendentypen, nämlich denen, die in Ihre Veranstaltung kommen, um das Wissenschaftliche Arbeiten zu erlernen, und die nicht von vorneherein eine Abwehrhaltung an den Tag legen.

Typ 4: Kann und will

Sie erinnern sich: Typ 4-Studierende sind eigentlich – aber auch nur eigentlich – der Traum der Dozierenden. Sie wollen und können das Wissenschaftliche Arbeiten lernen, nur leider sind sie so still, dass man sie richtiggehend aus der Reserve locken muss. Hier haben wir es, wie auch gleich bei Typ 2, nicht mit Störern zu tun. Vielmehr geht es darum, diese Studierenden zu ermuntern und sie auch zu Wort kommen zu lassen, selbst wenn sie sich nicht melden. Die angenehmste Variante von Typ 4 ist auf jeden Fall „Die sichere Bank“ – das sind die Studierenden, die sich immer spätestens dann erbarmen und sich melden, wenn gerade niemand anders etwas beitragen will.

Was aber tun mit all den anderen Typ 4-Studierenden? Ab und an vereinbare ich vorab mit den stillen Studierenden, dass sie in der nächsten Runde ihre Ergebnisse dem Plenum vorstellen. So haben sie Zeit, sich innerlich darauf einzustellen, und werden nicht überrumpelt.

Typ 2: Kann nicht, will aber

Typ 2-Studierende sind die „stets Bemühten“, die divergentes Denken nicht so leicht akzeptieren können und die alles ganz genau und vor allem eindeutig wissen wollen.

Einen nennenswerten Konflikt gibt es hier nicht. Das häufige Nachfragen ist ja erst einmal nichts Verwerfliches und keine echte Störung. Also hole ich etwas weiter aus als sonst üblich und erkläre erneut, wie Wissenschaft funktioniert. Zusätzlich sehe ich bei manchen Arbeitsaufträgen die Lösungen dieser Studierenden gesondert und intensiver durch und bespreche sie auch mal nach der Lehrveranstaltung mit ihnen. Ich versuche deutlich zu machen, dass jede plausible und stringente Lösung gilt und daher mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ihre Lösung etwas taugt.

Ja, das bedeutet viel Aufwand. Aber es ist einfach zu schön, wenn der Groschen fällt. Ich habe schon mehr als ein Wunder erlebt, und aus dem unsicheren Erstsemester, der sich jede Lösung „absegnen“ lassen wollte, wurde ein eigenständig denkender Bachelor-Kandidat, der seine Ergebnisse sehr gut zu verteidigen wusste.

Konsequenterweise müsste ich diesen Studierendtypen umbenennen in „Kann noch nicht, will aber“.

Konflikte klug managen

Bleiben uns noch die beiden anderen Studierendentypen. Das sind diejenigen, die nicht wollen und die in der Lehrveranstaltung oftmals stören. Deshalb geht es hier im Wesentlichen um Konfliktmanagement. Ich hole dazu etwas weiter aus.

Destruktives Konfliktverhalten wie Drohen, Beleidigen und das Nutzen von Killerphrasen bringt keinen weiter. Es scheint zwar für den Moment so, als habe der Lehrende „gewonnen“ und könne fortan ruhig weiterunterrichten. Auf lange Sicht hat er aber meistens verloren, und zwar die Kooperation des „Verlierers“.

Betrachten wir Konflikte lieber als etwas Normales, mit dem man konstruktiv umgehen kann. Sie laufen meist in mehreren Störungsstufen ab, auf denen der Lehrende unterschiedlich reagieren sollte. Diese Stufen habe ich dem sehr nützlichen Büchlein „Schwierige Situationen in der Lehre“ von Eva-Maria Schumacher entnommen (2011, UTB, S. 94 ff.).

  1. Ignorieren

Tritt eine Störung erstmalig auf oder ist sie nicht gravierend, kann man sie getrost übergehen.

  1. Nonverbales Ansprechen

In vielen Fällen reicht es aus, die Störer intensiv anzusehen oder ein paar Schritte auf sie zuzumachen, damit diese ihr Verhalten ändern und wieder aufmerksam sind. Alternativ können Sie eine kurze Sprechpause einlegen, die Lautstärke ändern oder mittels Mimik Ihr Missfallen ausdrücken.

  1. Ansprechen

Bei diesem Schritt lässt man den Störern noch die Chance, ihr Gesicht zu wahren, indem man konstruktiv in die Runde fragt, ob noch jemand etwas zum Thema beitragen möchten oder ob noch Inhalte unklar geblieben sind.

  1. Unterbrechen

Sollte die Störung dennoch anhalten, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um Klartext zu reden und die Störung direkt bei ihren Auslösern offen anzusprechen. Falls Sie nicht nur bei zwei Personen, sondern in Ihrem gesamten Kurs nachlassende Aufmerksamkeit feststellen, können Sie zusätzlich eine kurze Pause einlegen oder, wenn möglich, die Methode wechseln.

  1. Thematisieren

Eskalation! Mittlerweile ist wohl allen Anwesenden klar geworden, dass ein Konflikt im Raum steht und es so nicht weitergehen wird. Jetzt ist Metakommunikation nötig: Der Lehrende spricht über die Wirkung der Störungen auf ihn und fordert den Kurs auf, Stellung zu beziehen. (Achtung, dieser Schuss kann auch nach hinten losgehen! Zum Beispiel wenn sich die Gruppe solidarisiert und den Lärmpegel für ganz normal befindet.) Im besten Fall erhält man als Dozent jedoch hilfreiche Hinweise darüber, was gerade nicht so gut läuft, und kann entsprechend reagieren.

  1. Konflikt bearbeiten

In diesem Schritt bringt ein Vier-/Sechs-Augen-Gespräch mit den Störern am ehesten eine Lösung. Im Falle der insgesamt unruhigen Gruppe würde ich mir hierfür die auffälligsten Studierenden herausnehmen.

Der geschilderte Ablauf weist große Ähnlichkeiten mit dem Dahms-Modell auf, wobei die Schritte 1 bis 3 für ihn in den so genannten Normalbereich fallen. Die restlichen Schritte bezeichnet er treffenderweise als „Kampfzone“. Seine Schritte 6 und 7 lauten allerdings „Lassen Sie den Störer entfernen“ und „Gehen Sie selbst“, was im äußersten Fall auch nötig werden kann.

Konflikte mit Typ 1 und 3

Versuchen wir nun, das einmal auf die beiden verbleibenden Studierendentypen anzuwenden:

Typ 1: Kann nicht und will nicht

Hier sprechen wir von denen, die von Anfang an keine rechte Lust haben und schnell ihr Studium abbrechen. Die Trefferquote beim Identifizieren dieses Studierendentyps ist übrigens erstaunlich hoch, wie ich im Gespräch mit Kollegen feststellen durfte – und nein, ich glaube nicht, dass wir da selbsterfüllende Prophezeiungen fabrizieren.

Meistens tun diese Studierenden nichts, was den Unterrichtsverlauf direkt stört, sondern verhalten sich einfach nur sehr, sehr passiv. Entweder surfen sie die ganze Zeit, oder sie hängen permanent und demonstrativ ihren Tagträumen nach. Am liebsten würde ich sie ignorieren oder ihnen gleich anbieten, die Lehrveranstaltung ohne Konsequenzen verlassen zu dürfen. Es ahnen ja beide Seiten, dass ihre Anwesenheit nichts bringt. Ich denke oft insgeheim: „Solange sie die anderen Studierenden nicht stören, lasse ich sie am besten einfach ihr Ding machen…“.

Aber das kann ich natürlich nicht tun. Wenn ich ein solches Verhalten zuließe, wäre das kein gutes Zeichen für die restlichen Studierenden. Sie müssten ja daraus folgern, dass das akzeptabel ist. (Im ersten Semester akzeptiere ich keine Smartphones während der Veranstaltung.)

Was tue ich also? Ich ermahne diese Studierenden und erinnere sie an unsere zu Beginn vereinbarten Regeln. Oft genügt auch nonverbales Ansprechen. Das wäre also eine Mischung aus Stufe 4 und 6 (Unterbrechen bzw. Vier-Augen-Gespräch) sowie Stufe 2.

Typ 3: Kann zwar, will aber nicht

Studierende des Typ 3 halten die komplette Lehrveranstaltung für Zeitverschwendung, weil man sich das Wissen doch bei Bedarf (=kurz vor Abgabeschluss) sowieso leicht anlesen kann. Diese Einstellung führt im Unterricht entweder zu Passivität oder zu Meckern. Gern wird dann alles in Frage gestellt.

Störungen entstehen hier durch den Verteilungskonflikt über die Ressource „Studentische Zeit“, oder besser über die Ressource „Menge der eingesetzten studentischen Zeit“. Dies gilt natürlich nur, wenn es eine Anwesenheitspflicht gibt. Solche Störungen behandele ich nach dem oben vorgestellten Stufenmodell. Sollte ein Vier-Augen-Gespräch nötig sein, argumentiere ich mit der Nützlichkeit der Lehrveranstaltung („3 Gründe, warum der Unterricht mehr bringt…“)

Manchmal handelt es sich auch um einen Wertekonflikt über „Früh anfangen vs. Just in time“. Da treffen unvereinbare Gegensätze aufeinander. Das sollte man als Dozierende auch einfach mal verkraften können. Solange den Studierenden keine Nachteile erwachsen (z.B. durch verspätete Abgabe ihrer Arbeit), dürfen sie schließlich für sich ihre Entscheidung treffen. Allerdings sollten sie dann im Unterricht auch nicht stören oder ihm gleich fernbleiben. Ansonsten: Stufen-Modell.

„Handle with care“

Ich hoffe, Sie können aus meinen Beschreibungen die eine oder andere Anregung mitnehmen. Mir hat es bisher geholfen, nicht alle Studierenden über einen Kamm zu scheren.

Wie schaffen Sie es, allen Studierenden gerecht zu werden?

 

Meine persönliche Hassfrage beim wissenschaftlichen Arbeiten

Da ist sie wieder. Oh ja, sie kommt garantiert. In jedem Semester, in jeder einzelnen Gruppe. Meine Lieblingsfrage, die Frage aller Fragen, bekannt auch als die Frage, auf die es keine Antwort gibt: „Wie viele Bücher muss ich denn zitieren?“ Übersetzt heißt sie so viel wie:

  • „Wie kann ich mit möglichst wenig Aufwand bestehen?“ (Oder wenn ich nicht von Faulheit, sondern von Risikominimierung ausgehe: „Ab wie vielen zitierten Büchern bin ich auf der sicheren Seite?“)
  • „Wie viele Bücher und Kopien soll ich denn, um Himmels Willen, aus der Bibliothek nach Hause schleppen?“
  • „Muss ich die dann etwa auch noch lesen?“
  • „In den meisten Büchern steht doch sowieso das Gleiche drin…“ (Wahlweise: „Und wenn sich die Autoren der einzelnen Bücher widersprechen?“)
  • „Je mehr Quellen ich vorliegen habe, desto anstrengender wird das Zitieren. Ich verliere den Überblick.“

Wir sind uns hoffentlich einig, dass es keine allgemeingültige Antwort auf diese immer wieder gestellte Frage gibt. Es hängt vom Thema und der konkreten Fragestellung ab, und es hängt von der Arbeit der zu schreibenden Arbeit ab. Für eine praxisorientierte oder empirische Arbeit benötigt man voraussichtlich etwas weniger Quellen als für eine reine Literaturarbeit (ach…), bei einer Hausarbeit im ersten Semester werden in der Regel weniger Quellen erwartet als bei einer Bachelorarbeit. So weit, so gut. Diese Antwort reicht den Studierenden aber oft nicht aus. Sie wollen einen Anhaltspunkt, einen Richtwert, eine Orientierungsgröße. Damit sie etwas haben, woran sie sich festhalten können.

„Können Sie nicht trotzdem eine Zahl…?“

Kann ich natürlich. Ich nenne dann die alte Daumenregel unbekannten Ursprungs, dass pro Textseite eine Quelle verwendet werden sollte. (Das ist übrigens nicht das Gleiche wie „eine Quellenangabe pro Textseite“ – eines von vielen Missverständnissen). Richtig glücklich bin ich dann nicht, denn die reine Zahl der Quellen sagt ja noch nichts über deren Qualität, geschweige denn über die Qualität der Arbeit aus. Sind die recherchierten Quellen veraltet oder einseitig, brauche ich davon nicht auch noch viele. Stimmt die grundsätzliche Anlage der Arbeit nicht, hilft auch ein ausschweifendes Literaturverzeichnis herzlich wenig. Und es geht ja noch weiter: Je nach Problemlage, reicht es aus, ein einziges Buch zu übersehen.

Wieso ärgert mich die Frage so?

Das Problem liegt wahrscheinlich tiefer. Mir widerstrebt dieser Ansatz, sich so schnell zufriedengeben zu wollen. Es kommt mir wahrscheinlich entgegen, dass ich mittlerweile sehr schnell Texte lesen und beurteilen kann. Das macht es mir leicht, eine große Menge an Literatur zu sichten. (Wenn Sie mehr über meine ersten Schritte im Wissenschaftlichen Arbeiten wissen wollen, lesen Sie hier weiter.) Würde ich mir damit schwer tun, käme ich vielleicht auf ähnliche Gedanken („Wie viele muss ich denn noch?“). Und dennoch: Wenn ich ein Fach studiere, will ich doch die Inhalte kennenlernen und den Dingen auf den Grund gehen. Dazu muss ich lesen oder andere kreative Wege finden, mir einen Überblick über die benötigte Literatur zu verschaffen.

Wahrscheinlich wundere ich mich zusätzlich darüber, dass mir diese Frage direkt gestellt wird und die Studierenden ihre Unlust damit so offen zugeben.

Mein guter Vorsatz

Eines nehme ich mir fest vor: Beim nächsten Auftauchen meiner Hassfrage bleibe ich ganz ruhig. Ganz ruhig. Und erkläre ganz gelassen und zum x-ten Mal, wieso es auf diese Frage keine zufriedenstellende Antwort gibt.

Insgeheim träume ich weiter von solchen Sprechstunden-Erlebnissen: Da fragt mich eine Studierende mich ernsthaft und etwas bedrückt, ob das ok so sei mit ihrem Literaturverzeichnis. Immerhin sei es fünf Seiten lang. Als ich gerade zu einer Antwort ansetzen will, ergänzte sie, dass sie das eben ungewöhnlich finde. Bei ihrer Freundin und Mitstudierenden würde das immer nur eine oder maximal zwei Seiten umfassen. Seufz.

Abgabefristen – Summer: When does it end?

Weil es jahreszeitlich gerade so schön passt, grabe ich diesen alten Comic einmal aus.

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Ich will gar nicht viel dazu schreiben. Mir fällt nur auf, dass es sehr viele Comics zum Thema Zeitmanagement gibt. Wahrscheinlich nicht ohne Grund…

Quelle: Summer – when does it end? von der PHDCOMICS-Website (Vorsicht, nur anklicken, wenn man wirklich zu viel Zeit hat oder das Bedürfnis nach Prokrastination extrem hoch ist!)

3 Gründe, wieso der Unterricht mehr bringt als jeder Leitfaden

Manchmal lese ich in den Evaluationen am Semesterende, dass es den Studierenden vollkommen genügt hätte, den Leitfaden zum Wissenschaftlichen Arbeiten oder mein Skript zur Lehrveranstaltung zu lesen. Manchmal spreche ich die offensichtlich desinteressierten Studierenden auch während des Unterrichts an und erhalte eine ähnliche Aussage: Wieso das alles so ausführlich behandelt werden müsse, das erkläre sich doch eh irgendwie von selbst, in der Zeit (= zehn Doppelstunden) hätte man ja quasi die Arbeit schon fertigstellen können. Ah ja.

Interessanterweise stammen diese Einwände meist von denjenigen Studierenden, die dann später, ähm, optimierungsbedürftige Arbeiten abgeben (mehr zu den Studierendentypen hier). Es scheint, die Lehrveranstaltung bietet doch einen gewissen Mehrwert. Dieser wird leider von vielen erst im Nachhinein erkannt, im Extremfall sogar erst nach Abschluss des Studiums!

Im Hinblick auf den Lernerfolg sehe ich drei Hauptgründe, wieso der Unterricht mehr bringt als die Leitfadenlektüre: das Aufdecken von Missverständnissen, die Möglichkeit zum Austausch und das Besprechen von Übungsaufgaben..

Grund 1: Missverständnisse aufdecken

Sie lauern dort, wo keiner sie vermutet: Missverständnisse, falsche Vorannahmen, ewig geglaubte Wahrheiten. Nach manch einer Frage von Studierenden sieht man mir meine Ratlosigkeit wahrscheinlich deutlich an. Ich weiß einfach nicht, wie ich diese bestimmte Frage verstehen soll. Ich frage also nach. Wir drehen uns im Kreis. Die Kommilitonen schütteln den Kopf und wundern sich ebenfalls. Bis irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem ich das Missverständnis erkennen und benennen kann.

Zum Beispiel redeten wir einmal über das Zitieren der verwendeten Literatur und kamen nicht voran, weil der Begriff „Sammelband“ Rätsel aufwarf, und damit auch der Unterschied zwischen „Herausgeber“ und „Autor“ für den Fragenden nicht nachvollziehbar war. In einem anderen Semester sprachen wir eine Weile über das Inhaltsverzeichnis und im Zuge dessen über die Seitenzahlen – römisch oder arabisch. Gegen Ende des Themas stellte sich heraus, dass einige Studierende „Nummerierung“ und „Paginierung“ verwechselt hatten. Ihre Übungs-Inhaltsverzeichnisse sahen seltsam aus.

Hätte ich mir bloß alle diese Missverständnisse sofort notiert! Es würde mir sehr helfen, mein Skript noch verständlicher zu formulieren.

Grund 2: Austausch und gegenseitige Tipps

In meiner Lehrveranstaltung ist immer auch Zeit für kleinere Diskussionsrunden zu problematischen Themen. Die Studierenden können sich austauschen und sich gegenseitig Tipps geben. So etwas kann kein Leitfaden der Welt leisten. Oft geht es da um Motivation und Zeitmanagement, aber auch zur Literaturrecherche oder zu nervenraubenden technischen Problemen gab es schon viele verblüffend unkomplizierte Lösungen.

Und es soll mir jetzt keiner weismachen, dass die Studierenden eben in ihrer Freizeit über Wissenschaftliches Arbeiten reden würden, wenn wir den Rahmen nicht in der Lehrveranstaltung schaffen würden.

Grund 3: Feedback durch Übungsaufgaben

Übungsaufgaben sind ein fester Bestandteil meiner Lehrveranstaltungen. Ich nutze eigentlich in jedem Semester welche für die Themeneingrenzung, für das Erstellen von Gliederungen sowie für die Literaturrecherche und das Zitieren. Und immer, wirklich immer, denke ich mir danach: „Wie gut, dass wir diese Übung durchgeführt haben!“ Es ist anderenfalls so leicht, die Inhalte gedanklich „abzunicken“, die der Dozent da gerade präsentiert hat. Diejenigen, die nicht hundertprozentig aufmerksam waren, geben es sowieso nicht zu. Den anderen scheint erst einmal alles eingängig und plausibel, also tauchen keine Fragen auf, und wir würden normalerweise zum nächsten Kapitel übergehen.

Die problematischen Punkte zeigen sich erst, wenn die Studierenden selbst etwas tun müssen, zum Beispiel aus einem Thema eine Fragestellung entwickeln oder für eine Forschungsfrage eine beispielhafte Grobgliederung erstellen. Die vielen verschiedenen Vorschläge erhalten dann hauptsächlich von mir, aber auch von den Mitstudierenden ausführliches Feedback. Das stelle ich mir schwierig oder sogar unmöglich vor, wenn die Inhalte des Wissenschaftlichen Arbeitens nur schriftlich vermittelt würden.

Natürlich könnte ich Übungen mit Lösungen in mein Skript integrieren. Aber siehe Grund 1: Erst durch das Besprechen können wir herausfinden, ob die studentische Lösung korrekt ist und den Anforderungen genügen würde. Mehr als einmal wurde ich überrascht mit Lösungsvorschlägen, die ich so nicht vorhergesehen hatte. Ergo wären diese in meinem Skript nicht als richtig aufgetaucht. Außerdem üben wir uns im Wissenschaftlichen Arbeiten ja bekanntermaßen im divergenten Denken. Es gibt schlichtweg nicht die eine richtige Lösung. Ein Punkt übrigens, der die Studierenden ins Schwitzen geraten lässt, die immer gern gesagt bekämen, ob sie denn alles richtig machen .

Aus studentischer Sicht spricht also vieles dafür, dass sich der Unterricht lohnt. Wie ist es mit den Dozenten?

Der Sinn: In Kontakt bleiben

Durch die Diskussion und den Austausch habe ich schon viel über die Studierenden gelernt. In den drei vorhergehenden Abschnitten habe ich beschrieben, welche Erkenntnisse die Studierenden aus der Lehrveranstaltung ziehen können. Das gilt aber im gleichen Maße für mich!

Durch neu aufgedeckte Missverständnisse, Grund 1, bin ich gezwungen, noch verständlicher und noch eindeutiger zu formulieren. Ich merke, welche Begriffe ich bei meinen Ausführungen nicht einfach voraussetzen kann. Mein Gefühl für das passende Niveau verbessert sich.

Bei den studentischen Tipps, Grund 2, höre ich aufmerksam zu, ob ich nicht noch etwas Neues lernen kann. Öfter merke ich allerdings, dass einige grundlegende Arbeitstechniken (beispielsweise bestimmte Funktionen der Textverarbeitungsprogramme) nicht bekannt sind und sich viele Studierenden unnötigerweise das Leben schwer machen.

Grund 3, die Übungsaufgaben, wiegt für mich am schwersten. Mit keiner anderen Methode kann ich leichter erkennen, ob die Inhalte angekommen sind. Mein Vorgehen im Laufe des Semesters ist jedes Mal ein bisschen anders, und die Übungsaufgaben zeigen mir, wie ich die Inhalte gewichten sollte.

Ich lerne bei den Übungsaufgaben außerdem viel über das Vorwissen der Studierenden, ihren Anspruch an sich selbst und die vielen kleinen Unsicherheiten, die die erste wissenschaftliche Arbeit mit sich bringt. Bei der Besprechung der Lösungen sehe ich, wo es hakt.

Wie ist das bei Ihnen? Welchen Mehrwert bringt Ihnen der Unterricht? Oder empfinden Sie ihn doch eher als Zeitverschwendung?

Wie ich selbst wissenschaftlich arbeite – und was ich daraus für die Lehre lerne

Bekommen Sie aus den anderen Posts eigentlich den Eindruck, ich selbst wäre ein Paradebeispiel für effizientes wissenschaftliches Arbeiten? Sieht es so aus, als hätte ich vom ersten Semester an alles richtig gemacht? Dann muss ich hier wohl mal ein bisschen was klarstellen.

Meine eigene erste wissenschaftliche Arbeit

Ziemlich unbedarft bin ich in meinem Anglistikstudium in das erste literaturwissenschaftliche Proseminar gestolpert. Ich hielt es, ohne groß darüber nachzudenken, für die Verlängerung des Englisch-Leistungskurses. Diese Einschätzung sollte sich bis zum Ende des ersten Semesters nicht ändern, danach plante ich erst einmal ausgiebig für den Sommer eine zweimonatige Reise durch Kanada, und irgendwann musste eben die noch ausstehende Hausarbeit zügig verfasst werden. Das neue Semester stand ja bereits vor der Tür.

Was lag also näher, als mit der Arbeitseinstellung „Ein Aufsatz – ok, das kann ich ja“ ans Schreiben zu gehen? Für meine Literaturinterpretationen hatte ich in der Schule überwiegend positive Rückmeldungen erhalten. So falsch konnte das also nicht sein, was ich da gemacht hatte – dachte ich. Dementsprechend plante ich also, das bisherige Erfolgskonzept auf das neue Umfeld zu übertragen und einen besseren Aufsatz zu verfassen – bestehend einzig und allein aus meinen eigenen Gedanken. Weil es sich um Uni handelte und nicht mehr um Schule, gedachte ich immerhin, etwas mehr Zeit zu investieren. Mehr Mühe machte ich mir allerdings nicht. Ich recherchierte kaum Literatur und war mir sogar nicht zu schade, aus dem Anhang des Primärwerks zu zitieren. Die Rückmeldung auf diese Hausarbeit kann sich jeder ausmalen. Es gab eine freundliche Drei mit nicht ganz so freundlich klingenden Erläuterungen dazu. Heute wäre der Zugriff auf die Arbeit mit größeren Umständen verbunden (kennt jemand noch Disketten?), und ehrlich gesagt bin ich sehr froh über diesen Umstand.

Hätte ich etwas anders gemacht, wenn eine Veranstaltung zum Wissenschaftlichen Arbeiten angeboten worden wäre? Ich denke schon. Mir wäre der Stellenwert von Literaturrecherche klarer geworden. Damit steht und fällt es ja. Es geht darum, seine eigene Analyse in das bereits vorhandene Wissen zu integrieren. (Bei einer Erstsemesterarbeit wäre es wahrscheinlich auch ausreichend gewesen, nur das fremde Wissen zusammenzustellen und gut zu belegen, aber das ist ein anderes Thema.)

So beschränkte sich die Information auf ein paar wenige Sätze in der Lehrveranstaltung und ein dürftiges Heftchen der Fachschaft, das keinerlei „offiziellen“ Status hatte. Es schien, als ginge es hauptsächlich um das Einhalten formaler Anforderungen. Hauptsache, der Seitenrand und die Schriftgröße stimmen.

Mir war auch schlicht und ergreifend nicht klar, dass ich auf dem Gebiet des Wissenschaftlichen Arbeitens eine große Wissenslücke (oder besser: Kompetenzlücke) hatte. Sonst wäre ich vielleicht doch einmal losgezogen und hätte mich da eingelesen.

Fünf Jahre KVP

Der Rest meiner fünf Studienjahre ist schnell abgehandelt (so lange studierte man „vor Bologna“). In einer Art kontinuierlichem – oder manchmal auch nicht so kontinuierlichem – Verbesserungsprozess habe ich mir die Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens angeeignet. Es waren schließlich einige Hausarbeiten und eine Magisterarbeit zu schreiben. „Learning by doing“ war das Motto, denn andere Möglichkeiten gab es ja nicht.

Begonnen habe ich damals damit, mehr Quellen zu suchen. Die fehlende Literaturbasis war eine einfach auszumerzende Schwäche der ersten Hausarbeit. Das Lernen des richtigen Zitierens ging mit der Recherche und der Verarbeitung der Quellen einher.

Schwieriger fand ich es da schon, eine interessante wissenschaftliche Fragestellung zu erarbeiten. Das ist mir einmal in Psychologie sehr gut gelungen, indem ich zwei eigentlich unverknüpfte Gegenstände gemeinsam betrachtet habe. Leider hat mich der Mut zu einer solchen Vorgehensweise danach wieder verlassen (warum auch immer).

Ansonsten erinnere ich mich nur noch an ein stark verbesserungswürdiges Zeitmanagement. Das hatte ich mir wohl für die Promotionszeit aufgespart.

Fast forward: Dissertation in BWL

Einige Jahre später. Die grundlegenden Methoden und Techniken wissenschaftlichen Arbeitens hatte ich also im Laufe des Studiums gelernt, zusätzlich den Umgang mit dreierlei Anforderungen (ein Hauptfach und zwei Nebenfächer). Daher war das bei der Dissertation (viertes Fach) kein Thema mehr, und es ging eher um das Entwickeln des eigenen Arbeitsstils.

In der Promotionszeit hatte ich beispielsweise Gelegenheit, den für mich geeigneten Rhythmus zu finden. Also: Wie hole ich am meisten aus einem Tag? Wann erledige ich welche Art von Aufgabe am besten? Wie viele Tage im stillen Kämmerlein brauche ich im Verhältnis zu Tagen mit Anregung von außen? All das hat sich erst im Lauf der Zeit herauskristallisiert.

Diesen Findungsprozess sollten wir den Studierenden auch zugestehen. Damit meine ich nicht, dass die Studierenden in ihren drei Jahren bis zum Bachelor genau den Weg meistern sollen, für den Doktoranden nach dem Studium noch einmal drei oder mehr Jahre benötigen. Ich denke jedoch, dass man das etwas herunterbrechen kann. Die meisten Studierenden berichten mir am Ende des Studiums auch davon, dass sie ihren Weg gefunden haben (ok, das ist ein wenig verzerrt, denn viele von denen, die ihren Weg nicht gefunden haben, haben das Studium nicht abgeschlossen…).

Meine Haupterkenntnis der Promotionszeit war, im Nachhinein betrachtet, dass unüberschaubare Projekte bestenfalls dynamisch geplant werden können. Eine Dissertation ist per se zu Beginn unüberschaubar, sonst wäre es meiner Meinung nach keine. Wenn alles offen vor einem läge (was ist genau die Forschungsfrage, welche Literatur wird mir wirklich nützen, welche Methoden soll ich verwenden, wozu genau sollen die neu gewonnenen Erkenntnisse dienen), wäre es eine x-beliebige wissenschaftliche Arbeit und keine Dissertation. Eine solche entwickelt sich, und sie ergibt sich gewissermaßen aus den Entscheidungen, die man im Lauf der Zeit trifft. Das Vorhaben, den Bearbeitungszeitraum vorab detailliert durchplanen zu wollen, muss also scheitern. Und wenn es ganz simpel daran liegt, dass ein bestimmter Knoten im Kopf nicht vorherzusehen ist, wochen- und monatelang einfach nicht platzen will und so das [beliebigen Fluch einsetzen] vierte Kapitel der Doktorarbeit nicht so früh fertig wird wie geplant.

Als Lehrende sollten wir eines nicht vergessen: Für die Studierenden ist im Regelfall die erste Hausarbeit genauso unüberschaubar wie für einen Doktoranden die Doktorarbeit. Das Gleiche gilt für die Bachelorarbeit. Sie mag den meisten Studierenden wie ein Berg von einer Aufgabe vorkommen. Ausgang ungewiss. Darauf sollten wir mehr Rücksicht nehmen, wenn uns selbst, die wir einen jahrelange Vorsprung in dem Fachgebiet haben, die Fragestellung klar, die Methodenwahl offensichtlich und die Lösung fast schon trivial vorkommen.

Heute: Alles auf einmal schreiben

Durch die Lehre im Fach Wissenschaftliches Arbeiten habe ich mich eine Zeit lang mit den verschiedenen Schreibtypen beschäftigt. Jeder geht ja etwas anders an seine Schreibprojekte heran. Bei Ulrike Scheuermann (Die Schreibfitness-Mappe) habe ich von vier Typen gelesen: Planer und Drauflosschreiber sowie Versionen- und Patchworkschreiber. Was das jeweils bedeutet, verraten die Namen ja schon fast. Der Planer plant vor dem Losschreiben, der Drauflosschreiber eben nicht. Der Versionenschreiber fertigt etliche Varianten seines Textes an, bis er ihm perfekt erscheint, und der Patchworkschreiber fügt seine Texte zusammen, indem er an vielen Ecken und Enden parallel arbeitet.

Bei mir stelle ich immer mehr fest, dass ich beim Schreiben am erfolgreichsten bin, wenn ich nicht geradlinig vorgehe. Ich würde mich demnach als „planende Patchworkschreiberin“ bezeichnen. Ich plane zwar meine Schreibprojekte, lese im Vorfeld viel (dazu weiter unten gleich mehr) und erstelle auch eine Grobgliederung, bevor ich so richtig mit der Textproduktion loslege. Dann aber schreibe ich an vielen Stellen gleichzeitig: Kapitel 2 und 4 eines Fachartikels, und/oder den nächsten, übernächsten und überübernächsten Blogartikel. Es muss nicht erst eines abgeschlossen sein, bevor das andere beginnt. Gern verteile ich meine Schreibzeit auch über mehrere Publikationen.

Für die Lehre hat mir diese Erkenntnis einen entscheidenden Punkt gebracht. Ich fordere bei der Betreuung von größeren schriftlichen Arbeiten nicht mehr vehement von allen Studierenden eine Vorab-Gliederung ein. Manchmal treffe ich auf Drauflosschreiber, die den Eindruck erwecken, sehr genau zu wissen, was sie da tun. Dann lasse ich es gut sein. Auch für Studierende, die mir nicht exakt sagen können, wie weit sie eigentlich mit ihrer Rohversion sind, habe ich seither mehr Verständnis. In vielen Fällen haben etwa Versionenschreiber schon etwas produziert, sind damit aber nicht zufrieden (und zählen es daher nicht als „echten Text“) oder es sind Patchworkschreiber wie ich.

Sprechen wir noch kurz über das Lesen. Ein Punkt, der mir auch heute noch immer wieder Probleme bereitet, ist das Abdriften bei der Literaturrecherche. Grundsätzlich finde ich viele Themen interessant und bin oft gedanklich schon bei der übernächsten Idee, bevor das ursprüngliche Projekt abgeschlossen ist. Meine derzeitige Strategie besteht darin, die Ideen und dazugehörigen Fundstellen in der Literatur an einem gemeinsamen Ort, meist einer Datei, zu notieren, um alles griffbereit zu haben, wenn der richtige Zeitpunkt dann irgendwann gekommen ist. (Wenn jemand dafür eine bessere Methode hat, immer her damit.) Für die Lehre zeigt mir dieses andauernde Problem, wie sehr man von der Fülle der Literatur „erschlagen“ werden kann. Gerade als Erstsemester fehlt einem ja auch meist noch die Fähigkeit des Einordnen-Könnens, welche Fundstellen vermutlich brauchbar sein werden und welche nicht.

Fazit: Alles gar nicht so einfach

Überlegen Sie doch einmal: Wie lange haben Sie selbst benötigt, um einigermaßen im Wissenschaftsbetrieb anzukommen und sich zurechtzufinden? Ganz zu schweigen von der Optimierung der eigenen Arbeitsweise, die oft Monate und Jahre beansprucht. Ich finde, der Blick zurück lässt einen bescheidener werden. Was hat Ihnen geholfen?

 

 

Wissenschaftliches Arbeiten versus Wissenschaftliches Schreiben

Auf meiner „Über diesen Blog“-Seite schreibe ich

„Deshalb blogge ich: Weil ich meine Erfahrungen mit dieser „Prozessbegleitung“ [im Wissenschaftlichen Arbeiten] weitergeben und mich darüber austauschen möchte. Es existiert noch kein Ratgeber zur Lehre in diesem Fach. Gerade zu Beginn meiner Lehrtätigkeit vor etwa zehn Jahren hätte ich mir einen gewünscht.“

Moment mal. Kein Ratgeber? Gibt es nicht ungezählte Bücher zum Wissenschaftlichen Arbeiten? Ja, gibt es, und jedes Jahr kommen ein paar neue dazu. Diese Publikationen richten sich allerdings an Studierende und nicht an diejenigen, die den Studierenden die Methoden und Techniken des Wissenschaftlichen Arbeitens vermitteln sollen.

Ok, aber was ist mit all den Büchern für Schreibberater, Schreibtrainer, Schreibdidaktiker und wie sie nicht heißen? Stimmt, da ist schon deutlich mehr zu holen. Sie bedienen sich der angelsächsischen Tradition des Academic Writing und haben viel zu bieten, weil das im deutschen Sprachraum noch nicht so verankert ist. Auf einige dieser Ratgeber gehe ich im Lauf der Zeit auch noch ein. Sie sind für die Lehre im Fach „Wissenschaftliches Arbeiten“ ziemlich hilfreich. Und dann auch wieder nicht. Warum ist das so?

Stellen wir einmal die klassischen Inhalte der beiden Ansätze gegenüber.

Inhalte „Wissenschaftliches Schreiben“

  • Phasen des Schreibens (Fragestellung, Recherche, Gliederung, Rohtext, Überarbeitung)
  • Formale Anforderungen
  • Wissenschaftlicher Schreibstil
  • Schreibtypen und Schreibstrategien
  • Schreibübungen
  • Zeitmanagement des Schreibprojekts

Das Schreiben steht hier also ganz klar im Fokus, so sagt es ja auch schon der Name. Der Ausgangspunkt aller Gedanken ist die Textproduktion in der Wissenschaft – Schreiben als Schlüsselkompetenz für ein erfolgreiches Studium. Diejenigen Phasen im Schreibprozess, die nicht direkt mit der Textproduktion zu tun haben (also etwa das Erarbeiten der Fragestellung oder die Literaturrecherche), scheinen dem Schreiben untergeordnet oder nur ein Teil davon zu sein. Sie dienen als Mittel zum Zweck, denn ohne sie gäbe es schließlich niemals einen guten fertigen Text. Diese Fokussierung auf die Textproduktion mag damit zu tun haben, dass die Schreibzentren der Hochschulen fachübergreifend tätig sind. Ein kompetenter Austausch zu den konkreten fachlichen Inhalten ist vermutlich nicht immer zu gewährleisten. Es wäre ja schon ein großer Zufall, wenn immer ein Schreibberater aus der benötigten Disziplin verfügbar wäre.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich finde diese Vorgehensweise weder besser noch schlechter. Es ist einfach ein anderer Ansatz.

Inhalte „Wissenschaftliches Arbeiten“

  • Wissenschaft und Wissenschaftstheorie
  • Themeneingrenzung und Fragestellung
  • Forschungsdesign und Methodenwahl
  • Literaturrecherche und -auswahl
  • Phasen des Schreibens (Gliederung, Rohtext, Überarbeitung)
  • Formale Anforderungen
  • Wissenschaftlicher Schreibstil
  • (Schreibtypen und Schreibstrategien)
  • (Schreibübungen)
  • Zeitmanagement
  • und manchmal Inhalte aus angrenzenden Gebieten: Lernen lernen, Prüfungsvorbereitung, Präsentieren usw.

„Wissenschaftliches Arbeiten“ umfasst also erst einmal mehr Inhalte. Es ist meist in der jeweiligen Disziplin verortet. Deshalb betrachten die Studierenden die Wege des Erkenntnisgewinns speziell in dem von ihnen gewählten Studienfach. Sie erhalten einen Einblick in das in ihrer Disziplin Übliche und das aktuell Mögliche.

Daher rückt die Betrachtung des Schreibens an sich in den Hintergrund. Schreiben wird als ein Baustein von vielen gesehen, die zu einem erfolgreichen Studium beitragen.

Mancherorts werden genau deswegen auch noch Inhalte aus angrenzenden Gebieten gelehrt, wie etwa Lerntechniken oder das Präsentieren von wissenschaftlichen Ergebnissen. „Wissenschaftliches Arbeiten“ geht also grundsätzlicher an die Thematik heran als „Wissenschaftliches Schreiben“.

Vom alten Schlag?

Jetzt behaupte ich einfach mal etwas. Wer „Wissenschaftliches Arbeiten“ unterrichtet, ist in den seltensten Fällen gleichzeitig auch ausgebildeter Schreibberater. Eher handelt es sich wohl um (Nachwuchs-)Wissenschaftler, die dieses Fach neben ihrem eigentlichen Fach lehren.

Es würde mich also nicht wundern, wenn im „Wissenschaftlichen Arbeiten“ vielerorts noch gelehrt würde, dass man gefälligst erst dann zu schreiben habe, wenn die vorbereitenden Phasen abgeschlossen sind. So sind die entsprechenden Anleitungen zum Wissenschaftlichen Arbeiten verfasst. Schreiben als Weg zur Erkenntnis oder als Dialog mit sich selbst ist wahrscheinlich noch nicht überall vorgesehen.

Auch bei den verschiedenen Schreibstrategien oder Schreibtypen bin ich mir nicht sicher, inwieweit diese schon in die Curricula des Wissenschaftlichen Arbeitens integriert sind. Daher auch die Klammern in der obigen Aufzählung. Ich kann mir gut vorstellen, dass der planende Schreiber als Ideal gelehrt wird – mit der Folge, dass einige Studierende im Unterricht gedanklich aussteigen, weil sie eben anders an ihre Schreibprojekte herangehen. Oder, schlimmer noch, sie versuchen, dieses vermeintliche Ideal zu erreichen, verbiegen sich dabei und kommen schlechter voran als vorher.

Voneinander lernen?

Wäre es nicht toll, wenn die beiden Ansätze „Wissenschaftliches Arbeiten“ und „Wissenschaftliches Schreiben“ voneinander lernen könnten? Wahrscheinlich bedeutet das vor allem, dass „die Wissenschaftler“ von „den Schreibberatern“ lernen. (Ich benenne die beiden Gruppen von Lehrenden jetzt einfach verkürzt so und stelle das für den Moment einmal so gegenüber). Das betrifft vorrangig die Stellung des Schreibens im Prozess der Erkenntnisgewinnung und die Techniken des Schreibens selbst.

Was meinen Sie? Decken sich meine Beschreibungen mit Ihren Erfahrungen? Oder ist das alles zu pauschal gedacht?

Soviel Text entsteht beim Schreiben einer Hausarbeit…

Auf der UTB-Seite habe ich etwas Treffendes gefunden:

Soviel Text entsteht... utb-KarteCopyright: utb/treibsand

Wenn ich den Studierenden das im 1. Semester so sage, ernte ich von einem Großteil amüsiertes Gelächter. Viele nehmen sich in diesem Moment vielleicht vor, es selbst besser zu machen und früh mit der Arbeit zu beginnen.

Wenn wir 2. Semester den Entstehungsprozess der ersten Arbeit reflektieren, wirkt das Lachen beim Anblick des Bildes auf mich etwas gequälter. Da denkt wohl manch einer an diese eine Nacht zurück, in der er die besagten 69 Prozent des Textes verfasst hat. Nicht umsonst haben einige Hochschulen eine „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeit“ ins Leben gerufen.

Aber Zeitmanagement (und wie man das unterrichten kann) ist ein großes Thema für spätere Blogartikel.

„Die Studierenden heutzutage…“

Haben wir uns nicht alle schon über die Studierenden geärgert? Vielleicht sogar in der Mittagspause mit den Kollegen über sie gesprochen, und das nicht immer wohlwollend?

Aber wer soll das eigentlich sein, „die Studierenden“? Ich weigere mich, alle Studierenden gedanklich in einen Topf zu werfen. Sie kommen mit einer großen Bandbreite von Vorerfahrungen (von Null bis hin zu einem abgeschlossenen Studium) und den unterschiedlichsten Einstellungen (dazu gleich mehr). Sie wollen nicht alle das gleiche in meiner Lehrveranstaltung. Und so verhalten sie sich auch.

Ich unterteile je nach Können und Wollen in vier Kategorien. Sprich: Hat der- oder diejenige die Fähigkeit, der Lehrveranstaltung zu folgen, und möchte er oder sie das aktuell auch tatsächlich tun?

Typ 1: Kann nicht und will nicht

Die Studierenden des Typ 1 wollen nicht wissen, was ich zu sagen habe. Selbst wenn sie zuhören würden, würden sie nicht viel verstehen. Hier handelt es sich meistens um die Verlegenheitsstudenten in der letzten Reihe, die dauernd mit dem Smartphone beschäftigt sind. Höchstwahrscheinlich sieht man sie spätestens im Folgesemester nicht mehr. Denn dann treten sie ihre Ausbildung an („Was Solides!“). Wissenschaftliches Arbeiten? Überflüssig.

Typ 2: Kann nicht, will aber

Im Arbeitszeugnis von Typ 2 würde stehen: „Er war stets bemüht.“ Diese Studierenden sind überwältigt von der Flut an Informationen und Alternativen. Sie bekämen gern den einen richtigen Weg gezeigt, und alles würde gut. Für sie ist es schwierig zu verstehen, dass es für eine wissenschaftliche Fragestellung mehrere gleichwertige Lösungen gibt. Für die Lehrenden sind diese Studierenden daher harte Nüsse. Immerhin wollen sie das Wissenschaftliche Arbeiten erlernen. Es lohnt sich also, Geduld mit ihnen zu haben.

Typ 3: Kann zwar, will aber nicht

Studierende des Typ 3 halten die komplette Lehrveranstaltung für überflüssig. Die Inhalte kann man doch überall nachlesen, wieso also noch lange darüber sprechen? Zeitverschwendung. Mit diesen Studierenden hat man also in der Lehrveranstaltung wenig Spaß. Selbst wenn sie noch nichts wissen, möchten sie jetzt auch nichts über Wissenschaftliches Arbeiten erfahren. Denn sie lesen sich das Wissen ja genau dann an, wenn sie es benötigen. Sprich: drei Tage vor Abgabeschluss der Arbeit. Diese Logik ist mir fremd, ich gebe es offen zu.

Typ 4: Kann und will – ein Traum!

Typ 4-Studierende wollen und können das Wissenschaftliche Arbeiten erlernen. Leider sind das, zumindest in meinen Lehrveranstaltungen, zu 99 Prozent die stillen, eher schüchternen Studierenden. Sie melden sich nicht von sich aus, sondern warten mit ihren Fragen an mich bis nach der Lehrveranstaltung. Sie müssen aus der Reserve gelockt werden. Das ist bisweilen etwas mühsam, aber es lohnt sich.

Die Zusammensetzung der Studierendenschaft ist in jedem Kurs anders. Jedes Semester finde ich es wieder spannend herauszufinden, wer da vor mir sitzt. Tipps und Gedanken zum Umgang mit den verschiedenen Studierendentypen habe ich hier niedergeschrieben.

Aber jetzt erst einmal die Frage: Wie verhält es sich bei Ihren Studierenden? Haben Sie ähnliche Beobachtungen gemacht?

Aller Anfang ist… sonnenklar?

Bevor ich das erste Mal „Wissenschaftliches Arbeiten“ unterrichten sollte, schien mir alles sonnenklar: Erst einmal ausführlich erklären, wie man Literatur sucht und auswählt. Danach zeigen, wie das Zitieren funktioniert, und abschließend noch besprechen, wie die richtigen Formulierungen eine wissenschaftliche Arbeit aufwerten können. So. Eigentlich alles recht übersichtlich.

Minimalprinzip trifft Maximalprinzip

Viele Studierende gestalteten das Wissenschaftliche Arbeiten für sich auf eine andere Art sehr übersichtlich. Ihre Fragen zielten darauf, den Aufwand zu minimieren. Für sie ging es darum, wie viele Bücher sie nutzen „müssen“ und wie viele Zitate sie pro Textseite verwenden „müssen“. Und überhaupt: Es stehe doch sowieso zu jedem Thema genug im Internet, wozu müsse man da heutzutage noch in eine Bibliothek? Diese Herangehensweise schockierte mich damals. Ich war einfach davon ausgegangen, dass die Studierenden sich (wie ich) (mittlerweile) gern in ein Thema vertiefen, gern viel darüber lesen und dann gern eigene Ideen entwickeln. Wie naiv!

Und nun?

Nach dieser Erkenntnis kam mir die Situation aussichtslos und ja, frustrierend, vor. Wie sollte ich unter solchen Voraussetzungen „Wissenschaftliches Arbeiten“ lehren? Mittlerweile ist mir aber sonnenklar, dass es für mich nur eine Lösung für dieses Problem gibt. Ich erzähle weiterhin in der Lehre aus meiner idealen Welt. Denn verbiegen will ich mich nicht. Und wer weiß, vielleicht ist ja doch der eine oder andere dabei, der ähnlich denkt wie ich. Gleichzeitig ist mir mittlerweile bewusst, dass es in der Welt vieler Studierender anders gelagerte Prioritäten oder auch Sachzwänge gibt. Da geht viel Zeit für den Nebenjob drauf, oder eine Klausur in einem anderen Fach ist wichtiger als die Hausarbeit. Diese Studierenden sind dankbar für jeden Tipp, der ihnen das Leben erleichtert. Also versuche ich, das auch zu berücksichtigen, indem ich erkläre, wo die Minimalanforderungen liegen. Luft nach oben ist schließlich immer.