In meinem Buch „Mit Freude lehren“ sind zehn sogenannte Doppeldecker-Thesen enthalten. Für den aktuellen Beitrag möchte ich ein wenig tiefer in das Thema Selbstcoaching und die dazugehörige These einsteigen. Sie lautet:
„Wenn ich mir selbst ein Coach bin, kann ich auch anderen gegenüber eine coachende Haltung an den Tag legen.”
Klein, A. (2022): Mit Freude lehren. Was eine coachende Haltung an der Hochschule bewirkt. Verlag Barbara Budrich, S. 79.
Was bedeutet Selbstcoaching eigentlich?
Unter „Selbstcoaching“ versteht man eine Herangehensweise, mit der man sich selbst bei seiner Zielerreichung unterstützt. Dabei muss es sich nicht unbedingt um ein sachliches und inhaltlich konkretes Ziel handeln („Wie kann ich bis zum Monatsende diesen Stapel an Hausarbeiten begutachten?“), oft dreht es sich auch um übergreifende und persönliche Ziele („Wie schaffe ich die Balance zwischen Forschung und Lehre?“).
Das „Selbst“ am Wortanfang besagt, dass man sich ohne fremde Unterstützung, auf den Weg macht. Es braucht demnach Methoden, die Distanz zum sonstigen Gedanken-Wirrwarr bringen. So wird es möglichen, sich zu sortieren und den nächsten Schritt zu gehen.
Welche Voraussetzungen müssen für das Gelingen gegeben sein?
Wer damit starten möchte, muss unbedingt zur Selbststeuerung in der Lage sein. Das bedeutet, dass psychische Erkrankungen oder Suchterkrankungen hinderlich sind.
Das Vorhaben an sich sollte natürlich auch einigermaßen realistisch durch Selbstcoaching zu erreichen sein. Mit der Weltherrschaft wird es auf diesem Weg wahrscheinlich nichts 😉
Wofür brauche ich Selbstcoaching überhaupt?
Selbstcoaching hilft bei der persönlichen Weiterentwicklung. An bestimmten Stellen haben Sie vielleicht den Eindruck, dass die Dinge nicht so bleiben sollen, wie sie sind.
Was kann Selbstcoaching bewirken – für mich persönlich und für meine Lehre?
Wie wäre das, wenn Sie die Veränderungen erreichen, die Sie sich erhoffen? Was würde das bewirken? Träumen Sie ruhig ein wenig!
Für die Lehre sind vor allem Ihre Erfahrungen mit dem Selbstcoaching bedeutsam. Denn vom Doppeldecker her gedacht, können Sie am besten Vorbild sein, wenn Sie erlebt haben, dass es funktionieren kann.
Wann soll ich mit dem Selbstcoaching aufhören?
Im besten Fall haben Sie natürlich Ihr Ziel erreicht und beenden das Selbstcoaching bzw. setzen sich voller Elan das nächste Ziel.
Manchmal gibt es allerdings Situationen, in denen man sich alleine im Kreis dreht. Dann kann es ratsam sein, eine dritte Person hinzunehmen, die kluge Fragen stellt und beim Ordnen hilft. Manchmal hilft eine vertraute Person, die einen bereits gut kennt. Wichtig ist in diesem Fall, dass die Person nicht versucht, Ihnen die eigene Sichtweise „aufzudrücken“. Denn Tipps und Herangehensweisen, die für eine Person funktionieren, müssen bei der nächsten nicht zum Erfolg führen. Wenn Sie also in dieser Hinsicht Bedenken haben, wenden Sie sich besser an einen ausgebildeten Coach, der oder die nicht-direktiv arbeitet. Solche Coaches nehmen sich zurück und versuchen nicht, Sie in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Ist Selbstcoaching auch für Studierende geeignet? In welchen Bereichen?
Ja, auf jeden Fall, solange die Fähigkeit zur Selbststeuerung gegeben ist.
Selbstcoaching ist in vielen Lebensbereichen anwendbar. Auf das Studium bezogen ist das „Dauerbrenner“-Thema Disziplin und Motivation beim Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten.
Wie kann ich den Studierenden Selbstcoaching näherbringen?
Das sind wir bei der Trias aus Zeit, Raum und Ruhe, die ich in „Mit Freude lehren“ an mehreren Stellen erwähne. Wenn Sie entschlossen sind, Selbstcoaching einzubauen und sich Zeit, Raum und Ruhe zu nehmen, bietet es sich an, zunächst einmal mit 10 bis 15 Minuten in der Lehrveranstaltung zu starten. Vielleicht möchten Sie mit einer persönlichen Geschichte starten und die Studierenden daran teilhaben lassen, wie Sie ein Problem durch Selbstcoaching gelöst haben. Fragen Sie die Studierenden auch nach ihren Erfahrungen und finden Sie heraus, ob sie den Wunsch haben, mehr über Selbstcoaching zu erfahren. An der Stelle wird es dann spannend! Lassen Sie es auf sich zukommen.
Wo kann ich mich informieren?
Als Grundlage empfehle ich Ihnen zunächst dieses Büchlein:
Fischer-Epe, M. und Epe, C. (2016). Selbstcoaching : Hintergrundwissen, Anregungen und Übungen zur persönlichen Entwicklung. (5. Aufl.) Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Aufbauend können Sie das Thema hier vertiefen:
Günther, K. (2020). Selbstcoaching in der Wissenschaft : wie das Schreiben gelingt. Vrlag Barbara Budrich
Ein Gastbeitrag von Katharina Pietsch, Tyll Zybura und Jessica Koch (Unconditional Teaching)
Unconditional Teaching (bedingungslose Lehre) basiert auf der Grundüberzeugung, dass Lernen dann gelingt, wenn Lernende ihr Lernen für sich selbst bedeutungsvoll machen können und es in gleichwürdige, wertschätzende Lehr-Lern-Beziehungen eingebettet sehen. Was das für das Lehren von wissenschaftlichem Arbeiten bedeutet, haben wir hier in zehn Prinzipien zusammengefasst:
1) Gute Lehr-Lern-Beziehungen sind die wichtigste Basis.
Alles Lernen findet in Beziehungen statt, aber die Art und Qualität dieser Beziehungen hat großen Einfluss auf die Qualität und den Erfolg von Lernen. Wissenschaftliches Arbeiten zu lehren bedeutet, Studierende in die Diskursgemeinschaft unserer wissenschaftlichen Disziplin einzuladen. Je mehr Studierende sich in dieser Einladung als Personen gesehen, wertgeschätzt und ermutigt fühlen, umso eher sind sie bereit, die Einladung auch anzunehmen und in selbstbestimmter und selbstverantwortlicher Weise nach ihrem Platz in unserer Wissenschaft zu suchen.
Deshalb sind bedürfnisorientierte, empathische, vertrauensvolle und gleichwürdige Lehr-Lern-Beziehungen so wichtig – also Beziehungen, in denen das gemeinsame Menschsein wichtiger ist als Didaktik, Lernziele und Bewertung. Etabliert und gepflegt werden diese Beziehungen durch wertschätzende Kommunikation.
Kommunikation, die es erlaubt, sich in Bildungskontexten als Mensch zu zeigen, schafft nicht nur wohltuende Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, sondern auch zwischen den Lernenden und dem wissenschaftlichen Gegenstand: Wenn Studierende durch die Beziehung zu uns sehen können, was unsere Expertise uns bedeutet, dass wir Integrität und Würde als forschende Menschen haben, dann können sie viel leichter in eine positive Beziehung zu unserer Wissenschaft treten.
Mehr dazu lesen und hören:
Peter Felten & Leo Lambert: Relationship-Rich Education: How Human Connections Drive Success in College. Johns Hopkins UP, 2020.
Lehre ist kein linearer, mechanischer Akt der Wissensvermittlung: aus meinem Mund in deinen Kopf. Als Lehrende*r kann ich nur Angebote machen, und ich muss akzeptieren, dass ich keine Kontrolle darüber habe, ob und wie meine Angebote angenommen werden. Das Lernen ‚gehört‘ mir nicht, es gehört den Lernenden. Wenn wir das zu einem Grundprinzip unserer Lehre machen, wird es für Studierende viel leichter, Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen und uns als Ressource und Unterstützung wahrzunehmen. Und wenn wir es ernst meinen damit, Lernende nicht als formbare Objekte, sondern als Akteur*innen ihrer eigenen Lernprozesse zu behandeln, dann macht es auch Sinn, sie aktiv nach ihren Lernbedürfnissen zu fragen.
Als Lehrende haben wir trotzdem die Prozessverantwortung für den Lernkontext und damit die Verantwortung für die Angebote, die wir Studierenden machen. Damit meine Angebote angenommen werden können, müssen sie als sinnhaft empfunden werden: Lernen passiert nur, wenn es für die Lernenden bedeutungsvoll ist.
Das kann bedeuten, dass wir den mündlichen oder schriftlichen Beiträgen von Studierenden in unserem Unterricht aktiv einen Wert geben, statt sie lediglich auf Korrektheit zu überprüfen. Oder dass wir Aufgaben so gestalten, dass sie die Basis für die nächste Unterrichtseinheit bilden. Oder dass wir in unseren Kursen Projekte oder Wissenschaftsformate umsetzen, innerhalb derer die einzelnen Unterrichtseinheiten als Schritte hin zu einem Ziel ganz von selbst Sinn ergeben. Oder dass wir den Arbeiten der Studierenden eine reale kommunikative Funktion geben, statt sie als reine Bewertungsobjekte zu behandeln.
3) Wissenschaftliche Forschung basiert auf Neugier und Kreativität, und Bewertung und Benotung sind für beide schädlich.
Neugier und Kreativität sind Grundbedingungen erfolgreichen wissenschaftlichen Forschens und erfolgreichen Lernens. Beides bedeutet, Neues auszuprobieren, oft mit einer beträchtlichen Wahrscheinlichkeit, dabei zu scheitern. Je mehr wir bereit sind, das Risiko des Scheiterns einzugehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir herausfinden, was tatsächlich funktioniert. Mit anderen Worten: Je mehr Neugier und Kreativität in Lern- und in Forschungsprozesse einfließen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir erfolgreich sind und dass wir dabei eine bereichernde Erfahrung machen.
Deshalb haben Lernen und Forschen viel mit Neugier und Kreativität und dem Eingehen von Risiken zu tun – und für all diese Dinge ist es schädlich, wenn andere Menschen sich in bewertender und beurteilender Weise einmischen. Sobald wir uns Sorgen darüber machen, wie andere uns beurteilen, verlagert sich unser Fokus auf das, was im Kopf dieser anderen Person vorgeht, und die Neugier auf das, was wir zu lernen und herauszufinden versuchen, rückt in den Hintergrund. Hinzu kommt: Je mehr Macht diese Beurteiler*innen haben und je mehr von ihrem Urteil abhängt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihr Urteil Gefühle von Angst und Scham hervorruft. Und sowohl Angst als auch Scham sind schädlich für Neugierde und Kreativität und damit für Lernen und Forschen insgesamt.
Wir können als Lehrende für unsere Studierenden ein Diskursumfeld schaffen, das ihnen zeigt, dass wir – als Kolleg*innen im Forschungsfeld – gemeinsam mit ihnen am Inhalt ihrer Arbeit interessiert sind. Indem wir uns nicht als ultimative Bewertungsinstanz zeigen, sondern als ernsthaft interessiert an ihrem wissenschaftlichen Beitrag, können unsere Studierenden uns als Verbündete wahrnehmen, was Scham- und Angstgefühle verringert. Wir arbeiten an einem gemeinsamen Ziel, das durch die Studierenden und ihr eigenes akademisches Interesse definiert wird.
Statt uns in erster Linie als Bewerter*innen und Benoter*innen zu verstehen, sollten wir so weit wie möglich:
sichere Räume für die Kreativität und Riskantheit von selbstverantwortlichem Lernen schaffen
Studierende als Forschende sehen und behandeln
kollegiales Feedback geben, statt zu bewerten und zu benoten
revisionsorientierte Schreibbetreuung anbieten, das heißt, Studierenden ermöglichen, einen fortgeschrittenen Text nach Feedback zu überarbeiten (und ihnen damit das gleiche Privileg zugestehen, das jede*r professionelle*r Wissenschaftler*in für sich in Anspruch nehmen kann, nämlich einen Text erst nach einem Rückmeldungsprozess zu finalisieren; das hilft auch dabei, die Ausgeliefertheit gegenüber Bewertung und Benotung abzumildern)
4) Wenn wir wollen, dass Studierende sich wie Wissenschaftler*innen verhalten, müssen wir sie auch wie Wissenschaftler*innen behandeln.
Studierende machen im Studium nur selten die Erfahrung, dass ihre Ideen und die Ergebnisse ihrer Arbeit als Beiträge zur Diskursgemeinschaft ihrer Disziplin wahrgenommen und gewürdigt werden. Obwohl Kommunikation innerhalb der Diskursgemeinschaft zentraler Teil wissenschaftlichen Arbeitens ist, sind Studierende davon ausgeschlossen. Ihre Arbeit wird von anderen üblicherweise nur als Bewertungsobjekt wahrgenommen und behandelt, und das hat Auswirkung auf Sinn, Bedeutung und Motivation bei dem, was Studierende an der Uni tun. Dass etwa studentische Texte, die in wochen- und monatelanger harter Arbeit entstehen, ohne inhaltliche Resonanz mit einer Note versehen oder mit ein paar Credit Points vergütet werden und dann für immer in der Schublade verschwinden, ist eine systematische Abwertung der wissenschaftlichen Leistung, die in diesen Texten steckt.
Unser universitäres Ausbildungssystem leistet sich also die Diskrepanz, von Studierenden zu erwarten, dass sie sich verhalten wie Forschende, aber behandeln lassen wie Schüler*innen – das ist ein Widerspruch, der viele Schwierigkeiten beim Lehren von wissenschaftlichem Arbeiten erklärt. (Und ein Widerspruch, den vor allem Studierende ausbaden müssen, was bis hin zu Beeinträchtigungen ihrer mentalen Gesundheit führen kann.)
Wenn wir wollen, dass Studierende ihre eigene Arbeit als inhaltlich bedeutsam wahrnehmen und sich intrinsisch motiviert für eigene Forschungsthemen interessieren, müssen wir als Lehrende die Bedingungen dafür schaffen. Vermeintlich desinteressierte oder demotivierte Studierende sind meistens das Ergebnis der jahrzehntelangen Erfahrung, immer nur von anderen vorgegeben zu bekommen, was lernenswert ist, und nie nach den eigenen Interessen gefragt zu werden. Eins der wichtigsten Dinge, die Studierende deshalb von uns brauchen, ist die explizite Erlaubnis, ihre eigenen Ideen zu verfolgen.
Um Studierenden zu zeigen, dass wir sie als Forschende wahrnehmen, können wir sie außerdem einladen, an Konferenzen teilzunehmen oder diese selbst zu organisieren, oder sie dazu ermutigen, ihre Arbeit zu publizieren.
Und wenn Studierende eigene Ideen und Forschungsinteressen verfolgen, rückt in der Lehre automatisch die Frage stärker in den Vordergrund, was Studierende dafür brauchen. Die Frage, „was brauchst du?“ wiederum gibt den Lernenden die Verantwortung für ihr eigenes Lernen zurück.
Mehr dazu lesen:
Stefan Kühl: „Der publikationsorientierte Erwerb von Schreibkompetenzen.“ Das Hochschulwesen, 5+6/2015, S. 143–157.
Dzifa Vode & Frank Sowa (Hg.): Schreiben publikationsorientiert lehren: Hochschulische Schreiblehrkonzepte aus der Praxis. wbv, 2022.
5) Bedeutungsvolle Kontexte gestalten.
Das, was Studierende können, hat viel mit dem Kontext zu tun, der ihrem Arbeiten mehr oder weniger Sinn und Bedeutung gibt. Es lohnt sich für Lehrende, Lernkontexte zu schaffen, die zum Vorschein bringen, was Studierende tatsächlich können – das sorgt nicht nur für sinnhafte, selbstwirksame und motivierende Erfahrungen mit wissenschaftlichem Arbeiten für Studierende, sondern beschert auch uns als Lehrenden mehr Erfolgserlebnisse als das defizitorientierte Abprüfen von Wissen und Kompetenzen. Und die Qualität der Arbeiten von Studierenden steigt, weil Studierende, die eigene Forschungsergebnisse präsentieren möchten, ein größeres Bewusstsein für die kommunikative Funktion der Konventionen ihrer Diskursgemeinschaft bekommen.
Statt studentische Arbeiten als Hausaufgaben, Fingerübungen oder Probestücke zu sehen, sollten wir ihnen so weit wie möglich Bedeutung als Teil von Wissenschaftspraxis geben. Kontexte, in denen die Arbeit von Studierenden einen Platz als Forschungsbeitrag bekommt und inhaltliche Resonanz erfährt, können zum Beispiel Kurskonferenzen (professionelle Präsentation eigener Forschung vor Lehrenden und Studierenden des Fachs) oder Writers’ Rooms (publikationsorientierte Texterstellung mit Peer-Feedback) sein.
6. Lernen als Aneignung von Strategien statt von Kompetenzen denken.
7. Die eigene Wissenschaftspraxis transparent machen.
8. Funktionen lehren statt Regeln.
9. Wissenschaft bedeutet, Positionen zu verteidigen, nicht Fakten zu finden.
10. Plagiate als handwerkliches und nicht als moralisches Problem behandeln.
Über uns:
Wir – Katharina Pietsch, Tyll Zybura und Jessica Koch – sind oder waren Lehrende und Forschende an der Universität Bielefeld in der anglistischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Gemeinsam haben wir 2019 das Projekt Unconditional Teaching gegründet mit dem Ziel, Konzepte für beziehungsreiche und machtsensible Lehre zu entwickeln. Auf unserer Webseite veröffentlichen wir Texte und den Unconditional Teaching Podcast zu Haltungen und Praktiken, die dabei helfen können, Lehre bedürfnisorientierter, wertschätzender und menschlicher zu machen. Und wir schulen Hochschullehrende in empathischer Kommunikation, in Sensibilität für mentale Gesundheit und in innovativen Ansätzen kollaborativer Lehre.
Tyll und Katharina haben außerdem zusammen mit Vivian Gramley den Ratgeber Writing in English Studies: A Guide for Students in English Linguistics and Literature (Barbara Budrich 2020) veröffentlicht, der unseren nicht-normativen Ansatz für das Lehren von wissenschaftlichem Schreiben widerspiegelt und den Fokus darauf legt, die Funktionen disziplinspezifischer Konventionen transparent zu machen und Studierende zu ermutigen, Expert*innen ihres eigenen Schreibens zu werden.
Na, auch ein paar Corona-Kilos zu viel auf den Hüften?
Und jetzt komme auch noch ich und sage: Futtern Sie sich Speck an, viel Speck! Genau genommen sage nicht ich das, sondern Christof Arn in seinem Buch „Agile Hochschuldidaktik“ (2016, S. 73). Auch er hat das von jemand anders, aber das führt jetzt zu weit. Sicher wollen Sie an der Stelle sowieso viel lieber wissen, was damit beim Lehren des wissenschaftlichen Arbeitens eigentlich gemeint sein soll.
Speck anfuttern – das bedeutet, für die Lehre so ausgestattet zu sein, dass man für alle Eventualitäten gerüstet ist. Für jede (noch so abwegige) Frage, die da kommen mag. Für jede spontane Idee, die so brillant ist, dass man ihr sofort nachgehen möchte.
Stresst Sie dieser Gedanke?
Mich nicht.
Denn eines sollte ich dazusagen: Wichtig ist dabei, dass nicht alles tatsächlich genutzt werden muss, was an Material vorhanden ist.
Es ist nicht so gedacht, dass Sie als Lehrperson im Vorfeld den perfekten Plan für eine Lehrveranstaltung ausarbeiten, alles genau durchtakten, die Inhalte vollständig „didaktisieren“ UND zusätzlich noch bestens auf alles vorbereitet sind, was aus dem Moment heraus geschehen mag. Das würde mich auch stressen. Denn dahinter steckt auch die Annahme, dass sich die Lehrperson um Himmels Willen niemals die Blöße geben darf, etwas nicht zu wissen. Das halte ich für belastend und auch nicht für gerechtfertigt. Ergo: kann weg!
Gemeint ist mit der Speck-Verwertung, dass man im Sinne der agilen Didaktik vorrangig aus dem Moment heraus lehrt. Genau dazu brauchen Sie dann all das Material. Dann können Sie, indem Sie als Lehrperson ganz präsent sind, in Interaktion mit den Studierenden treten und echte Begegnungen erleben. (Wenn Sie dazu ein wenig mehr lesen möchten: Rezension). Das Material haben Sie dann als Back-up (Speck-up, scnr), um ganz konkret werden zu können und direkt aufgreifen zu können, was gerade an nützlichen Äußerungen im Raum ist.
Stresst Sie das?
Mich nicht.
Oder besser: mich nicht mehr.
In den Anfangszeiten meiner Lehrkarriere sah das sicher anders aus.
Aktuell hat an einigen Hochschulen das Semester bereits begonnen, an anderen ist es in wenigen Wochen so weit. Daher lesen derzeit auch etliche Menschen den Blog, die gerade neu einsteigen (ich vermute das auch aufgrund der Zahl an Newsletter-Anmeldungen).
Wenn Sie kurz davorstehen, zum ersten Mal wissenschaftliches Arbeiten zu lehren, haben Sie vermutlich noch nicht genügend „Speck“. Das ist normal, alles andere würde mich wundern. In diesem Fall empfehle ich Ihnen diesen Beitrag zur Vorbereitung der ersten Einheit in einem neuen Kurs. Den haben Sie vielleicht schon längst entdeckt. Ich habe ihn schon vor einigen Jahren geschrieben, aber er altert gut. Ich gehe auch heute ab und an gern selbst noch so vor, wenn ich in einer Erstsemester-Veranstaltung lehre.
Wenn Sie schon länger lehren und in Ihre x-te Runde „Wissenschaftliches Arbeiten“ gehen, frage ich Sie: Wie ist es um Ihren Speck bestellt? Haben Sie sich genug angefuttert, um spontan sein zu können? Haben Sie Übungen, Beispiele, Anschauungsmaterial für all die schönen Bereiche, die das wissenschaftliche Arbeiten umfasst?
The sage on the side
Ein verbundener Gedanke kam mir kürzlich. In den zurückliegenden Jahrzehnten gab es bekanntermaßen in der Lehre einen Paradigmenwechsel vom „sage on the stage“ zum „guide on the side“ (King 1993), auch bekannt als „Shift from Teaching to Learning“ (Barr & Tagg 1995). Also, zumindest ist das in der einschlägigen hochschuldidaktischen Literatur so. In Bezug auf die Praxis habe ich da so meine Zweifel, obwohl ja nun schon ein paar Jährchen vergangen sind, seit diese Gedanken erstmals veröffentlicht wurden… Long story short: Lehrende werden immer weniger als der Mittelpunkt des Lehrgeschehens gesehen und gelten eben nicht mehr als die „Weisen auf der Bühne“ (also nicht mehr als Wissensvermittler am Katheder), sondern vielmehr als Personen, die den Lernenden zur Seite stehen und deren Lernen und Kompetenzaufbau begleiten. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Lehrperson „gar nichts mehr wissen muss“ und „nur noch begleitet“.
Im Sinne des „Specks“ denke ich mir: Wie wäre es mit einer Kombination der beiden Klischees, die sich (vermeintlich) ausschließen. Das wäre dann statt dem „sage on the stage“ und dem „guide on the side“ der „sage on the side“! Die Bedeutung dieses Begriffs würde ich gern folgendermaßen auffüllen: Es handelt sich um eine weise Person, die den Lernenden zur Seite steht und sie begleitet – und zwar in der Art, dass sie ihre Weisheit UND ihren Speck einsetzt, um mit den Lernenden das Terrain zu erkunden.
Literatur
Barr, R. R. & Tagg, J. (1995). From Teaching to Learning. A New Paradigm for Undergraduate Education. Change: The Magazin of Higher Learning, 27 (6), 12-26. Verfügbar unter https://www.esf.edu/openacademy/tlc/documents/FromTeachingToLearningANewParadigmforUndergraduateEducation.pdf
King, A. (1993). From Sage on the Stage to Guide on the Side. College Teaching, 41 (1), 30-35. Verfügbar unter http://www.jstor.org/stable/27558571
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Kürzlich durfte ich an einem Think Tank der Stiftung Innovation Hochschullehre teilnehmen, der unter dem Motto „Hochschullehre innovativ gestalten“ stand. Im Zuge der Vorbereitung waren alle dazu aufgerufen, eine eigene Lehrinnovation zu beschreiben, so dass diese Sammlung am Tag des Think Tanks sichtbar werden kann. Schnell fiel meine Wahl auf meine Lehrphilosophie, denn a) halte ich diese weiterhin für innovativ – dazu gleich mehr – und b) hat ihr Einsatz tatsächlich einen deutlich spürbaren Effekt auf die Lehre.
Ein kurzer Rückblick
Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, mich intensiver mit meiner Haltung zur Lehre zu befassen und meinen Gedanken in einer Lehrphilosophie eine Form zu geben. Im Oktober 2017 habe ich das Ergebnis dann erstmals in der Lehre verwendet und auch hier auf dem Blog mitsamt einem Begleitartikel veröffentlicht.
Seitdem hat sich aus meiner Perspektive im Umfeld nichts Wesentliches getan. Weiterhin kenne ich kaum jemanden, der eine Lehrphilosophie verwendet. Auch spricht kaum jemand über ein solches Dokument oder auch nur über das Vorhaben, ein solches zu erstellen und zu nutzen.
Angeregt durch die Reaktionen während des Think Tanks schreibe ich diesen Beitrag, der eine ausführlichere Antwort auf die Fragen und Anmerkungen sein soll, als dies auf dem dort eingesetzten Miro-Board möglich war.
Wie kommt die Lehrphilosophie an?
Diese Frage ist aus mehreren Gründen nicht leicht zu beantworten.
In Präsenzseminaren teile ich die Lehrphilosophie aus und lasse sie lesen. Stille legt sich dann über den Raum, und nach dem Lesen glaube ich in vielen Gesichtern Verwunderung zu sehen. Es ist in diesem Moment auch nicht leicht, das Eis zu brechen. Meist fasst sich doch eine Person ein Herz und bekundet, dass sie gut findet, was sie da gelesen hat. Andere nicken. Oft folgt eine Anmerkung wie „So was haben wir noch nie von jemandem bekommen.“ Ab und an werde ich gefragt: „Meinen Sie das ernst?“, an guten Tagen sage ich „Ja, verdammt!“.
Inhaltliche Fragen tauchen kaum auf. Manchmal möchte jemand wissen, was es mit dem „believing game und doubting game“ auf sich hat oder was ich mit „Schreibaufgaben“ meine. Ausgiebiger wurde gern der Passus zur Nutzung von Laptops und Smartphones diskutiert, was mittlerweile etwas aus der Zeit gefallen scheint.
Was mich zum nächsten Punkt bringt: Im digitalen Raum spüre ich weniger Resonanz auf die Lehrphilosophie. Zum einen ist sie nur eine weitere Datei unter vielen, ich kann sie nicht physisch austeilen. Zum anderen sehe ich meist die Gesichter während des Lesens und unmittelbar nach dem Lesen nicht. Hier geht etwas verloren, weil ich nicht mehr in der Gruppe stehe und gleichzeitig für etwas stehe. Die sonst aufkommende Atmosphäre lässt sich im Digitalen schwer hervorrufen. Auch wenn ich wirklich gern online lehre, fehlt mir dieser Moment zu Beginn eines Seminars.
Was ändert die Lehrphilosophie für mich?
Kurz gesagt: Alles.
Ich kann natürlich nur mein eigenes Vorher und Nachher in der Lehre vergleichen. Meine Lehre ohne Lehrphilosophie war sicher von der gleichen Haltung getragen und von den gleichen Gedanken geprägt. Inhaltlich hat sich also nichts geändert, dafür aber strukturell. Die Haltung und die Gedanken sind nun formuliert und schriftlich festgehalten und somit erst einmal unverrückbar. Ich mache den Studierenden die Lehrphilosophie zugänglich und lege mich damit auf genau diese Haltung und Gedanken fest.
Der Offenheits-Vorschuss
Diese Festlegung nehmen die Studierenden natürlich wahr. Sie haben da nun eine Dozierende vor sich, die einen Standpunkt einnimmt und diesen offen kommuniziert.
Ich gebe durch dieses Vorgehen einen Offenheits-Vorschuss – und erhalte Offenheit zurück. Mein Eindruck ist: Wir kommunizieren auf eine andere Art und Weise, eben offener. Das macht sich bemerkbar in einer Öffnung der Studierenden über die eigenen Unsicherheiten und Zweifel in Bezug auf das Lernen. Als Lehrende bekomme ich mehr mit, kann es aufgreifen und damit arbeiten, so dass am Ende ein besseres und angenehmeres gemeinsames Lernen entsteht.
Festnageln?
Eine solche Transparenz macht Versprechungen. Ich teile meine Haltung und meinen Anspruch an mich selbst den Studierenden mit, woraus die Studierenden zurecht Ansprüche ableiten: „Was sie da verspricht, soll sie einhalten!“
Ich empfinde das nicht als Einengung oder als Festnageln. In der Lehrphilosophie ist gewissermaßen der Kern meiner Ansichten niedergeschrieben. Dieser Kern ist nicht tagesformabhängig, er gilt bis auf Weiteres immer. An den Rändern bin ich beweglich.
Das bedeutet: Mein Menschenbild, meine Werte und mein Verständnis von Wissen unterliegen keinen Schwankungen, die durch den Alltag oder eine bestimmte Lehr-Lern-Situation hervorgerufen werden. Die Aussagen zu den Lehrmethoden, zum Setting und den Lehrzielen sind so grundlegend und gleichzeitig offen, dass sie mich leiten, aber nicht einengen.
Langzeitwirkungen
Ein Großteil der Wirkung entzieht sich wahrscheinlich meiner Kenntnis, weil wir uns im Lauf der Seminare nicht übermäßig über die Lehrphilosophie austauschen. Das eine oder andere Mal habe ich am Ende gefragt, was die Studierenden im Rückblick von der Lehrphilosophie halten. Die Antworten fielen bisher immer positiv aus, was natürlich der Situation geschuldet sein mag – nicht viele haben Lust, am Ende eines Seminars eine Diskussion vom Zaun zu brechen. Vielleicht gehe ich dazu über, mir zu diesem Punkt anonymes Feedback einzuholen.
Einen Teil ihrer Wirkung entfaltet die Lehrphilosophie wohl auch erst geraume Zeit später. Ehemalige Studierende melden sich nach Jahren mit einem aktuellen Anliegen bei mir, getragen von dem gleichen Vertrauen, das sie damals schon hatten. Sie schildern mir, wie sie sich damals gesehen fühlten, und sprechen mit der gleichen Offenheit wie zu Studienzeiten mit mir. All das mag anderen Lehrenden auch ohne Lehrphilosophie geschehen, ich weiß es nicht. Meine Vermutung ist allerdings, dass sich die Wahrscheinlichkeit dafür mit einer Lehrphilosophie erhöht, eben weil diese nach meiner Erfahrung zu einem besseren Miteinander führt.
Wieso die Lehrphilosophie kein Lernkontrakt sein soll
In meinem Verständnis ist ein Lernvertrag oder Lehrkontrakt sehr viel konkreter auf eine einzelne Veranstaltung bezogen und nimmt deren Ziele in den Fokus. Gedanklich nachgelagert werden bestimmte Verhaltensweisen vereinbart („pünktlich sein“, „Handy aus“).
Das Wesen der Lehrphilosophie ist ein anderes: Ich lege meinen Standpunkt dar, von dem aus ich die Welt sehe und von dem aus ich mit anderen Menschen, in dem Fall mit den Studierende, umgehe. Dieser Standpunkt ändert sich nicht so schnell. Das bedeutet gleichzeitig, dass er natürlich nicht auf immer und ewig gleichbleiben muss. Aber eine zweite Version der Lehrphilosophie würde eine intensive Auseinandersetzung mit den potenziell zu ändernden Inhalten erfordern. Dies wiederum setzt eine Unzufriedenheit oder zumindest einen Anlass voraus. Das ist derzeit für mich nicht der Fall, ich bin weiterhin glücklich und zufrieden mit dem, was ich damals geschrieben habe.
Mit einer Einschränkung: Der bereits angesprochene Passus zur Laptop- und Smartphone-Nutzung ist zumindest diskussionswürdig bzw. wäre es in dem Moment, in dem wir wieder Präsenzseminare halten. Das ist noch einmal ein eigener Artikel, dessen Entwurf seit Monaten in der Schublade liegt.
Think again
Der Think Tank hat seinen Zweck erfüllt. Ich konnte sowohl etwas beitragen als auch etwas mitnehmen. Der Think Tank hat, so vermute ich, bei allen Beteiligten weiterführende Denkprozesse angeregt und ihnen eine Richtung gegeben.
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Auf meiner Visitenkarte steht geschrieben:
„Wissenschaftliches Arbeiten mit Herz“. Wenn ich die Karte überreiche, sehe ich
mein Gegenüber meist lesen und dann – lächeln. Die häufigste Reaktion lautet:
„Oh, wie schön!“ Und das Lächeln bleibt noch eine Weile im Gesicht.
Seltsamerweise fragt mich niemand, was das eigentlich bedeuten soll, dieses wissenschaftliche Arbeiten mit Herz. Unausgesprochen scheint klar zu sein, dass das etwas sehr Sinnvolles und auch Wünschenswertes sein muss. Etwas, das es nicht so oft gibt in der aktuellen Hochschullandschaft.
Was soll das nun also heißen?
Eins steht zunächst einmal fest: Wissenschaftliches Arbeiten
ist mehr als nur korrektes Zitieren. Das hat sich mittlerweile erfreulich weit
herumgesprochen. Viele Lehrende unterschreiben diesen Satz, während andere zwar
zustimmen, jedoch nur um unmittelbar danach zu ergänzen, dass ja wohl auch die
Seitenränder und der korrekte Zeilenabstand dazugehören.
So meine ich das offensichtlich nicht. Tatsächlich meine ich
zunächst einmal, dass neben der Form des zu verfassenden Texts auch die Sprache
und natürlich inhaltliche Aspekte Gegenstand der Lehrveranstaltung zum
wissenschaftlichen Arbeiten sein sollten. (Lehrpersonen, die wissenschaftliches
Arbeiten nicht in ihrem Fach lehren, können inhaltlich selbstverständlich nicht
in die Tiefe gehen. Dennoch wissen sie, wie argumentiert wird, und können das
vermitteln.) Das alles ist gewissermaßen das Produkt des Schreibens.
Gehen wir einen Schritt weiter: vom Produkt zum Prozess.
Meine Überzeugung ist: Um dem Schreiben dieses Produkts
gerecht zu werden, sollte auch der Prozess gebührend betrachtet und vor allem von
den Studierenden im Rahmen der Lehrveranstaltung auch erlebt werden. Sie sollen
handelnd erleben, was wissenschaftliches Arbeiten ist und wie sie den Prozess individuell
gestalten können, und ja, auch gestalten dürfen.
Weit und breit noch kein Herz zu sehen, meinen Sie?
Dann lassen Sie uns doch einmal einen Blick auf die
Dozierenden werfen.
Eine Lehrperson, die nicht nur die korrekte Form einer
wissenschaftlichen Arbeit lehrt, sondern auch Sprache und inhaltliche Aspekte
und darüber hinaus noch den Schreibprozess in die Lehrveranstaltung integriert,
kann das auf die eine oder andere Weise tun:
„Ohne Herz“ ist nach meinem Dafürhalten gleichzusetzen mit „streng, direktiv, festgefahren und unreflektiert“.
„Mit Herz“ ist gleichbedeutend mit „verständnisvoll, nicht direktiv, offen für Individualität, reflektiert“.
Sind die Adjektive hier als Gegensatzpaare zu verstehen? Ich
denke nicht. Auch Lehren mit Herz kann streng und direktiv sein – allerdings
braucht es dafür ein Gespür für die Situation. Dazu wiederum muss die Lehrperson
zuhören und die richtigen Fragen stellen können. Manchen Lehrenden geht das
komplett ab. Sie ziehen „ihren“ Stoff durch und übersehen dabei, dass sich doch
die Studierenden etwas Neues zu eigen machen sollen (also die dargebotenen
Inhalte zu ihrem eigenen Stoff machen sollen).
Ein Herz für Studierende
Der Wechsel zur psychologischen Ebene ist hier fließend,
denn Themen wie Motivation und Prokrastination spielen beim wissenschaftlichen
Arbeiten eine große Rolle. Wer als Lehrperson zuhört und gute Fragen stellt,
landet über kurz oder lang bei diesen Themen. Es braucht „Herz“ im Sinne von
Empathie, um diese Themen mehr als nur oberflächlich zu behandeln und adäquat auf
die Fragen und Bedürfnisse der Studierenden zu reagieren.
Fragen Sie sich in diesem Zusammenhang doch einmal:
Kann ich nicht nur verstehen, sondern sogar akzeptieren,
dass der Studierende ein Problem beim
wissenschaftlichen Arbeiten hat, das ich selbst noch nie hatte?
dass er es anders lösen will bzw. gelöst hat,
als ich es lösen würde?
Oder aber:
Kann ich nachvollziehen, dass ein Studierender sein
Problem noch nicht erkennt und dieses demnach auch nicht lösen möchte?
Und, wie oft haben Sie mit Ja geantwortet?
Was heißt „Wissenschaftliches Arbeiten mit Herz“ nicht?
Auf der Ebene der klassischen Lehrinhalte (Form, Sprache,
inhaltliche Aspekte) soll „Wissenschaftliches Arbeiten mit Herz“ nicht
bedeutend, dass die Lehrperson so verständnisvoll und offen ist, dass alles
möglich ist. Es ist kein softes, orientierungsloses, planloses Herumreden. Es
negiert nicht den Erfahrungsvorsprung der Lehrperson (andere würden sagen: die
Hierarchie zwischen Lehrenden und Studierenden).
Auf der Ebene der prozessualen und psychologischen
Lehrinhalte heißt es nicht „Wissenschaftliches Arbeiten mit Haut und Haaren“.
Niemand muss sich komplett offenbaren und all seine Sorgen und Nöte preisgeben,
die ihn vom wissenschaftlichen Arbeiten abhalten. Es gibt eine Grenze, die
genau dort verläuft, wo die Themen nicht mehr angemessen in der Gruppe
besprochen werden können. Das sind dann manchmal Fälle für Einzelgespräche und
oft Fälle für den Hinweis auf die psychologische Beratung der Hochschule.
„Wissenschaftliches Arbeiten mit Herz“ heißt auch nicht „Einlullen
und lobhudeln“. Es hilft niemandem weiter, wenn ich vor lauter Empathie nicht
mehr Klartext über die Unzulänglichkeiten des Texts oder des Arbeitsprozesses reden
kann. Auch mit Herz kann ich als Lehrperson einmal unbequem sein, die
Samthandschuhe ausziehen und harte Fragen stellen. Ich muss es sogar, es ist
mein Job.
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Wenn die Müllabfuhr die Hälfte der Tonnen nicht leert.
Wenn im Krankenhaus nur bei jedem dritten Fall ordentlich diagnostiziert wird.
Wenn, ja wenn, Studierende ihre Arbeiten unbetreut schreiben müssen, obwohl sie eine Betreuungsperson ausgewählt oder zugeteilt bekommen haben. Wenn Studierende ihre Arbeiten unbetreut schreiben müssen, obwohl der Prozess ausdrücklich bestimmte Betreuungsschritte vorsieht.
Dass Teile der Professorenschaft die Lehre kaum als Element ihrer Tätigkeitsbeschreibung akzeptieren kann – geschenkt. Ein Fehler im System.
Dass die Betreuung von Studierenden bei deren Abschlussarbeiten dann an das WiMi-Team ausgelagert wird – geschenkt. (Wahrscheinlich ist das sogar ein guter Weg. So können die Professoren in dieser Zeit forschen, und der Nachwuchs lernt bei der Betreuung des Nachwuchs-Nachwuchses viel über Betreuung und über die eigene Arbeit.)
Dass aber Lehrende an jenen Hochschulen, die nicht intensiv forschen und mehr Zeit für Lehre vorsehen, „trotzdem“ schlecht betreuen – das macht mich wütend.
Sprachlosigkeit: E-Mails ohne Antwort, persönliche Treffen Fehlanzeige
Immer wieder bekomme ich berichtet, dass viele Studierenden erst nach langer Zeit eine Antwort auf eine E-Mail an ihre Betreuungsperson bekommen. Solche Antworten sind leider oft kurz und knapp, ziemlich nichtssagend und irgendwie auch gleichgültig. Und doch sind es immerhin Antworten. Viele Studierenden erhalten überhaupt keine. Sie schreiben eine E-Mail und warten, und haken nach und warten, und fragen noch einmal und – resignieren.
Woher ich das alles weiß?
Ich bekomme es mit, wenn wir beispielsweise in Workshops kurz vor der Abschlussarbeit über die Betreuung der bisherigen Arbeiten sprechen. Oder wenn ich im Feedbackgespräch von „meinen“ Studierenden erfahre, wie dankbar sie mir sind. Denn sie haben mitbekommen, dass ihre Mitstudierenden keine Ansprechperson hatten, die den Namen verdient. Denn sie ließ sich nicht wirklich ansprechen. An mögliche persönliche Treffen zum Gedankenaustausch wage ich da gar nicht mehr zu denken.
Zum Glück spreche ich auch immer wieder mit Menschen, denen eine gute Betreuung studentischer Arbeiten wichtig ist. Sonst hätte ich schon längst den Glauben an unsere Zunft verloren.
Nicht einmal Mindestlohn
Aus Sicht von angestellten Lehrenden kann man einwenden, dass die Betreuung „on top“ zu allen anderen Aufgaben hinzukommt. Aber diesen Gedanken halte ich schon für falsch, denn die Betreuung IST de facto eine Aufgabe wie Lehre (im Sinn von Vorlesung halten), Forschung oder Verwaltung. Sie ist Teil der Lehre.
Aus Sicht von Lehrbeauftragten kann man einwenden, dass die Betreuung von Abschlussarbeiten wirklich miserabel vergütet wird. Wenn Sie all die Stunden zusammenrechnen, die für Betreuungsgespräche und Begutachtung und – bloß das nicht auch noch! – Feedback nach Abschluss des Prüfungsverfahrens anfallen, dann kommen Sie nicht einmal beim Mindestlohn heraus.
Wieso übernehme ich die Betreuung?
Eigentlich darf ich mir das nicht erlauben. Es ist zu zeitintensiv.
Ich rationalisiere das folgendermaßen:
Es ist eine Zeitspende.
Ich mache es gern, weil ich gern bei der Entwicklung von Menschen und Ideen helfe.
Ich lerne selbst dazu, wenn ich mich auf immer neue Menschen und Ideen einlasse.
Eine Frage: Wieso übernehmen Sie die Betreuung?
Wieso übernimmt jemand eine Aufgabe, von der er von vorneherein weiß, dass er sie nicht ausfüllen möchte? Nimmt er die Deputatsreduktion bzw. das Geld einfach mit? (Spoiler: So viel ist es auch wieder nicht, dass das lohnt.) Ist es das Prestige? – „Ich habe dieses Semester wieder x Abschlussarbeiten betreut!“
Ganz ehrlich: Lasst es doch einfach bleiben.
Sagt den Hochschulen ab. Lasst sie wissen, dass ihr für die paar Kröten keinen Finger krumm macht.
Ich habe keine Lust mehr, eine solche Arbeitsweise von Kollegen zu verteidigen.
Anfangs habe ich es noch versucht mit Aussagen wie „Sie hat sicher viel um die Ohren und meldet sich bestimmt bald“ oder Fragen wie „Wie wäre es, wenn Sie zunächst einmal probieren, das Problem eigenständig zu lösen?“. Daraufhin geht es meist erst richtig los und ich erfahre, was die Studierenden bis zu diesem Zeitpunkt schon alles versucht haben.
Mir reicht es. Ich werde das gegenüber den Studierenden als das benennen, was es ist: Arbeitsverweigerung.
Wenn Sie sich getroffen fühlen, melden Sie sich am besten von meinen Newsletter ab und hören auf, den Blog zu lesen.
Wenn Sie hinter allen „Ja, abers“, die Sie vielleicht gerade noch im Kopf haben, einen Hauch einer Andeutung von „Vielleicht gibt es ja doch einen Weg“ verspüren, dann bleiben Sie bitte hier. Schauen Sie sich um und machen sich damit vertraut, wie eine Betreuung ablaufen kann, die ihren Namen verdient hat.
Immer auf dem Laufenden bleiben?
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Eine kleine Vorwarnung: Es kann sein, dass Sie beim Lesen dieses Artikels unangenehme Gefühle verspüren werden: Wut, Ablehnung, Ärger… Um nur ein paar zu nennen. Vor allem dann, wenn Sie zur Gruppe derer gehören, die ich hier adressieren möchte: Menschen, die an deutschen Hochschulen lehren und sich in einer privilegierten Position befinden.
Ein paar Beispiele für einen schnellen Selbstcheck, ob Sie „gemeint“ sind:
Sie sind weiß
Sie sind ein Mann
Sie gehören der Mittelklasse an
Sie haben keine Behinderung
Ihr Vater und/oder ihre Mutter haben studiert
Trifft mindestens einer dieser Punkte auf Sie zu? Dann haben Sie Privilegien! Falls Ihnen jetzt das „Ja, aber…“ schon auf der Zunge liegt, dann lesen Sie bitte dennoch weiter.
Es geht nicht darum, zu behaupten, dass Sie unverdient dort gelandet sind, wo Sie heute sind. Oder darum, dass Sie es immer leicht hatten oder haben. Und schon gar nicht darum, dass Sie unreflektiert sind (dann wären Sie wahrscheinlich nicht auf diesem Blog). Privilegien sind auch nicht etwas, was sich immer und in jeder Situation gleich äußert. Außerdem gibt es vermutlich auch Bereiche, in denen Sie benachteiligt werden (z.B. in Bezug auf die Boxen, die Sie oben nicht angekreuzt haben). Dennoch wird es Ihnen und Ihrer Lehre helfen, einen genaueren Blick auf Ihre Privilegien zu lenken.
Setzen Sie die Brille der Privilegien ab
Da Sie den Artikel trotz seiner Überschrift angefangen haben zu lesen, nehme ich an, dass Sie die den Willen und den Mut haben, Ihre Lehre in Bezug auf Ungleichheitsstrukturen kritisch zu reflektieren. Dabei kommen wir nicht umhin, uns unsere eigenen Privilegien bewusst zu machen – ein nicht immer leichtes und schon gar nicht bequemes Unterfangen. Die Belohnung? Laut Chimamanda Ngozi Adichie eine klare Sicht[i]:
Wo können wir also als Lehrende blinde Flecken haben? Beispielsweise in Bezug auf das Trio Race, Class und Gender. Aber auch in Bezug auf (Dis)Ability, Sexualität, Bildungshintergrund, Religion… Die Liste ist lang und lässt sich fortführen.
Alle diese Kategorien der Ungleichheit verweisen auf Bereiche unseres Lebens, in denen es potenziell zu Diskriminierungen kommen kann und zwar, wenn eine Person von dem abweicht, was in unserer Gesellschaft als Norm gilt: weil sie nicht weiß ist, nicht männlich ist, nicht „gesund“ ist, nicht einen BMI aufweist, der bei uns als „normal“ gilt, nicht heterosexuell ist usw.
Ich finde es schwierig, in diesem Zug von „Betroffenen“ zu sprechen. Denn wir alle sind von Rassismus und Diskriminierung betroffen. Nur die einen auf negative und die anderen auf positive Art und Weise. So schreibt auch Toni Morrison über Rassismus[ii]:
Ähnliches gilt für andere Diskriminierungsarten. Auch Sexismus ist ein Phänomen, von dem wir alle betroffen sind, und ebenso Klassismus (die Diskriminierung aufgrund der sozialen Klasse) und alle anderen „ismen“.
Was können wir nun als Lehrende für eine Lehre daraus ziehen? Uns im ersten Schritt vor Augen führen, dass die Hochschule ein System ist, das von weißen Männern für weiße Männer gegründet wurde, um weißes Wissen zu transportieren und erweitern.
Zwar können Frauen in Deutschland inzwischen seit über einem Jahrhundert studieren, aber deshalb davon auszugehen, dass dem System Hochschule, das in Deutschland bereits hunderte von Jahre zuvor entstand, nicht immer noch patriarchalische Machtstrukturen eingeschrieben wären, würde zu kurz greifen.
Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle auf die immer noch erschreckend kleine Anzahl weiblicher Professorinnen in Deutschland verweisen (2017 waren es noch weniger als ein Drittel)[iii] oder auf die CHE-Studie von Ende 2018[iv], in der festgestellt wurde, dass die typische Unileitung in Deutschland ein 59 Jahre alter, in Deutschland geborener Mann ist.
Aber auch die Art, wie Wissen vermittelt wird, welche Art von Wissen als wissenswert anerkannt wird, auf den Schultern welcher Riesen wir stehen, spielt eine Rolle.
Zurück zu dem, wo wir als Lehrende ansetzen können. Ich möchte Ihnen ein zwei ganz konkrete Beispiele geben, wo blinde Flecken bestehen können und wie wir diesen als Lehrende entgegenwirken können:
Beispiel 1
Ich selbst habe zum Beispiel viele Jahre in einem Fach gelehrt, in welchem die Studierenden mit viel (teurer) Technik umgehen lernen mussten wie Kameras und Schnittcomputer. Außerdem war ich Teil des Teams, das das Fach konzipiert und aufgebaut hat. Dabei war es mir von Anfang an wichtig, dass wir die im Studium benötigte Technik als Hochschule zur Verfügung stellen. Aber auch in Bezug auf „normale“ Laptops trifft dies zu. Aus einer typischen Mittelklasse-Familie stammend, bin ich nicht immer für diese Problematik sensibilisiert gewesen. Erst als ich Freund*innen hatte, die es sich nicht leisten konnte, direkt im ersten Semester einen Laptop zu kaufen, wurde mir bewusst, dass ein eigener Computer auch in Deutschland und unter Studierenden durchaus ein Privileg ist.
Wenn Sie Ihre Studierenden zum Beispiel bitten, ihren Laptop für eine Übung mit ins Seminar zu bringen, denken Sie daran, dass nicht jede Person einen hat und dass es eventuell unangenehm sein könnte, sich vor der gesamten Gruppe diesbezüglich zu „outen“. Bieten Sie an, einen Laptop des Instituts zu leihen und Ihnen vorher mündlich oder per Mail mitzuteilen, dass sie einen benötigen. Machen Sie keine große Sache daraus, sondern erwähnen Sie einfach die Möglichkeit.
Und verabschieden Sie sich von dem Argument „Die haben doch heute eh alle einen Laptop/ein Tablet/ein Smartphone etc.“. Denn mit dieser Haltung machen Sie es Studierenden, die das – aus welchem Grund auch immer – nicht haben, schwierig, sich zu äußern. Im schlimmsten Fall schwänzen sie die Sitzung aus Scham.
Beispiel 2
Sprechen Sie so, dass Sie von möglichst allen Studierenden problemlos verstanden werden. Es spielt eine Rolle, welche Sprache wir sprechen, um die Fähigkeiten zu wissenschaftlichem Arbeiten zu vermitteln. Die Akademikersprache ist nicht gerade für ihre Leichtverständlichkeit bekannt und nicht selten wirkt es, als gäbe es einen gewissen Unwillen oder auch eine Unfähigkeit auf Seiten von Hochschullehrenden, sich allgemeinverständlich auszudrücken.
Es ist anzunehmen, dass gerade Studierende aus bildungsfernen Schichten, die weniger mit der akademischen Sprache vertraut sind, dadurch größere Schwierigkeiten haben, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und anzuwenden. In diese Richtung lassen sich auch die Ergebnisse einer Untersuchung von Friederike Schlücker und Steffen Schindler[v] interpretieren, die darstellen, wie bei Bachelor-Studierenden die soziale Herkunft von Studierenden deren Noten beeinflusst. Halten Sie Ihre Ausdrucksweise also niedrigschwellig, verzichten Sie auf eine Anhäufung von Fachbegriffen und Fremdwörtern und erklären Sie diese gegebenenfalls.
Beispiel 3
Machen Sie Studierende nicht zu Expert*innen der Minderheit, die diese – Ihrer Meinung nach – vertreten. Ja, Schwarze Menschen und People of Colour sind leider häufig von Rassismus negativ betroffen – aber es ist weder ihre Aufgabe, Ihnen und ihren Kommiliton*innen zu erklären, wie Rassismus sich äußert, noch müssen sie fähig oder willens sein, einen historischen Exkurs in die Sklaverei oder Jazz-Musik zu geben. Genauso wenig wie es die Aufgabe des Studierenden im Rollstuhl ist, über den Alltag als Mensch mit einer Gehbehinderung Auskunft zu geben oder zu allen Themen, die Inklusion betreffen. Und genauso wenig wie es die Aufgabe der einzigen weiblichen Studierenden in einem von Männern dominierten Studiengang ist, als Expertin für alle „Frauenfragen“ zu fungieren.
Verstehen Sie mich nicht falsch, Sie sollen nicht versuchen, keine Unterschiede mehr zu sehen (das wäre auch gar nicht möglich). Aber instrumentalisieren Sie diese Studierenden nicht, um sich selbst davon zu entbinden, einen Weg zu finden, um über diese Themen zu sprechen. Wenn Sie wissen, dass der oder die Studierende politisch aktiv ist und sich zum Beispiel im AStA für die entsprechenden Themen einsetzt, können Sie natürlich anfragen, ob die Person sich – aufgrund dieser Funktion – dazu äußern will. Ich persönlich würde das aber nicht vor der versammelten Gruppe machen, sondern in einem Zweiergespräch.
Machen Sie sich auf den Weg
Wenn Sie ein wenig so sind wie ich, dann begreifen Sie sich selbst als eine „der Guten“. Die eigenen Privilegien zu reflektieren, führt aber meist erst einmal dazu, dass das eigene Weltbild gehörig erschüttert wird. Es ist kein leichter Schritt, sich selbst als Teil eines Systems zu sehen, von dem man profitiert, ohne dass man sich dessen bewusst war. Verleugnung, Ablehnung und Rechtfertigung sind häufig auf dem ersten Schritt des Weges treue Begleiterinnen. Bis dann irgendwann die ersten Erkenntnisse einsetzen und damit die Schuldgefühle.
Ich möchte Ihnen noch gerne ein paar Tipps mitgeben, wie Sie sich auf den Weg machen können. Wenn Ihnen noch mehr Möglichkeiten einfallen, freue ich mich, wenn Sie diese in den Kommentaren teilen. Genauso wie ich Sie bitte, sich als lernende Person zu begreifen, sehe ich mich als dauerhaft Lernende und bin ganz und gar nicht allwissend und schon gar nicht frei von Fehlern. Wenn Sie also kritisches Feedback haben, Dinge anders sehen als ich oder einfach von Ihren Erfahrungen berichten wollen, tun Sie das gerne in den Kommentaren unter diesem Artikel!
Tipp 1
Präsentieren Sie sich als ansprechbare Person, die nicht perfekt ist, sondern auch einmal Fehler macht. Bieten Sie verschiedene Arten der Kommunikation an – nicht jede*r Studierende spricht gerne vor Gruppen (Wenn Sie jetzt denken „Dann sollen sie es halt lernen!“ – überlegen Sie sich, woher diese Haltung kommt bzw. welches Verhalten Sie gerade zur Norm erheben). Gerade bei großen Lehrveranstaltungen wie Vorlesungen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nur Studierende mit einer bestimmten sozialen Positionierung sich trauen, Sie anzusprechen.
Tipp 2
Nehmen Sie Personen ernst, die sie um Hilfe bitten. Es kostet Überwindung, über die eigenen Diskriminierungserfahrungen sprechen. Wenn sich eine Person also im Vertrauen an Sie wendet, versuchen Sie nicht, deren Erfahrungen zu relativieren („Das haben Sie sicher missverstanden.“ oder „Das war sicher nicht so gemeint.“ sind keine hilfreichen Antworten). Fragen Sie stattdessen, wie Sie die Person unterstützen können, vermitteln Sie sie ggf. an Stellen weiter, die kompetent helfen können.
Tipp 3
Lernen Sie mehr über die verschiedene Diskriminierungsarten (und darüber, wie diese miteinander verknüpft sind – Stichwort Intersektionalität). Denn wenn Sie in Bezug auf Ihre Positionierung in vielen Punkten dem entsprechen, was hierzulande als Norm angesehen wird, werden Sie bestimmte Erfahrungen einfach nicht machen. Machen Sie zum Beispiel ein Anti-Rassismus-Training (ich kann das von Phoenix e.V.[vi] empfehlen). Und warum nicht einmal eine Veranstaltung von den Kolleginnen und Kollegen besuchen, die sich auch wissenschaftlich mit diesem Thema auseinandersetzen? Sie finden Sie z.B. in den Postcolonial Studies, Gender Studies oder auch im Gleichstellungsbüro.
Tipp 4
Sagen Sie Ihren Studierenden, was Sie von Ihnen erwarten und warum. Dabei geht es um Transparenz und nicht darum, Ihr Lehrniveau zu senken. Versuchen Sie, soweit es Ihnen möglich ist, verschiedene Lebensrealitäten mitzudenken und nicht implizit von dem, was Sie als „normal“ annehmen, auszugehen. Dazu kann es zum Beispiel gehören, Deadlines mit Vorlaufzeit zu kommunizieren – am besten zu Semesterbeginn –, so dass auch Studierende, die nebenher einen oder mehrere Jobs haben, entsprechend planen können. Aber auch wenn Sie eine Exkursion planen oder Ihren Studierenden als Hausaufgabe aufgeben, eine Veranstaltung zu besuchen, zu überlegen, wie gut dieser Ort erreichbar ist. Kann er umsonst mit dem Semesterticket angefahren werden? Ist er barrierefrei? Dazu kann es weiter auch dazugehören, sich zu fragen, wer bei der Veranstaltung spricht und wie diese Person gesellschaftlich positioniert ist.
Für eine gerechtere akademische Welt
Ich freue mich, dass Sie bis zum Ende dieses vermutlich etwas unbequemen Artikels dabeigeblieben sind. Ja, ich gebe es zu, vielleicht wird es manchmal etwas mehr Arbeit für Sie sein, die eigenen Privilegien zu reflektieren und vielfältige Lebensrealitäten zu berücksichtigen. Aber sobald Sie einmal begonnen habe, die Privilegienbrille abzunehmen, werden Sie immer besser darin werden. Oder, um auf Adichie zurückzukommen: immer klarer sehen. Freuen Sie sich darüber, einen Beitrag zu einer gerechteren akademischen Welt leisten zu können. Aber (das ist mein letztes „Aber“, versprochen!) verlangen Sie keinen Orden dafür – vor allem nicht von den Studierenden, deren Benachteiligungen Sie versuchen entgegenzuwirken.
[1] Schlücker, Friedericke; Schindler, Steffen (2019): Studienleistung im Bachelor- und Masterstudium. Bedingungsfaktoren und ihr Zusammenhang mit der sozialen Herkunft der Studierenden. In: Lörz, Markus; Quast, Heiko (Hrsg.): Bildungs- und Berufsverläufe mit Bachelor und Master. Determinanten, Herausforderungen und Konsequenzen. Wiesbaden: Springer VS, S. 225-272, hier S. 263.
Dr. Marlies Klamt ist Promotionscoach und betreibt den Podcast „Glücklich promovieren. Der Podcast für Frauen mit Freude am Promovieren.“ In verschiedenen Projekten macht sie einen Brückenschlag vom wissenschaftlichen Feld der Ungleichheitsforschung in die Praxis, um eine diversitätssensible Mediensprache zu entwickeln.
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Eine Idee, mitten in einer zäheren Phase der Lehrveranstaltung, scheinbar aus dem Nichts.
Eine Bauchentscheidung, dass es im nächsten Moment genau so weitergehen wird und nicht anders.
Hatten Sie das schon einmal?
Oder sind Sie noch relativ neu in der Lehre? Ich glaube nämlich, es braucht ein Mindestmaß an Erfahrung, um spontan sein können. In dem Fall sollten Sie bis zum Ende des Beitrags lesen, wo ein paar Tipps auf Sie warten.
Das Thema Intuition habe ich bisher ziemlich vernachlässigt. Dabei kann es einen riesengroßen Unterschied machen.
Die klassische Didaktik geht bekanntermaßen eher planvoll vor. Man erstellt vor der Lehre einen mehr oder minder detaillierten Plan für die anstehende Einheit, der Ziele, Inhalte und Methoden umfasst. Im Optimalfall basiert dieser Plan auf einer Gesamtplanung für das komplette Semester – oder zumindest wird das meist so vermittelt. Gerade kürzlich habe ich wieder in einem hochschuldidaktischen Workshop mit den Lehrpersonen darüber gesprochen, wie meine Lehrveranstaltungen typischerweise ablaufen, nämlich anhand eines eher groben Plans, den ich dann spontan mit Leben fülle. Und siehe da, etliche Anwesende handhaben das genauso. Nur laut sagen sollte man das nicht überall.
Der klassische Fall von Spontaneität wäre ja, dass man in der Lehrveranstaltung aus welchen Gründen auch immer gegen Ende noch etwa 20 Minuten „übrig“ hat und sich leicht panisch überlegt, wie man die denn nun füllen könnte. Um ein komplett neues Thema zu beginnen, ist es vielleicht zu wenig Zeit. Um den Kurs früher in die Pause zu lassen, ist es zu viel, mir zumindest, denn die Zeit fehlt dann später irgendwo. Ich stehe also da und soll mir schnell etwas Sinnvolles einfallen lassen. Da ist es gut, wenn ich ein Back-Up vorbereitet habe, zum Beispiel eine Übung, die ich aus dem Ärmel schütteln kann.
Ist das Intuition?
An der Stelle ist natürlich die Frage berechtigt, was genau das nun mit Intuition zu tun hat. Ist das nicht der Alltag von Lehrpersonen, dass sie situationsangepasst reagieren und Entscheidungen über den weiteren Verlauf der Einheit treffen?
Es geht auch insgesamt noch viel freier und spontaner, wie wir an der agilen Didaktik sehen, die Christoph Arn vertritt. Das ist für mich persönlich ein Ansatz, den ich vor allem nutze, wenn ich in den Inhalten extrem sicher bin. Natürlich sollte man in allen Inhalten, die man lehrt, gut bewandert sein. Trotzdem haben wohl die meisten Lehrpersonen Lieblingsthemen oder solche, bei denen sie einfach sattelfest sind, egal wie sehr das Pferd bockt. Ich möchte mir bei agiler Lehre zu jeder Zeit sicher sein, dass alle wesentlichen inhaltlichen Aspekte in der Veranstaltung Berücksichtigung finden. Das kann ich nur, wenn ich das Thema überblicke. Um „off the top of my head“ lehren zu können, muss „in the head“ natürlich jederzeit abrufbares Wissen sein. Auf das wissenschaftliche Arbeiten bezogen, bedeutet das konkret, dass mir alle Grundlagenthemen des Schreibens für eine agile Vorgehensweise offenstehen. (Bei den Feinheiten einzelner Forschungsmethoden sieht es schon wieder anders aus. Das möchte ich dann doch lieber vor-strukturierter angehen.) Bei so einer Art der Lehre braucht es auf jeden Fall Intuition, um den Bedürfnissen der Gruppe gerecht zu werden.
Neben der inhaltlichen Komponente betrifft die Intuition vor allem die Interaktion mit den Studierenden. Dann kommt oft das zum Vorschein, was ich eingangs beschrieben habe: ein Geistesblitz, eine Idee. Da macht die Intuition einen Unterschied.
Ein Beispiel: Eine Situation in der Lehre zu Semesterende. Die Lehrveranstaltung ist schlecht besucht, weil sich viele Studierende auf die anstehenden Klausuren vorbereiten und „keinen Kopf für wissenschaftliches Arbeiten“ haben. Drei Studierende nehmen teil, und es entwickelt sich eine Mischung aus „Lehre“ und „Einzelberatung mit Zuhörern“. Eine der Beratungen ist auf eine seltsame Art festgefahren, ein Lösungsansatz ist nicht in Sicht. Spontan entscheide ich, dem Studierenden ein Rollenspiel anzubieten (ich hasse Rollenspiele, aber was muss, das muss…). Et voilà, danach sind einige Steine aus dem Weg geräumt. Ich freue mich, dass ich meiner Intuition nachgegangen bin, obwohl meine Ratio doch einige Einwände hatte („Du bist doch gar nicht darauf vorbereitet.“, „Was, wenn es total albern wird?“)
Wie können Erstlehrende diese Intuition erlernen?
Gar nicht. Zumindest nicht schnell und bewusst. Entweder man hat es, oder aber man muss sich ein wenig gedulden. Ich befürchte, dass das leider wirklich ein Prozess ist, der sich über mehrere Jahre erstreckt. Da gibt es keine Abkürzung.
Wie können Sie sich behelfen, bis es so weit ist?
Bereiten Sie Plan A, B, C und Z vor. Dann können Sie in der Lehre aus einer Vielzahl an Möglichkeiten auswählen, wenn es zu Abweichungen vom Plan kommt.
Trauen Sie sich, Ihrer Intuition auch einmal nachzugehen. Vielleicht ist anfangs eine Massenvorlesung nicht der richtige Zeitpunkt dafür, sondern eher ein Seminar mit überschaubarer Studierendenzahl.
Bei der Begutachtung studentischer Texte stellt sich auch oft ein Hauch von einer Ahnung ein, wie die vorliegende Arbeit wohl zu bewerten ist. Gehen Sie dem nach und suchen Sie, woran Sie es festmachen können. Im Lauf der Zeit werden Sie „Ihre“ rationalen Kriterien finden.
Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl und reflektieren später allein oder mit fremder Unterstützung, wie die Entscheidung unter Abwägung aller Aspekte zu beurteilen ist.
Nutzen Sie ein Journal, um Ihre Erkenntnisse festzuhalten. Nach einiger Zeit blättern Sie es mit etwas Abstand wieder durch und freuen sich über Ihre Fortschritte.
Schreiben Sie einen Kommentar: Welche Erfahrungen haben Sie mit intuitivem Handeln in Lehre und Beratung gemacht? Wann kommt Herz vor Kopf?
Für alle, die gerade neu in die Lehre einsteigen, ein Buch-Tipp
Im gerade frisch erschienenen Buch „Mein Start in die Hochschullehre“ finden Sie viele Inhalte, Übungen und Reflexionsfragen für den gelungenen Einstieg in die Lehre. Einer der vier Teile ist der Lehre des wissenschaftlichen Arbeitens und ein weiterer der Betreuung und Begutachtung studentischer Arbeiten gewidmet.
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So langsam denken Sie bestimmt schon ans Kofferpacken, denn die Urlaubszeit naht. Aber nicht nur vor dem Urlaub gibt es einiges zu packen. Auch vor den allermeisten meiner Lehrveranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten fühle ich mich an das Kofferpacken erinnert: Bloß nichts vergessen (wie unkomfortabel!), aber auch bloß nicht zu viel einpacken (die Schlepperei!).
Das kennen Sie wahrscheinlich, oder sind Sie eher minimalistisch veranlagt? Was nehmen Sie eigentlich mit, wenn Sie wissenschaftliches Arbeiten lehren?
Wenn ich in eine Lehrveranstaltung gehe, habe ich …
… immer dabei
mein kleines Notizbuch
mein Mäppchen für Stifte und USB-Stick
(m)ein Laptop
einen eigenen Presenter
meine Uhr (zusätzlich zum Handy)
alles, was sowieso noch in meiner Handtasche ist (inklusive Ersatz-Whiteboardmarker)
… bei Bedarf dabei
Handouts und weitere Materialien für die jeweilige Einheit
die Anleitung/Handreichung zum wissenschaftlichen Arbeiten des jeweiligen Studiengangs
Zimbeln
Anwesenheitsliste
kleinere Aufgaben für mich, die ich erledige, wenn die Studierenden eigenständig arbeiten
Wenn ich in eine neue Gruppe gehe, habe ich zusätzlich dabei:
eine 10-Schritte-Anleitung „Wie kann ich mit wenig Aufwand sicher bestehen“ (bekommen sie nie)
Und bei Ihnen so? Worauf könnten Sie keinesfalls verzichten?
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Welche Haltungsschäden haben Ihre Studierenden so?
Das geht Sie nichts an, meinen Sie?
Ok, natürlich meine ich damit keine körperlichen Schäden. Ich meine vielmehr die Haltung, die die Studierenden an den Tag legen, wenn sie wissenschaftlich arbeiten.
Eine forschende Haltung einnehmen
Unter einer Haltung wird gemeinhin eine tief verwurzelte Einstellung verstanden, die das Denken und Handeln prägt. Für sinnvolles wissenschaftliches Arbeiten – das ist hoffentlich unstrittig – ist das Einnehmen einer forschenden Haltung förderlich. Das bedeutet, dass die Studierenden etwas erkunden sollen und nach neuen Erkenntnissen suchen.
Und hier beginnt auch schon gleich das Problem. Wenn Sie zu Ihren Studierenden sagen, dass diese einen Sachverhalt erkunden sollen, ist das missverständlich und wird daher leider oft auch tatsächlich missverstanden. „Erkunden“ kann (auch) verstanden werden als das Zusammenstellen von bereits vorhandenen Inhalten. Diese sind für die Studierenden zwar subjektiv neu. Aber aus der Perspektive der Wissenschaft handelt es sich um Altbekanntes, das in etwa so spannend ist wie eine abgemalte Landkarte. Die Studierenden fühlen sich derweil wie ein Mensch, der als Erster ein unbekanntes Stück Land betritt und es kartographiert.
Forschen bedeutet, sich um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu bemühen, so steht es im Duden. Ich halte das Wort „bemühen“ hier für ausschlaggebend. Wer sich bemüht, bekommt am Ende vielleicht, aber auch nur vielleicht, ein Ergebnis heraus. In anderen Kontexten bereitet das Probleme und wird als Scheitern gewertet („er war stets bemüht“), im Forschungsprozess ist es jedoch ziemlich normal. Es mag also sein, dass am Ende des Forschens viele neue Fragen aufgetaucht sind, während die Ausgangsfrage vielleicht schon gar nicht mehr relevant erscheint. Das Zusammenstellen bekannter Inhalte nimmt im Forschungsprozess wenig Raum ein, außer selbstverständlich beim Aufbereiten des Forschungsstandes.
Die schulische Haltung ablegen
Das Einnehmen einer forschenden Haltung geschieht bei den Studierenden nicht von heute auf morgen. In der gemeinsamen Arbeit ist daher ein langer Atem nötig, um sie ihr schulisches Denken ablegen zu lassen. Das Denken in Fragen muss zunächst eingeübt und im Lauf des Studiums immer wieder aufgefrischt werden.
Um die Studierenden zu einer forschenden Haltung zu führen, ist es unabdingbar, dass die Lehrperson ebenfalls eine forschungsförderliche Haltung einnimmt. Sie muss sowohl in der Lehre als auch in der Beratung von Studierenden Fragen und Uneindeutigkeit den Vorrang geben vor vermeintlich sicheren Erkenntnissen. Denkt man diesen Gedanken zu Ende, ist auch in Prüfungssituationen verstärkt auf die Fragen zu achten, die Studierende stellen, als auf reproduziertes Wissen.
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