Ok, das war jetzt gemein.
Wir alle haben hoffentlich sehr kompetente und nette Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir gern zusammenarbeiten. Aber da gibt es eben auch die anderen. Um einmal Pareto zu bemühen: 20 Prozent der Kollegen verursachen 80 Prozent des Ärgers.
Um diese 20 Prozent Problemkollegen soll es heute gehen.
Schreibberater und Schreib-Abrater
In dieser Infografik können Sie sehen, wie sich die Hochschulen in Deutschland zahlenmäßig zu Schreibzentren und zu den Dozierenden verhalten. Das Ergebnis: 427 zu 31 zu 381.269.
Es gibt also wenige Schreibzentren im Vergleich zur Zahl der Hochschulen. Würden die Dozierenden die Schwierigkeiten abfedern, die aus diesem Mangel entstehen, wäre die Situation nur halb so schlimm. Unter den besagten 381.269 Dozierenden sind jedoch mit Sicherheit viele, die grundsätzlich anders an wissenschaftliche Schreibaufgaben herangehen als ein ausgebildeter Schreibberater. Solche, die sich nicht des Stellenwerts bewusst sind, den das Schreiben im wissenschaftlichen Arbeitsprozess haben kann.
Zum Glück gibt es diejenigen Kollegen, die sich Gedanken gemacht haben und daher den Studierenden nicht nur fachlich, sondern auch „schreibtechnisch“ gut weiterhelfen. Dann gibt es da noch die, die wenigstens keinen Schaden anrichten, weil sie in der Hinsicht einfach nichts tun. Bei den Problemkollegen hingegen passiert allerdings leider nicht einfach nur nichts, sondern – viel schlimmer – die Studierenden werden schlecht beraten.
Eckpfeiler der Schreibberatung
Das personenzentrierte Beraten liefert erste Ansatzpunkte für das, was – bei Nicht-Beachten – in der Interaktion zwischen Dozierenden und Studierenden schieflaufen kann.
Mit personenzentrierter Beratung ist eine Grundhaltung gemeint, „die den Ratsuchenden ermöglicht, das Gespräch nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Als Beratende sollten Sie die Ratsuchenden als Person schätzen, deren Autonomie achten und ihnen Entscheidungsfreiheit zugestehen.“ (Grieshammer et al., 2013, „Zukunftsmodell Schreibberatung“ et al., S. 98 (zur Rezension)).
Alles Rogers?
All das fußt auf Carl Rogers‘ Menschenbild und seinem nicht-direktiven (klientenzentrierten) Ansatz des Beratens. Die Ratsuchenden erhalten Impulse von den Beratenden, bleiben jedoch selbst Experten für die Lösung ihres Problems.
Die Studierenden werden bei einer solchen Beratung in die Lage versetzt, selbst die verschiedenen Lösungswege abzuschätzen und eigenständig über ihr weiteres Vorgehen zu entscheiden. Dabei ist es hilfreich, wenn sie die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen können. Denn wenn Selbstbild und Handeln auseinanderklaffen, droht der Schreibprozess ins Stocken zu geraten. Das bedeutet für die Beratung einerseits, gemeinsam das Selbstbild des Schreibenden zu reflektieren, und andererseits verschiedene Schreibtechniken zu vermitteln oder auch direkt während der Beratung zu erproben.
An die Beratenden stellt ein solches personenzentriertes Vorgehen folgende Anforderungen:
- Empathie: Sie können sich auf den Ratsuchenden und die Situation einstellen.
- Akzeptanz und positive Wertschätzung: Sie nehmen die Studierenden ernst und trauen ihnen eigenständige Entscheidungen zu.
- Kongruenz und Echtheit: Sie sollen sich echt verhalten und offen ihre momentane Verfassung zeigen.
- Transparenz: Dies betrifft die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung, die offen gelegt werden sollen.
(vgl. Grieshammer et al., S. 100)
So weit, so gut. Aber kommen wir wieder zurück zu den problematischen 20 Prozent. Warum sind manche Kollegen Problemkollegen? Ein Blick auf die genannten Anforderungen hilft weiter:
1) Kollegen ohne Empathie
- Leider können sich Problemkollegen nicht richtig gut auf die Ratsuchenden und die Situation einstellen.
Sie haben schon vergessen, wie das war, als sie selbst ihre ersten Schritte in der Wissenschaft gemacht haben. Sie holen die Studierenden nicht dort ab, wo sie stehen, und erzählen von hehren Ansprüchen an die hohe Wissenschaft, während die Studierenden noch um die Basics ringen. Mit „Basics“ ist dabei nicht Kleinkram im Stile von „Wo setze ich welches Satzzeichen bei den Quellenangaben?“ gemeint, sondern durchaus Fragen inhaltlicher Art oder der methodischen Herangehensweise an die Forschungsfrage (sofern eine solche überhaupt schon vorhanden ist: Fehler Nr. 1).
Problemkollegen fordern, alles müsse beim Wissenschaftlichen Arbeiten zwingend genau so gemacht werden, wie sie es gelernt haben oder es sich über die Jahre selbst angeeignet haben. Ein Problemkollege, der selbst beim Schreiben dringend erst eine Gliederung braucht und diese beim Schreiben nur noch abarbeitet, will es von den Studierenden genauso. Wer selbst beim Schreiben immer jede Menge Ideen generiert, stellt das als den allein glücklich machenden Weg hin.
Abseits der Beratungssituation zeigen sich weitere schädliche Verhaltensweise von Problemkollegen. Zum Beispiel unfreundliche Korrekturen mit komplett durchgestrichenen Passagen oder arroganten Kommentaren („Nonsens!“ oder ähnliche Nettigkeiten). Oder chronische Nicht-Erreichbarkeit für Feedbackgespräche nach der Korrektur und Notenvergabe. Problemkollegen führen, wenn überhaupt, Tür-und-Angel-Gespräche und kanzeln die Studierenden ab. Ade Lernprozess – schade um all die Mühe, die in der studentischen Arbeit steckt.
2) Kollegen ohne die nötige Akzeptanz und positive Wertschätzung für die Studierenden
- Leider nehmen Problemkollegen die Studierenden mit ihren Anliegen nicht ernst.
Sie glauben: „Schreiben kann man halt“ oder „Das mussten wir uns auch alles selbst erarbeiten.“ Wozu also überhaupt beraten?
- Leider trauen Problemkollegen den Studierenden keine eigenständige Entscheidungen zu.
Sie haben ein schlechtes Bild von den Studierenden und halten die heutige Generation von Studierenden für faul. (Diese Art von Beschwerden über „die Jugend“ kennt man ja seit Sokrates…). Problemkollegen werfen den Studierenden Unwillen vor, wenn es sich eigentlich um Anfängerschwierigkeiten handelt. In ihren Augen haben die Studierenden eben nicht ausdauernd genug versucht, das Problem eigenständig zu lösen. Das Einholen von Feedback wird nicht als sinnvolle Strategie des Vorankommens interpretiert, sondern als Unselbständigkeit.
Manche Problemkollegen lassen auch den „guten Studierenden“ (sprich: den Einser-Kandidaten) und vor allem den selbstsicher auftretenden Studierenden weitgehend freie Hand. Den Rest beraten sie auf eine direktive Art und Weise. Unschön wird das spätestens dann, wenn sich diese Kollegen im Nachhinein nicht mehr an ihre eigenen Ratschläge erinnern und diese schlecht bewerten.
3) Kollegen, die keine Kongruenz und Echtheit zeigen
- Leider sind Problemkollegen nicht authentisch.
Sie verstecken sich hinter Konventionen und Belehrungen über vermeintlich allgemeingültige Gebote und Verbote („Sie müssen aber…!“ und „Sie dürfen auf keinen Fall…!“).
Sie zeigen den Studierenden ihr Pokerface und lästern im schlimmsten Fall hinterher bei den Kollegen. Damit ist nicht gemeint, dass die Studierenden im Gespräch jeden negativen Eindruck des Beratenden ungefiltert abbekommen müssen. Ich selbst habe allerdings nur gute Erfahrungen damit gemacht, in der Beratung meine persönliche Wahrnehmung der Ratsuchenden und ihrer momentanen Situation zu schildern. Die Studierenden fühlen sich „gesehen“ und verstanden.
4) Kollegen, die nicht transparent sind
- Leider machen Problemkollegen die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung nicht transparent.
Die Studierenden hegen falsche Erwartungen und sind dann enttäuscht. Dies betrifft vor allem die doch oft gewünschte vorzeitige „Absegnung“ der Arbeit, also die Frage, „ob das alles so richtig ist“. Darauf wird es während einer Beratung allerdings keine abschließende Antwort geben können. Problemkollegen antworten auf solche Fragen gern vorschnell mit „Ja, ja, das passt schon“ – und merken dann später bei der Benotung, dass eben doch nicht alles passte. Das schlägt sich in einer schlechten Note nieder, die die Studierenden kalt erwischt. Denn angeblich war doch alles in Ordnung.
Nix mehr roger(s)?
Sie können sich leicht ausmalen, was passiert, wenn Studierende an einen Problemkollegen geraten. Sie werden frustriert („Ich habe alles falsch gemacht!“), verunsichert („Wie ist es denn nun richtig?“) und blockiert („So wie bisher darf ich nicht an diese Aufgabe gehen.“). In einem Wort: demotiviert.
Ärgert Sie das genauso wie mich?