Nehmen wir an, Sie treten gerade Ihren neuen Job an einer Hochschule an. Zufälligerweise ist die Lehrveranstaltung „Wissenschaftliches Arbeiten“ im kommenden Semester noch nicht vergeben. Und Sie als neuer Kollege könnten doch… Oder etwa nicht? Kann ja eigentlich jeder. Es handelt sich um die absoluten Grundlagen, und wissenschaftlich gearbeitet haben Sie ja schließlich. Also los!
Nehmen wir weiterhin an, bei der ersten Einheit handelt es sich um eine Doppelstunde. Neunzig Minuten sind also zu füllen. Das Beste: Sie müssen zu dem Zeitpunkt dieser ersten Einheit noch gar nicht wissen, wie Sie den Rest des Semesters bestreiten. Hier ist der Plan:
- 15 Minuten für Begrüßung und Organisatorisches sowie, wenn gewünscht, eine Vorstellungsrunde
- 15 Minuten für einen Überblicksvortrag über die Ziele des wissenschaftlichen Prozesses
- 30 Minuten für eine Übungsaufgabe
- 30 Minuten für die Besprechung der Ergebnisse
Zum ersten Punkt, der Begrüßung, muss ich vermutlich nichts schreiben. Wie Sie das gestalten, ist eine persönliche Angelegenheit, und wahrscheinlich verfügen Sie bereits über erprobte Methoden. Die drei folgende Punkte möchte ich gern erläutern, damit Sie genau wissen, wie Sie vorgehen.
Der Überblicksvortrag
In diesem Teil präsentieren Sie einen groben Überblick über die Ziele der Wissenschaft. Das schafft eine gemeinsame Basis für die später zu erarbeitenden Inhalte. Gehen Sie nicht zu sehr ins Detail, machen Sie es nicht zu kompliziert, schließlich sprechen Sie vor Anfängern. Die wollen Sie ja nicht gleich zu Beginn verschrecken. Ich orientiere mich an einem Modell mit fünf aufeinander aufbauenden Stufen:
- definieren
- beschreiben
- erklären
- prognostizieren
- Handlungsempfehlungen ableiten
Als Beispiele für die Umsetzung der einzelnen Ziele können Sie entweder Ihre eigene(n) Arbeit(en) heranziehen oder aber ein möglichst eingängiges fiktives Beispiel wählen (zum Beispiel „Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie die Mitarbeiterzufriedenheit in einem Unternehmen erfassen wollten?“). Wenn Sie möchten, bringen Sie in Ihrem Einstiegsvortrag – ganz klassisch – auch eine Definition des Begriffs „Wissenschaft“ ein. Damit nehmen Sie noch nicht zu viel vorweg.
Die Übungsaufgabe
Für die Übungsaufgabe teilen Sie den Kurs in Kleingruppen ein. Bewährt haben sich Vierergruppen. Bei größeren Gruppen ist es für einzelne Studierende zu leicht, sich vornehm zurückzuhalten und den Rest arbeiten zu lassen. Kleinere Gruppen funktionieren ebenfalls gut, zur Not ginge auch eine paarweise Bearbeitung. Allerdings fällt es dann später bei der Besprechung schwer, alle Gruppen zu Wort kommen zu lassen.
Der erste Teil des Arbeitsauftrags lautet:
„Was ist der Unterschied zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen? Diskutieren Sie die Unterschiede bei Entstehung, Weitergabe und Verwendung.“
Damit das nicht all zu abstrakt wird, stelle ich einige Beispiele für Alltagswissen zur Verfügung, aus den die Studierenden sich eines auswählen können:
- Schokolade macht glücklich.
- Brillenträger sind intelligent.
- Täglich ein Glas Rotwein zu trinken erhöht die Lebenswartung.
- Das Auswendiglernen von Gedichten fördert das Gedächtnis.
Das Schokoladenbeispiel ist übrigens in jedem Semester das beliebteste! Es scheint irgendwie attraktiv zu sein.
Der zweite Teil des Arbeitsauftrags verlangt den Studierenden einiges ab: „Wie würde das gewählte Beispiel wissenschaftlicher?“
Die Besprechung der Ergebnisse
Zum Abschluss bietet es sich an, die Ergebnisse der Besprechung in einer Tabelle festzuhalten. Nach und nach wird diese mit Inhalten gefüllt. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass es bei dieser Aufgabe kein Schwarz-Weiß-Denken geben kann, denn manche Antworten passen sowohl für das wissenschaftliche Wissen als auch für das Alltagswissen.
Beispiel: Die Weitergabe von Wissen geschieht im Alltag eher mündlich durch Gespräche innerhalb der Familie oder zwischen Freunden, durch Gerüchte oder durch Ratschläge. Man weiß etwas vom Hörensagen. Die Weitergabe von wissenschaftlichen Erkenntnissen hingegen passiert eher schriftlich in Büchern und Fachartikeln. Allerdings finden auch Konferenzen oder Vorlesungen statt, so dass die Antwort „mündliche Weitergabe“ nicht ganz falsch wäre.
Im zweiten Teil der Aufgabe geht es nur bedingt darum, wissenschaftlichere Formulierungen oder gar inhaltliche Begründungen zu finden. Das denken die Studierenden jedoch häufig und versuchen dann verzweifelt, mit Hilfe ihrer Biochemie-Kenntnisse die Aufgabe zu lösen. Dabei würde ich mich doch schon mit der Anwendung des Stufenmodells zufriedengeben. Es kann hilfreich sein, während der Bearbeitungsphase jeder Gruppe einen Besuch abzustatten. Dann merken Sie früh genug, wenn die Antworten in die falsche Richtung gehen, und können sachte korrigierend eingreifen.
Ihr Nutzen
Diese Aufgabe bietet Ihnen an vielen Stellen die Möglichkeit, sich auf den weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung zu beziehen. Sie können bei den meisten Aspekten einwerfen, dass Sie darüber im Lauf des Semesters noch detailliert sprechen werden – selbst wenn Sie noch keine Ahnung haben, wann das sein wird und wie ausführlich Sie ein bestimmtes Thema tatsächlich abhandeln wollen. Denn eins ist gewiss: Die Ergebnisse dieser Übungsaufgabe sind so grundlegend, dass Sie sicher darauf zurückkommen.
Wenn Sie noch genügend Zeit haben, beschließen Sie Ihre erste Einheit mit einigen Kriterien für Wissenschaftlichkeit:
- Objektivität
- Transparenz
- Zuverlässigkeit
- Genauigkeit.
Falls Sie das nicht mehr schaffen, macht es auch nichts. So haben Sie den perfekten Aufhänger für den Einstieg in die zweite Einheit. Anschauliche Beispiele müssen Sie sich auch nicht neu ausdenken, denn es wird sich jeder an das Schokoladenbeispiel erinnern.
Ein Hinweis zu guter Letzt
Rechtzeitig bevor Sie sich auf den Weg in die Lehrveranstaltung machen, sollten Sie sich schließlich noch diese fünf wichtigen Fragen stellen, über die ich Mitte September schreiben werde. Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.
Hallo Andrea,
kannst Du mir noch erläutern, welche Infos ich absoluten Anfängern zu diesem Thema geben muss? Wir wollen gerne Mitarbeitern das Thema näher bringen. Vielleicht hast Du auch eine Beispiellösung für mich? Bin mir nicht ganz sicher wie die Beantwortungen der Frage aussehen.
Vielen Dank und viele Grüße, Marina
Liebe Frau Wilde,
bei Studierenden, die noch ganz am Anfang stehen, fallen in meinen Lehrveranstaltungen die Antworten wirklich sehr grundsätzlich aus. Da braucht es von Seiten der Lehrperson natürlich das entsprechende Wissen, um erkennen zu können, an welchen Stellen man stark vereinfachen kann und an welchen es später kontraproduktiv wirken würde.
Wenn es nun um die Schulung von Mitarbeitern geht, müsste zunächst einmal klar sein, was das Ziel der Beschäftigung mit diesen Inhalten sein soll.
Ich bitte um Verständnis, dass ich hier keine Beispiellösungen veröffentlichen möchte. Wir können uns jedoch gern per E-Mail austauschen.
Schöne Grüße
Andrea Klein