Wissenschaftliches Arbeiten lehren

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Blogartikel

Erfahrungen, Einblicke und ein bisschen Ernüchterung nach einigen Jahren Lehre "Wissenschaftliches Arbeiten"

Materialien

Probieren geht über studieren: Ideen für Übungen, die die Studierenden selbst lösen müssen.

Literatur

Bücher, Links und Apps zum Wissenschaftlichen Arbeiten gibt es viele - für Studierende. Aber welche eigenen sich für die Lehre?

Lahm: Schatzkiste

Lahm, Swantje (2016): Schreiben in der Lehre. Handwerkszeug für Lehrende. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich (UTB).

Preis: 16,99 Euro

Überblick über den Inhalt:

Spaß in der Lehre?

1 Fachlich lernen durch Schreiben
2 Schreibprozesse als Lernprozesse
2.1 Schreiben können – was heißt das genau?
2.2 Schreiben im Studium: Erfahrungen und Strategien von Studierenden
2.3 Spontan, elaboriert, komplex: Fähigkeiten, die das Schreiben fordert und fördert
3 Das Schreiben in der Lehre vorbereiten
3.1 Lehre, was Du tust: die eigene Schreibpraxis erkunden
3.2 Die Latte hochhängen: anspruchsvolle Schreib- und Arbeitsaufträge entwickeln
3.3 Den Rahmen abstecken: Lehrveranstaltungen vorausdenken
4 Vom Fragen und Zuhören
4.1 „Wer nicht fragt …“: wie Schreiben das Fragenlehren unterstützt
4.2 Lesen wie der Lauscher an der Wand: Lesen lehren durch Schreiben
5 Vom Denken und Sprechen
5.1 Informell und explorativ: Denken lehren durch das Schreiben in und zwischen den Sitzungen einer Veranstaltung
5.2 Gemeinsam Wissen schaffen durch Schreiben
6 Vom Forschen
6.1 Schritt für Schritt: Forschen lehren durch Schreiben
6.2 Anleitung zur Selbständigkeit: Studierende beim forschenden Schreiben begleiten
7 Von der Neugier und der Lust auf gute Texte
7.1 Ein guter Text ist kein One-Night-Stand: Überarbeitung ermöglichen
7.2 Benoten und dennoch neugierig bleiben
8 Zum Abschluss: eine Einladung zum Austausch

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Lahm: Schatzkiste

Wer über „Schreibintensive Lehre“ spricht, kommt in Deutschland an Bielefeld nicht vorbei. Hier finden richtungsweisende Aktivitäten statt, mit denen das fachliche Lernen der Studierenden durch Schreiben in der Lehre gefördert wird. Studentische Texte dienen nicht nur als Prüfungsleistungen, die nach dem Benoten in der Schublade verschwinden, sondern erleichtern ihren Verfassern den Einstieg in die jeweilige Disziplin mit ihren spezifischen Denkweisen.

Augenöffner

Das vorliegende Buch von Swantje Lahm hilft hoffentlich dabei, die lange vernachlässigte Kraft des Schreibens im Lernprozess zu verdeutlichen und den Ansatz des Schreibens in der Lehre im deutschsprachigen Raum zu verbreiten. Die Autorin stellt dafür ihr gesammeltes Wissen und ihre Erfahrung aus ihrer langjährigen Tätigkeit zur Verfügung (mehr zur Autorin und ihrem Hintergrund: Interview). Dabei gelingt es ihr en passant, Verständnis für die Studierenden zu schaffen. Sie kennt deren Nöten und Sorgen sowie deren Schwierigkeiten auf allen Ebenen, wenn sie Texte verfassen sollen. Gerade denjenigen Fachlehrenden, die sich nicht intensiv mit Schreiben und Schreibdidaktik auseinandergesetzt haben, öffnet das vermutlich das eine oder andere Mal die Augen.

Stöbern in der Schatzkiste

Die Abfolge der acht Kapitel wirkt gut durchdacht: Der Leser wird behutsam in die für ihn neue Denkweise eingeführt, seine möglichen Vorbehalte („Wer soll das alles lesen?“) werden entkräftet, und er wird Schritt für Schritt in die Lage versetzt, entsprechende Änderungen in seiner Lehre vorzunehmen. Die Sprache des Buches ist lebendig, oft wird der Leser auch direkt angesprochen. Konkrete Anregungen für die Umsetzung in der eigenen Lehre bieten die integrierten Übungen, bei denen es sich sowohl um Übersetzungen aus der englischen Literatur als auch um Übungen der Autorin handelt.

Der Begriff „Handwerkszeug“ im Untertitel kommt recht schnöde daher, so passend er auch sein mag. Für mich persönlich trifft es „Schatzkiste“ besser, denn ich habe so viel Wertvolles in Swantje Lahms Buch gefunden: die Bestätigung eigener Erfahrungen, etliche Quellen zum Weiterlesen, zahlreiche Übungen und Gedankenanstöße.

Welchen Studierenden kann man das Buch empfehlen?

Das Buch richtet sich nicht an Studierende. Übungen für Studierende sind zwar enthalten. Diese werden jedoch den Lehrenden vorgestellt und erläutert, damit sie sie gewinnbringend in der Lehre einsetzen können.

Was bringt es für den Einsatz in der Lehre?

Viel, sehr viel. Das Buch baut neben der Wissensvermittlung über den Ansatz des Schreibens in der Lehre vor allem auf erprobte und kommentierte Übungen. Dadurch wird zum einen sichergestellt, dass die Lehrenden nicht mit „Übungen vom Reißbrett“ arbeiten. Zum anderen lernen sie durch die Erläuterungen, wie (und dass!) sie die Übungen an ihre Veranstaltung und ihre Vorlieben anpassen sollten. Das Auflisten in zwei getrennten Verzeichnissen („Übungen für Lehrende“ und Übungen für Studierende“) erleichtert das Wiederfinden.


Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

 

10 untrügliche Zeichen, dass Ihr Unterricht ankommt *yes*

In Anlehnung an und als Kontrapunkt zu diesem Beitrag: 10 untrügliche Zeichen, dass Ihr Unterricht nicht ankommt

In Ihrer Vorlesung

  1. Immer mehr Studierende kommen mit großem Vorwissen zu den einzelnen Vorlesungen, weil sie vorab das Skript durcharbeiten.
  2. Studierende fragen, wann sie ihre Hausarbeiten eigentlich frühestens abgeben können.

In Ihrer Sprechstunde

  1. Alle kommen in die Sprechstunde – und haben auch noch eine vorbereitete Frageliste dabei. Sie haben Ihre Studierenden auf der Dunning-Kruger-Kurve erfolgreich nach rechts geführt.
  2. Niemand kommt in die Sprechstunde .Die Studierenden wissen sich selbst zu helfen und unterstützen sich außerdem gegenseitig. Sie als Lehrende werden gar nicht mehr so dringend gebraucht.

In Ihrem E-Mail-Postfach

  1. Sie erhalten keine E-Mails mit vagen Themenideen mehr („Ich würde gern in der Bachelorarbeit irgendwas mit Social Media machen.“), sondern mit gut durchdachten Themenvorschlägen inklusive Fragestellung.
  2. Die Steigerung zu Punkt Nr. 3: Die Studierenden schicken vorab schon mal die Frageliste für die Sprechstunde am nächsten Tag – damit die Zeit in der Sprechstunde möglichst sinnvoll genutzt werden kann.
  3. Die Studierenden fragen, ob sie zu viele Quellen verwendet haben.

Während der Korrektur

  1. Ihnen gehen die positiven Formulierungen für die Korrekturanmerkungen aus.
  2. Sie haben so viele Best Practice-Beispiele gesehen, dass die Auswahl schwerfällt. (Musterarbeit)
  3. Sie kommen sich beim Lesen der Arbeiten vor, als würden Sie einem Kollegen Feedback zu einem Artikelentwurf geben.

„Das brauche ich nie wieder!“

Doch! Ich möchte laut und deutlich entgegenwerfen: Doch! Natürlich brauchen Sie das. Jeden Tag.

Angesichts der Menge an schriftlichen Arbeiten, die in manchen Studiengängen zu verfassen sind, stöhnen viele Studierende auf und stellen sich die Sinnfrage. Wozu soll das bitteschön gut sein? Wieso werden einem so viele wissenschaftliche Arbeiten abverlangt? Dieses Können braucht man doch nie wieder, wenn man nicht gerade eine wissenschaftliche Karriere einschlagen möchte! Schließlich haben Berufstätige ja wohl in den seltensten Fällen wochen- oder monatelang Zeit, um seitenlange, mit Fußnoten gespickte Arbeiten zu verfassen.

Auch wer nicht „in die Wissenschaft gehen will“, profitiert von dem, was er beim wissenschaftlichen Arbeiten lernt. Für das Studium, für sich selbst als Person, für die Zukunft. In den meisten Berufen, auf die ein Studium vorbereitet, sind genau die Kompetenzen gefragt, deren Erwerb das Anfertigen von wissenschaftlichen Arbeiten so mit sich bringt. Abgesehen davon können Erstsemester noch nicht mit Sicherheit wissen, ob sie nicht doch später wissenschaftlich tätig sein werden.

Schlüssel? Für welche Tür eigentlich?

Bekanntermaßen handelt es sich beim wissenschaftlichen Schreiben um eine Schlüsselkompetenz. Man lernt also etwas, was allgemein und überfachlich von Nutzen ist, um besser mit dem fachlichen Wissen umgehen zu können. Wer bestimmte Schlüsselkompetenzen erworben hat, kann auch neuartige Probleme lösen. Damit gelingt es, handlungsfähig zu bleiben, obwohl man mit dem aktuellen Problem noch nie konfrontiert war und demnach die Lösung dafür erst einmal finden muss.

Schauen wir doch einmal genauer hin, was die Studierenden durch die Beschäftigung mit dem wissenschaftlichen Arbeiten lernen. Ich greife ein paar Aspekte heraus:

  • die passende Herangehensweise an eine Fragestellung aus vielen möglichen Herangehensweisen auszuwählen
  • die Lösungsstrategie für ein Problem nicht nur zu planen, sondern auch umzusetzen
  • große Mengen an Text und Informationen zu finden, aufzunehmen und weiterzuverarbeiten
  • abstrakt, vernetzt, analytisch und kreativ zu denken
  • diese Gedanken nachvollziehbar zu präsentieren
  • schlüssig zu argumentieren
  • komplexe Sachverhalte verständlich und anschaulich darzustellen.

Nebenbei schulen sie ihre Ausdauer und Sorgfalt sowie ihre Fähigkeiten in Zeitmanagement und Organisation. Eigenver­antwortung und Selbständigkeit werden auch noch gefördert. Schließlich handelt es sich bei der Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit um eine komplexe Aufgabe, die anfangs oft nicht überschaubar ist und die man nach mehreren Wochen, Monaten oder sogar Jahren zu Ende bringt, auch wenn man gedanklich vielleicht noch gar nicht mit ihr fertig ist. Dabei lernt man das Durchhalten, das Aushalten von Durststrecken sowie den Umgang mit Gegenwind und Selbstzweifeln. Für das persönliche und berufliche Fortkommen sind alle genannten Fähigkeiten hilfreich.

Eine Abstraktionsebene tiefer lassen sich noch die erlernten Techniken anführen, beispielsweise Recherchetechniken, Lesetechniken oder Schreibtechniken. Oder ganz banal das technisches Wissen über die Tücken der Textverarbeitung.

Die Schlüsselkompetenz „Wissenschaftliches Arbeiten“ schließt ziemlich viele Türen auf, würde ich meinen.

(Wie) Lässt sich der Nutzen in der Lehre vermitteln?

Ulmi et al. haben all das und noch viel mehr in einer Übersichtsgrafik zusammengeführt, die ich seit kurzem auch in der Lehre verwende.

ulmi_komponenten-der-schreibkompetenz

Ich nehme diese Abbildung als Gedankenanstoß für die Studierenden. In einer Art Soll-Ist-Abgleich denken sie darüber nach, was sie schon können und was sie noch lernen müssen, um gute wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben. (Wie das in etwa geht, habe ich hier beschrieben) Die damals formulierte Vorabfrage habe ich mittlerweile erweitert und umformuliert – auch noch aus anderen Gründen, aber das ist ein komplett neues Thema). Der Nutzen des wissenschaftlichen Arbeitens wird dadurch indirekt sichtbar. Denn die Studierenden erkennen, was sie lernen werden und welche Kompetenzen sie entwickeln werden.

Die allermeisten Studierende bringen einen guten Teil dieser Kompetenzen schon mit, nur ist es ihnen nicht immer bewusst. Sie lernen also nicht komplett neu, sondern lernen etwas dazu. Wir sollten die Studierenden daher weglenken von Gedanken wie „Ich habe noch nie wissenschaftlich geschrieben, also kann ich nicht schreiben.“ (nicht wahr) und hin zu „Ich habe schon einiges geschrieben. Jetzt lerne ich, wie meine zukünftigen wissenschaftlichen Texte aussehen sollten, um den Ansprüchen zu genügen.“ (wahr).

Den Nutzen auch aktiv sichtbar machen

Als Lehrende sollten wir diese Reflexionsprozesse anstoßen und in der Vorlesung verankern. Sie sollen einen festen Platz bekommen, weil sie so wichtig sind für alles Weitere.

Deswegen spreche ich das Thema zusätzlich aktiv und im Laufe des Semesters auch mehr als einmal an. (Am Anfang meiner Lehrtätigkeit habe ich abgewartet, ob es von den Studierenden jemand anspricht – und immer auch ein bisschen gehofft, dass es keiner tut. Es hat eine Weile gedauert, bis ich eine befriedigende Antwort geben konnte.) Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es den eventuell vorhandenen Widerstand gegen das Fach „Wissenschaftliches Arbeiten“ mindert, wenn ich den Nutzen von Anfang an thematisiere und anschließend den zu erwartenden Kompetenzzuwachs verdeutliche.

Bei all dem spielt es für mich übrigens keine Rolle, um welche Art von Hochschule es sich handelt. Wissenschaftliches Arbeiten ist an einer Universität so wichtig wie an einer Fachhochschule. An Berufsakademien kommt noch ein ganz anderes Feld hinzu, die Verknüpfung mit der Praxis und der Nutzen für die Praxis. Oder um im Bild mit dem Schlüssel zu bleiben: Die Türen sind ein bisschen unterschiedlich, aber Türen sind es letztlich alle.

Positive Erfahrungen ermöglichen

Das Verdeutlichen des Nutzens ist die Voraussetzung für das Entstehen von Motivation und Freude. Wenn dann noch positive Erfahrungen mit dem wissenschaftlichen Arbeiten hinzukommen, lässt sich darauf wunderbar im Laufe des Studiums aufbauen.

Es liegt auf der Hand, dass das in Lehrveranstaltungen nicht gelingen wird, in denen immerzu nur die Rede ist von „Sie müssen aber…!“ und „Sie dürfen aber auf gar keinen Fall…!“ Unsere Aufgabe als Lehrende ist es, positive Erfahrungen zu ermöglichen.

Neurobiologie, was hat das mit uns zu tun?

Das liebe Schreiben. Wir wissen ja alle, wie das geht. Wie es gehen sollte. Wie es bei Anderen wohl so geht.

Hinsetzen, nachdenken, aufschreiben.

Habe ich gehört, dass man das so macht. Denk‘ ich doch mal, dass das stimmt…

Tja, wenn es denn so einfach wäre.

Leider und zum Glück gehört aber noch ein bisschen mehr dazu.

Jetzt kommt die Neurobiologie ins Spiel. Vergleichen Sie einmal die linke und rechte Seite des Comics:

writinghow-it-is-supposed-to-work-phd-comicQuelle: www.phdcomics.com

Jeder von uns saß schon so da wie auf der rechten Seite abgebildet. Die meisten unserer Studierenden saßen schon so da. Im Gehirn läuft eben weit mehr ab als das, was links zu sehen ist.

Leider

Es sieht nach einer qualvollen Erfahrung aus, was da im rechten Bild gezeigt wird – nach langen Stunden des Zweifelns und Verwerfens, in denen man sich schlecht fühlt. Deswegen sage ich „Leider gehört mehr zum Schreiben als das bloße Hinsetzen und Tippen“.

Zum Glück

Wieso sage ich „Zum Glück gehört mehr zum Schreiben“? Nur bedingt vertrete ich die Ansicht, „dass man da eben durch muss, wenn man ein Studium abschließen will“. Es geht nämlich auch anders.

Eigentlich fehlt noch ein drittes Bild. Eines, das die negativen Aspekte ins Positive dreht und damit arbeitet.

  • Motivation

Was ist mit Motivation? Nicht mit der oft beschriebenen fehlenden Motivation, sondern mit dem enthusiastischen Wollen und dem neugierigen Fragen? Wie fördern wir das in den Lehrveranstaltungen und in der Betreuung? Oder genügt es uns schon, den Studierenden diese Haltung im Laufe der Semester wenigstens nicht auszutreiben?

  • Freude

Was ist mit Freude anstelle von Angst und Panik? Vermitteln wir Freude an unserem Fach und am wissenschaftlichen Arbeiten selbst?

  • Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein

Was ist mit Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein, die durch bewältigte Schreibaufgaben entstehen? Wie führen wir als Lehrende die Studierenden zu Erfolgslebnissen, die ermutigen und Lust auf mehr machen?

In den vergangenen Monaten habe ich mich intensiv mit solchen Fragen auseinandergesetzt. Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich ein didaktisches Konzept für die Vermittlung des wissenschaftlichen Arbeitens entworfen und es Anfang des Monats erstmals vor Kolleginnen und Kollegen präsentiert. Es steht ganz im Einklang mit dem Manifest, das ich vor einem halben Jahr veröffentlicht habe. Jetzt ist dieses Konzept also endlich inhaltlich fertig und muss „nur noch“ für die Publikation vorbereitet werden. Sie erfahren es natürlich, wenn es so weit ist.

Wie halten Sie es mit den angesprochenen Aspekten wie Motivation und Freude – kommt das in Ihren Lehrveranstaltungen implizit oder explizit vor?

 

 

Writing by Doing

Mit Ingrid Scherübl und Katja Günther vom Schreibaschram kam ich vor einger Zeit in Kontakt, als ich ihren „Schreibimpulsfächer“ rezensiert habe. (Zur Rezension)

Schnell entstand die Idee für einen Gastbeitrag der beiden hier auf dem Blog. Geworden ist daraus schließlich ein Beitrag, der durch einige Interviewfragen abgerundet wird.

Writing by Doing – für eine Schreibdidaktik des Handelns

Oder warum wir angeleitete Schreibprozesse statt Schreibseminare machen…

Ein Gastbeitrag von Katja Günther und Ingrid Scherübl

 „Was habe ich damals nochmal im Schreibseminar gelernt? Ich erinnere mich an einige gute Schreibübungen, an kreativ gestaltete Flipcharts und Moderationswände, und auch Powerpoints mit ‚betreutem Lesen‘. Manches davon hatte sogar mit meinem Schreibanliegen zu tun. Aber leider hat nichts davon hat mein Schreiben nachhaltig verändert. Ich habe zwar Ideen bekommen, wie man es machen könnte, Fakt ist aber: ich habe es danach nie so gemacht.“

So Ingrid Scherübls Erfahrung aus den Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Es ist die Crux einer jeden Weiterbildung: Der Transfer. Macht ein Kurs im Alltag wirklich einen Unterschied für die Arbeitspraxis? Oder bleibt es bei einem stimulierenden Tag mit netten Leuten?

Mit unserem Ansatz „Writing by Doing“ wollen wir als Trainerinnen es anders machen: Jedes Seminar — ob Schreib-Sweatshop oder Schreibaschram — ist bereits der Transfer.

Wir sagen, Schreiben ist ein individueller Prozess, der nur im Schreiben selbst verwirklicht und befördert werden kann. Unser Seminare mit dem Ansatz des Writing by Doing sind deshalb angeleitete Schreibprozesse. Wir gestalten für die Teilnehmenden einen Tag, zwei Tage oder eine ganze Schreibwoche, in der sie ihre Texte umsetzen. Beim Schreiben selbst werden dann genau die relevanten Fragestellungen geklärt. Wir diskutieren nicht über das Schreiben. Wir sind mittendrin.

Universitäten sind die Hochburgen der Theorie. Wir lieben sie als unseren Arbeitsort. Schreiben ist jedoch eine Praxis. Und in dieser Spannung begründet sich der oft holprige Weg vom Gedachten zum Geschriebenen. An Universitäten und in den Graduiertenschulen ist es ja zum Teil eher so, dass theoretisch über guten Wissenschaftsstil oder über Zeitmanagement doziert wird. Die eigene Textproduktion wird dort diskutiert und geplant, das Schreibhandeln selbst kommt zu kurz. Zugespitzt könnte man sagen, dass manche Schreib-Workshops für Promovierende eher zu einer Vermeidung des eigenen Schreibens beitragen, als dass sie es real befördern. Wieder mal ein Tag, an dem man anscheinend etwas für seine Diss getan hat. Gewissen beruhigt – aber leider am Abend kein geschriebenes Wort im Laptop. Schade.

Beschäftigt oder produktiv?

Promovierende sind beim ganz realen Schreiben üblicherweise sich selbst überlassen. Es findet allein im stillen Kämmerlein statt. Oder eben gerade nicht. Was zu tun ist und wie es geht, ist ja eigentlich bekannt. Oder? Aber das wissen wir alle: Das Anfangen und das Dranbleiben fallen schwer. Gefühle von Inkompetenz sitzen hämisch grinsend mit am Schreibtisch. Mythen von aus dem Ärmel geschüttelten genial verfassten Texten geistern durch unsere Hirne. Der eigene Kritiker raunt einem lauter Versagensängste zu und die inneren Impulse verführen uns zu den unterschiedlichsten Verrichtungen, Recherchen, Konferenzplanung oder auch mal Wäsche waschen. Ist es nicht so, dass wir oft diese ungemütliche Tätigkeit Schreiben gekonnt vermeiden? Da erledigt man niedrigschwellige Aufgaben wie Mails beantworten oder netzwerkt für das nächste Projekt. Dabei wäre es viel förderlicher, sich gemeinsam in ein stilles Offline-Büro zu setzen, eine Zeit zu vereinbaren und sich so gegenseitig die Konzentration zu ermöglichen und zu halten. — Das findet am Arbeitsplatz Universität leider noch zu selten statt. Alle sind viel zu beschäftigt. Aber beschäftigt ist noch lange nicht produktiv.

Gemeinsam im Schreibflow

Wichtig ist die Praxis in ablenkungsfreier Umgebung, motivierter Gemeinschaft, mit klaren Arbeitszeiten und Pausen um ganz konkret am eigenen Kapitel voranzukommen. Wenn es dann noch kooperativen Austausch mit anderen Wissenschaftler*innen gibt, dann ist der Schreibflow kaum aufzuhalten. Diese Erfahrung machen wir stets im Schreibaschram – einem kloster-ähnlichen Schreibtraining, bei dem die Teilnehmenden nicht nur viel Text produzieren, sondern auch lernen, wie die individuelle Produktivität gestartet, gehalten und auch wieder regeneriert werden kann. Die Schreibmotivation intensiviert sich im Kontakt mit anderen und durch das konkrete Tun. Alle schreiben zur selben Zeit. Jeder arbeitet für sich und doch auch für den Anderen. Erst mit der Erfahrung eines angeleiteten Schreibprozesses erkennen und erleben wir die Logik unserer eigenen Schreibproduktivität. Und können dann auch im Alltag die Sachen sein lassen, mit denen wir uns vom Schreiben abhalten.

Das Writing by Doing ist ein Ansatz, den wir eher aus dem Coaching als aus der Schreibdidaktik entwickelt haben. Weiterhin bleibt natürlich auch theoretischer Unterricht im Akademischem Schreiben wichtig. Uns wurde jedoch die Notwendigkeit angeleiteter Schreibprozesse deutlich. Es ist ein radikales Bekenntnis zur Schreibpraxis: Man muss „es“ tun: wieder und wieder und wieder. Jeder Text ist die Übung für den nächsten. Jeder Text, den ich heute schreibe, erleichtert die kommenden und erweitert meine Schreibkompetenz. Am besten einfach anfangen: Was würdest Du schreiben, wenn es nicht perfekt sein müsste?

 

Das Interview

Andrea Klein: Wie können Dozierender für Wissenschaftliches Arbeiten oder Fachlehrende Euren Ansatz in die Lehre holen? Oder ist das von vorneherein zum Scheitern verurteilt?

Schreibaschram: Unseren Ansatz haben wir für Wissenschaftler ab der Promotion entwickelt. Es geht nicht um eine Einführung in die Basiskompetenzen des wissenschaftlichen Schreibens, sondern um eine Unterstützung für die, deren täglich Brot das Schreiben ist. Es ist tatsächlich mehr ein Coachingangebot, als ein Lehrangebot. Nichtsdestotrotz fänden wir es klasse, wenn Lehrende, davon etwas in ihre Kurse integrieren. Daher konzipieren wir eine Weiterbildung im „Akademischen Schreibcoaching“. Denn wir haben inzwischen eine Reihe von kurzen Gruppencoaching-Formaten, die das Schreiben beflügeln: durch Klärung und Präzisierung des Inhalts, oder indem eine strategische Perspektive auf den zu schreibenden Text eingenommen wird, sowie einige motivationsaktivierende Tools.

Profitiert auch ein ausgebildeter Schreibberater von der Teilnahme an einem Schreibaschram? Wenn ja, wie?

Im letzten Schreibaschram, den die Universität der Künste veranstaltet hat, haben drei ausgebildete Schreibberaterinnen (zwei aus Deutschland, eine aus den USA) teilgenommen. Es wäre schön, sie selbst zu fragen. Unser Eindruck war, dass sie sehr von dieser Erfahrung profitiert haben.

Viele Wissenschaftler schreiben unter Druck. Damit meine ich an der Stelle nicht den zeitlichen Druck, sondern den Druck, der aus den Rahmenbedingungen resultiert. Zum Beispiel: Das Projekt muss inhaltlich so gestaltet sein, dass man Fördergeld dafür erhält – interessieren würden einen aber eigentlich ein anderer Aspekt. Oder der Doktorvater hat recht eigene theoretische oder methodische Vorstellungen, gegen die man gern anschreiben würde, aber sich nicht traut. Sind solche Schreibhemmnisse auch Themen?

Ja. Hier geht es um Haltung. Was ist für mich vertretbar? Wir haben auch ein Coachingformat, in dem genau diese eigene Positionierung im Fokus steht. Es ist schwer gegen eigene Überzeugungen anzuarbeiten. Aber man kann man sich konkret auseinandersetzen, wie ich mich als Autorin oder Autor zu all den einschränkenden, aber auch den im positiven Sinne limitierenden Rahmenbedingungen verhalten möchte. Manchmal kann es dann sogar entlasten, dass nicht alles möglich ist, sondern ich beispielsweise methodisch begrenzt werde. Wichtig ist nur, dass ich nicht mit unbewussten Widerständen am Schreibtisch sitze. Meine innere Haltung muss erstmal deutlich werden — dann lässt sich damit auch ein Umgang finden.

Wo sind die Grenzen Eurer Angebote? Gibt es Personengruppen, mit denen Ihr nicht arbeitet bzw. Schreibprobleme oder Schreibkonstellationen, die Ihr nicht bearbeitet?

Für Studierende fühlen wir uns nicht zuständig. Unsere Angebote eignen sich für Menschen, die einfach wissen, sie werden ihr Leben lang schreiben, und deswegen möchten sie das langfristig gut in den Griff bekommen. Konkret sind das sind Promovierende, Habilitierende und Professor*innen. Wir arbeiten daher für Forschungsteams, Institute, Kollegs und die universitäre Personalentwicklung. Manchmal verirren sich einzelne Belletristikautoren und Journalisten in den Schreibaschram. Auch das funktioniert!

Kennt Ihr ähnliche Anbieter, oder seid Ihr (noch) einzigartig mit Eurem Angebot?

Wir fühlen uns einzigartig mit unseren aktivierenden Arbeitsweisen und der außergewöhnlichen Lernkultur, die wir gestalten. Aber wir nehmen wahr, dass sich zunehmend Angebote entwickeln, die mehr als nur inspiriert von unserem Konzept sind. 😉 Für uns ist es in erster Linie schön, dass der Schreibaschram so viel in Bewegung gebracht hat. Und das bestärkt uns, unsere Methoden zur Verfügung zu stellen und die Ausbildung im „Akademischen Schreibcoaching“ anzubieten.

schreibaschram

Ingrid Scherübl (Trainerin, Kulturwissenschaftlerin): „Bis 2013 war ich Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin in einem interdisziplinären Forschungsprojekt zu Personal- und Organisationentwicklung. Nach Abschluss einer Coachingausbildung und während eines Aufenthalts in einem Aschram in Indien hatte ich die Idee zum Schreibascham. Diese Klostersimulation für Schreibende haben ich zusammen mit Katja Günther als ein innovatives Training für Wissenschaftler*innen entwickelt. Als Schreibtrainerin und Coach biete ich bundesweit Weiterbildungen für den Wissenschaftlichen Nachwuchs an.“ Fachlicher Hintergrund: Dipl. Mediendramaturgin, Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis, Gestalt-Coach, NLP-Master, Heldenreiseleiterin

Katja Günther (Systemisches Schreibcoaching, Gestalt-Coach):Als Coach und Trainerin begleite ich seit vielen Jahren Schreibende auf ihren akademischen Karrierewegen, insbesondere im Schreibprozess von Promotion und Habilitation. Die Organisation des guten Lebens und Arbeitens ist ein Kernwert meiner Beratung in der Coaching-Praxis Faden Verloren. www.faden-verloren.de“. Fachlicher Hintergrund: M.A. der Romanistik, Anglistik; Gestalt-Coach; Akzeptanz und Commitment Training (ACT), NLP-Master, Systemisches Coaching (zertifiziert nach DGfC)

Hier geht es zum Schreibaschram: schreibaschram.de

Tools beim wissenschaftlichen Arbeiten

Unabhängig davon, welche Tools Sie selbst nutzen, wie gehen Sie mit diesem Thema eigentlich in der Lehre um? Das würde mich wirklich einmal interessieren.

Mit Tools meine ich Software für den Rechner, Apps für das Handy und die vielen Websites mit ihren Diensten. An oberster Stelle steht da beim wissenschaftlichen Arbeiten natürlich die Literaturverwaltung. Hinzu kommen Tipps und Tricks für die Textverarbeitung. Außerdem die digitale Form des guten, alten Zettelkastens. Und gerade in vermeintlichen Randbereichen wie Selbstorganisation und Zeitmanagement existieren sehr viele digitale Hilfen.

Bei der Recherche für mein Buch habe ich mich in den vergangenen Monaten intensiv mit Software im Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens auseinandergesetzt. (An dieser Stelle ein kleiner Gruß an die jeweiligen Namensgeber der Programme und Apps. Ihr habt mich an den Rand des Wahnsinns gebracht mit Euren austauschbaren Namen und Binnenmajuskeln! Ein Beispiel: Kanbanchi, Kanbanik, Kanboard, KanbanTool und KanbanFlow, wer soll das bitte auseinanderhalten? Für Mindmapping-Programme gilt es analog.)

Hatte ich das Buch hier auf dem Blog schon einmal richtig erwähnt? Im ersten Quartal 2017 erscheint es – es wird der erste Ratgeber zum wissenschaftlichen Arbeiten, der den Software-Aspekt ausführlich beleuchtet.

Geeks and nerds vs. DAUs

Bei den technikaffinen Studierenden rennt man mit solchen Themen natürlich offene Türen ein. Die Tools versprechen eine Arbeitserleichterung und lösen Begeisterung aus. Allerdings ist der Anteil dieser Studierenden nach meiner Erfahrung überraschenderweise gar nicht so hoch. Wo sind die all die Digital Natives?

Bei den DAUs hingegen, die noch den Knopf zum Anschalten des Laptops suchen, wird es problematisch. Die Vorbehalte sind einfach sehr groß: Man muss sich erst einmal lange und umständlich einarbeiten; die Technik erstickt jede Kreativität im Keim; und schließlich besteht die Gefahr, dass mit einem Klick alles weg ist. Diese Vorbehalte wollen erst einmal entkräftet sein, bevor die inhaltliche Auseinandersetzung beginnen kann.

Didaktischer Ansatz?

Beim Thema Tools habe ich noch keinen Weg für die Lehre gefunden, der mich richtig zufriedenstellt. Noch habe ich kein Mittel, wie ich mit den sehr unterschiedlichen Voraussetzungen bei den Studierenden umgehen kann. Da sind zum einen die erwähnten persönlichen Vorlieben und Vorkenntnisse. Zum anderen gibt es da ja auch noch ein technisches Problem, die unterschiedlichen Betriebssysteme und die Frage der Kompatibilität. Auch möchte ich nicht, dass die Lehrveranstaltung zu einer Softwareschulung wird oder wie die Demo eines Software-Verkäufers anmutet.

Momentan gestalte ich es so, dass ich zuerst ganz allgemein über Auswahlkriterien bei der Softwaresuche spreche. Damit sollen die Studierenden in die Lage versetzt werden, im Fall der Fälle kluge Entscheidungen zu treffen. Ausgewählte Tools demonstriere ich kurz, andere erwähne ich an den passenden Stellen nur.

Aber bald wird es ja leichter. Dann stelle ich mich in der Vorlesung vorne hin und sage einfach „Kauft! Mein! Buch!“ – Nein, natürlich mache ich das nicht. Was habe ich das gehasst bei so manchem Professor während meines Studiums!

Zu guter Letzt möchte ich noch ein bisschen Prophylaxe betreiben. Falls der Eindruck entstanden sein sollte, ich würde Software für das Allerwichtigste beim wissenschaftlichen Arbeiten halten: Die wichtigste Software ist und bleibt immer noch das Gehirn.

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(Die abgebildete Website kann ich übrigens nur empfehlen. Auf alternativeto.net können Sie bei Bedarf nach Ersatz für Ihre bisherigen Softwarelösungen suchen.)

Und jetzt stelle ich noch einmal meine Frage vom Anfang des Artikels, in der Hoffnung auf Antworten:

Wie gehen Sie mit dem Thema „Tools beim wissenschaftlichen Arbeiten“ in der Lehre um? Und: Wollen Sie dem Thema überhaupt Zeit schenken?

 

Tegtmeyer: Einladung zur Reflexion

Tegtmeyer, Inken (2014): Wozu in der Philosophie wissenschaftliche Texte geschrieben werden. Eine hermeneutische Erkundung. Würzburg: Königshausen und Neumann.

Preis: 44 Euro

Überblick über den Inhalt:

  1. Einleitung
  2. Erläuterung und Eingrenzung der Fragestellung
  3. Hermeneutische Grundlagen
  4. Leibkörperliche Dimension
  5. Narrative Dimension
  6. Soziale Dimension
  7. Historisch-kulturelle Dimension
  8. Wozu in der Philosophie wissenschaftliche Texte geschrieben werden

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Tegtmeyer: Einladung zur Reflexion

Universität Hildesheim, ein Propädeutikum zum wissenschaftlichen Arbeiten. Die Studierenden legen „Widerständigkeit“ und „liebenswürdige Uneinsichtigkeit“ (S. 9) an den Tag. Sie wollen wissen, wozu in der Philosophie wissenschaftliche Texte geschrieben werden. Die großen Philosophen hätten sich der Welt schließlich in ganz anderen Textsorten mitgeteilt.

Inken Tegtmeyer nimmt diese Frage nach dem Wozu als Ausgangspunkt für eine ausführliche hermeneutische Erkundung, die zugleich ihre Dissertation ist.

Eine Störung von Selbstverständlichkeiten

Jede Frage, schreibt Tegtmeyer, sei eine Störung von Selbstverständlichkeiten. In dem vorliegenden Buch wird dann auch ausführlich gestört und so ziemlich alles hinterfragt.

Die Erläuterung und Eingrenzung der Fragestellung in Kapitel 2 erstreckt sich über etwa 20 Seiten. Mehr als die Hälfte davon behandelt allein die verschiedenen Bedeutungen des Wörtchens „Wozu“. Nur Philosophen fragen wohl so ausführlich. Für mich als Nicht-Philosophin war es eine große Bereicherung, das zu lesen.

Die Autorin geht von der Existenz eines komplexen Geflechts wechselseitiger Abhängigkeitsverhältnisse aus, das sie in der Arbeit systematisch darstellen möchte: „Die Interessen, wozu in der Philosophie wissenschaftliche Texte geschrieben werden, stehen und entstehen in einem Spannungsfeld von Wissenschaftsverständnis, Philosophieverständnis und Selbstverständnis, deren Wirkungen und Wechselwirkungen sich in Schreibpraxis und Textgestaltung zum Ausdruck bringen.“ (S. 12).

Dies geschieht in den Kapiteln 4 bis 7, in denen die leibkörperliche, die narrative, die soziale und die historisch-kulturelle Dimension des Schreibens wissenschaftlicher Texte in der Philosophie Thema sind. Der Fokus liegt dabei auf der Schreibpraxis und damit den Schreibenden, und nicht auf dem Produkt oder den Rezipienten. Sowohl das Gelingen als auch das Scheitern werden mitgedacht.

Zusammenhänge entfalten und Verflechtungen zeigen

Das Schlusskapitel fasst die „Ergebnisse“ zusammen. Oder auch wieder nicht. Die Autorin schreibt das Wort ebenfalls in Anführungszeichen. Denn – und damit hat sie Recht – wenn der Sinn der ganzen Unternehmung darin besteht, komplexe „Zusammenhänge zu entfalten und in ihren vielfachen Verflechtungen zu zeigen“ (S. 273), dann führt ein nachträgliches Vereinfachen selten zu spektakulären Ergebnissen. Es lässt die Antworten jedoch in einem neuen Licht erscheinen. Man kann noch einmal Revue passieren lassen, was man erkannt hat.

Lesegenuss

Äußerlich weist der Text eigentlich zwei Merkmale auf, die oftmals trockene, leser-unfreundliche Texte kennzeichnen: auf vielen Seiten mehr Fußnoten- als Fließtext und keine einzige Abbildung. Dennoch habe ich das Buch sehr gern gelesen. Tegtmeyer verwendet eine offene, angenehme und bisweilen auch witzige Sprache, beispielsweise bei der Einleitung zu den Ausführungen über die leibkörperliche Dimension des Schreibens: „Um überhaupt schreiben zu können, braucht man einen Körper – das zumindest scheint unzweifelhaft.“ (S. 81)

Welchen Studierenden kann man das Buch empfehlen?

Puh. Das Buch ist definitiv keine leichte Kost. Für die Rezension habe ich lange gebraucht, und das nicht nur wegen der gut 300 Seiten Umfang. Vielmehr musste ich die Inhalte sacken lassen und frage mich dennoch, ob ich sie wirklich gebührend erfasst habe (wahrscheinlich nicht…).

Empfehlen Sie das Buch, wenn überhaupt, Ihren Top-5%-Studierenden. Es sei denn, es handelt sich um Studierende der Philosophie. Was denen „zuzumuten“ ist, können Sie besser entscheiden als ich.

Was bringt es für den Einsatz in der Lehre?

Jetzt kommen wir schon der Sache schon näher. Jeder, der wissenschaftlich schreibt oder andere dabei unterstützt, erhält hier viele neue Einsichten und Möglichkeiten, (seine eigene) Schreibpraxis zu reflektieren. Für Lehrende, „die sich über die Beschaffenheit studentischer Texte wundern“ (S. 279), sollen die Ausführungen erhellend sein, wünscht sich die Autorin. Sie werden in der Lage sein, die Komplexität und zuweilen die Widersprüchlichkeit der Konventionen beim wissenschaftlichen Arbeiten und somit den Sinn (das Wozu) besser zu vermitteln.

Nicht-Philosophen erleben bei der Lektüre des Buches zudem eine ihnen wahrscheinlich fremde Art von Erkenntnisgewinnung. Sie sehen, wie man intersubjektiv nachvollziehbar seine Leser zu neuen Erkenntnissen führen kann, obwohl man keine der ach so objektiven Methode angewendet hat.


Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!


Und hier geht es zu dem Gastbeitrag von Inken Tegtmeyer, der im Mai 2016 erschienen ist: Über das Schreiben wissenschaftlicher Texte als soziale Praxis

#zitieren (Teil 2)

Teil 2 von 2 zum Thema #zitieren – Was Zitieren und Instagram gemeinsam haben

Hier geht es zu Teil 1.


Fügen wir einmal all das über Instagram Gesagte mit dem wissenschaftlichen Arbeiten zusammen und betrachten den Sinn und Zweck des Zitierens, auch wieder in verschiedene Kategorien aufgeteilt:

„Eigentlicher Sinn“ (beim Schreiben)

  • Quellen von fremdem Wissen angeben (nicht fremdes Wissen als eigenes ausgeben; anerkennen, was jemand anders vor einem erarbeitet hat)
  • Verortung innerhalb der Scientific Community (wem stimme ich zu, wessen Ideen sehe ich als problematisch an, wen erwähne ich überhaupt und wen nicht?), sich mit Ideen verbinden
  • verschiedene Ideen zusammenbringen und verknüpfen, um etwas Neues zu schaffen

„Nebensinn“ (beim Schreiben)

  • „Schmuckzitat“ (zeigen, was und vor allem wie viel man gelesen hat. Das entspricht der Hashtag-Nutzung, die ein Studierender mit „damit es cool aussieht“ bezeichnet hat)
  • „Zitierzirkel“ („Zitierst Du mich, zitier‘ ich Dich“; vergleichbar mit #likeforlike oder #followforfollow)

Bei der Suche nach Inhalten (Recherche)

  • „Weiterleitung“ zu verwandten Inhalten (wie bei der pragmatischen Literatursuche nach dem Schneeball-System)

Die Funktionen von Hashtags erinnern also stark an die Funktionen des Zitierens. Auf die weiteren, bereits genannten Interaktionsmöglichkeiten möchte ich im Folgenden eingehen.

Auch für Scientific Community kann man – wie bei Instagram in Teil 1 – sagen, dass es sich um „eine dynamische, virtuelle Gemeinschaft von lose verbundenen Personen, die sich über gemeinsame Interessen finden und gegenseitig die veröffentlichten Inhalte zu Kenntnis nehmen, beurteilen, kommentieren und weiterleiten“ handelt.

  • Auch hier müssen sich die Nutzer nicht persönlich kennen, um zu interagieren.
  • Das Kennzeichnen eines Posts mit „Gefällt mir“ entspricht im Wissenschaftsbetrieb dem positiven, zustimmenden Zitieren eines Gedanken.
  • Das „Folgen“ ist in der Wissenschaft vergleichbar mit dem Setzen eines Alerts, also einer automatischen Benachrichtigung, wenn zu bestimmten Themen etwas veröffentlicht wird.
  • Das „Senden an“, also das Weiterleiten von Posts an vermutlich ebenfalls interessierte Personen, passiert in der Wissenschaft sowohl eher informell unter Kollegen als auch in Netzwerken wie Mendeley oder Bibsonomy, oder eben durch das Zitieren in einer Veröffentlichung, die dann wiederum von Anderen gelesen wird.
  • Das „Kommentieren“ ist in der Scientific Community gleichzusetzen damit, dass man jemandem öffentlich auf einer Konferenz zustimmt. Letzen Endes geht es um Resonanz: Sind die Inhalte so beschaffen, dass sie Kommentare auslösen?
  • Bei der Suche nach bestimmten Inhalten kommt die Verwendung der Hashtags, wie bereits erwähnt, den Schlagwörtern in den Bibliothekskatalogen sehr nahe.
  • Die Suche nach Referenzautoritäten, also nach denjenigen, die in einem Feld bedeutend sind und beliebte (vielzitierte) Inhalte veröffentlichen, wird in der Wissenschaft beispielsweise durch Google Scholars „cited by“-Funktion, Zitationsindices und den Impact Factor abgebildet.

Grenzen der Übertragung

Ein 1:1-Vergleich zwischen den beiden Communities ist natürlich nicht möglich. Wo aber liegen die Grenzen der Übertragung?

Beim Schreiben

Warum veröffentlicht jemand neue Inhalte? Sehr verkürzt dargestellt, könnte man sagen, dass das Schaffen eines Mehrwerts oder die Selbstinszenierung Motive sein könnten. Beim Posten auf Instagram, so meine These, steht die Inszenierung im Vordergrund und nicht das Ziel, für jemand anders einen Mehrwert zu schaffen. Die Scientific Community kann natürlich nicht für sich beanspruchen, frei von Selbstdarstellern zu sein, ohne den entsprechenden inhaltlichen Mehrwert dürfte es für diese auf Dauer jedoch schwierig werden.

Ernstes Thema: Plagiate. Sollte jemand bei Instagram ein fremdes Bild als eigenes ausgeben, würde dies wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit von den Mitgliedern der Community aufgedeckt, während Plagiate im Wissenschaftsbetrieb mitunter erst nach vergleichsweise langer Zeit nachgewiesen werden, wenn überhaupt. Interessanterweise herrscht bei den Studierenden das stille Einverständnis, dass man bei Instagram „so etwas nicht tut“. Man schmückt sich einfach nicht mit fremden Federn. Wenn die Studierenden diese Erkenntnis aufgrund der Lehrveranstaltung auf das Wissenschaftssystem übertragen, ist schon sehr viel gewonnen.

Bei der Suche nach Inhalten

Beim wissenschaftlichen Arbeiten nimmt die Recherche einen hohen Stellenwert ein. Wer ernsthaft recherchiert, bemüht sich um inhaltliche Ausgewogenheit und um Vollständigkeit. Nicht dass das jemals erreichbar wäre, aber das Bemühen zählt. Es wäre eine schlechte wissenschaftliche Arbeit, wenn Quellen nur einseitig erfasst wären.

Bei Instagram hingegen wird nicht im klassischen Sinn recherchiert. Die User sehen einen sehr geringen Teil aller Beiträge, der außerdem auf ihre Interessen abgestimmt ist. Zudem stehen die aktuellen Beiträge im Vordergrund. Was gestern war, ist weit weg.

Eine Auseinandersetzung mit „Gegenpositionen“ findet bei Instagram nicht statt, das ist nicht der Sinn dieser Community. Hauptsächlich wird dort das sichtbar, was man sowieso mag und gut findet. In der Wissenschaft bedient man sich mitunter gern Zitaten der gegenläufigen Ansicht, um diese dann zu widerlegen.

Didaktische Hinweise für Ihre Lehrveranstaltung

Eine kleine Vorwarnung:Setzen Sie diese Einheit nur um, wenn Sie sich wenigstens ein bisschen in den sozialen Netzwerken auskennen. Sonst müssen Sie sich eventuell ein X für U vormachen lassen und können die Beiträge der Studierenden nicht richtig einordnen oder, falls erst einmal Schweigen herrscht, nichts aus den Studierenden herauskitzeln.

Begonnen habe ich die Einheit mit der oben erwähnten Einstiegsfrage: „Zu welchem Zweck nutzen Sie Hashtags in sozialen Netzwerken, zum Beispiel bei Instagram?“ Dieser Zugang schien mir besser als die direkte Frage nach dem Vergleich der beiden Communities. Über die Funktionen kommend lässt sich der Rest gut auffächern.

Eine zweite kleine Vorwarnung:Es könnte sein, dass erst einmal große Verwunderung und Verwirrung bei den Studierenden herrscht. Da stellt jemand, der uralt ist und technisch gesehen aus der Steinzeit kommen muss, eine solche Frage! Es erschließt sich ja nicht gleich, worauf das alles hinauslaufen soll.

Als der erste Schock überwunden war, haben wir begonnen die Funktionen von Hashtags zu sammeln. Ich empfehle, das direkt in die Kategorie „Schreiben“ und „Suche nach Inhalten“ zu trennen. Währenddessen kommen wahrscheinlich noch die anderen, oben dargestellten Interaktionsmöglichkeiten wie Folgen und Kommentieren auf. Damit lässt sich später die Gemeinsamkeiten der beiden Communities darstellen. Es wird sich zwangsläufig von selbst zeigen, dass Zitieren-Müssen nicht eine Schikane der Lehrenden ist, sondern eben eine Art Verständigungsmodus im Wissenschaftssystem.

Anschließend sind die Grenzen dieser Übertragung gemeinsam herauszuarbeiten.

Selbstverständlich werden Sie das gewünschte Aha-Erlebnis bei den Studierenden nicht immer direkt beobachten können. Es würde mich aber nicht wundern, wenn Sätze fallen wie „So habe ich das noch nie gesehen!“ oder „Jetzt ergibt das alles viel mehr Sinn mit dem Zitieren“.

Positiv fand ich in dieser Vorlesung übrigens die rege Beteiligung von ansonsten eher desinteressiert scheinenden Studierenden. Beim Thema Social Media konnten sie mit Wissen glänzen und sich mit ihren Erfahrungen einbringen.

 

Halten Sie diesen Ansatz für nachahmenswert? Oder denken Sie eher „Es ist nicht alles ein Vergleich, was hinkt“?

#zitieren

Teil 1 von 2


Warum haben viele Studierende solche Probleme mit dem Zitieren? Es wäre sicher erhellend, die Ursachen für überzitierte, unterzitierte und fehlerhaft zitierte Arbeiten zu ergründen. Sicher haben Sie auch schon mehr als einmal über diese Frage nachgedacht.

Aber wechseln wir doch einmal die Perspektive und fragen uns:

Wie können wir den Studierenden besser verdeutlichen, worin der eigentliche Sinn und Zweck des Zitierens liegt?

Die wenigsten von uns werden in ihren Lehrveranstaltungen das Zitieren als reine Pflicht beim Anfertigen einer wissenschaftlichen Arbeit oder gar als lästiges Übel darstellen. Ich nehme vielmehr an, dass an dieser Stelle eher die Rede ist von der „Scientific Community“ (oder Wissenschafts- oder Diskursgemeinschaft). Doch darunter können sich leider die wenigsten Studierenden wirklich etwas vorstellen.

Bruffees Metapher der Konversation, nach der Wissenschaftler in einen lang andauernden schriftlichen Dialog miteinander treten, halte ich für sehr zutreffend und anschaulich. Aber gilt das auch für die Studierenden? Ich habe den Eindruck, dass das für sie nicht recht greifbar ist.

Es fehlt ein Aha-Erlebnis.

Zwei Communities im Vergleich

Vor einigen Wochen habe ich daher in der Lehrveranstaltung probeweise einen neuen Ansatz gewählt. Ich habe die Scientific Community mit einer anderen Community verglichen, und zwar aus dem Bereich Social Media. Meine Wahl fiel auf Instagram. Die meisten Studierenden kennen Instagram und nutzen es aktiv.

Der Vergleich liegt nahe, und ich wundere mich, dass ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin. Denn das Soziale, die Gemeinschaft, steckt ja jeweils schon in der Bezeichnung ‚community‘. Zusätzlich ist wissenschaftliches Wissen in dem Sinn sozial, dass es geteilt wird und offen für Kritik und Bewertung ist.

Instagram ist ein soziales Netzwerk, in dem Beiträge in Form von Fotos und kurzen Videos eingestellt werden. Entweder geschieht dies in einem privaten Account, den nur ausgewählte Nutzer sehen können, oder in einem öffentlichen Account, dessen Inhalte jeder betrachten kann. Das Prinzip bleibt jedoch das gleiche: Durch das Vergeben von so genannten Hashtags (Schlagwörtern mit einer vorangestellten Raute) werden die Inhalte für andere Nutzer sichtbar und auffindbar. Sie sind also mehr als nur einfache, den Inhalt beschreibende Schlagwörter, wie sie beispielsweise unter einem Abstract verwendet werden. Sie sind Ordnungssystem und Zugriffsmöglichkeit zugleich, ähnlich der Schlagwortsuche in einem Bibliothekskatalog, nur viel dynamischer, da die Nutzer selbst die Hashtags für ihre Beiträge vergeben und dabei auch eigene Hashtags erfinden können.

In anderen Worten:

Instagram ist eine dynamische, virtuelle Gemeinschaft von lose verbundenen Personen, die sich über gemeinsame Interessen finden und gegenseitig die veröffentlichten Inhalte zu Kenntnis nehmen, beurteilen, kommentieren und weiterleiten. Im weitesten Sinne stellt das eine Diskursgemeinschaft dar. Der Begriff ‚community‘ ist dafür gängig, sowohl für die Gesamtheit aller Instagram-Nutzer als auch für die einzelnen Communities, die sich um bestimmte Interessen bilden bzw. aktiv gebildet werden (beim so genannten Community Building professioneller Nutzer).

Teilweise handelt es sich in diesem Netzwerk um einander komplett fremde Personen, teilweise um Personen, die sich bereits aus anderen Kontexten kennen und eventuell engen Kontakt miteinander pflegen. Die Nutzer müssen sich also nicht persönlich kennen, um zu interagieren. Sie müssen dafür noch nicht einmal „befreundet“ sein wie bei facebook.

Welche Interaktionsmöglichkeiten gibt es bei Instagram?

  • „Gefällt mir“ (Kennzeichnen eines Posts als „interessant“)
  • „Folgen“ (Abonnieren eines Accounts, so dass man neue Posts automatisch angezeigt bekommt)
  • „Senden an“ (Weiterleiten von fremden Posts an vermutlich ebenfalls interessierte Personen; die Quelle wird dabei automatisch übermittelt)
  • Kommentieren (die Möglichkeit, dem User einen Kommentar über sein Bild oder Video zu hinterlassen) – eine wichtige Art der Interaktion, die Social Media Manager auch in Kennzahlen erfassen, um zu messen, wie stark eine bestimmte Community ist.

Die eigene Sichtbarkeit innerhalb dieses sozialen Netzwerks hängt stark von der Verwendung der geeigneten Hashtags ab. Sie dürfen einerseits nicht zu allgemein sein (sonst geht der Beitrag in der Vielzahl ähnlicher Beiträge unter), andererseits auch nicht zu speziell (dann sucht niemand nach diesem Schlagwort).

Sinn und Zweck von Hashtags in sozialen Netzwerken

Hashtags werden mit verschiedenen inhaltlichen Intentionen genutzt, nämlich

  • zur Identifizierung des Inhalts (Thema, Motiv)
  • zur Beschreibung des Inhalts und zum Herausstellen besonderer Merkmale (Eigenschaften, Ort, Aktivitäten, Emotionen)
  • zum Einordnen des Inhalts, also um dem Post einen Kontext geben oder
  • zum Ansprechen eines bestimmten Publikums, das ähnliche Interessen verfolgt.

Beispiel: Ein Post mit einem Foto von einer Bergwanderung

  • Thema, also das Motiv des Bildes: ein bestimmter Gipfel, z.B. die #latemarspitze
  • Beschreibung und besondere Merkmale: #dolomiten #beautifulnature
  • Kontext: #hiking
  • Publikum: #igersdolomiti (also Instagrammer aus dem Dolomiten-Gebiet)

Die aufgezählten Aspekte sind sicher nicht überschneidungsfrei und eindeutig. Es handelt sich nur um einen ersten Versuch einer Differenzierung (inspiriert von Luca Hammers lesenswertem Blogpost).

Mit jedem einzelnen der Hashtags werden unterschiedliche Interessensgruppen angesprochen. Es kann also sein, dass jemand auf den Beitrag aufmerksam wird, der sich generell für #hiking interessiert, nicht aber speziell für #dolomiten oder gar die #latemarspitze. Einer der #igersdolomiti wiederum ist vielleicht passionierter Skifahrer und kann sich überhaupt nicht für #hiking begeistern, dafür aber umso mehr für #beautifulnature aus seiner Heimat. So werden letztlich auch verschiedene Communities, zumindest temporär, zusammengeführt. Bei bis zu 30 zu vergebenden Hashtags pro Post stehen den Usern hier viele Möglichkeiten der Vernetzung offen.

Zwei spezielle Phänomene sollten in dem Zusammenhang noch erwähnt werden, #likeforlike und #followforfollow. Das bezeichnet ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Interaktionsverhalten mit dem Ziel, die Reichweite zu steigern: Wer mir ein „Like“ gibt, bekommt eins zurück. Wer mir folgt, dem folge ich auch. Das erhöht für beide Beteiligten die Sichtbarkeit und Bekanntheit. Was eine auf diese Art aufgebaute Reichweite wert ist, sei einmal dahingestellt.

#transfer #wissenschaftlichesarbeiten

So, was hat das nun alles mit dem Zitieren zu tun? Der eine oder andere Aspekt der Beschreibung hat Sie als Lehrende und Wissenschaftler wahrscheinlich bereits beim Lesen an die Scientific Community erinnert.

Aber schauen wir doch zuerst einmal, was die Studierenden aus dem Thema gemacht haben. In der besagten Lehrveranstaltung habe ich zu Beginn gefragt:

„Zu welchem Zweck nutzen Sie Hashtags in sozialen Netzwerken, zum Beispiel bei Instagram?“

Die häufigsten Antworten der Studierenden auf diese Frage habe ich für Sie hier in zwei Kategorien aufgelistet:

Beim Schreiben (= Posten)

  • „um mich mit Anderen zu vernetzen“
  • „um herauszustellen, was ich mag“
  • „um mehrere Ideen zu verknüpfen“
  • „damit mein Beitrag cooler aussieht“

Bei der Suche nach Inhalten:

  • „um herauszufinden, was beliebt ist“ (trendige Hashtags)
  • „um herauszufinden, wer beliebt ist“ (angesagte Personen bzw. Accounts)

 


In Teil 2 dieses Beitrags geht es um die konkrete Übertragung und deren Grenzen sowie einige didaktische Hinweise.

„Schreibvermittlung ist eine Gemeinschaftsaufgabe“ – ein Interview mit Swantje Lahm

Mit „Schreiben in der Lehre“ ist kürzlich ein Buch mit vielen Anregungen für eine schreib-intensive Lehre erschienen. Das habe ich zum Anlass genommen, ein ausführliches Interview mit dessen Autorin Swantje Lahm zu führen.

Wie kamen Sie ursprünglich darauf, sich beruflich mit Schreiben und Schreibberatung zu befassen? Gab es einen konkreten Auslöser dafür?

Ja, es gab einen konkreten Auslöser, sogar eine Krise. Ich hatte direkt nach meinem Studium ein Promotionsprojekt angefangen, aber die Forschungsgruppe, in der ich arbeiten wollte, kam nicht zustande. Ich wollte aber unbedingt im Team arbeiten und so stellte sich die Frage: Wenn keine Promotion, was dann?

Ich war nach wie vor sehr an Wissenschaft interessiert. In einem Praktikum im Bielefelder Schreiblabor konnte ich mich aus einer anderen Perspektive mit Wissenschaft befassen – mit den Prozessen der Ideen- und Erkenntnisgenerierung durch Schreiben. Das hat mich sofort angesprochen.

Sie arbeiten seit 2002 im Schreiblabor an der Universität Bielefeld. Was hat sich in dieser langen Zeit geändert? Merken Sie einen Wandel bei den Studierenden? Bei den Lehrenden? Ist die Arbeit für Sie leichter oder schwieriger geworden?

Einrichtungen wie das Schreiblabor werden immer mehr als zur Infrastruktur einer Universität zugehörig betrachtet. So wie niemand daran zweifelt, dass eine Universität eine Bibliothek braucht. Nur noch wenige glauben, wir wären nur dazu da, um leistungschwächere Studierende zu unterstützen – besonders seit wir mit einem Team von Kolleg/innen zusammen arbeiten, die Lehrende in den Fächern sind.

Ob Studierende sich verändert haben, ist schwierig zu sagen. Eine Professorin in der Soziologie sagt immer, man bekommt die Studierenden, die man sich durch die Rahmenbedingungen und Curricula schafft, d.h. wenn alles darauf ausgerichtet ist, dass Studierende in kurzer Zeit möglichst viele Punkte sammeln sollen und jede Leistung darüber hinaus noch benotet wird, darf man sich nicht wundern, wenn vor allem eine extrinsische Motivation greift.

Wir erleben aber gerade im Schreiblabor, dass Lehrende und Studierende beide gleichermaßen unter solchen Bedingungen leiden. Und wer würde behaupten, dass früher alles besser war? Als Andrea Frank das Schreiblabor 1993 gegründet hat war die explizite Vermittlung des Schreibens an Hochschulen noch etwas Exotisches und viele Studierende haben sich in überfordernde Projekte verstrickt, weil ihnen Deadlines, Betreuung – kurz: Struktur – fehlte. Einen gute Balance zwischen Freiheit und Struktur zu finden, ist eine fortlaufende Aufgabe.

Sie haben sich zum Coach ausbilden lassen. Welche Vorteile ziehen Sie daraus? Und: Sollte jeder Schreibberater eine Coaching-Ausbildung haben?

Ich verstehe Coaching als die prozessorientierte Begleitung von Menschen in professionellen Kontexten. Für die Schreibberatung und auch die Arbeit mit Lehrenden ist die Ausbildung als Coach aus folgenden Gründen für mich sehr wichtig:

  1. Ich kenne meine eigenen Schwächen und Vorannahmen, d.h. ich laufe weniger Gefahr, meine Themen auf mein Gegenüber zu projizieren.
  2. Ich weiß, wo Schreibberatung endet und psychosoziale Beratung anfängt. In der konkreten Situation ist das ja nicht immer sofort klar zu erkennen. Jemand, der mit seinem Schreibprojekt nicht weiterkommt, kann sehr verzweifelt sein und z.B. eine depressive Symptomatik entwickeln. Für mich ist entscheidend, darauf zu achten, ob sich die Symptome verändern, sobald wir in die Schreibberatung einsteigen und ob die Person in der Lage ist, die von mir angebotene Unterstützung produktiv zu nutzen. Wenn ich merke, dass die Schreibberatung nicht greift, würde ich an unsere Kolleg/innen in der Zentralen Studienberatung verweisen.
  3. Haltung ist wichtig. Im Kontakt mit Lehrenden versuche ich, ihre Situation und die Eigenlogiken ihres Handelns nachzuvollziehen. Das bewahrt mich davor, im Hinblick auf das Schreiben missionarisch zu werden. Ich gehe immer erstmal davon aus, dass ich keine Ahnung davon habe, was für jemand anderen richtig und hilfreich ist.
  4. Schließlich hat die Ausbildung mein Verständnis für Veränderungsprozesse geschärft und mich Methoden gelehrt, sie zu gestalten. Für mich ist das Arbeiten mit analogen Methoden, also allem was man haptisch im Raum nutzen kann (Figuren, Karten etc.), wichtig – gerade auch in der Schreibberatung, wo es hilfreich sein kann, Gedanken wirklich ‚greif-bar‘ zu machen.

Wie viel Kontakt haben Sie mittlerweile in einer normalen Arbeitswoche noch mit Studierenden? Wenn ich das richtig sehe, besteht Ihre Tätigkeit mittlerweile auch aus vielen anderen Projekten.

Es stimmt: der Fokus meiner Tätigkeit liegt auf der Arbeit mit Lehrenden. Wir haben es uns im Team aber zur Regel gemacht, dass wir mindestens alle zwei Semester selbst eine Veranstaltung geben. Dadurch habe ich regelmässig Kontakt zu Studierenden.

Die Schreibberatung für Studierende wird mittlerweile zu fast 100% von Studierenden der studentischen Schreibberatung skript.um durchgeführt. Mit diesen Studierenden stehen wir Mitarbeiterinnen des Schreiblabors im engen Austausch. Und ich höre natürlich viel von den anderen Lehrenden. Ich hoffe, dass ich also ingesamt noch ganz gut dran bin, an der Lebens- und Schreibwelt von Studierenden.

Das Buch „Schreiben in der Lehre“: Man spürt beim Lesen des Buches, wie wichtig Ihnen das Thema Schreiben ist. Wieso ist es Ihnen ein solches Anliegen?

Ich glaube, weil das Schreiben im besten Sinne ein Prozess der Individuation ist. Also ein Prozess, in dem man sich selbst (er)findet, aber im Kontakt mit anderen. Der extreme Pendelschlag zwischen auf sich selbst zurückgeworfen sein und gleichzeitig dabei doch permanent auch auf andere bezogen sein fasziniert mich. Deshalb ist mir die Gesprächsmetapher in dem Buch auch so wichtig.

Darüber hinaus bin ich fasziniert von den Wegen, die das Schreiben eröffnet. So habe ich zum Beispiel im Jahr 2007 Keith Hjortshoj an der Cornell University in den USA einen Brief geschrieben, weil ich sein Buch „The Transition to College Writing“ so großartig fand. Darüber kam ein Email-Austausch zustande, der mich dann 2008 für einen Monat an das Knight-Institute-for-Writing-in-the-Disciplines nach Cornell geführt hat. Das hatte dann wiederum viele weitere Auswirkungen, eine davon ist das Buch „Schreiben in der Lehre“. Aber alles begann mit diesem Brief. Das ist also das, was mich begeistert, dass man durch Schreiben in der Welt handeln und etwas bewirken kann.

Sie waren immer wieder in den Vereinigten Staaten. Das hat Sie in Ihrer Arbeit sehr geprägt. Wie stark schätzen Sie selbst den amerikanischen Einfluss auf Ihre Gedanken ein? Und wo wären Sie heute ohne die USA-Aufenthalte?

Sicherlich gäbe es das Buch „Schreiben in der Lehre“ ohne die USA-Aufenthalte nicht. Das heißt nicht, dass für mich die USA das geheiligte Land sind und alles dort nur wunderbar ist. Aber durch eine spezifisch historische Konstellation, ist Schreiben an amerikanischen Universitäten bereits im 19. Jahrhundert gelehrt worden und das hat dazu geführt, dass es bereits sehr früh einen expliziten Diskurs über Formen, Ansätze und Methoden gab. Dieser Diskurs fehlte in Deutschland bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhundert vollkommen.

Wenn man sich also für die Vermittlung des Schreibens an Hochschulen interessiert, kommt man um die USA eigentlich nicht drumherum. Es ist spannend, in die dortigen Debatten einzutauchen und schnell wird deutlich: es gibt natürlich nicht einen Weg, das Schreiben zu lehren, es ist ein umstrittenes und vieldiskutiertes Thema, wie am besten vorzugehen ist. Wir Europäer sind seit vielen Jahren auf der EATAW (European Association for the Teaching of Academic Writing) mit amerikanischen Kolleg/innen im Austausch und durch diesen Austausch und natürlich der ganz konkreten praktischen Arbeit bin ich nach und nach zu einer Einschätzung gekommen, was in unserem Kontext funktionieren könnte. Aber ich lade ja mit dem Buch auch weiterhin zum Experimentieren ein. Es enhält weniger Rezepte als Versuchsanleitungen. Von meinen USA Aufenthalten habe ich vor allem die Gewissheit mitgenommen, dass schon viele, viele Lehrende sich darauf eingelassen haben, mit dem Schreiben in der Lehre neue Wege zu gehen und davon profitiert haben.

Was von den amerikanischen Konzepten ist übertragbar, was nicht?

Ich würde sagen, Grundideen und Haltungen sind übertragbar. So zum Beispiel die Idee, dass Schreiben nicht jenseits der regulären Lehre in Extra-Kursen gelehrt werden sollte, sondern als integraler Bestandteil der fachlichen Auseinandersetzung. Oder das Verständnis, dass Schreiben ein Prozess ist und gute Texte nicht aus einem Geniestreich heraus enstehen, sondern das Ergbnis von handwerklichen Tätigkeiten sind, die man erlernen kann. Wie ich bereits gesagt habe, ich finde es eigentlich das wichtigste, das mal live zu erleben. Wie sieht es aus, wenn diese Ideen und Überzeugungen gelebt werden?

Der Rest ist dann Handwerkzeug und kontextsensible Umsetzung. Hier spielt die Taktung der Seminarsitzungen sicherlich eine Rolle. Wenn in den USA Studierende wöchentlich mehrere Sitzungen mit einem Lehrenden verbringen, bringt das bestimmte Möglichkeiten für regelmässige Schreibaufgaben mit sich. Aber auch in unserem Ein-Wochen-Rhythmus können Schreibaufgaben von einer Sitzung zur anderen gestellt werden. Von all den Konzepten, die ich kennen gelernt habe, fällt mir keines ein, das in unserem Kontext in keinem Fall machbar wäre. Natürlich sind dabei Anpassungen immer notwendig.

Das Lesen als Teil des wissenschaftlichen Arbeitens rückt seit einigen Jahren stärker in den Fokus, auch in Ihrem Buch. Wieso?

Vermutlich habe ich als jemand, der die Vermittlung des Schreibens immer vom Schreibprozess her gedacht hat, eine etwas andere Wahrnehmung. Für das Schreiblabor hat Lesen immer schon unbedingt dazu gehört. Eine der wichtigsten und ältesten Übungen aus dem Repertoire des Schreiblabors stammt von Gabriela Ruhmann und heißt „Aus alt mach neu“ und thematisiert den Übergang vom Lesen zum Schreiben des eigenen Textes.

Sie haben viele Fachkulturen kennengelernt durch Ihr Studium, durch die Tätigkeit in den verschiedenen Projekten und als Reihenherausgeberin. Was war in all den Jahren die überraschendste Erkenntnis in Hinblick auf die unterschiedlichen Fachkulturen?

Überrascht hat mich, dass viele Naturwissenschaftler/innen, das was sie vor dem Aufschreiben des eigentlichen Textes verfasst haben, nicht als Schreiben bezeichnen würden, obwohl ohne Zweifel viel geschrieben wird, wie z.B. die Laborprotokolle in der Biologie oder der Chemie.

Was ist Ihrer Meinung nach das Verbindende zwischen den Fachkulturen? Oder ist das so wenig, dass Wissenschaftliches Arbeiten zwangsläufig fachspezifisch gelehrt werden muss?

Verbindend ist, dass man sich für das Schreiben in jeder Disziplin auf einen ergebnisoffenen Prozess einlassen muss, d.h. man weiß am Ende noch nicht, was dabei heraus kommen wird. Die Tätigkeiten im einzelnen sind fachspezifisch, z.B. die Art und Weise, wie mit wissenschaftlicher Literatur gearbeitet wird. Ich halte eine fachübergreifend arbeitende Schreibdidaktik für sinnvoll und zwar dann, wenn sie sich auf die Schreibprozesse konzentriert.

Wie kann es noch besser und über die Universität Bielefeld hinaus gelingen, die Fachlehrenden für die Bedeutung des Wissenschaftlichen Arbeitens zu sensibilisieren? Wer sollte das tun, und wie?

Ich gehe davon aus, dass Lehrende sich weitgehend einig sind über die große Bedeutung des wissenschaftlichen Arbeitens. Die Meinungen gehen allerdings dahingehend auseinander, wer, wo, an welcher Stelle im Studium für die Vermittlung zuständig ist. Manchmal wird hier gerne der schwarze Peter immer an die nächste Stelle weiter gereichtet: Betreuer von Abschlussarbeiten beklagen, dass die Fähigkeiten nicht bereits im ersten Semester erworben wurden, die Lehrenden der Grundlagenveranstaltungen beschweren sich über das Niveau, mit dem Schüler/innen aus der Schule entlassen werden usw.

Es wäre wichtig, den Mythos, dass es eine Instanz und einen Ort geben könne, an dem Studierende das Schreiben erlernen, aufzugeben. Schreibvermittlung ist eine Gemeinschaftsaufgabe und gelingt am besten in der Zusammenarbeit von Lehrenden in den jeweiligen Fachbereichen und auch in der Zusammenarbeit mit Schreibzentren. Schreiben muss im ganzen Studium stattfinden – mit entsprechender Rückmeldung auf Texte und Gelegenheiten zum Austausch.

Ich versuche in Gesprächen mit Lehrenden deutlich zu machen, dass sie ihre Fachlehre nicht verlassen, wenn sie das Schreiben explizit zum Thema machen, sondern sich im Gegenteil genuin mit dem Fach beschäftigen, nämlich die Art und Weise, wie dort Erkenntnisse generiert werden. Das ist für viele überzeugend.

Über diese individuelle Ebene hinaus, halte ich es hochschulpolitisch momentan für besonders wichtig, sich über die Schreibinitativen Gedanken zu machen, die im Zuge des „Qualitätspakt Lehre“ an vielen Hochschulen in Deutschland entstanden sind. Viele dieser Projekte sind mittlerweile in der zweiten Förderphase, die 2020 ausläuft. Hier müssten dringend Wege zur Verstetigung gefunden werden, weil sonst kostbar erworbenes Erfahrungswissen verloren geht.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Vorbehalte der Lehrenden gegenüber „Schreiben in der Lehre“?

Einige Lehrende fürchten, dass ihnen noch etwas Zusätzliches, Fachfremdes aufgezwungen wird. Ich kann das gut nachvollziehen. Lehrende sind seit Jahren in Reformprozesse involviert – wer begibt sich schon gerne erzwungenermaßen in Veränderung? Hinzu kommt, dass Lehrende in der Regel ja selbst in ihrem Studium erfolgreich Schreibende waren und deshalb erschließt sich nicht jedem, warum eine Veränderung überhaupt notwendig ist.

Wie können Lehrende das Schreiben in die Lehre integrieren, wenn das Lehrformat nicht passt? In Blockseminaren stelle ich es mir beispielsweise schwierig vor, mehr als nur einfache Minutenpapiere zu nutzen.

Ich würde empfehlen, weniger von den Formaten auszugehen, sondern von den Zielen. Was sollen die Studierenden am Ende der Veranstaltung wissen und können? Und wie könnte das Schreiben dabei helfen? Es muss ja nicht um jeden Preis geschrieben werden. In den USA gab es an der Miami University vor einigen Jahren eine Initiative „Less is more“, d.h. es wurde hier sogar empfohlen, die Menge der Schreibaufgaben zugunsten einiger, weniger aber lernträchtiger Aufgaben zu reduzieren.

Das Wichtigste ist also, sich genau zu überlegen, warum man mit welchem Ziel was schreiben lässt. Mit Blockveranstaltungen habe ich gute Erfahrungen, weil Studierenden zu den Sitzungen umfangreichere Texte einreichen können und man dann auch ausreichend Zeit hat, um sich mit ihnen auseinander zu setzen.

Wenn die Fach-Lehrenden den Ansatz des Schreibens in der Lehre übernehmen, haben sich dann die Schreibberater nicht selbst abgeschafft?

Ich hatte ja bereits den Mythos erwähnt, die Fiktion, dass Schreiben an einer Stelle im Studium von einer Instanz vermittelt wird. Lehrende und Schreibberater/innen haben jeweils eigene Möglichkeiten und im besten Fall ergänzen sich die Angebote. Wir sind in Bielefeld tatsächlich mit dem Anspruch angetreten, uns im Laufe der Jahre überflüssig zu machen. Das war eine etwas vereinfachte Vorstellung.

Was tatsächlich passiert, ist Ausdifferenzierung: Schreibberater/innen sind für mich Schreibprozessexpert/innen mit eigener Beratungsexpertise. Studierende sind in punkto Bewertung und Noten von ihnen nicht abhängig, daher ist die Beratung gerade in persönlich schwierigen Situationen hilfreich. In der Zusammenarbeit mit Lehrenden bringen die Berater/innen eine überfachliche Perspektive mit ein. Sie rezipieren aktuelle Forschung und pflegen den Austausch mit Kolleg/innen – sind also eine Art „Think Tank“ für Themen rund um das Schreiben. Es ist Sache der Universitäten zu entscheiden, ob sie diese Art von Arbeit als Luxus oder als selbstverständlichen Teil ihrer Infrastruktur betrachten.

Wenn Sie einem Studierenden nur einen einzigen Ratgeber zum Wissenschaftlichen Arbeiten empfehlen dürften, welcher wäre es?

Meine Empfehlung ist, sich mehrere Ratgeber zur Hand zu nehmen, es gibt inzwischen ja unglaublich viele, ein bisschen darin zu lesen und dann zu schauen, wie man sich angesprochen fühlt. Ein guter Ratgeber ist ein Herz- und Hosentaschenbuch, eine Vade mecum, das man immer mich sich herumschleppen möchte. Ein Buch, das sich so anfühlt, als sei es genau für einen selbst geschrieben. Und dann damit arbeiten. Ausprobieren, was empfohlen wird. Schreiben!

Welche Projekte stehen bei Ihnen als nächstes an? Oder ist jetzt nach der Fertigstellung des Buches erst einmal eine kreative Pause angesagt?

Mal schauen, was kommt. In jedem Fall werde ich weiterhin Herausgeberin der Reihe „Schreiben im Studium“ sein. Hier sind einige Bände in Arbeit. Als nächster Band erscheint ein Ratgeber zum „Zusammen schreiben“. Darauf freue ich mich sehr.

Swantje Lahm

Swantje Lahm MA

Swantje Lahm arbeitet seit 2002 im Schreiblabor der Universität Bielefeld. Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist derzeit die Zusammenarbeit mit Lehrenden. Ihr Motto ist: „Schreiben ist Planung. Schreiben ist Improvisation.“ Zwischen diesen beiden Polen bewegt sie sich auch selbst – lehrend und schreibend. Hilfreich für die Arbeit mit Schreibenden, Forschenden und Lehrenden aus unterschiedlichen Disziplinen ist der Blick auf Texte und Prozesse, den sie im Laufe ihres Studiums (Geschichte, Soziologie, Osteuropäische Studien) entwickelt hat. Jüngste Publikation: Schreiben in der Lehre. Handwerkszeug für Lehrende. Verlag Barbara Budrich (2016).

 

Ergänzung vom 16. Dezember 2016

An der TU Dresden entsteht ein Schreibzentrum. Aus diesem Anlass ist eine gekürzte Version des Interviews im dortigen Universitätsjournal erschienen (S. 3).