Ich war keine gute Dozentin.
Diesen Satz über mich zu schreiben, tut mir nicht einmal weh. Die meisten Dozierenden haben wohl so anfangen, wie ich es gleich schildern werde. Ich hoffe (und ich denke, dass diese Hoffnung begründet und berechtigt ist), dass dieser Umstand sich im Lauf der Zeit zum Besseren ändern wird, weil die Dozierenden sich besser auf die Aufgabe des Lehrens vorbereiten bzw. vorbereitet werden. Aber das ist ein anderes Thema.
Dieser Satz, wenn er da oben so steht, impliziert natürlich, dass ich mich jetzt für eine gute Dozentin halte. Das ist manchmal wahr und manchmal nicht. Nehmen Sie das also bitte nicht zu ernst, sondern schauen mit mir auf die Dinge, die ich im Laufe der Jahre hinter mir gelassen habe.
Was hat sich gewandelt? (Eigentlich sollte ich lieber schreiben: „Wie habe ich mich gewandelt?“)
Der Fokus
Mein Fokus lag früher eindeutig auf den Inhalten: Was will ich vermitteln? Was muss ich „durchnehmen“? Welche Themenbereiche sind wichtiger als andere? Natürlich sind das heute immer noch interessante Fragen, auch wenn ich sie nicht mehr so formulieren würde.
Ein kleiner Einschub: Dem Zeitgeist entsprechend könnte ich selbstverständlich all die schönen Inhalte als zu erlangende Kompetenzen fassen. Was sollen die Studierenden tun können, wenn sie die Lehrveranstaltung abgeschlossen haben? Das jedoch geht an meinem Punkt vorbei.
Wo liegt mein Fokus heute?
Heute interessieren mich die Studierenden mehr als Inhalte und Kompetenzen. Ich will wissen, was die Studierenden bereits wissen und was sie noch wissen wollen. Worauf sind sie neugierig? Was würden sie gern tun, aber es gelingt ihnen noch nicht?
Sie können sich vorstellen, dass die Antwort auf diese Fragen jedes Mal anders ausfällt. Jeder Kurs unterscheidet sich von dem vorhergehenden, und daher gleichen sich die Veranstaltungen allenfalls in den Grundzügen.
Wie läuft es also ab in der Lehre? Wir fügen gemeinsam zusammen, was nötig ist. Wir sehen uns Inhalte an, greifen uns Nützliches heraus und verwerfen Unsinniges (diese Entscheidungen fallen individuell unterschiedlich aus). Dabei behalte ich das große Ganze im Blick, denn ich habe einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung. Ich werfe ein und ich gebe zu bedenken. Ich ermutige, wo es mir sinnvoll erscheint. (Agile Hochschuldidaktik)
Manchmal bin ich so frei und setze Inhalte auf die Agenda, die niemand aus dem Kurs von sich aus hinzugefügt hätte und die anfangs oft sogar abgelehnt werden (Stichwort Wissenschaftstheorie). Der Unterschied zwischen dem Vorsetzen von Inhalten und dem wohlmeinenden Ergänzen ist meist hauchdünn. Ich handele jedes Mal aufs Neue mit mir selbst aus, ob ich das darf oder nicht. Ob ich es soll oder sogar muss. (Kann ich das?) Aber es ist nicht a priori klar, dass ich das tun werde. Vielleicht ist das der Unterschied.
Das Verständnis von Führung
Schlechte Lehre führt nicht. Erstens führt schlechte Lehre (was auch immer das konkret sei) nirgendwo hin – weder zum Lernen noch zur Zufriedenheit der Beteiligten. Aber das meine ich nicht. Ich meine zweitens: Schlechte Lehre vernachlässigt den Führungsanteil, den sie innehat.
Gerade habe ich dargelegt, dass ich als „prima inter pares“ mit den Studierenden die Lehre gestalte. Im Sinne klassischer Führung müsste ich mir nun widersprechen, wenn ich fordere, dass die Lehrperson eine Führungsrolle einnimmt. Denn dann müsste sie Ziele definieren und den Weg vorzeichnen.
Mein Verständnis von Führung ist partizipativer, offener, meinetwegen auch agiler. Auf jeden Fall denke ich ganz bescheiden, dass nicht kraft Amtes von Vorneherein immer alle Entscheidungen für alle Anwesenden treffen sollte.
Grenzen wären beispielsweise dort erreicht, wo wir als Gruppe den Bereich der vorgesehenen Inhalte weit hinter uns lassen würden. Wenn X getan werden soll, dann verwenden wir nicht 100 Prozent unserer Zeit für Y, auch wenn das die Mehrheit der Studierenden vielleicht sinnvoll fände. Darauf muss ich achten, da bin ich streng, um im Sinn der Hochschule zu handeln.
Enger Blick auf die Konventionen
Anfangs brachte ich wenig Toleranz für andere Konventionen des wissenschaftlichen Arbeitens mit. So, wie ich es gelernt hatte, so sollte es sein. Dabei kam mir zugute, dass ich es gleich viermal gelernt hatte. Studiert habe ich ein Hauptfach und zwei Nebenfächer (Anglistik, Politikwissenschaft und Psychologie), promoviert habe ich in der Betriebswirtschaftslehre. Der enge Blick war also gar nicht so eng. Dennoch gab es genügend Punkte, in denen ich eine sehr eindeutige Meinung vertreten habe (z. B. zur Verwendung des Wortes „Ich“), ohne mich kundig zu machen. Das finde ich im Nachhinein schade, denn es wird dem wissenschaftlichen Arbeiten nicht gerecht.
Wo könnte es sich lohnen, näher hinzusehen? Welche Punkte setzen Sie voraus, die vielleicht an anderer Stelle heftig diskutiert werden? Dazu drei Beispiele für solche blinden Flecken:
- Halten Sie Lehrbücher für zitierwürdig? Wenn ja, bis in welches Semester?
- Ist eine Danksagung in einer Abschlussarbeit ok?
- Soll der Aufbau einer Arbeit in einem der ersten Kapitel erläutert werden?
(Weitere Aspekte finden Sie im Ratgeber für Erstlehrende: Klein/Miljkovic 2019, Mein Start in die Hochschullehre, Bern: Haupt/UTB; Kapitel 5: „Was ist ‚normal‘ beim wissenschaftlichen Arbeiten?)
Die konkrete Umsetzung in der Lehre
An dieser Stelle erlaube ich mir, einen Aspekt herauszugreifen, um die konkrete Umsetzung zu veranschaulichen. Früher habe ich mit Negativ-Beispielen gearbeitet, beispielsweise im Fall von Zitiertechnik oder Gliederungen. Erstaunlicherweise kommen viele Dozierende, die erstmals eine Lehrveranstaltung zum wissenschaftlichen Arbeiten halten sollen, auf diese Idee. Man nehme ein schlechtes Beispiel und suche gemeinsam mit den Studierenden die Fehler und Unzulänglichkeiten.
Ich teile Ihnen hier und jetzt mit, dass diese Methode schlecht funktioniert. Egal wie Sie es anstellen: Ein guter Teil des Kurses wird hinterher das Falsche für richtig halten und sich nicht so leicht vom Gegenteil überzeugen lassen. Besser hat sich bewährt, mit den Studierenden direkt an einem vorbildlichen Text zu arbeiten und die Studierenden so und durch vertiefendes eigenes Tun an die Konventionen heranzuführen.
Tipps für einen guten Start
Wenn Sie selbst gerade vor dem Beginn Ihrer ersten Lehrveranstaltung zum wissenschaftlichen Arbeiten stehen, möchte ich Ihnen die folgenden Punkte mit auf dem Weg in die Vorbereitung geben:
- Reflektieren Sie Ihren Fokus. Wofür treten Sie vorrangig an: für die Inhalte oder für Personen?
- Reflektieren Sie Ihr Führungsverständnis in Bezug auf die Lehrtätigkeit.
- Lassen Sie gelten, was andernorts gilt.
- Setzen Sie nicht die erstbeste Idee um, die Ihnen gut erscheint, oder seien Sie zumindest bereit, sie im Folgesemester auch wieder über Bord zu werfen.
Zum Weiterlesen:
Ulrike Hanke (2016): „Entscheidungen erleichtern“, Blogartikel abrufbar unter https://hochschuldidaktik-online.de/entscheidungen-erleichtern/
Klein, Andrea/Miljkovic, Natascha (2019): Mein Start in die Hochschullehre. Ratgeber für Erstlehrende, Bern: Haupt/UTB.
Schreiben Sie gern in die Kommentare: Was sehen Sie heute anders als zum Beginn Ihrer Lehrtätigkeit? Und wenn Sie gerade den Einstieg wagen: Welche Gedanken treiben Sie um?