#zitieren (Teil 2)

Teil 2 von 2 zum Thema #zitieren – Was Zitieren und Instagram gemeinsam haben

Hier geht es zu Teil 1.


Fügen wir einmal all das über Instagram Gesagte mit dem wissenschaftlichen Arbeiten zusammen und betrachten den Sinn und Zweck des Zitierens, auch wieder in verschiedene Kategorien aufgeteilt:

„Eigentlicher Sinn“ (beim Schreiben)

  • Quellen von fremdem Wissen angeben (nicht fremdes Wissen als eigenes ausgeben; anerkennen, was jemand anders vor einem erarbeitet hat)
  • Verortung innerhalb der Scientific Community (wem stimme ich zu, wessen Ideen sehe ich als problematisch an, wen erwähne ich überhaupt und wen nicht?), sich mit Ideen verbinden
  • verschiedene Ideen zusammenbringen und verknüpfen, um etwas Neues zu schaffen

„Nebensinn“ (beim Schreiben)

  • „Schmuckzitat“ (zeigen, was und vor allem wie viel man gelesen hat. Das entspricht der Hashtag-Nutzung, die ein Studierender mit „damit es cool aussieht“ bezeichnet hat)
  • „Zitierzirkel“ („Zitierst Du mich, zitier‘ ich Dich“; vergleichbar mit #likeforlike oder #followforfollow)

Bei der Suche nach Inhalten (Recherche)

  • „Weiterleitung“ zu verwandten Inhalten (wie bei der pragmatischen Literatursuche nach dem Schneeball-System)

Die Funktionen von Hashtags erinnern also stark an die Funktionen des Zitierens. Auf die weiteren, bereits genannten Interaktionsmöglichkeiten möchte ich im Folgenden eingehen.

Auch für Scientific Community kann man – wie bei Instagram in Teil 1 – sagen, dass es sich um „eine dynamische, virtuelle Gemeinschaft von lose verbundenen Personen, die sich über gemeinsame Interessen finden und gegenseitig die veröffentlichten Inhalte zu Kenntnis nehmen, beurteilen, kommentieren und weiterleiten“ handelt.

  • Auch hier müssen sich die Nutzer nicht persönlich kennen, um zu interagieren.
  • Das Kennzeichnen eines Posts mit „Gefällt mir“ entspricht im Wissenschaftsbetrieb dem positiven, zustimmenden Zitieren eines Gedanken.
  • Das „Folgen“ ist in der Wissenschaft vergleichbar mit dem Setzen eines Alerts, also einer automatischen Benachrichtigung, wenn zu bestimmten Themen etwas veröffentlicht wird.
  • Das „Senden an“, also das Weiterleiten von Posts an vermutlich ebenfalls interessierte Personen, passiert in der Wissenschaft sowohl eher informell unter Kollegen als auch in Netzwerken wie Mendeley oder Bibsonomy, oder eben durch das Zitieren in einer Veröffentlichung, die dann wiederum von Anderen gelesen wird.
  • Das „Kommentieren“ ist in der Scientific Community gleichzusetzen damit, dass man jemandem öffentlich auf einer Konferenz zustimmt. Letzen Endes geht es um Resonanz: Sind die Inhalte so beschaffen, dass sie Kommentare auslösen?
  • Bei der Suche nach bestimmten Inhalten kommt die Verwendung der Hashtags, wie bereits erwähnt, den Schlagwörtern in den Bibliothekskatalogen sehr nahe.
  • Die Suche nach Referenzautoritäten, also nach denjenigen, die in einem Feld bedeutend sind und beliebte (vielzitierte) Inhalte veröffentlichen, wird in der Wissenschaft beispielsweise durch Google Scholars „cited by“-Funktion, Zitationsindices und den Impact Factor abgebildet.

Grenzen der Übertragung

Ein 1:1-Vergleich zwischen den beiden Communities ist natürlich nicht möglich. Wo aber liegen die Grenzen der Übertragung?

Beim Schreiben

Warum veröffentlicht jemand neue Inhalte? Sehr verkürzt dargestellt, könnte man sagen, dass das Schaffen eines Mehrwerts oder die Selbstinszenierung Motive sein könnten. Beim Posten auf Instagram, so meine These, steht die Inszenierung im Vordergrund und nicht das Ziel, für jemand anders einen Mehrwert zu schaffen. Die Scientific Community kann natürlich nicht für sich beanspruchen, frei von Selbstdarstellern zu sein, ohne den entsprechenden inhaltlichen Mehrwert dürfte es für diese auf Dauer jedoch schwierig werden.

Ernstes Thema: Plagiate. Sollte jemand bei Instagram ein fremdes Bild als eigenes ausgeben, würde dies wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit von den Mitgliedern der Community aufgedeckt, während Plagiate im Wissenschaftsbetrieb mitunter erst nach vergleichsweise langer Zeit nachgewiesen werden, wenn überhaupt. Interessanterweise herrscht bei den Studierenden das stille Einverständnis, dass man bei Instagram „so etwas nicht tut“. Man schmückt sich einfach nicht mit fremden Federn. Wenn die Studierenden diese Erkenntnis aufgrund der Lehrveranstaltung auf das Wissenschaftssystem übertragen, ist schon sehr viel gewonnen.

Bei der Suche nach Inhalten

Beim wissenschaftlichen Arbeiten nimmt die Recherche einen hohen Stellenwert ein. Wer ernsthaft recherchiert, bemüht sich um inhaltliche Ausgewogenheit und um Vollständigkeit. Nicht dass das jemals erreichbar wäre, aber das Bemühen zählt. Es wäre eine schlechte wissenschaftliche Arbeit, wenn Quellen nur einseitig erfasst wären.

Bei Instagram hingegen wird nicht im klassischen Sinn recherchiert. Die User sehen einen sehr geringen Teil aller Beiträge, der außerdem auf ihre Interessen abgestimmt ist. Zudem stehen die aktuellen Beiträge im Vordergrund. Was gestern war, ist weit weg.

Eine Auseinandersetzung mit „Gegenpositionen“ findet bei Instagram nicht statt, das ist nicht der Sinn dieser Community. Hauptsächlich wird dort das sichtbar, was man sowieso mag und gut findet. In der Wissenschaft bedient man sich mitunter gern Zitaten der gegenläufigen Ansicht, um diese dann zu widerlegen.

Didaktische Hinweise für Ihre Lehrveranstaltung

Eine kleine Vorwarnung:Setzen Sie diese Einheit nur um, wenn Sie sich wenigstens ein bisschen in den sozialen Netzwerken auskennen. Sonst müssen Sie sich eventuell ein X für U vormachen lassen und können die Beiträge der Studierenden nicht richtig einordnen oder, falls erst einmal Schweigen herrscht, nichts aus den Studierenden herauskitzeln.

Begonnen habe ich die Einheit mit der oben erwähnten Einstiegsfrage: „Zu welchem Zweck nutzen Sie Hashtags in sozialen Netzwerken, zum Beispiel bei Instagram?“ Dieser Zugang schien mir besser als die direkte Frage nach dem Vergleich der beiden Communities. Über die Funktionen kommend lässt sich der Rest gut auffächern.

Eine zweite kleine Vorwarnung:Es könnte sein, dass erst einmal große Verwunderung und Verwirrung bei den Studierenden herrscht. Da stellt jemand, der uralt ist und technisch gesehen aus der Steinzeit kommen muss, eine solche Frage! Es erschließt sich ja nicht gleich, worauf das alles hinauslaufen soll.

Als der erste Schock überwunden war, haben wir begonnen die Funktionen von Hashtags zu sammeln. Ich empfehle, das direkt in die Kategorie „Schreiben“ und „Suche nach Inhalten“ zu trennen. Währenddessen kommen wahrscheinlich noch die anderen, oben dargestellten Interaktionsmöglichkeiten wie Folgen und Kommentieren auf. Damit lässt sich später die Gemeinsamkeiten der beiden Communities darstellen. Es wird sich zwangsläufig von selbst zeigen, dass Zitieren-Müssen nicht eine Schikane der Lehrenden ist, sondern eben eine Art Verständigungsmodus im Wissenschaftssystem.

Anschließend sind die Grenzen dieser Übertragung gemeinsam herauszuarbeiten.

Selbstverständlich werden Sie das gewünschte Aha-Erlebnis bei den Studierenden nicht immer direkt beobachten können. Es würde mich aber nicht wundern, wenn Sätze fallen wie „So habe ich das noch nie gesehen!“ oder „Jetzt ergibt das alles viel mehr Sinn mit dem Zitieren“.

Positiv fand ich in dieser Vorlesung übrigens die rege Beteiligung von ansonsten eher desinteressiert scheinenden Studierenden. Beim Thema Social Media konnten sie mit Wissen glänzen und sich mit ihren Erfahrungen einbringen.

 

Halten Sie diesen Ansatz für nachahmenswert? Oder denken Sie eher „Es ist nicht alles ein Vergleich, was hinkt“?

#zitieren

Teil 1 von 2


Warum haben viele Studierende solche Probleme mit dem Zitieren? Es wäre sicher erhellend, die Ursachen für überzitierte, unterzitierte und fehlerhaft zitierte Arbeiten zu ergründen. Sicher haben Sie auch schon mehr als einmal über diese Frage nachgedacht.

Aber wechseln wir doch einmal die Perspektive und fragen uns:

Wie können wir den Studierenden besser verdeutlichen, worin der eigentliche Sinn und Zweck des Zitierens liegt?

Die wenigsten von uns werden in ihren Lehrveranstaltungen das Zitieren als reine Pflicht beim Anfertigen einer wissenschaftlichen Arbeit oder gar als lästiges Übel darstellen. Ich nehme vielmehr an, dass an dieser Stelle eher die Rede ist von der „Scientific Community“ (oder Wissenschafts- oder Diskursgemeinschaft). Doch darunter können sich leider die wenigsten Studierenden wirklich etwas vorstellen.

Bruffees Metapher der Konversation, nach der Wissenschaftler in einen lang andauernden schriftlichen Dialog miteinander treten, halte ich für sehr zutreffend und anschaulich. Aber gilt das auch für die Studierenden? Ich habe den Eindruck, dass das für sie nicht recht greifbar ist.

Es fehlt ein Aha-Erlebnis.

Zwei Communities im Vergleich

Vor einigen Wochen habe ich daher in der Lehrveranstaltung probeweise einen neuen Ansatz gewählt. Ich habe die Scientific Community mit einer anderen Community verglichen, und zwar aus dem Bereich Social Media. Meine Wahl fiel auf Instagram. Die meisten Studierenden kennen Instagram und nutzen es aktiv.

Der Vergleich liegt nahe, und ich wundere mich, dass ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin. Denn das Soziale, die Gemeinschaft, steckt ja jeweils schon in der Bezeichnung ‚community‘. Zusätzlich ist wissenschaftliches Wissen in dem Sinn sozial, dass es geteilt wird und offen für Kritik und Bewertung ist.

Instagram ist ein soziales Netzwerk, in dem Beiträge in Form von Fotos und kurzen Videos eingestellt werden. Entweder geschieht dies in einem privaten Account, den nur ausgewählte Nutzer sehen können, oder in einem öffentlichen Account, dessen Inhalte jeder betrachten kann. Das Prinzip bleibt jedoch das gleiche: Durch das Vergeben von so genannten Hashtags (Schlagwörtern mit einer vorangestellten Raute) werden die Inhalte für andere Nutzer sichtbar und auffindbar. Sie sind also mehr als nur einfache, den Inhalt beschreibende Schlagwörter, wie sie beispielsweise unter einem Abstract verwendet werden. Sie sind Ordnungssystem und Zugriffsmöglichkeit zugleich, ähnlich der Schlagwortsuche in einem Bibliothekskatalog, nur viel dynamischer, da die Nutzer selbst die Hashtags für ihre Beiträge vergeben und dabei auch eigene Hashtags erfinden können.

In anderen Worten:

Instagram ist eine dynamische, virtuelle Gemeinschaft von lose verbundenen Personen, die sich über gemeinsame Interessen finden und gegenseitig die veröffentlichten Inhalte zu Kenntnis nehmen, beurteilen, kommentieren und weiterleiten. Im weitesten Sinne stellt das eine Diskursgemeinschaft dar. Der Begriff ‚community‘ ist dafür gängig, sowohl für die Gesamtheit aller Instagram-Nutzer als auch für die einzelnen Communities, die sich um bestimmte Interessen bilden bzw. aktiv gebildet werden (beim so genannten Community Building professioneller Nutzer).

Teilweise handelt es sich in diesem Netzwerk um einander komplett fremde Personen, teilweise um Personen, die sich bereits aus anderen Kontexten kennen und eventuell engen Kontakt miteinander pflegen. Die Nutzer müssen sich also nicht persönlich kennen, um zu interagieren. Sie müssen dafür noch nicht einmal „befreundet“ sein wie bei facebook.

Welche Interaktionsmöglichkeiten gibt es bei Instagram?

  • „Gefällt mir“ (Kennzeichnen eines Posts als „interessant“)
  • „Folgen“ (Abonnieren eines Accounts, so dass man neue Posts automatisch angezeigt bekommt)
  • „Senden an“ (Weiterleiten von fremden Posts an vermutlich ebenfalls interessierte Personen; die Quelle wird dabei automatisch übermittelt)
  • Kommentieren (die Möglichkeit, dem User einen Kommentar über sein Bild oder Video zu hinterlassen) – eine wichtige Art der Interaktion, die Social Media Manager auch in Kennzahlen erfassen, um zu messen, wie stark eine bestimmte Community ist.

Die eigene Sichtbarkeit innerhalb dieses sozialen Netzwerks hängt stark von der Verwendung der geeigneten Hashtags ab. Sie dürfen einerseits nicht zu allgemein sein (sonst geht der Beitrag in der Vielzahl ähnlicher Beiträge unter), andererseits auch nicht zu speziell (dann sucht niemand nach diesem Schlagwort).

Sinn und Zweck von Hashtags in sozialen Netzwerken

Hashtags werden mit verschiedenen inhaltlichen Intentionen genutzt, nämlich

  • zur Identifizierung des Inhalts (Thema, Motiv)
  • zur Beschreibung des Inhalts und zum Herausstellen besonderer Merkmale (Eigenschaften, Ort, Aktivitäten, Emotionen)
  • zum Einordnen des Inhalts, also um dem Post einen Kontext geben oder
  • zum Ansprechen eines bestimmten Publikums, das ähnliche Interessen verfolgt.

Beispiel: Ein Post mit einem Foto von einer Bergwanderung

  • Thema, also das Motiv des Bildes: ein bestimmter Gipfel, z.B. die #latemarspitze
  • Beschreibung und besondere Merkmale: #dolomiten #beautifulnature
  • Kontext: #hiking
  • Publikum: #igersdolomiti (also Instagrammer aus dem Dolomiten-Gebiet)

Die aufgezählten Aspekte sind sicher nicht überschneidungsfrei und eindeutig. Es handelt sich nur um einen ersten Versuch einer Differenzierung (inspiriert von Luca Hammers lesenswertem Blogpost).

Mit jedem einzelnen der Hashtags werden unterschiedliche Interessensgruppen angesprochen. Es kann also sein, dass jemand auf den Beitrag aufmerksam wird, der sich generell für #hiking interessiert, nicht aber speziell für #dolomiten oder gar die #latemarspitze. Einer der #igersdolomiti wiederum ist vielleicht passionierter Skifahrer und kann sich überhaupt nicht für #hiking begeistern, dafür aber umso mehr für #beautifulnature aus seiner Heimat. So werden letztlich auch verschiedene Communities, zumindest temporär, zusammengeführt. Bei bis zu 30 zu vergebenden Hashtags pro Post stehen den Usern hier viele Möglichkeiten der Vernetzung offen.

Zwei spezielle Phänomene sollten in dem Zusammenhang noch erwähnt werden, #likeforlike und #followforfollow. Das bezeichnet ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Interaktionsverhalten mit dem Ziel, die Reichweite zu steigern: Wer mir ein „Like“ gibt, bekommt eins zurück. Wer mir folgt, dem folge ich auch. Das erhöht für beide Beteiligten die Sichtbarkeit und Bekanntheit. Was eine auf diese Art aufgebaute Reichweite wert ist, sei einmal dahingestellt.

#transfer #wissenschaftlichesarbeiten

So, was hat das nun alles mit dem Zitieren zu tun? Der eine oder andere Aspekt der Beschreibung hat Sie als Lehrende und Wissenschaftler wahrscheinlich bereits beim Lesen an die Scientific Community erinnert.

Aber schauen wir doch zuerst einmal, was die Studierenden aus dem Thema gemacht haben. In der besagten Lehrveranstaltung habe ich zu Beginn gefragt:

„Zu welchem Zweck nutzen Sie Hashtags in sozialen Netzwerken, zum Beispiel bei Instagram?“

Die häufigsten Antworten der Studierenden auf diese Frage habe ich für Sie hier in zwei Kategorien aufgelistet:

Beim Schreiben (= Posten)

  • „um mich mit Anderen zu vernetzen“
  • „um herauszustellen, was ich mag“
  • „um mehrere Ideen zu verknüpfen“
  • „damit mein Beitrag cooler aussieht“

Bei der Suche nach Inhalten:

  • „um herauszufinden, was beliebt ist“ (trendige Hashtags)
  • „um herauszufinden, wer beliebt ist“ (angesagte Personen bzw. Accounts)

 


In Teil 2 dieses Beitrags geht es um die konkrete Übertragung und deren Grenzen sowie einige didaktische Hinweise.