Neurobiologie, was hat das mit uns zu tun?

Das liebe Schreiben. Wir wissen ja alle, wie das geht. Wie es gehen sollte. Wie es bei Anderen wohl so geht.

Hinsetzen, nachdenken, aufschreiben.

Habe ich gehört, dass man das so macht. Denk‘ ich doch mal, dass das stimmt…

Tja, wenn es denn so einfach wäre.

Leider und zum Glück gehört aber noch ein bisschen mehr dazu.

Jetzt kommt die Neurobiologie ins Spiel. Vergleichen Sie einmal die linke und rechte Seite des Comics:

writinghow-it-is-supposed-to-work-phd-comicQuelle: www.phdcomics.com

Jeder von uns saß schon so da wie auf der rechten Seite abgebildet. Die meisten unserer Studierenden saßen schon so da. Im Gehirn läuft eben weit mehr ab als das, was links zu sehen ist.

Leider

Es sieht nach einer qualvollen Erfahrung aus, was da im rechten Bild gezeigt wird – nach langen Stunden des Zweifelns und Verwerfens, in denen man sich schlecht fühlt. Deswegen sage ich „Leider gehört mehr zum Schreiben als das bloße Hinsetzen und Tippen“.

Zum Glück

Wieso sage ich „Zum Glück gehört mehr zum Schreiben“? Nur bedingt vertrete ich die Ansicht, „dass man da eben durch muss, wenn man ein Studium abschließen will“. Es geht nämlich auch anders.

Eigentlich fehlt noch ein drittes Bild. Eines, das die negativen Aspekte ins Positive dreht und damit arbeitet.

  • Motivation

Was ist mit Motivation? Nicht mit der oft beschriebenen fehlenden Motivation, sondern mit dem enthusiastischen Wollen und dem neugierigen Fragen? Wie fördern wir das in den Lehrveranstaltungen und in der Betreuung? Oder genügt es uns schon, den Studierenden diese Haltung im Laufe der Semester wenigstens nicht auszutreiben?

  • Freude

Was ist mit Freude anstelle von Angst und Panik? Vermitteln wir Freude an unserem Fach und am wissenschaftlichen Arbeiten selbst?

  • Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein

Was ist mit Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein, die durch bewältigte Schreibaufgaben entstehen? Wie führen wir als Lehrende die Studierenden zu Erfolgslebnissen, die ermutigen und Lust auf mehr machen?

In den vergangenen Monaten habe ich mich intensiv mit solchen Fragen auseinandergesetzt. Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich ein didaktisches Konzept für die Vermittlung des wissenschaftlichen Arbeitens entworfen und es Anfang des Monats erstmals vor Kolleginnen und Kollegen präsentiert. Es steht ganz im Einklang mit dem Manifest, das ich vor einem halben Jahr veröffentlicht habe. Jetzt ist dieses Konzept also endlich inhaltlich fertig und muss „nur noch“ für die Publikation vorbereitet werden. Sie erfahren es natürlich, wenn es so weit ist.

Wie halten Sie es mit den angesprochenen Aspekten wie Motivation und Freude – kommt das in Ihren Lehrveranstaltungen implizit oder explizit vor?

 

 

Manifest für Lehrende

Ein Beitrag zur Blogparade „Die Zukunft des Wissenschaftlichen Arbeitens“

Wie auch immer die Zukunft der Wissenschaft konkret aussehen mag: Die Methoden des Wissenschaftlichen Arbeitens bleiben der Schlüssel zur Gewinnung neuer Erkenntnisse. Dennoch existiert für deren Vermittlung keine Fachdidaktik. Sie muss dringend entwickelt werden.

Es ist wichtig, dass das Fach „Wissenschaftliches Arbeiten“ gut gelehrt wird. Studierende finden dann reibungsloser in das Wissenschaftssystem hinein und produzieren früher bessere Ergebnisse. Das hilft nicht nur ihnen selbst, sondern ist auch im Sinne der Lehrenden und der Wissenschaft.

Losgelöst von eigenen Lehrveranstaltungen zum Wissenschaftlichen Arbeiten sprechen Lehrende aller Disziplinen anlässlich fachlicher Fragestellungen über Wege der Erkenntnisgewinnung. Es ist wichtig, dass Lehrende ihre Haltung reflektieren, denn sie prägen damit die Studierenden.

Das Manifest enthält die Grundlagen meiner Lehr- und Betreuungstätigkeit. Es spiegelt meinen Alltag wider und ist die Essenz dessen, was sich für mich über die Jahre als didaktisch sinnvoll herausgestellt hat. Die Aussagen erscheinen möglicherweise vielen Lehrenden banal. Das wäre ein Grund zur Freude.

Manifest für Lehrende

Grundhaltung

  • Ich ermutige die Studierenden zum Wissenschaftlichen Arbeiten.

Die Studierenden sollen Lust auf Wissenschaftliches Arbeiten bekommen. Belehrungen, Abschreckungen und demotivierende Aussagen vermeide ich, so gut wie es geht.

  • Ich vermittle, dass der Prozess des Wissenschaftlichen Arbeitens nicht linear verläuft.

Die Studierenden erfahren, dass die Wiederholung von Arbeitsschritten nicht nur normal ist, sondern sogar ein Zeichen von Fortschritt im Lern- und Forschungsprozess darstellt. Ich lehre also kein vermeintlich allgemeingültiges Phasenschema des Wissenschaftlichen Arbeitens.

  • Ich verhalte mich den Studierenden gegenüber wertschätzend.

Jedes Anliegen ist zunächst einmal berechtigt. Auch und gerade wenn mir manche Ideen und Fragen der Studierenden seltsam vorkommen, bemühe ich mich um eine hilfreiche Antwort. Diese muss nicht unmittelbar die Problemlösung liefern, sondern kann auch aus Hilfe zur Selbsthilfe bestehen.

  • Ich achte die Individualität im Prozess des Wissenschaftlichen Arbeitens.

Alle Studierenden pflegen – wie andere Schreibende auch – einen eigenen Arbeitsstil, den sie im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Dabei helfe ich ihnen, indem ich verschiedene Arbeitstechniken und (Schreib-)Methoden vermittle, die sie flexibel einsetzen können, um mit ihren Arbeiten besser voranzukommen.

In der Lehre

  • Ich erkläre den Sinn und Unsinn von Konventionen in der Wissenschaft.

Die Studierenden sollen verstehen, dass Konventionen in der Wissenschaft keine Schikane sind, sondern dazu dienen, Texte zugänglicher und verständlicher zu machen. Gleichzeitig halte ich die Studierenden an, solche Konventionen kritisch zu reflektieren, die nicht mehr zeitgemäß sind.

  • Ich thematisiere ab und zu meine eigenen Schreibprojekte.

Ausgehend von meine eigenen Erfahrungen rede ich über den Schreibprozess und mache deutlich, dass Texte „nicht einfach so entstehen“. So zeige ich, dass selbst fortgeschrittene Schreibende mit Problemen kämpfen und wie sie diese lösen. Dabei erhebe ich meine Schreibpraxis nicht zum allgemeingültigen Ideal.

In der Beratung

  • Ich bin transparent, was die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung angeht.

Mein Feedback ist nur so direktiv wie unbedingt nötig. Wenn Entscheidungen zu treffen sind, lege ich aus meiner Sicht die Optionen dar. Die Entscheidungshoheit und die Verantwortung für den Text bleiben beim Verfasser.

  • Ich bin mir der Doppelrolle bewusst, die durch das Aufeinanderfolgen von Beraten und Bewerten entsteht.

Bei der Benotung konzentriere ich mich auf den vorliegenden Text und blende so gut wie möglich aus, was ich über dessen Entstehungsgeschichte weiß.