„Traumhafter Höhepunkt des Studiums statt traumatischer Höhepunkt“: Interview mit Silvio Gerlach, Teil 2

Dieser Beitrag ist der 2. Teil des Interviews mit Silvio Gerlach. Falls Sie Teil 1 noch nicht gelesen haben, geht es hier entlang.

 

Sie bieten auch eine Art Themenbörse. Das ist natürlich eine gute Sache. Woher kommen denn die Themen? Nehmen wir einfach einmal das Thema Forschendes Lernen als Beispiel. Ich kann mir das gerade in der Praxis noch gar nicht vorstellen.

Die Themen kommen von unseren Themen-Kuratoren. Das sind Experten in einem Fach. Wir arbeiten dabei mit Themenmustern. Die Muster sehen in der Anwendung z.B. so aus:
„Erfahrungen mit dem Konzept Forschendes Lernen in deutschen Hochschulen – eine empirische Analyse von Fallbeispielen“ oder „Barrieren der Einführung des Konzepts Forschendes Lernen in Hochschulen – eine systematische Analyse“.
Es gibt recht viele solcher Muster, über 30, die stimmig sind und sich methodisch sehr gut greifen lassen. Das ist wichtig für die Klarheit über das Vorgehen. Und damit für die Motivation der Forscher bzw. Schreiber. Denn jedes Thema wird begleitet von einem Online-Guide, je nach Art der Arbeit und Art der Analyse.

Mit unserer Themenbörse können wir vielen Thesis-Schreibern einen echten Auftrag geben und damit ganz unbürokratisch Forschungsprojekte anstoßen. Peer-Themen sind natürlich auch sinnvoll.

Klar ist ein Themen-Template ein Frame. Aber irgendwo müssen wir anfangen. Sonst schaffen wir es nie, dass die Thesis endlich ein traumhafter Höhepunkt des Studiums statt ein traumatischer Höhepunkt wird.

Wie geht es dann weiter?

Ich habe die obigen Themen in unsere Themenbörse eingestellt: https://aristolo.com/search/topic?q=hochschule. Die Suchfunktion wird noch weiter verbessert. Und natürlich werden wir weiter viele schöne Themen eintragen.

Sie haben schon sehr viele Personen bei deren Arbeiten begleitet. Wie kann ich mir das praktisch vorstellen?

Praktisch ist das ein ausgedehnter Workshop. Es gibt einen Gesamtplan, und wir besprechen immer nur konkrete Probleme wie ein bestimmtes Modell oder die Methoden für die Datenerhebung oder den Umgang mit bestimmten Modellen aus Quellen. Das ist sehr unterschiedlich, je nach Coachee. Auffällig ist aber, dass die Probleme zu 80% methodischer Natur sind und nicht inhaltlicher Natur. Das WIE ist wichtiger als das WAS. Wie das schon im Faust Teil 2 heißt: „Das Was bedenke, mehr bedenke WIE“. Das unterstreicht auch, dass die Coachees ihre Diss selbst erstellen. Schließlich dringen sie auch tiefer in ein Gebiet ein als irgend jemand sonst auf der Welt.

Bilden Sie auch Experten aus, die nach Ihrer Methode arbeiten?

Andere in Dissertation Coaching auszubilden ist sehr schwierig. Aber ich denke, dass wir das auf der Basis unseres Online Guides angehen können. Im Moment arbeiten wir daran, den Guide mit Algorithmen smart zu machen. Man kann damit die Kongruenz von Thema, Leitfrage, Ziel und Gliederung automatisch prüfen lassen. Das ist die Zukunft.

Ist das wirklich Coaching, so wie Sie es nennen? Sind Sie ausgebildeter Coach, oder muss man das gar nicht sein?

Ich bin ein Fach- und Methoden-Coach und sehe mich vor allem als Sparringspartner. Wie schon gesagt, meine Coachees sind selbst Experten in ihrem Fach, viel mehr als ich das je sein werde.

Sehr gerne leite ich meine Coachees mit einfachen Fragen auf den richtigen Weg. Dazu gehört am Anfang übrigens immer die Frage: Was ist eigentlich XY? Und XY ist der Hauptbegriff. Da kommt manchmal zu wenig Griffiges. Dann arbeiten wir daran. Ich bin ein großer Fan von Definitionen. Sie helfen, das Projekt in den Griff zu kriegen.

Eine Ausbildung zum Coach habe ich nicht. Aber schon in der 5. Klasse habe ich Nachhilfe gegeben, in Mathe und Geschichte und Deutsch. Dann war ich im gesamten Studium Nachhilfe-Lehrer und Tutor und Repetitor. Das hat mich geschult. Wenn Menschen Geld für eine Leistung bezahlen, die sie gleich nebenan in der Uni oder Schule kostenlos bekommen können, dann muss man sich was einfallen lassen und was anbieten… Der Sprech-Coach aus „The Kings Speech“, Lionel, der jungen traumatisierten Soldaten half, wieder normal sprechen zu können, ist ein gutes Beispiel dafür, dass dieser Weg funktioniert. Aber natürlich habe ich sehr viel über meine Arbeit reflektiert. Ich bekomme ja auch immer unmittelbar Feedback von meinen Coachees.

Wie sind die Preise gestaltet? Wie kann sich ein Studierender oder Doktorand das leisten?

Mein Coaching ist nicht günstig. Aber die gesparte Zeit ist weit kostbarer, was Lebensqualität angeht, aber auch real, ganz praktisch gesehen als Verdienstausfall. Die Kosten sind natürlich abhängig vom Aufwand und vom Ziel. Das ist immer individuell und lässt sich nicht pauschal sagen.

Wie nahe bewegen Sie sich am Rande der Illegalität? Inwiefern greifen Sie in die Arbeiten Ihrer Kunden ein?

Ich bin mit Leib und Seele Diss Coach und Thesis-Coach. Eine Stunde Coaching zieht zwischen 20 und 40 Stunden Arbeit für den Coachee nach sich. Damit ist zweifelsfrei klar, wessen Arbeit das am Ende ist, oder?

Was sind Ihre nächsten Ziele mit dem Buch und Ihrem Online-Service Aristolo?

Wir wollen wissenschaftliches Arbeiten von seinem schlechten Image befreien. Wissenschaftliches Arbeiten ist für alle, nicht nur für Wissenschaftler. Und es kann Spaß machen, wenn es klappt und man neue Erkenntnisse gewinnt. Deshalb ist auch unser Motto: Enjoy Research!

Am liebsten würde ich das sperrige Wort wissenschaftliches Arbeiten durch Analysieren ersetzen. Denn das ist der Kern des wissenschaftlichen Arbeitens, Analysieren. Das ist die wesentliche Technik, die wir ja auch im richtigen Leben brauchen und jeden Tag viele Male anwenden.

Unser großes Ziel ist, die vielen Millionen Stunden des Thesis-Schreibens für gute Zwecke zu nutzen, nämlich relevante Themen zu bearbeiten und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Was relevant ist, entscheidet natürlich das Leben, kein einzelner. Am Ende stehen dann Tausende neue Bücher und Ebooks, die für alle zugänglich sind und die Welt besser machen.

Herzlichen Dank für dieses aufschlussreiche Interview!

Silvio Gerlach, Diplom-Volkswirt. Studierte Außenpolitik in Potsdam und Moskau und VWL in Marburg und Córdoba/Argentinien. Gründer und Leiter des Studeo Verlages (seit 2002), der Studeo Repetitorien (von 1995 bis 2002) und des Studeo Coachings für Thesis und Dissertation (seit 2003). Er will jedem Studierenden einen Monat bei seiner Thesis sparen und jedem Promovierenden ein ganzes Jahr.

Studeo Group, Berlin
Thesis Coaching www.studeo.de
Thesis Guide www.aristolo.com

„Traumhafter Höhepunkt des Studiums statt traumatischer Höhepunkt“: Interview mit Silvio Gerlach, Teil 1

 Ein Interview mit Silvio Gerlach

Das Interview mit Silvio Gerlach, dem Autor des Diss Guide und des Thesis Guide, lesen Sie aufgrund der Länge auf zwei Seiten.

Teil 1: Diss Guide, Promotion
Teil 2: Themenbörse, Coaching

Herr Gerlach, Sie haben ein Buch veröffentlicht namens „In 200 Tagen zur Diss“, das ich auch rezensiert habe. Nun bin ich kein Fan von Patentrezepten und des „Quick ’n dirty“-Ansatzes. Der Titel hat mich, offen gesagt, erst einmal in eine ziemlich falsche Richtung denken lassen.

Danke, dass Sie das so offen ansprechen. Sie wissen natürlich, dass ein knackiger Titel wichtig ist. Interessant ist aber, dass am Ende auch in fünf Jahren kaum mehr als 2.000 Stunden effektives Arbeiten an der Diss zusammenkommen. Ein Tag pro Woche im Durchschnitt. Das können viele interne Doktoranden bestätigen. In manchen Monaten kommen sie gar nicht zum Schreiben. Oder sie schieben es vor sich her, weil eine Diss eben nicht trivial ist.

Zur Qualität: Wenn das Ziel der Diss, nämlich die gewünschten neuen Erkenntnisse, auf Basis eines gründlichen Reviews frühzeitig klar formuliert und operationalisiert sind und auch methodisch erreichbar sind, dann ist doch egal, wie lange jemand dafür braucht. Solange das Ergebnis den formulierten Anforderungen genügt, ist der Zeitrahmen sekundär. Von dieser Maxime gehe ich keinen Millimeter ab! Was nützt ein schnell gebautes Haus, wenn es darin zugig ist und die Heizung im oberen Stockwerk nicht wärmt.

Unsere 60 Sprints sind nichts für Kandidaten, die an der Oberfläche bleiben wollen. Das ist viel zu viel Arbeit!

Auf dem Markt gibt es jede Menge Ratgeber, die eine Diss in wenigen Wochen versprechen. Aber natürlich machen die sich nicht die Mühe einer konkreten Aufstellung der Schritte wie sie unser Diss Guide enthält.

Sie haben selbst noch nicht promoviert. Wie entstand das Buch?

Ich bin dabei, kumulativ zu promovieren, über Barrieren für wissenschaftliches Arbeiten. Nur gibt es da so viele Baustellen und folglich Themen. Ich verbinde das Promovieren mit dem Bau unseres Online Guides.

Das Buch ist die große Schwester des Thesis-ABC „In 31 Tagen zum Text“. Seit vielen Jahren bin ich Coach für wissenschaftliches Arbeiten. Mit der Zeit kamen immer mehr Doktoranden, und ich merkte, dass ich ihnen helfen kann, obwohl ich selbst noch nicht den Titel hatte.

Ich bin Volkswirt und habe auch einige Semester Außenpolitik studiert, mit Schwerpunkt Geschichte der internationalen Beziehungen. Mein Spezialfach an der Uni Marburg war „Wissenschaftstheorie und Dogmengeschichte“ bei Professor Wilhelm Meyer. Auf das Fach hatten nur wenige Lust. Wir waren eine kleine Gruppe in der Vorlesung, also war das recht intensiv. Eher ein Bootcamp als eine Vorlesung. Wir nudelten ein Modell nach dem anderen durch, von allen möglichen Nobelpreisträgern in Wirtschaft. Das war hart, aber eine gute Schule im Denken. Nach meiner Erfahrung ist ein Modell der Anfang und das Ende von wissenschaftlichem Arbeiten. Das wird aber viel zu wenig an den Hochschulen trainiert, vermutlich weil das wirklich nicht im Vorbeigehen zu schaffen ist. Da muss man tief einsteigen. Ich liebe so was.
Aristoteles, der Vater der Wissenschaft, war einer meiner Helden. Deshalb heißt mein Online Guide übrigens auch Aristolo.com. Wir wollen Aristoteles stolz machen.

Die Inhalte im Diss Guide kommen direkt aus meinem Erfahrungsschatz mit vielen Thesis-Schreibern und Doktoranden. Das sind Antworten, die ich schon viele Male gegeben habe und die praktisch zum Ziel geführt haben. Ich würde meinen Ansatz als eine Art Technologie bezeichnen. Das erklärt auch die zeitliche Komponente. Schließlich hilft uns Technologie überall im Leben, Zeit zu sparen.

Heißt das im Umkehrschluss, die konventionelle Betreuung von Doktoranden durch deren Professoren und Professorinnen hat versagt?

Nein, es gibt jede Menge gute Betreuung. Und auch inspirierende Umgebungen. Aber mit der Betreuung ist es wie beim Arzt, es ist nie genug Fürsorge, nie genug Anteilnahme. Immer wünscht man sich mehr davon. Aber es ist ein Geben und Nehmen. Die Betreuenden müssen auch besser „behandelt“ werden. Die Vorbereitungen von Konsultationen müssen viel besser werden. Man muss vorgearbeitet haben, dann wird die Betreuung auch besser. In vielen unserer Sprints wird explizit auf die Konsultationen Bezug genommen. Übrigens ist die Nachbereitung noch wichtiger. Warum soll ein Betreuender sich beim nächsten Gespräch ins Zeug legen, wenn vom letzten Mal gar kein Feedback kam? Meine Coachees schreiben immer ein Protokoll von Gesprächen mit konkreten To Dos. Das macht einen guten Eindruck und bringt das Projekt voran.

Mein Ziel mit dem Diss Guide ist, eine erprobte Vorgehensweise anzubieten und viele unnötige Fragen und Diskussionen mit Betreuern abzukürzen oder sogar zu vermeiden. Promovierende können sich mit dem Buch viele technische und organisatorische Fragen selbst beantworten. Zum Beispiel wird ein Literature Review in der Masterarbeit oft noch nicht verlangt. Also macht man ihn während der Diss zum ersten Mal. Im Buch steht alles Wichtige dazu.

Das Arbeiten mit Modellen ist sehr zeitaufwändig. Da müssen die Betreuenden eine gute Vorbereitung erwarten, damit in der Sprechstunde was rauskommt. Auch das behandelt der Guide ausführlich.

Was ist mit strukturierten Promotionsprogrammen? Da müsste es doch eigentlich besser laufen. Oder fehlt dort auch etwas?

Nun, ich habe schon einige Promovierende aus solchen Programmen betreut. Das läuft schon strukturierter ab. Aber wenn es um die Tiefe geht, dann fehlen auch dort die Werkzeuge. Unser Diss Guide hilft dabei, sich gut auf die tiefer gehenden Etappen vorzubereiten.

 

Hier geht es weiter zu  Teil 2.

Writing by Doing

Mit Ingrid Scherübl und Katja Günther vom Schreibaschram kam ich vor einger Zeit in Kontakt, als ich ihren „Schreibimpulsfächer“ rezensiert habe. (Zur Rezension)

Schnell entstand die Idee für einen Gastbeitrag der beiden hier auf dem Blog. Geworden ist daraus schließlich ein Beitrag, der durch einige Interviewfragen abgerundet wird.

Writing by Doing – für eine Schreibdidaktik des Handelns

Oder warum wir angeleitete Schreibprozesse statt Schreibseminare machen…

Ein Gastbeitrag von Katja Günther und Ingrid Scherübl

 „Was habe ich damals nochmal im Schreibseminar gelernt? Ich erinnere mich an einige gute Schreibübungen, an kreativ gestaltete Flipcharts und Moderationswände, und auch Powerpoints mit ‚betreutem Lesen‘. Manches davon hatte sogar mit meinem Schreibanliegen zu tun. Aber leider hat nichts davon hat mein Schreiben nachhaltig verändert. Ich habe zwar Ideen bekommen, wie man es machen könnte, Fakt ist aber: ich habe es danach nie so gemacht.“

So Ingrid Scherübls Erfahrung aus den Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Es ist die Crux einer jeden Weiterbildung: Der Transfer. Macht ein Kurs im Alltag wirklich einen Unterschied für die Arbeitspraxis? Oder bleibt es bei einem stimulierenden Tag mit netten Leuten?

Mit unserem Ansatz „Writing by Doing“ wollen wir als Trainerinnen es anders machen: Jedes Seminar — ob Schreib-Sweatshop oder Schreibaschram — ist bereits der Transfer.

Wir sagen, Schreiben ist ein individueller Prozess, der nur im Schreiben selbst verwirklicht und befördert werden kann. Unser Seminare mit dem Ansatz des Writing by Doing sind deshalb angeleitete Schreibprozesse. Wir gestalten für die Teilnehmenden einen Tag, zwei Tage oder eine ganze Schreibwoche, in der sie ihre Texte umsetzen. Beim Schreiben selbst werden dann genau die relevanten Fragestellungen geklärt. Wir diskutieren nicht über das Schreiben. Wir sind mittendrin.

Universitäten sind die Hochburgen der Theorie. Wir lieben sie als unseren Arbeitsort. Schreiben ist jedoch eine Praxis. Und in dieser Spannung begründet sich der oft holprige Weg vom Gedachten zum Geschriebenen. An Universitäten und in den Graduiertenschulen ist es ja zum Teil eher so, dass theoretisch über guten Wissenschaftsstil oder über Zeitmanagement doziert wird. Die eigene Textproduktion wird dort diskutiert und geplant, das Schreibhandeln selbst kommt zu kurz. Zugespitzt könnte man sagen, dass manche Schreib-Workshops für Promovierende eher zu einer Vermeidung des eigenen Schreibens beitragen, als dass sie es real befördern. Wieder mal ein Tag, an dem man anscheinend etwas für seine Diss getan hat. Gewissen beruhigt – aber leider am Abend kein geschriebenes Wort im Laptop. Schade.

Beschäftigt oder produktiv?

Promovierende sind beim ganz realen Schreiben üblicherweise sich selbst überlassen. Es findet allein im stillen Kämmerlein statt. Oder eben gerade nicht. Was zu tun ist und wie es geht, ist ja eigentlich bekannt. Oder? Aber das wissen wir alle: Das Anfangen und das Dranbleiben fallen schwer. Gefühle von Inkompetenz sitzen hämisch grinsend mit am Schreibtisch. Mythen von aus dem Ärmel geschüttelten genial verfassten Texten geistern durch unsere Hirne. Der eigene Kritiker raunt einem lauter Versagensängste zu und die inneren Impulse verführen uns zu den unterschiedlichsten Verrichtungen, Recherchen, Konferenzplanung oder auch mal Wäsche waschen. Ist es nicht so, dass wir oft diese ungemütliche Tätigkeit Schreiben gekonnt vermeiden? Da erledigt man niedrigschwellige Aufgaben wie Mails beantworten oder netzwerkt für das nächste Projekt. Dabei wäre es viel förderlicher, sich gemeinsam in ein stilles Offline-Büro zu setzen, eine Zeit zu vereinbaren und sich so gegenseitig die Konzentration zu ermöglichen und zu halten. — Das findet am Arbeitsplatz Universität leider noch zu selten statt. Alle sind viel zu beschäftigt. Aber beschäftigt ist noch lange nicht produktiv.

Gemeinsam im Schreibflow

Wichtig ist die Praxis in ablenkungsfreier Umgebung, motivierter Gemeinschaft, mit klaren Arbeitszeiten und Pausen um ganz konkret am eigenen Kapitel voranzukommen. Wenn es dann noch kooperativen Austausch mit anderen Wissenschaftler*innen gibt, dann ist der Schreibflow kaum aufzuhalten. Diese Erfahrung machen wir stets im Schreibaschram – einem kloster-ähnlichen Schreibtraining, bei dem die Teilnehmenden nicht nur viel Text produzieren, sondern auch lernen, wie die individuelle Produktivität gestartet, gehalten und auch wieder regeneriert werden kann. Die Schreibmotivation intensiviert sich im Kontakt mit anderen und durch das konkrete Tun. Alle schreiben zur selben Zeit. Jeder arbeitet für sich und doch auch für den Anderen. Erst mit der Erfahrung eines angeleiteten Schreibprozesses erkennen und erleben wir die Logik unserer eigenen Schreibproduktivität. Und können dann auch im Alltag die Sachen sein lassen, mit denen wir uns vom Schreiben abhalten.

Das Writing by Doing ist ein Ansatz, den wir eher aus dem Coaching als aus der Schreibdidaktik entwickelt haben. Weiterhin bleibt natürlich auch theoretischer Unterricht im Akademischem Schreiben wichtig. Uns wurde jedoch die Notwendigkeit angeleiteter Schreibprozesse deutlich. Es ist ein radikales Bekenntnis zur Schreibpraxis: Man muss „es“ tun: wieder und wieder und wieder. Jeder Text ist die Übung für den nächsten. Jeder Text, den ich heute schreibe, erleichtert die kommenden und erweitert meine Schreibkompetenz. Am besten einfach anfangen: Was würdest Du schreiben, wenn es nicht perfekt sein müsste?

 

Das Interview

Andrea Klein: Wie können Dozierender für Wissenschaftliches Arbeiten oder Fachlehrende Euren Ansatz in die Lehre holen? Oder ist das von vorneherein zum Scheitern verurteilt?

Schreibaschram: Unseren Ansatz haben wir für Wissenschaftler ab der Promotion entwickelt. Es geht nicht um eine Einführung in die Basiskompetenzen des wissenschaftlichen Schreibens, sondern um eine Unterstützung für die, deren täglich Brot das Schreiben ist. Es ist tatsächlich mehr ein Coachingangebot, als ein Lehrangebot. Nichtsdestotrotz fänden wir es klasse, wenn Lehrende, davon etwas in ihre Kurse integrieren. Daher konzipieren wir eine Weiterbildung im „Akademischen Schreibcoaching“. Denn wir haben inzwischen eine Reihe von kurzen Gruppencoaching-Formaten, die das Schreiben beflügeln: durch Klärung und Präzisierung des Inhalts, oder indem eine strategische Perspektive auf den zu schreibenden Text eingenommen wird, sowie einige motivationsaktivierende Tools.

Profitiert auch ein ausgebildeter Schreibberater von der Teilnahme an einem Schreibaschram? Wenn ja, wie?

Im letzten Schreibaschram, den die Universität der Künste veranstaltet hat, haben drei ausgebildete Schreibberaterinnen (zwei aus Deutschland, eine aus den USA) teilgenommen. Es wäre schön, sie selbst zu fragen. Unser Eindruck war, dass sie sehr von dieser Erfahrung profitiert haben.

Viele Wissenschaftler schreiben unter Druck. Damit meine ich an der Stelle nicht den zeitlichen Druck, sondern den Druck, der aus den Rahmenbedingungen resultiert. Zum Beispiel: Das Projekt muss inhaltlich so gestaltet sein, dass man Fördergeld dafür erhält – interessieren würden einen aber eigentlich ein anderer Aspekt. Oder der Doktorvater hat recht eigene theoretische oder methodische Vorstellungen, gegen die man gern anschreiben würde, aber sich nicht traut. Sind solche Schreibhemmnisse auch Themen?

Ja. Hier geht es um Haltung. Was ist für mich vertretbar? Wir haben auch ein Coachingformat, in dem genau diese eigene Positionierung im Fokus steht. Es ist schwer gegen eigene Überzeugungen anzuarbeiten. Aber man kann man sich konkret auseinandersetzen, wie ich mich als Autorin oder Autor zu all den einschränkenden, aber auch den im positiven Sinne limitierenden Rahmenbedingungen verhalten möchte. Manchmal kann es dann sogar entlasten, dass nicht alles möglich ist, sondern ich beispielsweise methodisch begrenzt werde. Wichtig ist nur, dass ich nicht mit unbewussten Widerständen am Schreibtisch sitze. Meine innere Haltung muss erstmal deutlich werden — dann lässt sich damit auch ein Umgang finden.

Wo sind die Grenzen Eurer Angebote? Gibt es Personengruppen, mit denen Ihr nicht arbeitet bzw. Schreibprobleme oder Schreibkonstellationen, die Ihr nicht bearbeitet?

Für Studierende fühlen wir uns nicht zuständig. Unsere Angebote eignen sich für Menschen, die einfach wissen, sie werden ihr Leben lang schreiben, und deswegen möchten sie das langfristig gut in den Griff bekommen. Konkret sind das sind Promovierende, Habilitierende und Professor*innen. Wir arbeiten daher für Forschungsteams, Institute, Kollegs und die universitäre Personalentwicklung. Manchmal verirren sich einzelne Belletristikautoren und Journalisten in den Schreibaschram. Auch das funktioniert!

Kennt Ihr ähnliche Anbieter, oder seid Ihr (noch) einzigartig mit Eurem Angebot?

Wir fühlen uns einzigartig mit unseren aktivierenden Arbeitsweisen und der außergewöhnlichen Lernkultur, die wir gestalten. Aber wir nehmen wahr, dass sich zunehmend Angebote entwickeln, die mehr als nur inspiriert von unserem Konzept sind. 😉 Für uns ist es in erster Linie schön, dass der Schreibaschram so viel in Bewegung gebracht hat. Und das bestärkt uns, unsere Methoden zur Verfügung zu stellen und die Ausbildung im „Akademischen Schreibcoaching“ anzubieten.

schreibaschram

Ingrid Scherübl (Trainerin, Kulturwissenschaftlerin): „Bis 2013 war ich Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin in einem interdisziplinären Forschungsprojekt zu Personal- und Organisationentwicklung. Nach Abschluss einer Coachingausbildung und während eines Aufenthalts in einem Aschram in Indien hatte ich die Idee zum Schreibascham. Diese Klostersimulation für Schreibende haben ich zusammen mit Katja Günther als ein innovatives Training für Wissenschaftler*innen entwickelt. Als Schreibtrainerin und Coach biete ich bundesweit Weiterbildungen für den Wissenschaftlichen Nachwuchs an.“ Fachlicher Hintergrund: Dipl. Mediendramaturgin, Kulturwissenschaften und Ästhetische Praxis, Gestalt-Coach, NLP-Master, Heldenreiseleiterin

Katja Günther (Systemisches Schreibcoaching, Gestalt-Coach):Als Coach und Trainerin begleite ich seit vielen Jahren Schreibende auf ihren akademischen Karrierewegen, insbesondere im Schreibprozess von Promotion und Habilitation. Die Organisation des guten Lebens und Arbeitens ist ein Kernwert meiner Beratung in der Coaching-Praxis Faden Verloren. www.faden-verloren.de“. Fachlicher Hintergrund: M.A. der Romanistik, Anglistik; Gestalt-Coach; Akzeptanz und Commitment Training (ACT), NLP-Master, Systemisches Coaching (zertifiziert nach DGfC)

Hier geht es zum Schreibaschram: schreibaschram.de

„Schreibvermittlung ist eine Gemeinschaftsaufgabe“ – ein Interview mit Swantje Lahm

Mit „Schreiben in der Lehre“ ist kürzlich ein Buch mit vielen Anregungen für eine schreib-intensive Lehre erschienen. Das habe ich zum Anlass genommen, ein ausführliches Interview mit dessen Autorin Swantje Lahm zu führen.

Wie kamen Sie ursprünglich darauf, sich beruflich mit Schreiben und Schreibberatung zu befassen? Gab es einen konkreten Auslöser dafür?

Ja, es gab einen konkreten Auslöser, sogar eine Krise. Ich hatte direkt nach meinem Studium ein Promotionsprojekt angefangen, aber die Forschungsgruppe, in der ich arbeiten wollte, kam nicht zustande. Ich wollte aber unbedingt im Team arbeiten und so stellte sich die Frage: Wenn keine Promotion, was dann?

Ich war nach wie vor sehr an Wissenschaft interessiert. In einem Praktikum im Bielefelder Schreiblabor konnte ich mich aus einer anderen Perspektive mit Wissenschaft befassen – mit den Prozessen der Ideen- und Erkenntnisgenerierung durch Schreiben. Das hat mich sofort angesprochen.

Sie arbeiten seit 2002 im Schreiblabor an der Universität Bielefeld. Was hat sich in dieser langen Zeit geändert? Merken Sie einen Wandel bei den Studierenden? Bei den Lehrenden? Ist die Arbeit für Sie leichter oder schwieriger geworden?

Einrichtungen wie das Schreiblabor werden immer mehr als zur Infrastruktur einer Universität zugehörig betrachtet. So wie niemand daran zweifelt, dass eine Universität eine Bibliothek braucht. Nur noch wenige glauben, wir wären nur dazu da, um leistungschwächere Studierende zu unterstützen – besonders seit wir mit einem Team von Kolleg/innen zusammen arbeiten, die Lehrende in den Fächern sind.

Ob Studierende sich verändert haben, ist schwierig zu sagen. Eine Professorin in der Soziologie sagt immer, man bekommt die Studierenden, die man sich durch die Rahmenbedingungen und Curricula schafft, d.h. wenn alles darauf ausgerichtet ist, dass Studierende in kurzer Zeit möglichst viele Punkte sammeln sollen und jede Leistung darüber hinaus noch benotet wird, darf man sich nicht wundern, wenn vor allem eine extrinsische Motivation greift.

Wir erleben aber gerade im Schreiblabor, dass Lehrende und Studierende beide gleichermaßen unter solchen Bedingungen leiden. Und wer würde behaupten, dass früher alles besser war? Als Andrea Frank das Schreiblabor 1993 gegründet hat war die explizite Vermittlung des Schreibens an Hochschulen noch etwas Exotisches und viele Studierende haben sich in überfordernde Projekte verstrickt, weil ihnen Deadlines, Betreuung – kurz: Struktur – fehlte. Einen gute Balance zwischen Freiheit und Struktur zu finden, ist eine fortlaufende Aufgabe.

Sie haben sich zum Coach ausbilden lassen. Welche Vorteile ziehen Sie daraus? Und: Sollte jeder Schreibberater eine Coaching-Ausbildung haben?

Ich verstehe Coaching als die prozessorientierte Begleitung von Menschen in professionellen Kontexten. Für die Schreibberatung und auch die Arbeit mit Lehrenden ist die Ausbildung als Coach aus folgenden Gründen für mich sehr wichtig:

  1. Ich kenne meine eigenen Schwächen und Vorannahmen, d.h. ich laufe weniger Gefahr, meine Themen auf mein Gegenüber zu projizieren.
  2. Ich weiß, wo Schreibberatung endet und psychosoziale Beratung anfängt. In der konkreten Situation ist das ja nicht immer sofort klar zu erkennen. Jemand, der mit seinem Schreibprojekt nicht weiterkommt, kann sehr verzweifelt sein und z.B. eine depressive Symptomatik entwickeln. Für mich ist entscheidend, darauf zu achten, ob sich die Symptome verändern, sobald wir in die Schreibberatung einsteigen und ob die Person in der Lage ist, die von mir angebotene Unterstützung produktiv zu nutzen. Wenn ich merke, dass die Schreibberatung nicht greift, würde ich an unsere Kolleg/innen in der Zentralen Studienberatung verweisen.
  3. Haltung ist wichtig. Im Kontakt mit Lehrenden versuche ich, ihre Situation und die Eigenlogiken ihres Handelns nachzuvollziehen. Das bewahrt mich davor, im Hinblick auf das Schreiben missionarisch zu werden. Ich gehe immer erstmal davon aus, dass ich keine Ahnung davon habe, was für jemand anderen richtig und hilfreich ist.
  4. Schließlich hat die Ausbildung mein Verständnis für Veränderungsprozesse geschärft und mich Methoden gelehrt, sie zu gestalten. Für mich ist das Arbeiten mit analogen Methoden, also allem was man haptisch im Raum nutzen kann (Figuren, Karten etc.), wichtig – gerade auch in der Schreibberatung, wo es hilfreich sein kann, Gedanken wirklich ‚greif-bar‘ zu machen.

Wie viel Kontakt haben Sie mittlerweile in einer normalen Arbeitswoche noch mit Studierenden? Wenn ich das richtig sehe, besteht Ihre Tätigkeit mittlerweile auch aus vielen anderen Projekten.

Es stimmt: der Fokus meiner Tätigkeit liegt auf der Arbeit mit Lehrenden. Wir haben es uns im Team aber zur Regel gemacht, dass wir mindestens alle zwei Semester selbst eine Veranstaltung geben. Dadurch habe ich regelmässig Kontakt zu Studierenden.

Die Schreibberatung für Studierende wird mittlerweile zu fast 100% von Studierenden der studentischen Schreibberatung skript.um durchgeführt. Mit diesen Studierenden stehen wir Mitarbeiterinnen des Schreiblabors im engen Austausch. Und ich höre natürlich viel von den anderen Lehrenden. Ich hoffe, dass ich also ingesamt noch ganz gut dran bin, an der Lebens- und Schreibwelt von Studierenden.

Das Buch „Schreiben in der Lehre“: Man spürt beim Lesen des Buches, wie wichtig Ihnen das Thema Schreiben ist. Wieso ist es Ihnen ein solches Anliegen?

Ich glaube, weil das Schreiben im besten Sinne ein Prozess der Individuation ist. Also ein Prozess, in dem man sich selbst (er)findet, aber im Kontakt mit anderen. Der extreme Pendelschlag zwischen auf sich selbst zurückgeworfen sein und gleichzeitig dabei doch permanent auch auf andere bezogen sein fasziniert mich. Deshalb ist mir die Gesprächsmetapher in dem Buch auch so wichtig.

Darüber hinaus bin ich fasziniert von den Wegen, die das Schreiben eröffnet. So habe ich zum Beispiel im Jahr 2007 Keith Hjortshoj an der Cornell University in den USA einen Brief geschrieben, weil ich sein Buch „The Transition to College Writing“ so großartig fand. Darüber kam ein Email-Austausch zustande, der mich dann 2008 für einen Monat an das Knight-Institute-for-Writing-in-the-Disciplines nach Cornell geführt hat. Das hatte dann wiederum viele weitere Auswirkungen, eine davon ist das Buch „Schreiben in der Lehre“. Aber alles begann mit diesem Brief. Das ist also das, was mich begeistert, dass man durch Schreiben in der Welt handeln und etwas bewirken kann.

Sie waren immer wieder in den Vereinigten Staaten. Das hat Sie in Ihrer Arbeit sehr geprägt. Wie stark schätzen Sie selbst den amerikanischen Einfluss auf Ihre Gedanken ein? Und wo wären Sie heute ohne die USA-Aufenthalte?

Sicherlich gäbe es das Buch „Schreiben in der Lehre“ ohne die USA-Aufenthalte nicht. Das heißt nicht, dass für mich die USA das geheiligte Land sind und alles dort nur wunderbar ist. Aber durch eine spezifisch historische Konstellation, ist Schreiben an amerikanischen Universitäten bereits im 19. Jahrhundert gelehrt worden und das hat dazu geführt, dass es bereits sehr früh einen expliziten Diskurs über Formen, Ansätze und Methoden gab. Dieser Diskurs fehlte in Deutschland bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhundert vollkommen.

Wenn man sich also für die Vermittlung des Schreibens an Hochschulen interessiert, kommt man um die USA eigentlich nicht drumherum. Es ist spannend, in die dortigen Debatten einzutauchen und schnell wird deutlich: es gibt natürlich nicht einen Weg, das Schreiben zu lehren, es ist ein umstrittenes und vieldiskutiertes Thema, wie am besten vorzugehen ist. Wir Europäer sind seit vielen Jahren auf der EATAW (European Association for the Teaching of Academic Writing) mit amerikanischen Kolleg/innen im Austausch und durch diesen Austausch und natürlich der ganz konkreten praktischen Arbeit bin ich nach und nach zu einer Einschätzung gekommen, was in unserem Kontext funktionieren könnte. Aber ich lade ja mit dem Buch auch weiterhin zum Experimentieren ein. Es enhält weniger Rezepte als Versuchsanleitungen. Von meinen USA Aufenthalten habe ich vor allem die Gewissheit mitgenommen, dass schon viele, viele Lehrende sich darauf eingelassen haben, mit dem Schreiben in der Lehre neue Wege zu gehen und davon profitiert haben.

Was von den amerikanischen Konzepten ist übertragbar, was nicht?

Ich würde sagen, Grundideen und Haltungen sind übertragbar. So zum Beispiel die Idee, dass Schreiben nicht jenseits der regulären Lehre in Extra-Kursen gelehrt werden sollte, sondern als integraler Bestandteil der fachlichen Auseinandersetzung. Oder das Verständnis, dass Schreiben ein Prozess ist und gute Texte nicht aus einem Geniestreich heraus enstehen, sondern das Ergbnis von handwerklichen Tätigkeiten sind, die man erlernen kann. Wie ich bereits gesagt habe, ich finde es eigentlich das wichtigste, das mal live zu erleben. Wie sieht es aus, wenn diese Ideen und Überzeugungen gelebt werden?

Der Rest ist dann Handwerkzeug und kontextsensible Umsetzung. Hier spielt die Taktung der Seminarsitzungen sicherlich eine Rolle. Wenn in den USA Studierende wöchentlich mehrere Sitzungen mit einem Lehrenden verbringen, bringt das bestimmte Möglichkeiten für regelmässige Schreibaufgaben mit sich. Aber auch in unserem Ein-Wochen-Rhythmus können Schreibaufgaben von einer Sitzung zur anderen gestellt werden. Von all den Konzepten, die ich kennen gelernt habe, fällt mir keines ein, das in unserem Kontext in keinem Fall machbar wäre. Natürlich sind dabei Anpassungen immer notwendig.

Das Lesen als Teil des wissenschaftlichen Arbeitens rückt seit einigen Jahren stärker in den Fokus, auch in Ihrem Buch. Wieso?

Vermutlich habe ich als jemand, der die Vermittlung des Schreibens immer vom Schreibprozess her gedacht hat, eine etwas andere Wahrnehmung. Für das Schreiblabor hat Lesen immer schon unbedingt dazu gehört. Eine der wichtigsten und ältesten Übungen aus dem Repertoire des Schreiblabors stammt von Gabriela Ruhmann und heißt „Aus alt mach neu“ und thematisiert den Übergang vom Lesen zum Schreiben des eigenen Textes.

Sie haben viele Fachkulturen kennengelernt durch Ihr Studium, durch die Tätigkeit in den verschiedenen Projekten und als Reihenherausgeberin. Was war in all den Jahren die überraschendste Erkenntnis in Hinblick auf die unterschiedlichen Fachkulturen?

Überrascht hat mich, dass viele Naturwissenschaftler/innen, das was sie vor dem Aufschreiben des eigentlichen Textes verfasst haben, nicht als Schreiben bezeichnen würden, obwohl ohne Zweifel viel geschrieben wird, wie z.B. die Laborprotokolle in der Biologie oder der Chemie.

Was ist Ihrer Meinung nach das Verbindende zwischen den Fachkulturen? Oder ist das so wenig, dass Wissenschaftliches Arbeiten zwangsläufig fachspezifisch gelehrt werden muss?

Verbindend ist, dass man sich für das Schreiben in jeder Disziplin auf einen ergebnisoffenen Prozess einlassen muss, d.h. man weiß am Ende noch nicht, was dabei heraus kommen wird. Die Tätigkeiten im einzelnen sind fachspezifisch, z.B. die Art und Weise, wie mit wissenschaftlicher Literatur gearbeitet wird. Ich halte eine fachübergreifend arbeitende Schreibdidaktik für sinnvoll und zwar dann, wenn sie sich auf die Schreibprozesse konzentriert.

Wie kann es noch besser und über die Universität Bielefeld hinaus gelingen, die Fachlehrenden für die Bedeutung des Wissenschaftlichen Arbeitens zu sensibilisieren? Wer sollte das tun, und wie?

Ich gehe davon aus, dass Lehrende sich weitgehend einig sind über die große Bedeutung des wissenschaftlichen Arbeitens. Die Meinungen gehen allerdings dahingehend auseinander, wer, wo, an welcher Stelle im Studium für die Vermittlung zuständig ist. Manchmal wird hier gerne der schwarze Peter immer an die nächste Stelle weiter gereichtet: Betreuer von Abschlussarbeiten beklagen, dass die Fähigkeiten nicht bereits im ersten Semester erworben wurden, die Lehrenden der Grundlagenveranstaltungen beschweren sich über das Niveau, mit dem Schüler/innen aus der Schule entlassen werden usw.

Es wäre wichtig, den Mythos, dass es eine Instanz und einen Ort geben könne, an dem Studierende das Schreiben erlernen, aufzugeben. Schreibvermittlung ist eine Gemeinschaftsaufgabe und gelingt am besten in der Zusammenarbeit von Lehrenden in den jeweiligen Fachbereichen und auch in der Zusammenarbeit mit Schreibzentren. Schreiben muss im ganzen Studium stattfinden – mit entsprechender Rückmeldung auf Texte und Gelegenheiten zum Austausch.

Ich versuche in Gesprächen mit Lehrenden deutlich zu machen, dass sie ihre Fachlehre nicht verlassen, wenn sie das Schreiben explizit zum Thema machen, sondern sich im Gegenteil genuin mit dem Fach beschäftigen, nämlich die Art und Weise, wie dort Erkenntnisse generiert werden. Das ist für viele überzeugend.

Über diese individuelle Ebene hinaus, halte ich es hochschulpolitisch momentan für besonders wichtig, sich über die Schreibinitativen Gedanken zu machen, die im Zuge des „Qualitätspakt Lehre“ an vielen Hochschulen in Deutschland entstanden sind. Viele dieser Projekte sind mittlerweile in der zweiten Förderphase, die 2020 ausläuft. Hier müssten dringend Wege zur Verstetigung gefunden werden, weil sonst kostbar erworbenes Erfahrungswissen verloren geht.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Vorbehalte der Lehrenden gegenüber „Schreiben in der Lehre“?

Einige Lehrende fürchten, dass ihnen noch etwas Zusätzliches, Fachfremdes aufgezwungen wird. Ich kann das gut nachvollziehen. Lehrende sind seit Jahren in Reformprozesse involviert – wer begibt sich schon gerne erzwungenermaßen in Veränderung? Hinzu kommt, dass Lehrende in der Regel ja selbst in ihrem Studium erfolgreich Schreibende waren und deshalb erschließt sich nicht jedem, warum eine Veränderung überhaupt notwendig ist.

Wie können Lehrende das Schreiben in die Lehre integrieren, wenn das Lehrformat nicht passt? In Blockseminaren stelle ich es mir beispielsweise schwierig vor, mehr als nur einfache Minutenpapiere zu nutzen.

Ich würde empfehlen, weniger von den Formaten auszugehen, sondern von den Zielen. Was sollen die Studierenden am Ende der Veranstaltung wissen und können? Und wie könnte das Schreiben dabei helfen? Es muss ja nicht um jeden Preis geschrieben werden. In den USA gab es an der Miami University vor einigen Jahren eine Initiative „Less is more“, d.h. es wurde hier sogar empfohlen, die Menge der Schreibaufgaben zugunsten einiger, weniger aber lernträchtiger Aufgaben zu reduzieren.

Das Wichtigste ist also, sich genau zu überlegen, warum man mit welchem Ziel was schreiben lässt. Mit Blockveranstaltungen habe ich gute Erfahrungen, weil Studierenden zu den Sitzungen umfangreichere Texte einreichen können und man dann auch ausreichend Zeit hat, um sich mit ihnen auseinander zu setzen.

Wenn die Fach-Lehrenden den Ansatz des Schreibens in der Lehre übernehmen, haben sich dann die Schreibberater nicht selbst abgeschafft?

Ich hatte ja bereits den Mythos erwähnt, die Fiktion, dass Schreiben an einer Stelle im Studium von einer Instanz vermittelt wird. Lehrende und Schreibberater/innen haben jeweils eigene Möglichkeiten und im besten Fall ergänzen sich die Angebote. Wir sind in Bielefeld tatsächlich mit dem Anspruch angetreten, uns im Laufe der Jahre überflüssig zu machen. Das war eine etwas vereinfachte Vorstellung.

Was tatsächlich passiert, ist Ausdifferenzierung: Schreibberater/innen sind für mich Schreibprozessexpert/innen mit eigener Beratungsexpertise. Studierende sind in punkto Bewertung und Noten von ihnen nicht abhängig, daher ist die Beratung gerade in persönlich schwierigen Situationen hilfreich. In der Zusammenarbeit mit Lehrenden bringen die Berater/innen eine überfachliche Perspektive mit ein. Sie rezipieren aktuelle Forschung und pflegen den Austausch mit Kolleg/innen – sind also eine Art „Think Tank“ für Themen rund um das Schreiben. Es ist Sache der Universitäten zu entscheiden, ob sie diese Art von Arbeit als Luxus oder als selbstverständlichen Teil ihrer Infrastruktur betrachten.

Wenn Sie einem Studierenden nur einen einzigen Ratgeber zum Wissenschaftlichen Arbeiten empfehlen dürften, welcher wäre es?

Meine Empfehlung ist, sich mehrere Ratgeber zur Hand zu nehmen, es gibt inzwischen ja unglaublich viele, ein bisschen darin zu lesen und dann zu schauen, wie man sich angesprochen fühlt. Ein guter Ratgeber ist ein Herz- und Hosentaschenbuch, eine Vade mecum, das man immer mich sich herumschleppen möchte. Ein Buch, das sich so anfühlt, als sei es genau für einen selbst geschrieben. Und dann damit arbeiten. Ausprobieren, was empfohlen wird. Schreiben!

Welche Projekte stehen bei Ihnen als nächstes an? Oder ist jetzt nach der Fertigstellung des Buches erst einmal eine kreative Pause angesagt?

Mal schauen, was kommt. In jedem Fall werde ich weiterhin Herausgeberin der Reihe „Schreiben im Studium“ sein. Hier sind einige Bände in Arbeit. Als nächster Band erscheint ein Ratgeber zum „Zusammen schreiben“. Darauf freue ich mich sehr.

Swantje Lahm

Swantje Lahm MA

Swantje Lahm arbeitet seit 2002 im Schreiblabor der Universität Bielefeld. Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist derzeit die Zusammenarbeit mit Lehrenden. Ihr Motto ist: „Schreiben ist Planung. Schreiben ist Improvisation.“ Zwischen diesen beiden Polen bewegt sie sich auch selbst – lehrend und schreibend. Hilfreich für die Arbeit mit Schreibenden, Forschenden und Lehrenden aus unterschiedlichen Disziplinen ist der Blick auf Texte und Prozesse, den sie im Laufe ihres Studiums (Geschichte, Soziologie, Osteuropäische Studien) entwickelt hat. Jüngste Publikation: Schreiben in der Lehre. Handwerkszeug für Lehrende. Verlag Barbara Budrich (2016).

 

Ergänzung vom 16. Dezember 2016

An der TU Dresden entsteht ein Schreibzentrum. Aus diesem Anlass ist eine gekürzte Version des Interviews im dortigen Universitätsjournal erschienen (S. 3).