Silvio Gerlach (2017): In 200 Tagen zur Diss. Der Diss Guide. Berlin: Studeo Verlag.
Preis: 39,95 Euro
Inhaltsverzeichnis
Meilenstein 1: Ziel und Motiv sind klar!
Meilenstein2: Thema und Frage sind gefunden!
Meilenstein 3: Design und Exposé sind fertig!
Meilenstein 4: Kapitel Theorie, Forschungsstand und Modell sind fertig!
Meilenstein 5: Forschungsplan ist fertig!
Meilenstein 6: Daten sind gesammelt und analysiert!
Meilenstein 7: Kapitel Ergebnisse ist fertig!
Meilenstein 8: Dein Text ist fertig und gedruckt!
Meilenstein 9: Verteidigung ist geschafft!
Meilenstein 10: Publiziert! Du bist Frau Dr./Herr Dr.!
Gerlach: Gnadenloser Pragmatismus
Oha, Silvio Gerlachs Ratgeber will laut Klappentext „jedem Diss-Schreiber 1 Jahr sparen“.
Mit einer ordentlichen Portion Skepsis beginne ich die Lektüre. Was steckt hinter einem solchen Spruch? Will hier jemand einfach sein Buch gut verkaufen? Auch der Titel lenkt ja in eine ähnliche Richtung: „In 200 Tagen zur Diss“ – da beginne ich hochzurechnen… Ein Arbeitsjahr hat etwa 250 Arbeitstage, das wäre ja dann sehr schnell. Allerdings haben Doktoranden üblicherweise noch andere Verpflichtungen. Nehmen wir das mit ins Kalkül, bleibt die Berechnung dennoch weit, sehr weit unter der durchschnittlichen Bearbeitungszeit für eine Dissertation.
Techie
Der Autor treibt den Leitspruch „Schreiben ist Handwerk“ auf die Spitze: Mit der richtigen Technologie kommen alle ans Ziel. Seine baut auf Meilensteine und Sprints sowie die Mikrofragentechnik beim Schreiben auf. Die sehr stark vereinfachende Vorgehensweise vermittelt nun vielleicht den Eindruck, es gehe streng nach Schema F. Aber es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Schleifen im Prozess durchaus möglich und manchmal sogar nötig sind.
Sprachlich kommt der Text locker, direkt und motivierend daher. Der verstärkte Einsatz von Ausrufungszeichen ist sicher nicht jedermanns Geschmack, und die doch überdurchschnittlich vielen Flüchtigkeitsfehler haben meine Lesefreude zudem sehr getrübt. Gerlach wechselt häufig zwischen kurzen Fließtextpassagen, Aufzählungen und Überblickstabellen, was das schnelle Erfassen des Inhalts fördert. Bei manchen dieser verknappt dargestellten Informationen fehlen jedoch zum besseren Nachvollziehen die Begründungen, was mit mehr Fließtext wahrscheinlich nicht passiert wäre.
Da der Ratgeber allgemeingültig sein soll, bleibt er in Bezug auf die Inhalte und Beispiele auf einer eher oberflächlichen und daher gut verständlichen Ebene. So können Promovierende die Übertragung auf ihre eigenen Inhalte individuell vornehmen. Hinsichtlich der Methoden (Fragebogen-Erstellung und Datenauswertung in Sprint 34 und 39) hätte ich mir dann mehr Tiefgang gewünscht, was wohl allerdings den Rahmen des Buches sprengen würde. In der derzeitigen Ausgestaltung erfüllt es jedoch keinen echten Zweck. Denn a) sollte vieles davon der Zielgruppe schon bekannt sein und b) sollte sie in ihren eigenen Arbeiten über dieses Niveau hinausgehen. Vermutlich erzeugt die Lektüre dieser Kapitel bei den Promovierenden ein gutes Gefühl von „Ich weiß das schon!“ bzw. „ich weiß das viel besser!“, womit ihnen ja auch geholfen wäre.
Ich könnte noch etliche Punkte ausführen, die mir nicht zu 100 Prozent zusagen. So finde ich beispielsweise einige der Schreibtipps fragwürdig, ebenso die Mustergliederung. Negativ fällt mir auch der bis auf eine Ausnahme fehlende Bezug auf Quellen und andere Ratgeber auf.
Aber stopp. Ich führe das eben nicht weiter aus. Denn jetzt kommt es: Meine große Skepsis vom Anfang ist mittlerweile einem Anflug von Begeisterung gewichen. Warum? Ich mag es, wenn jemand das Bewährte herausfordert und dabei mit Mythen und vermeintlichen Weisheiten aufräumt. Das tut Gerlach. Das Buch hat mir gedanklich einen großen, kräftigen Tritt in den Allerwertesten gegeben. Darüber freue ich mich sehr.
Welchen Studierenden kann man das Buch empfehlen?
Zwei Personengruppen kann ich mir als potentielle Leserschaft vorstellen: alle, die mit dem Gedanken an eine Promotion spielen, und alle, die am Anfang des Promotionsprozesses stehen.
Sicher gibt es bestimmte Schreibertypen, denen die von Gerlach vorgeschlagene Herangehensweise gut gefällt. Ich weiß nicht genau wieso, aber ich habe hier witzigerweise sehr selbstsichere Männer vom Typ „Macher“ vor dem inneren Auge. Jemand, der schnell Ergebnisse sehen will, und nicht lange alle möglichen Alternativen prüft und abwägt und noch einmal intensiv nachdenkt, bevor er eventuell…
Wahrscheinlich tut das Buch aber auch jenen gut, die zum Grübeln und Zaudern neigen. Sie erhalten eine klare Richtlinie. Von der weichen sie beim Anfertigen ihrer Dissertation eventuell etwas ab. Das halte ich immer noch für besser, als gar keine Orientierung zu haben. Gerade Doktoranden sehen ja oft den Wald vor lauter Bäumen nicht, weil sie sehr viel Detailwissen anhäufen und gleichzeitig den Anforderungen aus dem Umfeld gerecht werden wollen. Mit dem vorliegenden Buch nehmen sie das Heft selbst in die Hand.
Was bringt das Buch für den Einsatz in der Lehre?
Manche Lehrenden könnten sich davon inspirieren lassen und damit für ihre Doktoranden das Leben leichter machen, anstatt es zu verkomplizieren.
Vielleicht möchten Sie ja Ihre bisherige Herangehensweise in Frage stellen? Dann wäre dieses Buch eine hervorragende Einstiegslektüre.
Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!