Ein paar Gedanken zum Schreiben im Studium mit und ohne KI-Tools

letzte Aktualisierung: 26. Juli 2023

Offensichtlich gibt es nur noch ein Thema in der Hochschullandschaft: künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen. Wie verändert das Schreiben mit KI-Tools das Studium und die Lehre?

Aus aktuellem Anlass: meine Fragen zu Schreiben im Studium

In den vergangenen Wochen und Monaten, genauer gesagt seit der Veröffentlichung von ChatGPT Ende 2022, habe ich mir die folgenden Fragen gestellt:

  • Wozu dienen klassische Haus-, Seminar- oder Abschlussarbeit und ähnliche Texte noch in Zeiten von KI-Tools? Wie müssen Lehrende diese Arbeiten ggf. umgestalten?
  • Wie verändern sich in der aktuellen Situation die Rollen und Aufgaben aller Beteiligten?
  • Wie funktioniert in Bezug auf Hausarbeiten eine sinnvolle Integration von Entwicklungsorientierung und KI?

Meine Grundhaltung zum Schreiben mit KI-Tools und zur Hochschullehre

Meine grundsätzliche Haltung zum Schreiben mit und ohne KI-Tools einerseits und zur Hochschullehre andererseits lässt sich wie folgt zusammenfassen:

  • Das Schreiben von wissenschaftlichen Texten im Studium ist ein Lern- und Entwicklungsinstrument. Studierende wollen lernen und sich entwickeln. Das voreilige Abschaffen von Hausarbeiten u. ä. schadet mehr als es nutzt.
  • KI-Tools müssen sinnvoll in den Schreibprozess integriert werden. Das Prüfungsformat „Haus- und Abschlussarbeit“ imitierte schon immer das Schreiben „echter“ wissenschaftlicher Arbeiten, also müssen Studierende alle zur Verfügung stehenden Tools nutzen dürfen, die Wissenschaftler:innen auch nutzen.
  • Paradoxerweise bewirken die technischen Entwicklungen voraussichtlich, dass die Menschen an den Hochschulen wieder wichtiger werden. Lehrende, die sich nur über ihren Expert:innenstatus definieren, sind für die Studierenden als Vorbild dabei zunehmend uninteressant. Lehrende, die Studierende bei ihrer Entwicklung unterstützen, prägen die Hochschule der Zukunft.

Schlussfolgerungen und weiterführenden Gedanken

Führt man diese Gedanken zusammen, ist der Weg klar:

Wir müssen mit den Studierenden gemeinsam KI-Tools testen, und wir alle sollten sie beim Schreiben an passenden Stellen gewinnbringend einsetzen.

Im Detail führe ich das in meinem Gastbeitrag „Die Hausarbeit ist tot, es lebe die Hausarbeit!“ – Entwicklungsorientierung, wissenschaftliches Arbeiten und KI gemeinsam denken“ auf dem Blog  des Hochschulforums Digitalisierung aus, der in den Dossiers „Gute Lehre“ und „Generative KI“ zu finden ist. In dem Beitrag sind auch Vorschläge für die konkrete Umsetzung in der Lehre enthalten.

Cover HFD-Gastbeitrag Dr. Andrea Klein Wissenschaftliches Arbeiten/Schreiben im Studium mit KI-Tools, Entwicklungsorientierung 
17. Februar 2023

Buchtipp „Wissenschaftliche Arbeiten schreiben“ (3. Auflage)

Cover Andrea Klein 2023 Wissenschaftliche Arbeiten schreiben

Zum Weiterlesen: Blogartikel „Man nehme drei KI-Tools“

Wissenschaftliches Arbeiten lehren: unsere Top 10

(Teil 2)

Ein Gastbeitrag von Katharina Pietsch, Tyll Zybura und Jessica Koch (Unconditional Teaching)

Unconditional Teaching (bedingungslose Lehre) basiert auf der Grundüberzeugung, dass Lernen dann gelingt, wenn Lernende ihr Lernen für sich selbst bedeutungsvoll machen können und es in gleichwürdige, wertschätzende Lehr-Lern-Beziehungen eingebettet sehen. Was das für das Lehren von wissenschaftlichem Arbeiten bedeutet, haben wir hier in zehn Prinzipien zusammengefasst. Die ersten 5 Punkte stellen wir in Teil 1 dieses Gastbeitrags vor:

1) Gute Lehr-Lern-Beziehungen sind die wichtigste Basis.

2) Lernen gehört den Lernenden.

3) Wissenschaftliche Forschung basiert auf Neugier und Kreativität, und Bewertung und Benotung sind für beide schädlich.

4) Wenn wir wollen, dass Studierende sich wie Wissenschaftler*innen verhalten, müssen wir sie auch wie Wissenschaftler*innen behandeln.

5) Bedeutungsvolle Kontexte gestalten.

6) Lernen als Aneignung von Strategien statt von Kompetenzen denken.

Lehre als Vermittlung von Kompetenzen zu denken, lädt zu einer defizitorientierten Sicht auf Lernende ein: Sie verfügen offensichtlich nicht über die Kompetenzen, von denen wir annehmen, dass wir sie unterrichten; sie sind standardmäßig inkompetent. Außerdem ist diese Vorstellung von Lehre mechanistisch und damit unrealistisch: Wenn man eine bestimmte Kompetenz erworben hat, dann kann man etwas Bestimmtes leisten, egal in welchem Kontext oder unter welchen Umständen. Dass wir nur dann etwas so Komplexes wie wissenschaftliches Arbeiten wirklich lernen, wenn wir es in unterschiedlichen Kontexten immer wieder tun, wird dabei nicht berücksichtigt. Diese Vorstellung von Lernen als Kompetenzerwerb trägt auch zu unserer Frustration als Lehrende bei, weil sie uns glauben macht, dass Studierende dieses oder jenes „können sollten“, nachdem sie es einmal „gelernt haben“.

Wenn wir dieser mechanistischen, defizitären Sicht auf Lernen ein Sprechen über Strategien entgegensetzen, wird es viel einfacher, die Fähigkeiten und Ressourcen in den Blick zu nehmen, die Lernende bereits haben. Denn für alles, was wir tun, haben wir bereits Strategien – nur manchmal führen diese nicht zu dem Ergebnis, das wir uns wünschen, oder sie sind weniger effektiv, als wir gut fänden. Dann macht es Sinn, andere oder neue Strategien auszuprobieren – dafür ist es gut, wenn Lernende im Unterricht eine Vielfalt an Strategien angeboten bekommen. Für uns ist das eine funktionalere und nützlichere Vorstellung von Lernen, bei dem im Vordergrund steht herauszufinden, mit welchen Strategien individuelle Lernende die Funktionen von wissenschaftlichem Arbeiten für sich selbst am besten umsetzen können.

Mehr dazu lesen:

Tyll Zybura: „For Strategies-based Teaching“ (https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=for-strategies-based-teaching)

7) Die eigene Wissenschaftspraxis transparent machen.

Ein Grund dafür, dass wissenschaftliches Arbeiten zu lernen für Studierende schwer ist, hat damit zu tun, dass ihnen Wissenschaft nur als Ergebnis begegnet – in Form fertiger Artikel oder Bücher etwa –‍, der Entstehungsprozess dieser Produkte aber wie eine Black Box ist.

Wann immer möglich sollten wir als Lehrende Studierenden deshalb Einblicke in unserer eigenes wissenschaftliches Arbeiten geben: wie wir selber recherchieren, Texte lesen, Texte schreiben, überarbeiten und publizieren, wie wir uns mit einem Abstract für einen Beitrag auf einer Konferenz bewerben und wie wir uns auf einen Konferenzvortrag vorbereiten. Wir können Studierenden verschiedene Versionen unserer Texte oder Vorträge zeigen, damit sie sehen können, wie viel Entwurfs- und Überarbeitungsarbeit vor dem fertigen Ergebnis passiert.

Darüber hinaus ist es gut, wenn wir uns auch als Personen zeigen: Wir stehen für unsere Studierenden sozusagen Modell als professionelle Akademiker*innen mit Ecken und Kanten, mit Leidenschaft und mit Selbstzweifeln, mit Knicken im Lebenslauf und mit Stolz auf unsere Leistungen. Wir können darüber sprechen, wie wir mit Nervosität vor Vorträgen, mit kritischem Feedback oder dem Imposter-Syndrom umgehen. (Und natürlich sollten wir all das nicht in direktiver didaktischer Absicht tun, um Studierenden vorzugeben, wie sie selbst leben, denken und arbeiten sollen.)

8) Funktionen lehren statt Regeln.

In vielen Bereichen legen wir den Fokus darauf, die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens zu lehren, und vernachlässigen dabei die Funktionen, die diese Regeln erfüllen helfen sollen. Und das ist angesichts der Bewertungsorientierung unserer Lehre auch naheliegend, weil das Einhalten von Regeln oft leichter zu kontrollieren ist. Anwesenheitspflicht durchzusetzen ist einfacher, als die eigene Lehre so zu gestalten, dass Studierende die diskursiven Prozesse in der Präsenzzeit als wertvoll und bereichernd erfahren. Die Anzahl der referenzierten wissenschaftlichen Literatur in einer studentischen Arbeit vorzugeben ist einfacher, als Studierenden dabei zu helfen zu einer Einschätzung darüber zu kommen, welche Literatur für ihre Arbeit sinnvoll und angemessen ist. Und die Verwendung der ersten Person zu verbieten ist einfacher, als über die Funktionen von Wissenschaftssprache zu sprechen und Studierende zu ermutigen, ihre eigene Stimme zu finden.

Regeln sind also immer Abkürzungen, und sie lassen dabei das Wichtigste links liegen: nämlich ein Verständnis von wissenschaftlichem Arbeiten zu vermitteln, das es Lernenden erlaubt, sich eigenständig dazu ins Verhältnis zu setzen. Regeln zu lehren stärkt die Autoritätsposition von Lehrenden und macht Studierende deshalb abhängig von der Bewertung anderer. Diese Abhängigkeit behindert sie darin, selbstständig zu arbeiten und ihre eigene Arbeit einschätzen zu lernen. Je mehr Studierende sich unter dem Druck sehen, die formalen Regeln ihrer individuellen Betreuer*innen herausfinden und einhalten zu müssen, umso mehr geht ihnen der Blick für die kommunikative Funktion ihres Textes verloren. Das buchstabengetreue Befolgen von formalen Regeln wird zu einem Absicherungsverhalten, das zu Texten führt, die vielleicht formal korrekt sind, die aber ihr wissenschaftliches Anliegen nicht gut kommunizieren. Funktionen zu lehren statt Regeln erlaubt Studierenden, ihre eigenen Lösungen zu finden, und hilft ihnen deshalb auch dabei, ihre Arbeit für sich sinnhaft zu machen.

9) Wissenschaft bedeutet, Positionen zu verteidigen, nicht Fakten zu finden.

Medien und Schule vermitteln uns den Eindruck, dass es bei Wissenschaft um das Finden von Fakten geht („Die Wissenschaft hat festgestellt …“). Dieses Verständnis von Wissenschaft führt Studierende jedoch häufig in die Irre; vor dem Etablieren von Fakten geht es in der Wissenschaft um das Verteidigen von Positionen: darum, wessen Theorie, Hypothese, Argument, Erklärung, Interpretation oder Studienergebnis in der Diskursgemeinschaft der jeweiligen Disziplin als valide und überzeugend anerkannt wird. Und das müssen wir immer wieder thematisieren, sowohl bei der Arbeit mit Texten als auch wenn wir wissenschaftliches Schreiben lehren.

Wenn Studierende in den Texten von anderen nur nach Fakten suchen und sich in ihren eigenen Texten nur darauf konzentrieren, Fakten zu präsentieren, übersehen sie leicht, wo Wissenschaftler*innen Positionen austauschen und in welcher Weise – affirmativ oder in Abgrenzung – sie sich auf andere beziehen. Es wird ihnen außerdem schwerer fallen zu verstehen, warum es beim wissenschaftlichen Arbeiten so wichtig ist, jeden Bezug auf andere Wissenschaftler*innen transparent zu machen: Warum sollte das nötig sein, wenn es nur um Fakten ginge? Fakten sind schließlich Fakten, egal, wer darüber schreibt.

10) Plagiate als handwerkliches und nicht als moralisches Problem behandeln.

Plagiate in studentischen Arbeiten sind in der Regel das Ergebnis von Panikreaktionen auf überwältigenden Druck oder von mangelnder Vertrautheit mit den Prämissen der akademischen Wissensproduktion. In beiden Fällen hat Plagiieren seinen Ursprung darin, dass Studierende von der Institution zu wenig Strategien an die Hand bekommen, die ihnen beim wissenschaftlichen Schreiben Klarheit und Sicherheit geben. (Während unser benotungsbasiertes Bewertungssystem gleichzeitig Anreize setzt, die Plagiieren als sinnvolle Lösung erscheinen lassen.) Ein Aspekt dieses institutionellen Versagens besteht darin, dass wir Plagiieren als moralisches und nicht als technisches Problem normalisiert haben.

Statt dieser defizitorientierten Herangehensweise, die sich auf Fehler und Bestrafung konzentriert, sollten wir: Erstens vermeiden, Studierende einzuschüchtern und zu beschämen, und Plagiieren stattdessen ausschließlich als ein spezifisches handwerkliches Problem behandeln. Zweitens den Fokus mehr darauf legen zu verdeutlichen, warum Wissenschaftler*innen so sehr darin investiert sind, die intellektuellen Einflüsse anderer auf die eigene Arbeit offenzulegen.

Anstatt Studierenden zu sagen: „Tut dies nicht, achtet darauf, jenes zu vermeiden“ und damit das wissenschaftliche Schreiben als ein prekäres Unterfangen darzustellen, das leicht zu katastrophalen Fehltritten führen kann, können wir das Erlernen wissenschaftlicher Arbeitsweisen als den Erwerb einer Expertise behandeln, die Studierenden Zugang zu Wissenschaft als Gemeinschaftsprojekt ermöglicht.

Nur wenn Studierende sich selbst als Wissenschaftler*innen verstehen und sich mit ihren eigenen Beiträgen in diese Wissenschaftsgemeinschaft eingeladen fühlen, nur wenn wir ihnen die Freiheit zugestehen, ihre eigenen Ideen und Herangehensweisen zu entwickeln, werden sie verstehen, warum individuelle Autorschaft und die Anerkennung dieser Autorschaft durch andere in der Wissenschaft so eine große Rolle spielen. Und dann werden Plagiate ganz automatisch weniger vorkommen.

Mehr dazu lesen:

Tyll Zybura: „Teaching About Plagiarism (or Not)“ (https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=teaching-about-plagiarism-or-not)

Über uns:

Wir – Katharina Pietsch, Tyll Zybura und Jessica Koch – sind oder waren Lehrende und Forschende an der Universität Bielefeld in der anglistischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Gemeinsam haben wir 2019 das Projekt Unconditional Teaching gegründet mit dem Ziel, Konzepte für beziehungsreiche und machtsensible Lehre zu entwickeln. Auf unserer Webseite veröffentlichen wir Texte und den Unconditional Teaching Podcast zu Haltungen und Praktiken, die dabei helfen können, Lehre bedürfnisorientierter, wertschätzender und menschlicher zu machen. Und wir schulen Hochschullehrende in empathischer Kommunikation, in Sensibilität für mentale Gesundheit und in innovativen Ansätzen kollaborativer Lehre.

Tyll und Katharina haben außerdem zusammen mit Vivian Gramley den Ratgeber Writing in English Studies: A Guide for Students in English Linguistics and Literature (Barbara Budrich 2020) veröffentlicht, der unseren nicht-normativen Ansatz für das Lehren von wissenschaftlichem Schreiben widerspiegelt und den Fokus darauf legt, die Funktionen disziplinspezifischer Konventionen transparent zu machen und Studierende zu ermutigen, Expert*innen ihres eigenen Schreibens zu werden.

Webseite: www.unconditional-teaching.com

E-Mail: team@unconditional-teaching.com

Instagram: @unconditionalteaching

Tyll auf Linkedin: https://www.linkedin.com/in/tyll-zybura/

Katharina auf Linkedin: https://www.linkedin.com/in/katharina-pietsch-4bb626237/

Wissenschaftliches Arbeiten lehren: unsere Top 10

Teil 1

Ein Gastbeitrag von Katharina Pietsch, Tyll Zybura und Jessica Koch (Unconditional Teaching)

Unconditional Teaching (bedingungslose Lehre) basiert auf der Grundüberzeugung, dass Lernen dann gelingt, wenn Lernende ihr Lernen für sich selbst bedeutungsvoll machen können und es in gleichwürdige, wertschätzende Lehr-Lern-Beziehungen eingebettet sehen. Was das für das Lehren von wissenschaftlichem Arbeiten bedeutet, haben wir hier in zehn Prinzipien zusammengefasst:

1) Gute Lehr-Lern-Beziehungen sind die wichtigste Basis.

Alles Lernen findet in Beziehungen statt, aber die Art und Qualität dieser Beziehungen hat großen Einfluss auf die Qualität und den Erfolg von Lernen. Wissenschaftliches Arbeiten zu lehren bedeutet, Studierende in die Diskursgemeinschaft unserer wissenschaftlichen Disziplin einzuladen. Je mehr Studierende sich in dieser Einladung als Personen gesehen, wertgeschätzt und ermutigt fühlen, umso eher sind sie bereit, die Einladung auch anzunehmen und in selbstbestimmter und selbstverantwortlicher Weise nach ihrem Platz in unserer Wissenschaft zu suchen.

Deshalb sind bedürfnisorientierte, empathische, vertrauensvolle und gleichwürdige Lehr-Lern-Beziehungen so wichtig – also Beziehungen, in denen das gemeinsame Menschsein wichtiger ist als Didaktik, Lernziele und Bewertung. Etabliert und gepflegt werden diese Beziehungen durch wertschätzende Kommunikation.

Kommunikation, die es erlaubt, sich in Bildungskontexten als Mensch zu zeigen, schafft nicht nur wohltuende Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden, sondern auch zwischen den Lernenden und dem wissenschaftlichen Gegenstand: Wenn Studierende durch die Beziehung zu uns sehen können, was unsere Expertise uns bedeutet, dass wir Integrität und Würde als forschende Menschen haben, dann können sie viel leichter in eine positive Beziehung zu unserer Wissenschaft treten.

Mehr dazu lesen und hören:

Peter Felten & Leo Lambert: Relationship-Rich Education: How Human Connections Drive Success in College. Johns Hopkins UP, 2020.

Tyll Zybura: „Empathisch handeln (statt empathisch sein)“ https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=empathisch-handeln

Jessica Koch: „Radical Acceptance and expectations in teaching“ https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=radical-acceptance

The Unconditional Teaching Podcast: „Radikale Akzeptanz“ (https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=podcast-radikale-akzeptanz)

2) Lernen gehört den Lernenden.

Lehre ist kein linearer, mechanischer Akt der Wissensvermittlung: aus meinem Mund in deinen Kopf. Als Lehrende*r kann ich nur Angebote machen, und ich muss akzeptieren, dass ich keine Kontrolle darüber habe, ob und wie meine Angebote angenommen werden. Das Lernen ‚gehört‘ mir nicht, es gehört den Lernenden. Wenn wir das zu einem Grundprinzip unserer Lehre machen, wird es für Studierende viel leichter, Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu übernehmen und uns als Ressource und Unterstützung wahrzunehmen. Und wenn wir es ernst meinen damit, Lernende nicht als formbare Objekte, sondern als Akteur*innen ihrer eigenen Lernprozesse zu behandeln, dann macht es auch Sinn, sie aktiv nach ihren Lernbedürfnissen zu fragen.

Als Lehrende haben wir trotzdem die Prozessverantwortung für den Lernkontext und damit die Verantwortung für die Angebote, die wir Studierenden machen. Damit meine Angebote angenommen werden können, müssen sie als sinnhaft empfunden werden: Lernen passiert nur, wenn es für die Lernenden bedeutungsvoll ist.

Das kann bedeuten, dass wir den mündlichen oder schriftlichen Beiträgen von Studierenden in unserem Unterricht aktiv einen Wert geben, statt sie lediglich auf Korrektheit zu überprüfen. Oder dass wir Aufgaben so gestalten, dass sie die Basis für die nächste Unterrichtseinheit bilden. Oder dass wir in unseren Kursen Projekte oder Wissenschaftsformate umsetzen, innerhalb derer die einzelnen Unterrichtseinheiten als Schritte hin zu einem Ziel ganz von selbst Sinn ergeben. Oder dass wir den Arbeiten der Studierenden eine reale kommunikative Funktion geben, statt sie als reine Bewertungsobjekte zu behandeln.

3) Wissenschaftliche Forschung basiert auf Neugier und Kreativität, und Bewertung und Benotung sind für beide schädlich.

Neugier und Kreativität sind Grundbedingungen erfolgreichen wissenschaftlichen Forschens und erfolgreichen Lernens. Beides bedeutet, Neues auszuprobieren, oft mit einer beträchtlichen Wahrscheinlichkeit, dabei zu scheitern. Je mehr wir bereit sind, das Risiko des Scheiterns einzugehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir herausfinden, was tatsächlich funktioniert. Mit anderen Worten: Je mehr Neugier und Kreativität in Lern- und in Forschungsprozesse einfließen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir erfolgreich sind und dass wir dabei eine bereichernde Erfahrung machen.

Deshalb haben Lernen und Forschen viel mit Neugier und Kreativität und dem Eingehen von Risiken zu tun – und für all diese Dinge ist es schädlich, wenn andere Menschen sich in bewertender und beurteilender Weise einmischen. Sobald wir uns Sorgen darüber machen, wie andere uns beurteilen, verlagert sich unser Fokus auf das, was im Kopf dieser anderen Person vorgeht, und die Neugier auf das, was wir zu lernen und herauszufinden versuchen, rückt in den Hintergrund. Hinzu kommt: Je mehr Macht diese Beurteiler*innen haben und je mehr von ihrem Urteil abhängt, desto wahrscheinlicher ist es, dass ihr Urteil Gefühle von Angst und Scham hervorruft. Und sowohl Angst als auch Scham sind schädlich für Neugierde und Kreativität und damit für Lernen und Forschen insgesamt.

Wir können als Lehrende für unsere Studierenden ein Diskursumfeld schaffen, das ihnen zeigt, dass wir – als Kolleg*innen im Forschungsfeld – gemeinsam mit ihnen am Inhalt ihrer Arbeit interessiert sind. Indem wir uns nicht als ultimative Bewertungsinstanz zeigen, sondern als ernsthaft interessiert an ihrem wissenschaftlichen Beitrag, können unsere Studierenden uns als Verbündete wahrnehmen, was Scham- und Angstgefühle verringert. Wir arbeiten an einem gemeinsamen Ziel, das durch die Studierenden und ihr eigenes akademisches Interesse definiert wird.

Statt uns in erster Linie als Bewerter*innen und Benoter*innen zu verstehen, sollten wir so weit wie möglich:

  • sichere Räume für die Kreativität und Riskantheit von selbstverantwortlichem Lernen schaffen
  • Studierende als Forschende sehen und behandeln
  • kollegiales Feedback geben, statt zu bewerten und zu benoten
  • revisionsorientierte Schreibbetreuung anbieten, das heißt, Studierenden ermöglichen, einen fortgeschrittenen Text nach Feedback zu überarbeiten (und ihnen damit das gleiche Privileg zugestehen, das jede*r professionelle*r Wissenschaftler*in für sich in Anspruch nehmen kann, nämlich einen Text erst nach einem Rückmeldungsprozess zu finalisieren; das hilft auch dabei, die Ausgeliefertheit gegenüber Bewertung und Benotung abzumildern)

Mehr dazu lesen:

Katharina Pietsch: „Learning With the Freedom to Make Mistakes“ (https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=learning-with-the-freedom-to-make-mistakes)

Tyll Zybura: „Revision-oriented Supervision of Student Writing“ (https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=revision-oriented-writing-supervision)

4) Wenn wir wollen, dass Studierende sich wie Wissenschaftler*innen verhalten, müssen wir sie auch wie Wissenschaftler*innen behandeln.

Studierende machen im Studium nur selten die Erfahrung, dass ihre Ideen und die Ergebnisse ihrer Arbeit als Beiträge zur Diskursgemeinschaft ihrer Disziplin wahrgenommen und gewürdigt werden. Obwohl Kommunikation innerhalb der Diskursgemeinschaft zentraler Teil wissenschaftlichen Arbeitens ist, sind Studierende davon ausgeschlossen. Ihre Arbeit wird von anderen üblicherweise nur als Bewertungsobjekt wahrgenommen und behandelt, und das hat Auswirkung auf Sinn, Bedeutung und Motivation bei dem, was Studierende an der Uni tun. Dass etwa studentische Texte, die in wochen- und monatelanger harter Arbeit entstehen, ohne inhaltliche Resonanz mit einer Note versehen oder mit ein paar Credit Points vergütet werden und dann für immer in der Schublade verschwinden, ist eine systematische Abwertung der wissenschaftlichen Leistung, die in diesen Texten steckt.

Unser universitäres Ausbildungssystem leistet sich also die Diskrepanz, von Studierenden zu erwarten, dass sie sich verhalten wie Forschende, aber behandeln lassen wie Schüler*innen – das ist ein Widerspruch, der viele Schwierigkeiten beim Lehren von wissenschaftlichem Arbeiten erklärt. (Und ein Widerspruch, den vor allem Studierende ausbaden müssen, was bis hin zu Beeinträchtigungen ihrer mentalen Gesundheit führen kann.)

Wenn wir wollen, dass Studierende ihre eigene Arbeit als inhaltlich bedeutsam wahrnehmen und sich intrinsisch motiviert für eigene Forschungsthemen interessieren, müssen wir als Lehrende die Bedingungen dafür schaffen. Vermeintlich desinteressierte oder demotivierte Studierende sind meistens das Ergebnis der jahrzehntelangen Erfahrung, immer nur von anderen vorgegeben zu bekommen, was lernenswert ist, und nie nach den eigenen Interessen gefragt zu werden. Eins der wichtigsten Dinge, die Studierende deshalb von uns brauchen, ist die explizite Erlaubnis, ihre eigenen Ideen zu verfolgen.

Um Studierenden zu zeigen, dass wir sie als Forschende wahrnehmen, können wir sie außerdem einladen, an Konferenzen teilzunehmen oder diese selbst zu organisieren, oder sie dazu ermutigen, ihre Arbeit zu publizieren.

Und wenn Studierende eigene Ideen und Forschungsinteressen verfolgen, rückt in der Lehre automatisch die Frage stärker in den Vordergrund, was Studierende dafür brauchen. Die Frage, „was brauchst du?“ wiederum gibt den Lernenden die Verantwortung für ihr eigenes Lernen zurück.

Mehr dazu lesen:

Stefan Kühl: „Der publikationsorientierte Erwerb von Schreibkompetenzen.“ Das Hochschulwesen, 5+6/2015, S. 143–157.

Dzifa Vode & Frank Sowa (Hg.): Schreiben publikationsorientiert lehren: Hochschulische Schreiblehrkonzepte aus der Praxis. wbv, 2022.

5) Bedeutungsvolle Kontexte gestalten.

Das, was Studierende können, hat viel mit dem Kontext zu tun, der ihrem Arbeiten mehr oder weniger Sinn und Bedeutung gibt. Es lohnt sich für Lehrende, Lernkontexte zu schaffen, die zum Vorschein bringen, was Studierende tatsächlich können – das sorgt nicht nur für sinnhafte, selbstwirksame und motivierende Erfahrungen mit wissenschaftlichem Arbeiten für Studierende, sondern beschert auch uns als Lehrenden mehr Erfolgserlebnisse als das defizitorientierte Abprüfen von Wissen und Kompetenzen. Und die Qualität der Arbeiten von Studierenden steigt, weil Studierende, die eigene Forschungsergebnisse präsentieren möchten, ein größeres Bewusstsein für die kommunikative Funktion der Konventionen ihrer Diskursgemeinschaft bekommen.

Statt studentische Arbeiten als Hausaufgaben, Fingerübungen oder Probestücke zu sehen, sollten wir ihnen so weit wie möglich Bedeutung als Teil von Wissenschaftspraxis geben. Kontexte, in denen die Arbeit von Studierenden einen Platz als Forschungsbeitrag bekommt und inhaltliche Resonanz erfährt, können zum Beispiel Kurskonferenzen (professionelle Präsentation eigener Forschung vor Lehrenden und Studierenden des Fachs) oder Writers’ Rooms (publikationsorientierte Texterstellung mit Peer-Feedback) sein.

Mehr dazu lesen und hören:

Katharina Pietsch: „Lehrkonzept Kurskonferenz“ (https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=student-conference-reflection)

The Unconditional Teaching Podcast: „Teaching a Writers’ Room“ (https://www.unconditional-teaching.com/index.php?pg=teaching-a-writers-room)

In Teil 2 dieses Gastbeitrags geht es weiter mit:

6. Lernen als Aneignung von Strategien statt von Kompetenzen denken.

7. Die eigene Wissenschaftspraxis transparent machen.

8. Funktionen lehren statt Regeln.

9. Wissenschaft bedeutet, Positionen zu verteidigen, nicht Fakten zu finden.

10. Plagiate als handwerkliches und nicht als moralisches Problem behandeln.

Über uns:

Wir – Katharina Pietsch, Tyll Zybura und Jessica Koch – sind oder waren Lehrende und Forschende an der Universität Bielefeld in der anglistischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Gemeinsam haben wir 2019 das Projekt Unconditional Teaching gegründet mit dem Ziel, Konzepte für beziehungsreiche und machtsensible Lehre zu entwickeln. Auf unserer Webseite veröffentlichen wir Texte und den Unconditional Teaching Podcast zu Haltungen und Praktiken, die dabei helfen können, Lehre bedürfnisorientierter, wertschätzender und menschlicher zu machen. Und wir schulen Hochschullehrende in empathischer Kommunikation, in Sensibilität für mentale Gesundheit und in innovativen Ansätzen kollaborativer Lehre.

Tyll und Katharina haben außerdem zusammen mit Vivian Gramley den Ratgeber Writing in English Studies: A Guide for Students in English Linguistics and Literature (Barbara Budrich 2020) veröffentlicht, der unseren nicht-normativen Ansatz für das Lehren von wissenschaftlichem Schreiben widerspiegelt und den Fokus darauf legt, die Funktionen disziplinspezifischer Konventionen transparent zu machen und Studierende zu ermutigen, Expert*innen ihres eigenen Schreibens zu werden.

Webseite: www.unconditional-teaching.com

E-Mail: team@unconditional-teaching.com

Instagram: @unconditionalteaching

Tyll auf Linkedin: https://www.linkedin.com/in/tyll-zybura/

Katharina auf Linkedin: https://www.linkedin.com/in/katharina-pietsch-4bb626237/

10 Denkfehler beim Lehren des wissenschaftlichen Arbeitens

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Photo by Jonathan Farber on Unsplash

Es geht selten gut, wenn man denkt, dass…

(1) …alle Studierenden die Relevanz und den Sinn des wissenschaftlichen Arbeitens bereits kennen.

(2) …alle Studierenden dem wissenschaftlichen Arbeiten ablehnend gegenüberstehen.

(3) …die Studierenden selbst wissen und auch äußern, was sie zum Erlernen des wissenschaftlichen Arbeitens brauchen.

(4) …eine schriftliche Handreichung die Lehre und Betreuung ersetzen kann.

(5) …die Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens nach einmaligem Erklären auf Anhieb „sitzen“.

(6) …die ausführliche Besprechung von Fehlern, Fehlverhalten, Plagiaten usw. so abschreckend und lernförderlich wirkt, dass so etwas bei den studentischen Texten nicht vorkommen wird.

(7) .…man am besten beim Lehren des Zitierens beginnt.

(8) …die formale Gestaltung der Texte viel Raum in der Lehre einnehmen sollte.

(9) …dass Feedback überflüssig ist und/oder zeitraubend sein muss.

(10) … diese Liste vollständig ist.

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Wofür Ihnen die Studierenden wirklich dankbar sein werden

Ein Gastartikel von Sandra Müller, Master-Studierende der Übersetzungswissenschaften

Literaturverwaltungssoftware! Für mich als Studierende war diese Entdeckung in Bezug auf das wissenschaftliche Arbeiten während meiner Studienzeit einer der größten Augenöffner! Oder genauer gesagt, in meinem Fall: Citavi. Bis heute finde ich es bei jeder Haus- oder Abschlussarbeit immer wieder aufs Neue faszinierend, wie viel Zeit man mit einem einzigen Tool sparen kann und wie leicht einem bestimmte Arbeitsschritte und die Organisation der gesamten Arbeit gemacht werden.

Was ich hingegen schade finde, ist, dass ich diesen Aha-Moment eher zufällig und durch viel eigenes Zutun erreichen musste. Und dass vielen meiner Mitstudierenden dieser Moment deshalb vermutlich vorenthalten bleiben wird…

Woran es aktuell noch scheitert…

Wäre es nicht viel schöner, wenn Veranstaltungen und Dozierende gäbe, die auf so ein effizientes und hilfreiches Tool verweisen würden? Na klar, denken Sie sich jetzt vermutlich, jetzt sollen wir uns den Schuh auch noch anziehen – dabei sind es doch die Studierenden, die keine Lust haben, sich überhaupt mit wissenschaftlichem Arbeiten auseinanderzusetzen…

Ich würde gerne behaupten: es stimmt beides.

Natürlich gibt es genügend Studierende die bei Veranstaltungen mit Namen wie „Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten“ nur müde abwinken und meinen, sie können ihre Hausarbeiten schon irgendwie aus dem Ärmel schütteln, aber… In wie vielen solcher Veranstaltungen werden Literaturverwaltungsprogramme überhaupt angesprochen, geschweige denn genauer erläutert?

Aus meiner Erfahrung bisher: In den wenigsten!

Fehlende Information in den Veranstaltungen

Aber warum denn eigentlich? Liegt es daran, dass die Dozierenden selbst nicht so viel mit Literaturverwaltungssoftware arbeiten oder den Nutzen für Studierende nicht sehen? Gibt es in diesen Veranstaltungen keine Zeit für so etwas? Wird es von den Verantwortlichen, der Studiengangsplanung nicht gewollt? Ich weiß nicht… Vielleicht hab Sie da ja eine gute Idee?! 😉 Schreiben Sie es gerne in die Kommentare.

In meinem ersten Bachelor-Studiengang bin ich kurz vor knapp – will heißen, im letzten Semester – und eher zufällig auf eine Veranstaltung der Hochschulbibliothek gestolpert: eine kurzes Einführungsseminar in das Arbeiten mit Citavi. Im Master-Studiengang gab es gar keine Angebote zum wissenschaftlichen Arbeiten mehr – es wurde quasi vorausgesetzt, dass man das kann. Schließlich hat man ja schon eine Bachelorarbeit geschrieben… Nach einer Umorientierung fand ich mich in meinem zweiten Bachelor-Studiengang wieder und habe ich dann immerhin eine Übung zum wissenschaftlichen Arbeiten im Vorlesungsverzeichnis gefunden – im Wahlpflichtbereich. Aber von Literaturverwaltungssoftware keine Rede.

Man kann mir also nicht unbedingt fehlenden Willen vorwerfen.

Fehlender Wille und fehlendes Interesse der Studierenden

Natürlich gibt es vermutlich einige Kommiliton:innen, denen dieser Wille generell fehlt… Aber schauen wir uns doch lieber die ganz vielen Studierenden dazwischen an: Die, die sich vielleicht gerne damit auseinandersetzen wollen, aber es bisher nicht tun. Die folgenden Dinge habe ich schon von der einen oder anderen Person dazu gehört:

  • Oh, Citavi klingt irgendwie cool… aber irgendwie ist mir das zu anstrengend mich da für eine große Abschlussarbeit einzuarbeiten.
  • Literaturverwaltungssoftware scheint echt hilfreich zu sein… Aber da gibt es so viele Möglichkeiten, ich wüsste gar nicht, wie ich da überhaupt die richtige auswählen soll.
  • Für ein paar Zitate brauch ich doch keine extra Software, das schaff ich gerade auch noch so, pff!

Status Quo ändern mit den richtigen Angeboten

Wäre es nicht das Ideal, wenn man genau diese Studierende einfangen könnte? Die Frage ist nur: Wie?

Ich denke: Mit den richtigen Informationen und passenden, interessanten Veranstaltungen im Curriculum, in denen Literaturverwaltungssoftware auch angesprochen und gezeigt wird!

Nehmen wir zum Beispiel die Gruppe, die nicht weiß, wie sie sich für eine Software entscheiden soll und deshalb gar nicht erst anfängt, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Diesen Studierenden ist oft schon geholfen, wenn das Thema Literaturverwaltung in der Veranstaltung angesprochen und die Tools mit einer kurzen Tabelle mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen illustriert wird.

Die Personen, die finden, dass Citavi irgendwie cool klingt, aber die sich nicht sicher sind, ob sich der Aufwand in Bezug auf den Nutzen lohnt, brauchen etwas mehr Informationen. Hier braucht es vermutlich eine ganze Sitzung, um ihnen das Thema Citavi näherzubringen und zu zeigen, dass es gar nicht so kompliziert ist, wie es im ersten Moment vielleicht wirkt. Und wie groß der Nutzen tatsächlich ist – denn Citavi lohnt sich nicht nur bei der Bachelorarbeit. Überhaupt – wer sagt denn, dass die Bachelorarbeit die einzige große wissenschaftliche Arbeit bleibt, die man schreibt? Aus Erfahrung kann ich sagen: Das Leben kommt meist anders als man denkt… Aber das ist eine andere Geschichte. 😉 

Tja… und die letzte Gruppe? Nun, die brauchen vielleicht eine etwas tiefergehende Einarbeitung in Citavi, um zu erkennen, dass es dabei eben nicht nur um ein paar Zitate geht. Wenn diese Studierenden sehen, wie viel Citavi kann und wie viel leichter man sich Recherche, Literaturerfassung und Co. machen kann, sind sie sicherlich ziemlich schnell begeistert!

Worum es wirklich geht…

Es geht also gar nicht darum, den Studierenden Citavi (oder eine andere Literaturverwaltungssoftware) von vorne bis hinten durchzukauen, sondern eher darum, mit angepassten Infos, das Interesse zu wecken bzw. den individuellen Nutzen aufzuzeigen. Den Studierenden also etwas von der Überforderung abzunehmen, wenn man vor der Auswahl steht oder sich dem großen Funktionsumfang das erste Mal gegenübersieht. Listen Sie die wichtigsten Funktionen doch einfach mal für Ihre Studierenden auf und erklären Sie in ein bis zwei Sätzen, wie das Ganze grob funktioniert:

  • Ein Projekt anlegen
  • Eine Quelle aufnehmen
  • Die Software mit Word verbinden
  • Zitate mit der Software aufnehmen und in die Arbeit aufnehmen

Wenn Sie sich vielleicht mit Literaturverwaltungssoftware selbst noch nicht auskennen und jetzt denken: Puuhhh, das klingt ja alles ziemlich gut, aber wie soll ich mich da bloß einarbeiten (kommt Ihnen die Haltung bekannt vor? 😉), dann habe ich noch einen Link für Sie. Die Technische Universität München gibt einen guten und schnellen Überblick über die verschiedenen Optionen, der ab und an aktualisiert wird: http://mediatum.ub.tum.de/node?id=1316333

Und was denken Sie? Sind wir Studierenden zu faul, um uns mit Thema auseinanderzusetzen oder fehlt hier das richtige Angebot? Oder stimmen Sie mir zu, dass vielleicht beides zutrifft?!

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Plagiatssoftware – Fluch oder Segen?

Ein Gastbeitrag von Ute Schlüter-Köchling

Nutzen Sie eine Plagiatssoftware, z. B. zur Korrekturhilfe von studentischen Arbeiten oder vielleicht für Ihre eigenen Schreibprojekte? Der Ruf nach einer solchen Software, welche die Lehrenden bei der Korrektur von Hausarbeit, Bachelorarbeit & Co unterstützen soll, wird zunehmend lauter.

Der Ruf ist durchaus verständlich, denn die starke Zunahme von digital verfügbaren Quellen erleichtert das Plagiieren von Texten (z. B. durch einfaches Copy & Paste). Gleichzeitig ist es für Lehrende schwierig bei der Quellenvielfalt und -masse den Überblick zu behalten und die Literatur regelmäßig zu sichten und zu prüfen. Steigende Studierendenzahlen und schlechte Betreuungsschlüssel tun ihr Übriges. Deswegen versprechen sich viele Lehrende (vielleicht auch Sie?) von einer Plagiatssoftware eine Arbeitserleichterung, mit der sich schnell und einfach Plagiate aufspüren lassen.

Vielerorts wird eine Plagiatssoftware bereits genutzt, anderenorts ist sie in Planung. (siehe z. B. das Projekt PlagStopNRW). Ja, eine Plagiatssoftware kann sinnvoll sein – wenn die Software richtig eingesetzt wird. Schauen wir uns einmal an, welche Akteure bei einer elektronischen Plagiatsprüfung überhaupt beteiligt sind.

Wer mischt mit?

Die Lehrenden

Da sind vielleicht Sie, als prüfende Lehrende, die sich von der Software eine Arbeitserleichterung versprechen und sich eine schnelle, konkrete und einfache Antwort auf die Frage: „Plagiat – ja oder nein?“ wünschen. Aber kann dieser Wunsch tatsächlich erfüllt werden? Hierauf möchte ich mit einem klaren „Jein“ antworten oder mit einem „Ja, aber…“. Ihr Wunsch ist durchaus verständlich, aber leider nicht vollständig umsetzbar. DENN: Auch die beste Plagiatssoftware kann nur analysieren, ob eine Ähnlichkeit oder Übereinstimmung mit einem anderen Text vorliegt. Das heißt, der Prüfbericht der Software allein ist nicht aussagekräftig und liefert nur Anhaltspunkte. Ob es sich tatsächlich um eine plagiierte Textstelle handelt, müssen Sie selbst in jedem Einzelfall überprüfen und beurteilen.

Vorteilhaft ist aber: Wenn Sie, als Nutzerin oder Nutzer, eine Plagiatsprüfung mit einer Software durchführen und es wird eine Übereinstimmung oder Ähnlichkeit erkannt, haben Sie direkt die (elektronische) Originalquelle zur Hand. Praktisch, denn so können Sie den Plagiats-Check direkt durchführen, ohne dass Sie lange nach dem Originaltext recherchieren müssen. Diese Vorgehensweise kann aber unter Umständen mehr Zeit in Anspruch nehmen als ohne den Einsatz einer Plagiatssoftware. Denn vielleicht wäre Ihnen die Nähe zum Originaltext ohne eine elektronische Plagiatsprüfung ja gar nicht aufgefallen? 😉

Die Arbeit muss trotzdem noch von Ihnen gelesen werden, denn eine semantische Analyse findet mit einer Plagiatssoftware (bisher) nur in geringem Umfang statt, so dass Strukturplagiate, Ideenplagiate, Übersetzungsplagiate mit einer Plagiatssoftware in der Regel nicht erkannt werden.

Letztendlich ist eine Plagiatssoftware auch nur so gut, wie ihre (elektronische) Quellengrundlage. Das heißt: Quellen, die ausschließlich physisch vorliegen, fließen erst gar nicht in die Plagiatsprüfung ein. Somit gibt es trotz Einsatz einer Plagiatssoftware genug Möglichkeiten, dass ein Plagiat unentdeckt bleibt.

Fazit für die Lehrenden: Der Einsatz einer Plagiatssoftware bedeutet nicht zwingend eine Zeitersparnis, ist aber gründlicher und kann somit ein Segen sein.

Die Studierenden

Neben den Lehrenden, die in der Regel am lautesten nach dem Einsatz einer Plagiatssoftware rufen, gibt es noch eine weitere relevante Gruppe: die Studierenden. Eigentlich ist es ja auch DIE relevante Gruppe: Schließlich handelt es sich um ihre Arbeiten, die mit der Plagiatssoftware überprüft werden sollen.

Die Studierenden rufen selbstredend nicht so laut nach dem Einsatz einer Plagiatssoftware. Ja, der Einsatz dieser Software löst bei den Studierenden häufig sogar große Sorge aus, da sie befürchten (aufgrund von nicht beabsichtigten Fehlern) eines Plagiats überführt zu werden. Wenn in meinen Veranstaltungen der Themenkomplex „Umgang mit Quellen & Zitation“ behandelt wird, kommt früher oder später auch immer das Thema „Plagiat“ auf den Tisch. In diesem Moment kann man die Anspannung und das erhöhte Interesse bei Studierenden spüren. Warum ist das so?

Den Studierenden wird regelmäßig vor Augen geführt, welche Folgen ein Plagiat haben kann. Sei es durch die Medien, die Plagiatsfälle von prominenten Personen aufgreifen oder durch die Hochschulen selbst. Letztere weisen regelmäßig auf das Thema „Plagiat(-sformen)“ und die Konsequenzen einer Plagiatserstellung hin (Wiederholung von Prüfungen, Herabsetzung von Noten, Exmatrikulation etc.). Viele Studierenden fühlen sich dadurch verunsichert und sehen sich häufig einem Generalverdacht ausgesetzt.

Keine Frage, ein vorsätzliches Plagiat von Studierenden ist kein Kavaliersdelikt und sollte geahndet werden. Hierbei kann eine Plagiatssoftware auch eine nützliche, nämlich abschreckende, Wirkung haben. Aber klar ist auch: Viele Studierende begehen ihre Plagiate unwissentlich – weil sie nicht wissen, wie man mit Quellen umgeht und diese zitiert, weil sie die Prinzipien, Funktions- und Arbeitsweisen der Wissenschaft nicht kennen, weil sie kein Problembewusstsein haben oder weil sie aufgrund von Zeitmangel den Überblick über ihre Quellen verloren haben. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Die Studierenden kennen sich zu wenig mit den Techniken sowie dem Sinn und Zweck des „Wissenschaftlichen Arbeitens“ aus.

Was tun?

Abgesehen von Lehrveranstaltungen zum „Wissenschaftlichen Arbeiten“ im oder außerhalb des Curriculums, kann den Studierenden auch der konkrete Einsatz einer Plagiatssoftware helfen, um grundlegende Kompetenzen im Bereich „Wissenschaftliches Arbeiten“ zu erlangen.

Wird eine Plagiatssoftware an einer Hochschule eingesetzt, sollte diese nicht nur als ein reines Kontrollinstrument von den Lehrenden für studentische Arbeiten genutzt werden. Leider wird dies aber in der Regel so praktiziert. Dabei kann eine Plagiatssoftware doch so nützlich sein – für alle Beteiligten, also auch für die Studierenden! Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Ok, für mich als Dozentin oder Dozent ist eine Plagiatssoftware eine prima Sache, auch wenn es eventuell sogar Mehraufwand bedeutet. Aber für die Studierenden?

Hier meine Antwort: Ja, die Studierenden sollten ebenfalls die Software nutzen dürfen. Denn mit Hilfe einer Plagiatssoftware haben die Studierenden die Möglichkeit an ihren eigenen Texten zu erfahren, was ein Textplagiat ausmacht. Natürlich dürfen die Studierenden dabei nicht allein gelassen werden. Denn es nützt wenig, ihnen den Prüfbericht ohne Kommentar in die Hand zu drücken: Den Studierenden muss erklärt werden, warum eine Textstelle von der Software als ein Plagiat eingestuft wird und wie das Plagiat vermieden werden kann (i. d. R. durch korrektes Zitieren). All das könnte z. B. im Rahmen einer Veranstaltung zum „Wissenschaftlichen Arbeiten“ geschehen.

Fazit für die Studierenden: Eine Plagiatssoftware muss nicht zwingend ein Kontrollinstrument sein, sondern kann auch als Lerninstrument genutzt werden und muss somit nicht verflucht werden.

Fazit für ALLE

Eine Plagiatssoftware ist (wie immer im Leben) weder Fluch noch Segen, sondern beides.

Für Sie, als Lehrende, kann eine Plagiatssoftware nützlich sein, indem der Korrekturprozess vereinfacht und unterstützt wird. Eine Zeitersparnis findet aber nicht zwingend oder gar nicht statt. Und: Gelesen werden muss die Arbeit auch weiterhin gemäß den üblichen fachspezifischen und wissenschaftlichen Kriterien.

Für die Studierenden muss eine Plagiatssoftware nicht nur ein Kontrollinstrument sein, sondern kann auch als Lerninstrument zur Plagiatsprävention im Schreibprozess eingesetzt werden.

Natürlich gibt es noch viele andere Dinge, die bei der Nutzung einer Plagiatssoftware eine Rolle spielen: Datenschutz, Quellengrundlage, Prüfungsordnung, Kosten und Lizenzen, Einbindung in Lernmanagementsysteme etc. Aber das sind andere Geschichten…

Literatur zum Thema:

Dagli-Yalcinkaya. Lara: PlagStop.nrw. Abschlussbericht. – Digitale Hochschule NRW, 2021.

Grävemeyer, Arne: Jagd auf Abschreiber. Plagiatchecker finden Verdachtsfälle, lassen sich aber austricksen. IN: c’t, (11) 2020. – S. 142-145

Malo, Markus: Skandalon Plagiarismus? Überlegungen zu einer aufgeregten Diskussion. IN: Forschung & Lehre, (9) 2021. S. 718-719

Reichmann, Gerhard: Textplagiate in der Wissenschaft und deren Verhinderung. Theoretische Überlegungen und empirische Befunde. IN: Informationen – Wissenschaft und Praxis, (4) 2013. – S. 175-184

Weßels, Doris: Wissenschaftliche Arbeiten und KI. Zwischen Original und Plagiat. IN: Forschung & Lehre, (6) 2020. S. 504-505

Weßels, Doris: Verführerische Werkzeuge. Plagiate und KI-gestützte Textproduktion an Hochschulen. IN: Forschung & Lehre, (12) 2021. S. 1018-1019

Ute Schlüter-Köchling ist Sozialwissenschaftlerin, Bibliothekarin und Schreibberaterin. Sie ist als Dozentin für „Wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben“ tätig und berät Studierende zu ihren Schreibprojekten.

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Lehrphilosophie revisited

Kürzlich durfte ich an einem Think Tank der Stiftung Innovation Hochschullehre teilnehmen, der unter dem Motto „Hochschullehre innovativ gestalten“ stand. Im Zuge der Vorbereitung waren alle dazu aufgerufen, eine eigene Lehrinnovation zu beschreiben, so dass diese Sammlung am Tag des Think Tanks sichtbar werden kann. Schnell fiel meine Wahl auf meine Lehrphilosophie, denn a) halte ich diese weiterhin für innovativ – dazu gleich mehr – und b) hat ihr Einsatz tatsächlich einen deutlich spürbaren Effekt auf die Lehre.

Ein kurzer Rückblick

Vor ein paar Jahren habe ich begonnen, mich intensiver mit meiner Haltung zur Lehre zu befassen und meinen Gedanken in einer Lehrphilosophie eine Form zu geben. Im Oktober 2017 habe ich das Ergebnis dann erstmals in der Lehre verwendet und auch hier auf dem Blog mitsamt einem Begleitartikel veröffentlicht.

Seitdem hat sich aus meiner Perspektive im Umfeld nichts Wesentliches getan. Weiterhin kenne ich kaum jemanden, der eine Lehrphilosophie verwendet. Auch spricht kaum jemand über ein solches Dokument oder auch nur über das Vorhaben, ein solches zu erstellen und zu nutzen.

Angeregt durch die Reaktionen während des Think Tanks schreibe ich diesen Beitrag, der eine ausführlichere Antwort auf die Fragen und Anmerkungen sein soll, als dies auf dem dort eingesetzten Miro-Board möglich war.

Wie kommt die Lehrphilosophie an?

Diese Frage ist aus mehreren Gründen nicht leicht zu beantworten.

In Präsenzseminaren teile ich die Lehrphilosophie aus und lasse sie lesen. Stille legt sich dann über den Raum, und nach dem Lesen glaube ich in vielen Gesichtern Verwunderung zu sehen. Es ist in diesem Moment auch nicht leicht, das Eis zu brechen. Meist fasst sich doch eine Person ein Herz und bekundet, dass sie gut findet, was sie da gelesen hat. Andere nicken. Oft folgt eine Anmerkung wie „So was haben wir noch nie von jemandem bekommen.“ Ab und an werde ich gefragt: „Meinen Sie das ernst?“, an guten Tagen sage ich „Ja, verdammt!“.

Inhaltliche Fragen tauchen kaum auf. Manchmal möchte jemand wissen, was es mit dem „believing game und doubting game“ auf sich hat oder was ich mit „Schreibaufgaben“ meine. Ausgiebiger wurde gern der Passus zur Nutzung von Laptops und Smartphones diskutiert, was mittlerweile etwas aus der Zeit gefallen scheint.

Was mich zum nächsten Punkt bringt: Im digitalen Raum spüre ich weniger Resonanz auf die Lehrphilosophie. Zum einen ist sie nur eine weitere Datei unter vielen, ich kann sie nicht physisch austeilen. Zum anderen sehe ich meist die Gesichter während des Lesens und unmittelbar nach dem Lesen nicht. Hier geht etwas verloren, weil ich nicht mehr in der Gruppe stehe und gleichzeitig für etwas stehe. Die sonst aufkommende Atmosphäre lässt sich im Digitalen schwer hervorrufen. Auch wenn ich wirklich gern online lehre, fehlt mir dieser Moment zu Beginn eines Seminars.

Was ändert die Lehrphilosophie für mich?

Kurz gesagt: Alles.

Ich kann natürlich nur mein eigenes Vorher und Nachher in der Lehre vergleichen. Meine Lehre ohne Lehrphilosophie war sicher von der gleichen Haltung getragen und von den gleichen Gedanken geprägt. Inhaltlich hat sich also nichts geändert, dafür aber strukturell. Die Haltung und die Gedanken sind nun formuliert und schriftlich festgehalten und somit erst einmal unverrückbar. Ich mache den Studierenden die Lehrphilosophie zugänglich und lege mich damit auf genau diese Haltung und Gedanken fest.

Der Offenheits-Vorschuss

Diese Festlegung nehmen die Studierenden natürlich wahr. Sie haben da nun eine Dozierende vor sich, die einen Standpunkt einnimmt und diesen offen kommuniziert.

Ich gebe durch dieses Vorgehen einen Offenheits-Vorschuss – und erhalte Offenheit zurück. Mein Eindruck ist: Wir kommunizieren auf eine andere Art und Weise, eben offener. Das macht sich bemerkbar in einer Öffnung der Studierenden über die eigenen Unsicherheiten und Zweifel in Bezug auf das Lernen. Als Lehrende bekomme ich mehr mit, kann es aufgreifen und damit arbeiten, so dass am Ende ein besseres und angenehmeres gemeinsames Lernen entsteht.

Festnageln?

Eine solche Transparenz macht Versprechungen. Ich teile meine Haltung und meinen Anspruch an mich selbst den Studierenden mit, woraus die Studierenden zurecht Ansprüche ableiten: „Was sie da verspricht, soll sie einhalten!“

Ich empfinde das nicht als Einengung oder als Festnageln. In der Lehrphilosophie ist gewissermaßen der Kern meiner Ansichten niedergeschrieben. Dieser Kern ist nicht tagesformabhängig, er gilt bis auf Weiteres immer. An den Rändern bin ich beweglich.

Das bedeutet: Mein Menschenbild, meine Werte und mein Verständnis von Wissen unterliegen keinen Schwankungen, die durch den Alltag oder eine bestimmte Lehr-Lern-Situation hervorgerufen werden. Die Aussagen zu den Lehrmethoden, zum Setting und den Lehrzielen sind so grundlegend und gleichzeitig offen, dass sie mich leiten, aber nicht einengen.

Langzeitwirkungen

Ein Großteil der Wirkung entzieht sich wahrscheinlich meiner Kenntnis, weil wir uns im Lauf der Seminare nicht übermäßig über die Lehrphilosophie austauschen. Das eine oder andere Mal habe ich am Ende gefragt, was die Studierenden im Rückblick von der Lehrphilosophie halten. Die Antworten fielen bisher immer positiv aus, was natürlich der Situation geschuldet sein mag – nicht viele haben Lust, am Ende eines Seminars eine Diskussion vom Zaun zu brechen. Vielleicht gehe ich dazu über, mir zu diesem Punkt anonymes Feedback einzuholen.

Einen Teil ihrer Wirkung entfaltet die Lehrphilosophie wohl auch erst geraume Zeit später. Ehemalige Studierende melden sich nach Jahren mit einem aktuellen Anliegen bei mir, getragen von dem gleichen Vertrauen, das sie damals schon hatten. Sie schildern mir, wie sie sich damals gesehen fühlten, und sprechen mit der gleichen Offenheit wie zu Studienzeiten mit mir. All das mag anderen Lehrenden auch ohne Lehrphilosophie geschehen, ich weiß es nicht. Meine Vermutung ist allerdings, dass sich die Wahrscheinlichkeit dafür mit einer Lehrphilosophie erhöht, eben weil diese nach meiner Erfahrung zu einem besseren Miteinander führt.

Wieso die Lehrphilosophie kein Lernkontrakt sein soll

In meinem Verständnis ist ein Lernvertrag oder Lehrkontrakt sehr viel konkreter auf eine einzelne Veranstaltung bezogen und nimmt deren Ziele in den Fokus. Gedanklich nachgelagert werden bestimmte Verhaltensweisen vereinbart („pünktlich sein“, „Handy aus“).

Das Wesen der Lehrphilosophie ist ein anderes: Ich lege meinen Standpunkt dar, von dem aus ich die Welt sehe und von dem aus ich mit anderen Menschen, in dem Fall mit den Studierende, umgehe. Dieser Standpunkt ändert sich nicht so schnell. Das bedeutet gleichzeitig, dass er natürlich nicht auf immer und ewig gleichbleiben muss. Aber eine zweite Version der Lehrphilosophie würde eine intensive Auseinandersetzung mit den potenziell zu ändernden Inhalten erfordern. Dies wiederum setzt eine Unzufriedenheit oder zumindest einen Anlass voraus. Das ist derzeit für mich nicht der Fall, ich bin weiterhin glücklich und zufrieden mit dem, was ich damals geschrieben habe.

Mit einer Einschränkung: Der bereits angesprochene Passus zur Laptop- und Smartphone-Nutzung ist zumindest diskussionswürdig bzw. wäre es in dem Moment, in dem wir wieder Präsenzseminare halten. Das ist noch einmal ein eigener Artikel, dessen Entwurf seit Monaten in der Schublade liegt.

Think again

Der Think Tank hat seinen Zweck erfüllt. Ich konnte sowohl etwas beitragen als auch etwas mitnehmen. Der Think Tank hat, so vermute ich, bei allen Beteiligten weiterführende Denkprozesse angeregt und ihnen eine Richtung gegeben.

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Studentische Texte, die man gern liest

Wie gern würden Sie einmal Texte von Studierenden in den Händen halten, die Sie so richtig gut finden? Bei denen die Lektüre ein Genuss ist?

Das tun Sie andauernd? Prima, herzlichen Glückwunsch! Dann brauchen Sie hier eigentlich gar nicht mehr weiterlesen.

Oder handelt es sich dabei um seltene Glücksmomente, die nur auftreten, wenn Sie Ausnahmestudierende in Ihrem Kurs haben?

(Spoiler: Wahrscheinlich liegt es an Ihnen, wenn Sie „immer“ nur schlechte Texte erhalten. Dann lesen Sie jetzt bitte weiter, auch wenn Sie gerade vielleicht sauer auf mich sind.)

Nicht-Lernerfahrungen

Viel zu viele Studierende machen im Lauf ihres Studiums leider Lernerfahrungen, die ihnen beim Schreiben-Lernen nicht helfen oder aber die sie sogar regelrecht ausbremsen. Eigentlich sollte man diese Erfahrungen besser „Nicht-Lernerfahrungen“ oder „Lernverhinderungs-Erfahrungen“ nennen.

  • Oft erklärt ihnen niemand das Ziel ihres Schreibens („Warum soll ich das überhaupt schreiben? Und wie soll das aussehen?“)
  • Die Schreibaufgabe ist ungeeignet, weil sie suggeriert, man müsse ein Thema abschließend behandeln, anstatt eine wissenschaftliche Frage zu bearbeiten.
  • Feedback ist kein Teil des Lernprozesses.

Da wundert es mich wirklich nicht, wenn Studierende in solchen Settings gar nicht mehr daran glauben, dass sie das Schreiben lernen können.

Ausführlicher habe ich diese Situation, die dahinterliegenden psychologischen Prozesse und vor allem Lösungsmöglichkeiten in einem Gastartikel im Blog von Dr. Eva-Maria Lerche beschrieben.

Ideal wäre es selbstverständlich, wenn an den Hochschulen passende Rahmenbedingungen für studentisches Schreiben geschaffen würden. Das wäre einmal wirklich eine sinnvolle Unterstützung beim Aufbau von Schreibkompetenz. Diese Anpassung der Rahmenbedingungen dauert allerdings ihre Zeit – wenn sie überhaupt Realität wird, wie die zähe Diskussion über die Verstetigung der QPL-Stellen zeigt.

Richten wir also lieber den Blick zunächst auf direkt anwendbare Ansätze für Sie – für Fachlehrende und Lehrende im wissenschaftlichen Arbeiten.

Als Lehrende können Sie darauf hinwirken, dass Studierende ihre Schreibschwierigkeiten bzw. den Umstand, dass es beim Schreiben nicht so geklappt hat, wie es sollte, als ein temporäres Problem, das auch nicht ihre Person in Gänze betrifft, empfinden. Was meine ich damit? Vermitteln Sie Erfolg bzw. Misserfolg als etwas, das zu weiten Teilen von der eigenen Anstrengung abhängt und nicht von festen Eigenschaften.

Zum Weiterlesen: „Nein, der ist nicht faul“ und „Nein, die ist nicht klug“

Das erfordert auf jeden Fall ein Umdenken, und das geht selten von heute auf morgen.

Ok, Sie wollen wissen, was Sie jetzt konkret tun können?

Et voilà! Hier kommen meine Vorschläge für Ihre ersten Schritte.

Erste Schritte für Lehrende in curricularen Veranstaltungen „Wissenschaftliches Arbeiten“

  • Integrieren Sie die Prozesse des Schreibens, Überarbeitens und Feedbackgebens bzw. -nehmens in die Lehre. Lassen Sie die Studierenden den Nutzen von sinnvoller Schreibsteuerung erleben, so dass sie für ihre individuellen Schreibsessions davon profitieren.
  • Kooperieren Sie mit den Fachlehrenden, tauschen Sie sich (am besten regelmäßig) mit ihnen aus.
  • Holen Sie sich Anregungen in einschlägigen Blogs ?

Erste Schritte zu schreibförderlicher Lehre für Fachlehrende

  • Informieren Sie sich über das sogenannte „Schreiben in der Lehre“, um eine Vorstellung davon zu entwickeln, wie Sie kleinere Schreibaufgaben in Ihre Veranstaltung integrieren. (Literaturtipp)
  • Vergeben Sie vor allem anfangs konkrete Schreibaufträge. Lassen Sie (ruhig auch kürzere) Texte schreiben, die auf konkreten Fragen Ihres Fachs beruhen.
  • Wenn Sie mit einer klassischen Themenvergabe arbeiten (müssen), leiten Sie die Studierenden dabei an, wie sie sich das Thema zu eigen machen, es eingrenzen und ihre Fragestellung bzw. Forschungsfragen entwickeln. Studierende brauchen vor allem bei ihrer ersten Arbeit erfahrungsgemäß Unterstützung bei diesem Prozess. Im Studienverlauf können Sie diese Hilfe immer mehr reduzieren.
  • Integrieren Sie kleine Feedback-Übungen zu studentischen Texten in Ihre Veranstaltungen.
  • Machen Sie Ihre Anforderungen an studentische Arbeiten transparent: Wie begutachten Sie? Worauf kommt es Ihnen an?
  • Weitere Anregungen für schreibförderliche Lehre finden Sie im Positionspapier der Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung (gefsus).

 

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Wie eine Reflexion der eigenen Positionierung unsere Lehre verbessern kann

Ein Gastbeitrag von Dr. Marlies Klamt

Machen Sie den Selbstcheck

Eine kleine Vorwarnung: Es kann sein, dass Sie beim Lesen dieses Artikels unangenehme Gefühle verspüren werden: Wut, Ablehnung, Ärger… Um nur ein paar zu nennen. Vor allem dann, wenn Sie zur Gruppe derer gehören, die ich hier adressieren möchte: Menschen, die an deutschen Hochschulen lehren und sich in einer privilegierten Position befinden.

Ein paar Beispiele für einen schnellen Selbstcheck, ob Sie „gemeint“ sind:

  • Sie sind weiß
  • Sie sind ein Mann
  • Sie gehören der Mittelklasse an
  • Sie haben keine Behinderung
  • Ihr Vater und/oder ihre Mutter haben studiert

Trifft mindestens einer dieser Punkte auf Sie zu? Dann haben Sie Privilegien! Falls Ihnen jetzt das „Ja, aber…“ schon auf der Zunge liegt, dann lesen Sie bitte dennoch weiter.

Es geht nicht darum, zu behaupten, dass Sie unverdient dort gelandet sind, wo Sie heute sind. Oder darum, dass Sie es immer leicht hatten oder haben. Und schon gar nicht darum, dass Sie unreflektiert sind (dann wären Sie wahrscheinlich nicht auf diesem Blog). Privilegien sind auch nicht etwas, was sich immer und in jeder Situation gleich äußert. Außerdem gibt es vermutlich auch Bereiche, in denen Sie benachteiligt werden (z.B. in Bezug auf die Boxen, die Sie oben nicht angekreuzt haben). Dennoch wird es Ihnen und Ihrer Lehre helfen, einen genaueren Blick auf Ihre Privilegien zu lenken.

Setzen Sie die Brille der Privilegien ab

Da Sie den Artikel trotz seiner Überschrift angefangen haben zu lesen, nehme ich an, dass Sie die den Willen und den Mut haben, Ihre Lehre in Bezug auf Ungleichheitsstrukturen kritisch zu reflektieren. Dabei kommen wir nicht umhin, uns unsere eigenen Privilegien bewusst zu machen – ein nicht immer leichtes und schon gar nicht bequemes Unterfangen. Die Belohnung? Laut Chimamanda Ngozi Adichie eine klare Sicht[i]:

Wo können wir also als Lehrende blinde Flecken haben? Beispielsweise in Bezug auf das Trio Race, Class und Gender.  Aber auch in Bezug auf (Dis)Ability, Sexualität, Bildungshintergrund, Religion… Die Liste ist lang und lässt sich fortführen.

Alle diese Kategorien der Ungleichheit verweisen auf Bereiche unseres Lebens, in denen es potenziell zu Diskriminierungen kommen kann und zwar, wenn eine Person von dem abweicht, was in unserer Gesellschaft als Norm gilt: weil sie nicht weiß ist, nicht männlich ist, nicht „gesund“ ist, nicht einen BMI aufweist, der bei uns als „normal“ gilt, nicht heterosexuell ist usw.

Ich finde es schwierig, in diesem Zug von „Betroffenen“ zu sprechen. Denn wir alle sind von Rassismus und Diskriminierung betroffen. Nur die einen auf negative und die anderen auf positive Art und Weise. So schreibt auch Toni Morrison über Rassismus[ii]:

Ähnliches gilt für andere Diskriminierungsarten. Auch Sexismus ist ein Phänomen, von dem wir alle betroffen sind, und ebenso Klassismus (die Diskriminierung aufgrund der sozialen Klasse) und alle anderen „ismen“.

Was können wir nun als Lehrende für eine Lehre daraus ziehen? Uns im ersten Schritt vor Augen führen, dass die Hochschule ein System ist, das von weißen Männern für weiße Männer gegründet wurde, um weißes Wissen zu transportieren und erweitern.

Zwar können Frauen in Deutschland inzwischen seit über einem Jahrhundert studieren, aber deshalb davon auszugehen, dass dem System Hochschule, das in Deutschland bereits hunderte von Jahre zuvor entstand, nicht immer noch patriarchalische Machtstrukturen eingeschrieben wären, würde zu kurz greifen.

Beispielhaft möchte ich an dieser Stelle auf die immer noch erschreckend kleine Anzahl weiblicher Professorinnen in Deutschland verweisen (2017 waren es noch weniger als ein Drittel)[iii] oder auf die CHE-Studie von Ende 2018[iv], in der festgestellt wurde, dass die typische Unileitung in Deutschland ein 59 Jahre alter, in Deutschland geborener Mann ist.

Aber auch die Art, wie Wissen vermittelt wird, welche Art von Wissen als wissenswert anerkannt wird, auf den Schultern welcher Riesen wir stehen, spielt eine Rolle.

Zurück zu dem, wo wir als Lehrende ansetzen können. Ich möchte Ihnen ein zwei ganz konkrete Beispiele geben, wo blinde Flecken bestehen können und wie wir diesen als Lehrende entgegenwirken können:

Beispiel 1

Ich selbst habe zum Beispiel viele Jahre in einem Fach gelehrt, in welchem die Studierenden mit viel (teurer) Technik umgehen lernen mussten wie Kameras und Schnittcomputer. Außerdem war ich Teil des Teams, das das Fach konzipiert und aufgebaut hat. Dabei war es mir von Anfang an wichtig, dass wir die im Studium benötigte Technik als Hochschule zur Verfügung stellen. Aber auch in Bezug auf „normale“ Laptops trifft dies zu. Aus einer typischen Mittelklasse-Familie stammend, bin ich nicht immer für diese Problematik sensibilisiert gewesen. Erst als ich Freund*innen hatte, die es sich nicht leisten konnte, direkt im ersten Semester einen Laptop zu kaufen, wurde mir bewusst, dass ein eigener Computer auch in Deutschland und unter Studierenden durchaus ein Privileg ist.

Wenn Sie Ihre Studierenden zum Beispiel bitten, ihren Laptop für eine Übung mit ins Seminar zu bringen, denken Sie daran, dass nicht jede Person einen hat und dass es eventuell unangenehm sein könnte, sich vor der gesamten Gruppe diesbezüglich zu „outen“. Bieten Sie an, einen Laptop des Instituts zu leihen und Ihnen vorher mündlich oder per Mail mitzuteilen, dass sie einen benötigen. Machen Sie keine große Sache daraus, sondern erwähnen Sie einfach die Möglichkeit.

Und verabschieden Sie sich von dem Argument „Die haben doch heute eh alle einen Laptop/ein Tablet/ein Smartphone etc.“. Denn mit dieser Haltung machen Sie es Studierenden, die das – aus welchem Grund auch immer – nicht haben, schwierig, sich zu äußern. Im schlimmsten Fall schwänzen sie die Sitzung aus Scham.

Beispiel 2

Sprechen Sie so, dass Sie von möglichst allen Studierenden problemlos verstanden werden. Es spielt eine Rolle, welche Sprache wir sprechen, um die Fähigkeiten zu wissenschaftlichem Arbeiten zu vermitteln. Die Akademikersprache ist nicht gerade für ihre Leichtverständlichkeit bekannt und nicht selten wirkt es, als gäbe es einen gewissen Unwillen oder auch eine Unfähigkeit auf Seiten von Hochschullehrenden, sich allgemeinverständlich auszudrücken.

Es ist anzunehmen, dass gerade Studierende aus bildungsfernen Schichten, die weniger mit der akademischen Sprache vertraut sind, dadurch größere Schwierigkeiten haben, Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und anzuwenden. In diese Richtung lassen sich auch die Ergebnisse einer Untersuchung von Friederike Schlücker und Steffen Schindler[v] interpretieren, die darstellen, wie bei Bachelor-Studierenden die soziale Herkunft von Studierenden deren Noten beeinflusst. Halten Sie Ihre Ausdrucksweise also niedrigschwellig, verzichten Sie auf eine Anhäufung von Fachbegriffen und Fremdwörtern und erklären Sie diese gegebenenfalls.

Beispiel 3

Machen Sie Studierende nicht zu Expert*innen der Minderheit, die diese – Ihrer Meinung nach – vertreten. Ja, Schwarze Menschen und People of Colour sind leider häufig von Rassismus negativ betroffen – aber es ist weder ihre Aufgabe, Ihnen und ihren Kommiliton*innen zu erklären, wie Rassismus sich äußert, noch müssen sie fähig oder willens sein, einen historischen Exkurs in die Sklaverei oder Jazz-Musik zu geben. Genauso wenig wie es die Aufgabe des Studierenden im Rollstuhl ist, über den Alltag als Mensch mit einer Gehbehinderung Auskunft zu geben oder zu allen Themen, die Inklusion betreffen. Und genauso wenig wie es die Aufgabe der einzigen weiblichen Studierenden in einem von Männern dominierten Studiengang ist, als Expertin für alle „Frauenfragen“ zu fungieren.

Verstehen Sie mich nicht falsch, Sie sollen nicht versuchen, keine Unterschiede mehr zu sehen (das wäre auch gar nicht möglich). Aber instrumentalisieren Sie diese Studierenden nicht, um sich selbst davon zu entbinden, einen Weg zu finden, um über diese Themen zu sprechen. Wenn Sie wissen, dass der oder die Studierende politisch aktiv ist und sich zum Beispiel im AStA für die entsprechenden Themen einsetzt, können Sie natürlich anfragen, ob die Person sich – aufgrund dieser Funktion – dazu äußern will. Ich persönlich würde das aber nicht vor der versammelten Gruppe machen, sondern in einem Zweiergespräch.

Machen Sie sich auf den Weg

Wenn Sie ein wenig so sind wie ich, dann begreifen Sie sich selbst als eine „der Guten“. Die eigenen Privilegien zu reflektieren, führt aber meist erst einmal dazu, dass das eigene Weltbild gehörig erschüttert wird. Es ist kein leichter Schritt, sich selbst als Teil eines Systems zu sehen, von dem man profitiert, ohne dass man sich dessen bewusst war. Verleugnung, Ablehnung und Rechtfertigung sind häufig auf dem ersten Schritt des Weges treue Begleiterinnen. Bis dann irgendwann die ersten Erkenntnisse einsetzen und damit die Schuldgefühle.

Ich möchte Ihnen noch gerne ein paar Tipps mitgeben, wie Sie sich auf den Weg machen können. Wenn Ihnen noch mehr Möglichkeiten einfallen, freue ich mich, wenn Sie diese in den Kommentaren teilen. Genauso wie ich Sie bitte, sich als lernende Person zu begreifen, sehe ich mich als dauerhaft Lernende und bin ganz und gar nicht allwissend und schon gar nicht frei von Fehlern. Wenn Sie also kritisches Feedback haben, Dinge anders sehen als ich oder einfach von Ihren Erfahrungen berichten wollen, tun Sie das gerne in den Kommentaren unter diesem Artikel!

Tipp 1

Präsentieren Sie sich als ansprechbare Person, die nicht perfekt ist, sondern auch einmal Fehler macht. Bieten Sie verschiedene Arten der Kommunikation an – nicht jede*r Studierende spricht gerne vor Gruppen (Wenn Sie jetzt denken „Dann sollen sie es halt lernen!“ – überlegen Sie sich, woher diese Haltung kommt bzw. welches Verhalten Sie gerade zur Norm erheben). Gerade bei großen Lehrveranstaltungen wie Vorlesungen ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass nur Studierende mit einer bestimmten sozialen Positionierung sich trauen, Sie anzusprechen.

Tipp 2

Nehmen Sie Personen ernst, die sie um Hilfe bitten. Es kostet Überwindung, über die eigenen Diskriminierungserfahrungen sprechen. Wenn sich eine Person also im Vertrauen an Sie wendet, versuchen Sie nicht, deren Erfahrungen zu relativieren („Das haben Sie sicher missverstanden.“ oder „Das war sicher nicht so gemeint.“ sind keine hilfreichen Antworten). Fragen Sie stattdessen, wie Sie die Person unterstützen können, vermitteln Sie sie ggf. an Stellen weiter, die kompetent helfen können.

Tipp 3

Lernen Sie mehr über die verschiedene Diskriminierungsarten (und darüber, wie diese miteinander verknüpft sind – Stichwort Intersektionalität). Denn wenn Sie in Bezug auf Ihre Positionierung in vielen Punkten dem entsprechen, was hierzulande als Norm angesehen wird, werden Sie bestimmte Erfahrungen einfach nicht machen. Machen Sie zum Beispiel ein Anti-Rassismus-Training (ich kann das von Phoenix e.V.[vi] empfehlen). Und warum nicht einmal eine Veranstaltung von den Kolleginnen und Kollegen besuchen, die sich auch wissenschaftlich mit diesem Thema auseinandersetzen? Sie finden Sie z.B. in den Postcolonial Studies, Gender Studies oder auch im Gleichstellungsbüro.

Tipp 4

Sagen Sie Ihren Studierenden, was Sie von Ihnen erwarten und warum. Dabei geht es um Transparenz und nicht darum, Ihr Lehrniveau zu senken. Versuchen Sie, soweit es Ihnen möglich ist, verschiedene Lebensrealitäten mitzudenken und nicht implizit von dem, was Sie als „normal“ annehmen, auszugehen. Dazu kann es zum Beispiel gehören, Deadlines mit Vorlaufzeit zu kommunizieren – am besten zu Semesterbeginn –, so dass auch Studierende, die nebenher einen oder mehrere Jobs haben, entsprechend planen können. Aber auch wenn Sie eine Exkursion planen oder Ihren Studierenden als Hausaufgabe aufgeben, eine Veranstaltung zu besuchen, zu überlegen, wie gut dieser Ort erreichbar ist. Kann er umsonst mit dem Semesterticket angefahren werden? Ist er barrierefrei? Dazu kann es weiter auch dazugehören, sich zu fragen, wer bei der Veranstaltung spricht und wie diese Person gesellschaftlich positioniert ist.

Für eine gerechtere akademische Welt

Ich freue mich, dass Sie bis zum Ende dieses vermutlich etwas unbequemen Artikels dabeigeblieben sind. Ja, ich gebe es zu, vielleicht wird es manchmal etwas mehr Arbeit für Sie sein, die eigenen Privilegien zu reflektieren und vielfältige Lebensrealitäten zu berücksichtigen. Aber sobald Sie einmal begonnen habe, die Privilegienbrille abzunehmen, werden Sie immer besser darin werden. Oder, um auf Adichie zurückzukommen: immer klarer sehen. Freuen Sie sich darüber, einen Beitrag zu einer gerechteren akademischen Welt leisten zu können. Aber (das ist mein letztes „Aber“, versprochen!) verlangen Sie keinen Orden dafür – vor allem nicht von den Studierenden, deren Benachteiligungen Sie versuchen entgegenzuwirken.

[1] Adichie, Chimamanda Ngozi (2015): 2015 Wellesley College Commencement Address. Video und Transkript der Rede online verfügbar unter:  https://www.wellesley.edu/events/commencement/archives/2015/commencementaddress. Letzter Zugriff: 15.10.2019.

[1] Morrison, Toni (1993): Playing in the Dark. Whiteness and the Literary Imagination. London, Basingstoke: Pan Books Ltd, S. 46.

[1] Statistisches Bundesamt (2018): Bildung und Kultur. Personal an Hochschulen 2017, S. 22f. Zitiert nach de.statista.com, online verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/160365/umfrage/professoren-und-professorinnen-an-deutschen-hochschulen/. Letzter Zugriff: 15.10.2019.

[1] Centrum für Hochschulentwicklung (2019): CHECK. Universitätsleitung in Deutschland. Online verfügbar unter: http://www.che.de/downloads/CHECK_Universitaetsleitung_in_Deutschland.pdf

[1] Schlücker, Friedericke; Schindler, Steffen (2019): Studienleistung im Bachelor- und Masterstudium. Bedingungsfaktoren und ihr Zusammenhang mit der sozialen Herkunft der Studierenden. In: Lörz, Markus; Quast, Heiko (Hrsg.): Bildungs- und Berufsverläufe mit Bachelor und Master. Determinanten, Herausforderungen und Konsequenzen. Wiesbaden: Springer VS, S. 225-272, hier S. 263.

[1] Informationen zum Anti-Rassismus-Training von Phoenix e.V. finden Sie unter https://www.phoenix-ev.org/anti-rassismus-training.html. Letzter Zugriff: 15.10.2019.

 

 

Dr. Marlies Klamt ist Promotionscoach und betreibt den Podcast „Glücklich promovieren. Der Podcast für Frauen mit Freude am Promovieren.“ In verschiedenen Projekten macht sie einen Brückenschlag vom wissenschaftlichen Feld der Ungleichheitsforschung in die Praxis, um eine diversitätssensible Mediensprache zu entwickeln.

Zur Website von Dr. Marlies Klamt: https://promotionsheldin.de/ oder direkt zum Podcast https://promotionsheldin.de/podcast-gluecklich-promovieren/.

 

Fotocredit: Lisa Wolff

 

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Methoden als Erfahrungsräume

Da das Thema in einer Diskussion in der Facebook-Gruppe Hochschuldidaktik gerade wieder hochkam, möchte ich in diesem Beitrag noch einmal den Aspekt aufgreifen:

„Wo lernt man denn Wissenschaftliches Arbeiten, wenn nicht an der Hochschule?“

Oder, wie ich es in einem älteren Artikel formuliert habe: „Ist es nicht paradox, dass man sich im wissenschaftlichen System gerade ‚Wissenschaft‘ selbst beibringen soll?“

Lassen Sie uns noch tiefer in die gleiche Kerbe schlagen:

Methodisch und methodologisch gut ausgebildete Studierende sind ein Segen.

Hochschulen sollen den Studierenden nicht nur wissenschaftliches Schreiben beibringen (was viele nicht einmal tun), sondern gefälligst auch, wie sie zu neuen Erkenntnissen gelangen können.

Das bedeutet:

Studierende sollen wissen, welche Methode sie im vorliegenden Fall anwenden möchten, um ihre Fragestellung einer Lösung zuzuführen. Sie sollen auch wissen, welche Methode sie besser nicht anwenden.

  • Damit ist einerseits das Wissen darum gemeint, was die Methode zu leisten vermag und was nicht. Studierende sollen wissen, was sie von der gewählten Methode erwarten können und wo die Limitationen liegen. Sie sollen beurteilen können, was herausgekommen ist und wie dies einzuordnen ist.
  • Andererseits geht es um die Möglichkeiten der Studierenden. In seinem Kommentar zu meinem Beitrag von Anfang April schreibt Christian Wymann sinngemäß, die Studierenden sollen realistisch bleiben, wenn sie eine forschende Haltung einnehmen. Dem stimme ich voll und ganz zu. Es ist dabei die Aufgabe der Lehrperson, in der Beratung das Forschungshandeln zu kanalisieren und sinnlose oder überambitionierte Projekte in eine bessere Richtung zu lenken.

Eine These

An der Stelle wage ich einmal eine These: Auch mit der besten Schreibberatung kann niemand aus einer schlecht angelegten Arbeit eine sehr gute machen.

Das ist ja auch gar nicht das Ziel. Aber: Wir brauchen alles drei: Schreibtraining, Schreibberatung und eine solide Methodenausbildung im Fach.

Mit einer soliden Methodenausbildung meine ich nicht nur eine einzelne Vorlesung in Statistik. Wer eine solche Vorlesung besucht hat, weiß danach (eventuell!), was er mit Daten tun kann. Aber woher kommen diese Daten, wie werden sie erhoben? Hat das einmal jemand mit den Studierenden besprochen? Geschweige denn, geübt?

Ich wiederhole mich gern: Methodisch und methodologisch gut ausgebildete Studierende sind ein Segen.

Sie wissen nicht nur, was sie tun wollen, sondern auch noch, wie sie es in die Tat umsetzen. Zusätzlich sind sie in der Lage, den Methodenteil ihrer Arbeit so zu verfassen, dass er der Sache gerecht wird und gut lesbar ist.

Methoden als Erfahrungsräume

Der Ausdruck „Methoden als Erfahrungsräume“ aus der Überschrift stammt übrigens nicht von mir, sondern von Rolf Arnold und Christiane Stroh. Sie verwenden ihn in einem anderen Kontext in ihrem Buch „Methoden Systemischer Erwachsenenbildung“. Gemeint ist, dass die Methode viel mehr als nur der Weg zum Ziel ist, sondern Erfahrungsräume für diejenigen öffnet, die an ihr teilnehmen (in einem Setting der Erwachsenenbildung). Da das empirische Forschen ja vom Wortsinn her ebenfalls mit Erfahrung zu tun hat (griechisch empeiria, Erfahrung), passt das gut. Je nachdem, welche Methode jemand in seinem Forschungsprojekt verwendet, öffnet er den einen oder den anderen Erfahrungsraum. Die Person wird mit Methode A andere bzw. andersartige Ergebnisse herausbekommen als mit Methode B. Daher ist das Wissen um die Vor- und Nachteile der Methoden und deren Aussagekraft so wichtig.

Inwiefern sind Sie bei Ihrer Arbeit mit den Studierenden mit Methodenfragen konfrontiert?

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