Fachlehrende zeichnen sich durch ihre fachliche Expertise aus, sonst sollten sie keine sein. Aus Sicht der Schreibdidaktik (und der Studierenden!) dürfen sie gern die folgenden vier Dinge noch lernen:
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Sinnvolle Schreibaufgaben stellen
Eine Schreibaufgabe („das ausgegebene Thema“) soll interessant genug sein, damit sich die Studierenden damit befassen wollen, sie gleichzeitig aber nicht überfordern. Die Schreibaufgabe sollte einen gut abgesteckten Rahmen bieten, der aber auch noch genügend Freiheitsgrade zulässt. Der Sinn der Aufgabe sollte erkennbar sein.
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Die Bewertungskriterien transparent machen
Fachlehrende können oft nicht genau benennen, was eine sehr gute Arbeit ausmacht. Sie erkennen es einfach, wenn eine vor ihnen liegt. Zwar gibt es vielerorts verpflichtende Bewertungsraster, oft haben Lehrende auch individuell eines erstellt. Hilfreich wäre es jedoch, – Schritt 1 – den Studierenden diese Kriterien auch zugänglich zu machen und – Schritt 2 –offen zuzugeben, dass es vollständige Objektivität bei der Bewertung einer wissenschaftlichen Arbeit nicht geben kann.
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Den Inhalt bei der Begutachtung adäquat gewichten
Fachlehrende fokussieren bei der Bewertung von studentischen Arbeiten unbewusst auf die sprachliche Gestaltung und vor allem auf kleinere Zitierfehler („Hier muss doch ein Komma statt eines Semikolons hin!“). Sie lassen sich von Äußerlichkeiten ablenken, so dass ihnen der Blick auf den Inhalt einer Arbeit verstellt ist. Eine Arbeit mit vielen sprachlichen oder formalen Fehlern kann quasi unmöglich guten Inhalt haben, so die unbewusste Annahme. Hm, wenn sich die Fachlehrenden nicht intensiv mit dem fachlichen Aspekten einer Arbeit auseinandersetzen, wer eigentlich dann? Gerade hier sollten gelten: HOC vor LOC (higher order concerns vor low order concerns).
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Hilfreiches Feedback geben
Fachlehrende kommentieren zu sparsam in den zu bewertenden Arbeiten. Wenn sie denn kommentieren, fokussieren sie zu stark auf die problematischen Textstellen. Sie heben selten oder gar nicht die gelungenen Passagen hervor und versäumen es bei den Schwachstellen, konkrete Hilfen zur Weiterentwicklung zu geben. Gerade bei früh im Studium verfassten Arbeiten ist das für die Studierenden wenig hilfreich oder sogar demotivierend.
Bevor der Sturm der Entrüstung über mich hereinbricht: Ja, natürlich existieren Ausnahmen, und ja, es bewegt sich etwas. Aber solange noch viele, viele Fachlehrende so arbeiten wie beschrieben, sind Konflikte zwischen Fachlehrenden und Schreibdidaktik nicht verwunderlich. Es mag sogar so etwas wie ein „Feindbild Fachlehrende“ geben. Denn derartige Fachlehrende machen manchmal mit einer unbedachten Aussage die schönen Erfolge aus der Schreibberatung zunichte.
Es muss noch mehr Austausch zwischen Fachlehrenden und Schreibdidaktik geben.
Erstmal große Zustimmung zu den genannten Punkten, v.a. was den Sinn des Themas, die Transparenz der Kritierien und das ausführliche – auch positive – Feedback angeht.
Widerspruch regt sich bei mir bei der Gewichtung von Inhalt und Form: Klar ist der Inhalt das, was zählt. Wenn ich aber vor lauter Form- und Sprachfehlern zur Archäologin für den Inhalt werden muss, dann stimmt etwas nicht. Meiner Ansicht nach ist mit etwas Wille und Fleiß die Form auch relativ leicht zu erlernen; der Inhalt deutlich anspruchsvoller zu lernen.
Deshalb wäre meine Botschaft an Studierende: Get the form right so that I can see your content and we can get into a discussion about it.
Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, „Archäologin für den Inhalt“ (die Formulierung finde ich sehr treffend!) möchte ich auch nicht werden. Bei manchen Kollegen habe ich allerdings den Eindruck, dass sie dem Studierenden direkt jegliches Fachwissen absprechen, sobald sie den dritten Kommmafehler entdeckt haben.
Bei einigen Studierenden, die die Form nicht einhalten, gehe ich stark davon aus, dass die Zeitplanung keine Zeit für Überarbeitung vorgesehen hat…