Na, auch ein paar Corona-Kilos zu viel auf den Hüften?
Und jetzt komme auch noch ich und sage: Futtern Sie sich Speck an, viel Speck! Genau genommen sage nicht ich das, sondern Christof Arn in seinem Buch „Agile Hochschuldidaktik“ (2016, S. 73). Auch er hat das von jemand anders, aber das führt jetzt zu weit. Sicher wollen Sie an der Stelle sowieso viel lieber wissen, was damit beim Lehren des wissenschaftlichen Arbeitens eigentlich gemeint sein soll.
Speck anfuttern – das bedeutet, für die Lehre so ausgestattet zu sein, dass man für alle Eventualitäten gerüstet ist. Für jede (noch so abwegige) Frage, die da kommen mag. Für jede spontane Idee, die so brillant ist, dass man ihr sofort nachgehen möchte.
Stresst Sie dieser Gedanke?
Mich nicht.
Denn eines sollte ich dazusagen: Wichtig ist dabei, dass nicht alles tatsächlich genutzt werden muss, was an Material vorhanden ist.
Es ist nicht so gedacht, dass Sie als Lehrperson im Vorfeld den perfekten Plan für eine Lehrveranstaltung ausarbeiten, alles genau durchtakten, die Inhalte vollständig „didaktisieren“ UND zusätzlich noch bestens auf alles vorbereitet sind, was aus dem Moment heraus geschehen mag. Das würde mich auch stressen. Denn dahinter steckt auch die Annahme, dass sich die Lehrperson um Himmels Willen niemals die Blöße geben darf, etwas nicht zu wissen. Das halte ich für belastend und auch nicht für gerechtfertigt. Ergo: kann weg!
Gemeint ist mit der Speck-Verwertung, dass man im Sinne der agilen Didaktik vorrangig aus dem Moment heraus lehrt. Genau dazu brauchen Sie dann all das Material. Dann können Sie, indem Sie als Lehrperson ganz präsent sind, in Interaktion mit den Studierenden treten und echte Begegnungen erleben. (Wenn Sie dazu ein wenig mehr lesen möchten: Rezension). Das Material haben Sie dann als Back-up (Speck-up, scnr), um ganz konkret werden zu können und direkt aufgreifen zu können, was gerade an nützlichen Äußerungen im Raum ist.
Stresst Sie das?
Mich nicht.
Oder besser: mich nicht mehr.
In den Anfangszeiten meiner Lehrkarriere sah das sicher anders aus.
Aktuell hat an einigen Hochschulen das Semester bereits begonnen, an anderen ist es in wenigen Wochen so weit. Daher lesen derzeit auch etliche Menschen den Blog, die gerade neu einsteigen (ich vermute das auch aufgrund der Zahl an Newsletter-Anmeldungen).
- Wenn Sie kurz davorstehen, zum ersten Mal wissenschaftliches Arbeiten zu lehren, haben Sie vermutlich noch nicht genügend „Speck“. Das ist normal, alles andere würde mich wundern. In diesem Fall empfehle ich Ihnen diesen Beitrag zur Vorbereitung der ersten Einheit in einem neuen Kurs. Den haben Sie vielleicht schon längst entdeckt. Ich habe ihn schon vor einigen Jahren geschrieben, aber er altert gut. Ich gehe auch heute ab und an gern selbst noch so vor, wenn ich in einer Erstsemester-Veranstaltung lehre.
- Wenn Sie schon länger lehren und in Ihre x-te Runde „Wissenschaftliches Arbeiten“ gehen, frage ich Sie: Wie ist es um Ihren Speck bestellt? Haben Sie sich genug angefuttert, um spontan sein zu können? Haben Sie Übungen, Beispiele, Anschauungsmaterial für all die schönen Bereiche, die das wissenschaftliche Arbeiten umfasst?
The sage on the side
Ein verbundener Gedanke kam mir kürzlich. In den zurückliegenden Jahrzehnten gab es bekanntermaßen in der Lehre einen Paradigmenwechsel vom „sage on the stage“ zum „guide on the side“ (King 1993), auch bekannt als „Shift from Teaching to Learning“ (Barr & Tagg 1995). Also, zumindest ist das in der einschlägigen hochschuldidaktischen Literatur so. In Bezug auf die Praxis habe ich da so meine Zweifel, obwohl ja nun schon ein paar Jährchen vergangen sind, seit diese Gedanken erstmals veröffentlicht wurden… Long story short: Lehrende werden immer weniger als der Mittelpunkt des Lehrgeschehens gesehen und gelten eben nicht mehr als die „Weisen auf der Bühne“ (also nicht mehr als Wissensvermittler am Katheder), sondern vielmehr als Personen, die den Lernenden zur Seite stehen und deren Lernen und Kompetenzaufbau begleiten. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Lehrperson „gar nichts mehr wissen muss“ und „nur noch begleitet“.
Im Sinne des „Specks“ denke ich mir: Wie wäre es mit einer Kombination der beiden Klischees, die sich (vermeintlich) ausschließen. Das wäre dann statt dem „sage on the stage“ und dem „guide on the side“ der „sage on the side“! Die Bedeutung dieses Begriffs würde ich gern folgendermaßen auffüllen: Es handelt sich um eine weise Person, die den Lernenden zur Seite steht und sie begleitet – und zwar in der Art, dass sie ihre Weisheit UND ihren Speck einsetzt, um mit den Lernenden das Terrain zu erkunden.
Literatur
Barr, R. R. & Tagg, J. (1995). From Teaching to Learning. A New Paradigm for Undergraduate Education. Change: The Magazin of Higher Learning, 27 (6), 12-26. Verfügbar unter https://www.esf.edu/openacademy/tlc/documents/FromTeachingToLearningANewParadigmforUndergraduateEducation.pdf
King, A. (1993). From Sage on the Stage to Guide on the Side. College Teaching, 41 (1), 30-35. Verfügbar unter http://www.jstor.org/stable/27558571
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