5 Fragen, die Sie sich stellen sollten, bevor Sie die erste Stunde „Wissenschaftliches Arbeiten“ halten

Bald geht es also los. Vielleicht haben Sie auch schon einen groben Plan für das Semester erarbeitet oder sogar schon die erste Einheit ganz konkret durchgeplant. (Falls nicht, habe ich einen Vorschlag für Sie)

Es lohnt sich zu diesem Zeitpunkt auf alle Fälle, noch einmal kurz innezuhalten und sich ein paar grundlegende Fragen zu stellen:

  1. Nach welchem Prozessmodell will ich die Schritte des Wissenschaftlichen Arbeitens besprechen?
  2. Welche Übungen will ich im Laufe des Semesters einsetzen?
  3. Kenne ich den aktuellen, für die Studierenden verbindlichen Leitfaden zum Wissenschaftlichen Arbeiten?
  4. Kenne ich den Unterschied zwischen den wirklich wichtigen Vorschriften zum wissenschaftlichen Arbeiten und denen, bei denen die Studierenden nicht gleich durchfallen, wenn sie dagegen verstoßen?
  5. Kann ich die Vorgaben, die ich aus meinem eigenen Studium kenne, mit der nötigen Distanz betrachten und sie nicht als gegeben hinnehmen?

Was ich genau mit diesen Fragen meine, erläutere ich Schritt für Schritt:

 Zu Frage 1: Nach welchem Prozessmodell will ich die Schritte des Wissenschaftlichen Arbeitens besprechen?“

Glauben Sie, dass das Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit ein linearer oder ein rekursiver Prozess ist? Sprich: Denken Sie, dass alle Schritte der Reihe nach abgearbeitet werden (Themenfindung, Formulieren der Fragestellung, Literaturrecherche, Grobgliederung, Rohtext, Überarbeitung). Oder sehen Sie das nicht so streng und halten Schleifen im Prozess für normal? Ein paar Beispiele: Während des Schreibens zeigt sich, dass noch einmal Literatur recherchiert werden muss. Oder: Während der Überarbeitung denkt der Verfasser, dass die Fragestellung angepasst werden sollte.

Ein klein wenig habe ich hier schon über diese unterschiedlichen Herangehensweisen geschrieben.

Je nachdem, wie Ihre Antwort auf diese Frage ausfällt, hat das nicht nur Auswirkungen auf Ihre Grundhaltung, sondern auch auf die Übungen, die Sie mit Ihren Studierenden durchführen. Das bringt uns zur nächsten Frage.

Zu Frage 2: Welche Übungen will ich im Laufe des Semesters einsetzen?“

Das halte ich zwar für die unwichtigste der fünf Fragen. Denn wenn Sie im September noch nicht wissen, welche Übungen Sie im Januar nutzen wollen, bedeutet das nicht den Weltuntergang. Allerdings kann es hilfreich sein, den Studierenden bereits in der ersten Stunde Ihre Vorstellungen zu schildern. Dazu gehören Aussagen zum geplanten Format (Frontalunterricht, Gruppenarbeiten usw.). Ihre Zuhörer können sich darauf einstellen, und Sie vermitteln den Eindruck, bereits alles durchdacht zu haben.

Prinzipiell sind die verschiedenartigsten Übungen denkbar. Zu jedem Schritt im wissenschaftlichen Arbeitsprozess lässt sich eine Aktivität einstreuen. Hier in der Kategorie „Materialien“ trage ich im Lauf der Zeit meine Favoriten zusammen.

Zu Frage 3: „Kenne ich den aktuellen, für die Studierenden verbindlichen Leitfaden zum Wissenschaftlichen Arbeiten?“

Hochschulen bzw. einzelne Fakultäten, Fachbereiche, Studiengänge, Institute oder Lehrstühle stellen auf der Basis eines Grundkonsenses ihre eigenen Regeln auf und fassen diese meist in einer Handreichung zusammen. Informieren Sie sich rechtzeitig, was dort, wo Sie lehren, verbindlich gilt. Es sei denn natürlich, Sie sind als Lehrstuhlinhaber in der glücklichen Lage, selbst die Regeln definieren zu können.

Sollte es keinen Leitfaden geben, ist das nicht unbedingt von Vorteil. Dann füllen Spekulationen, Vermutungen und wilde Gerüchte das entstandene Vakuum. In diesem Fall verfasst wahrscheinlich jeder Studierende seine Arbeit so, wie er es für richtig hält, und Sie haben einen schweren Stand.

Zu Frage 4: Kann ich die Vorgaben, die ich aus meinem eigenen Studium kenne, mit der nötigen Distanz betrachten und sie nicht als gegeben hinnehmen?

Im Kern geht es hier darum, welche Vorschriften „überall“ verbindlich sind (Ausnahmen gibt es bekanntlich immer) und bei welchen es sich um reine Geschmackssache handelt.

Ein mir bekanntes Beispiel für eine Entscheidung nach Geschmack ist etwa die Reihenfolge von Literaturverzeichnis und Anhang. Das wird sehr oft so gemacht, dass der Anhang auf das Literaturverzeichnis folgt – manchmal aber eben auch genau umgekehrt. Zweites Beispiel: Finden Sie, dass unter selbst erstellten Abbildungen als Quellenangabe „Eigene Darstellung“ stehen muss oder nicht? Und, drittes und letztes Beispiel, was halten Sie von Text zwischen einer Kapitelüberschrift und der Überschrift dessen ersten Unterkapitels? Darf Ihrer Meinung nach also beispielsweise Text zwischen den Überschriften von Kapitel 2 und Kapitel 2.1 stehen, darf das unter keinen Umständen passieren oder muss dort im Gegenteil sogar auf jeden Fall etwas geschrieben werden?

Zu Frage 5: „Kenne ich den Unterschied zwischen den wirklich wichtigen Vorschriften zum wissenschaftlichen Arbeiten und denen, bei denen die Studierenden nicht gleich durchfallen, wenn sie dagegen verstoßen?“

Unbestritten ist wohl, dass in einer wissenschaftlichen Arbeit die verwendeten Quellen angegeben werden müssen. Wer gegen diese Regel verstößt, wird nicht bestehen. wenn das Plagiat aufgedeckt wird. Wenn ein Studierender aber anstelle eines Seitenrandes von 2,5 cm einen von 3cm nutzt, wird das allein sicher nicht zum Durchfallen führen.

So weit, so gut. Kniffliger wird es ja, wenn es zum Beispiel um die Zahl der zu zitierenden Quellen geht oder um deren Qualität. Verlangen Sie eine bestimmte Menge an zugrundeliegender Literatur und soll diese eine bestimmte Verteilung von gedruckten Quellen zu Internetquellen oder von Büchern zu Fachartikeln aufweisen? Können Sie eine konkrete Zahl an gewünschten Quellenangaben pro geschriebener Textseite nennen? Was würden Sie auf die Frage antworten, ob Form oder Inhalt höher bewertet werden?

Überlegen Sie gut, was Sie den Studierenden vermitteln wollen und richten Sie Ihre Lehrveranstaltung konsequent danach aus.

Meine fünf Fragen sind beim Verfassen dieses Artikels rückblickend entstanden. Ich würde mich freuen, wenn Einsteiger berichten würden, ob ihnen diese 5-Punkte-Liste geholfen hat. An die „alten Hasen“ lautet die Frage: Was würden Sie verändern oder ergänzen?

Wie Sie schnell und einfach die erste Stunde „Wissenschaftliches Arbeiten“ vorbereiten – auch wenn Sie noch nicht bereit sind

Nehmen wir an, Sie treten gerade Ihren neuen Job an einer Hochschule an. Zufälligerweise ist die Lehrveranstaltung „Wissenschaftliches Arbeiten“ im kommenden Semester noch nicht vergeben. Und Sie als neuer Kollege könnten doch… Oder etwa nicht? Kann ja eigentlich jeder. Es handelt sich um die absoluten Grundlagen, und wissenschaftlich gearbeitet haben Sie ja schließlich. Also los!

Nehmen wir weiterhin an, bei der ersten Einheit handelt es sich um eine Doppelstunde. Neunzig Minuten sind also zu füllen. Das Beste: Sie müssen zu dem Zeitpunkt dieser ersten Einheit noch gar nicht wissen, wie Sie den Rest des Semesters bestreiten. Hier ist der Plan:

  • 15 Minuten für Begrüßung und Organisatorisches sowie, wenn gewünscht, eine Vorstellungsrunde
  • 15 Minuten für einen Überblicksvortrag über die Ziele des wissenschaftlichen Prozesses
  • 30 Minuten für eine Übungsaufgabe
  • 30 Minuten für die Besprechung der Ergebnisse

Zum ersten Punkt, der Begrüßung, muss ich vermutlich nichts schreiben. Wie Sie das gestalten, ist eine persönliche Angelegenheit, und wahrscheinlich verfügen Sie bereits über erprobte Methoden. Die drei folgende Punkte möchte ich gern erläutern, damit Sie genau wissen, wie Sie vorgehen.

Der Überblicksvortrag

In diesem Teil präsentieren Sie einen groben Überblick über die Ziele der Wissenschaft. Das schafft eine gemeinsame Basis für die später zu erarbeitenden Inhalte. Gehen Sie nicht zu sehr ins Detail, machen Sie es nicht zu kompliziert, schließlich sprechen Sie vor Anfängern. Die wollen Sie ja nicht gleich zu Beginn verschrecken. Ich orientiere mich an einem Modell mit fünf aufeinander aufbauenden Stufen:

  • definieren
  • beschreiben
  • erklären
  • prognostizieren
  • Handlungsempfehlungen ableiten

Als Beispiele für die Umsetzung der einzelnen Ziele können Sie entweder Ihre eigene(n) Arbeit(en) heranziehen oder aber ein möglichst eingängiges fiktives Beispiel wählen (zum Beispiel „Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie die Mitarbeiterzufriedenheit in einem Unternehmen erfassen wollten?“). Wenn Sie möchten, bringen Sie in Ihrem Einstiegsvortrag – ganz klassisch – auch eine Definition des Begriffs „Wissenschaft“ ein. Damit nehmen Sie noch nicht zu viel vorweg.

Die Übungsaufgabe

Für die Übungsaufgabe teilen Sie den Kurs in Kleingruppen ein. Bewährt haben sich Vierergruppen. Bei größeren Gruppen ist es für einzelne Studierende zu leicht, sich vornehm zurückzuhalten und den Rest arbeiten zu lassen. Kleinere Gruppen funktionieren ebenfalls gut, zur Not ginge auch eine paarweise Bearbeitung. Allerdings fällt es dann später bei der Besprechung schwer, alle Gruppen zu Wort kommen zu lassen.

Der erste Teil des Arbeitsauftrags lautet:

„Was ist der Unterschied zwischen wissenschaftlichem Wissen und Alltagswissen? Diskutieren Sie die Unterschiede bei Entstehung, Weitergabe und Verwendung.“

Damit das nicht all zu abstrakt wird, stelle ich einige Beispiele für Alltagswissen zur Verfügung, aus den die Studierenden sich eines auswählen können:

  • Schokolade macht glücklich.
  • Brillenträger sind intelligent.
  • Täglich ein Glas Rotwein zu trinken erhöht die Lebenswartung.
  • Das Auswendiglernen von Gedichten fördert das Gedächtnis.

Das Schokoladenbeispiel ist übrigens in jedem Semester das beliebteste! Es scheint irgendwie attraktiv zu sein.

Der zweite Teil des Arbeitsauftrags verlangt den Studierenden einiges ab: „Wie würde das gewählte Beispiel wissenschaftlicher?“

Die Besprechung der Ergebnisse

Zum Abschluss bietet es sich an, die Ergebnisse der Besprechung in einer Tabelle festzuhalten. Nach und nach wird diese mit Inhalten gefüllt. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass es bei dieser Aufgabe kein Schwarz-Weiß-Denken geben kann, denn manche Antworten passen sowohl für das wissenschaftliche Wissen als auch für das Alltagswissen.

Beispiel: Die Weitergabe von Wissen geschieht im Alltag eher mündlich durch Gespräche innerhalb der Familie oder zwischen Freunden, durch Gerüchte oder durch Ratschläge. Man weiß etwas vom Hörensagen. Die Weitergabe von wissenschaftlichen Erkenntnissen hingegen passiert eher schriftlich in Büchern und Fachartikeln. Allerdings finden auch Konferenzen oder Vorlesungen statt, so dass die Antwort „mündliche Weitergabe“ nicht ganz falsch wäre.

Im zweiten Teil der Aufgabe geht es nur bedingt darum, wissenschaftlichere Formulierungen oder gar inhaltliche Begründungen zu finden. Das denken die Studierenden jedoch häufig und versuchen dann verzweifelt, mit Hilfe ihrer Biochemie-Kenntnisse die Aufgabe zu lösen. Dabei würde ich mich doch schon mit der Anwendung des Stufenmodells zufriedengeben. Es kann hilfreich sein, während der Bearbeitungsphase jeder Gruppe einen Besuch abzustatten. Dann merken Sie früh genug, wenn die Antworten in die falsche Richtung gehen, und können sachte korrigierend eingreifen.

Ihr Nutzen

Diese Aufgabe bietet Ihnen an vielen Stellen die Möglichkeit, sich auf den weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung zu beziehen. Sie können bei den meisten Aspekten einwerfen, dass Sie darüber im Lauf des Semesters noch detailliert sprechen werden – selbst wenn Sie noch keine Ahnung haben, wann das sein wird und wie ausführlich Sie ein bestimmtes Thema tatsächlich abhandeln wollen. Denn eins ist gewiss: Die Ergebnisse dieser Übungsaufgabe sind so grundlegend, dass Sie sicher darauf zurückkommen.

Wenn Sie noch genügend Zeit haben, beschließen Sie Ihre erste Einheit mit einigen Kriterien für Wissenschaftlichkeit:

  • Objektivität
  • Transparenz
  • Zuverlässigkeit
  • Genauigkeit.

Falls Sie das nicht mehr schaffen, macht es auch nichts. So haben Sie den perfekten Aufhänger für den Einstieg in die zweite Einheit. Anschauliche Beispiele müssen Sie sich auch nicht neu ausdenken, denn es wird sich jeder an das Schokoladenbeispiel erinnern.

Ein Hinweis zu guter Letzt

Rechtzeitig bevor Sie sich auf den Weg in die Lehrveranstaltung machen, sollten Sie sich schließlich noch diese fünf wichtigen Fragen stellen, über die ich Mitte September schreiben werde. Jetzt kann eigentlich nichts mehr schiefgehen.

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