Auf meiner „Über diesen Blog“-Seite schreibe ich
„Deshalb blogge ich: Weil ich meine Erfahrungen mit dieser „Prozessbegleitung“ [im Wissenschaftlichen Arbeiten] weitergeben und mich darüber austauschen möchte. Es existiert noch kein Ratgeber zur Lehre in diesem Fach. Gerade zu Beginn meiner Lehrtätigkeit vor etwa zehn Jahren hätte ich mir einen gewünscht.“
Moment mal. Kein Ratgeber? Gibt es nicht ungezählte Bücher zum Wissenschaftlichen Arbeiten? Ja, gibt es, und jedes Jahr kommen ein paar neue dazu. Diese Publikationen richten sich allerdings an Studierende und nicht an diejenigen, die den Studierenden die Methoden und Techniken des Wissenschaftlichen Arbeitens vermitteln sollen.
Ok, aber was ist mit all den Büchern für Schreibberater, Schreibtrainer, Schreibdidaktiker und wie sie nicht heißen? Stimmt, da ist schon deutlich mehr zu holen. Sie bedienen sich der angelsächsischen Tradition des Academic Writing und haben viel zu bieten, weil das im deutschen Sprachraum noch nicht so verankert ist. Auf einige dieser Ratgeber gehe ich im Lauf der Zeit auch noch ein. Sie sind für die Lehre im Fach „Wissenschaftliches Arbeiten“ ziemlich hilfreich. Und dann auch wieder nicht. Warum ist das so?
Stellen wir einmal die klassischen Inhalte der beiden Ansätze gegenüber.
Inhalte „Wissenschaftliches Schreiben“
- Phasen des Schreibens (Fragestellung, Recherche, Gliederung, Rohtext, Überarbeitung)
- Formale Anforderungen
- Wissenschaftlicher Schreibstil
- Schreibtypen und Schreibstrategien
- Schreibübungen
- Zeitmanagement des Schreibprojekts
Das Schreiben steht hier also ganz klar im Fokus, so sagt es ja auch schon der Name. Der Ausgangspunkt aller Gedanken ist die Textproduktion in der Wissenschaft – Schreiben als Schlüsselkompetenz für ein erfolgreiches Studium. Diejenigen Phasen im Schreibprozess, die nicht direkt mit der Textproduktion zu tun haben (also etwa das Erarbeiten der Fragestellung oder die Literaturrecherche), scheinen dem Schreiben untergeordnet oder nur ein Teil davon zu sein. Sie dienen als Mittel zum Zweck, denn ohne sie gäbe es schließlich niemals einen guten fertigen Text. Diese Fokussierung auf die Textproduktion mag damit zu tun haben, dass die Schreibzentren der Hochschulen fachübergreifend tätig sind. Ein kompetenter Austausch zu den konkreten fachlichen Inhalten ist vermutlich nicht immer zu gewährleisten. Es wäre ja schon ein großer Zufall, wenn immer ein Schreibberater aus der benötigten Disziplin verfügbar wäre.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich finde diese Vorgehensweise weder besser noch schlechter. Es ist einfach ein anderer Ansatz.
Inhalte „Wissenschaftliches Arbeiten“
- Wissenschaft und Wissenschaftstheorie
- Themeneingrenzung und Fragestellung
- Forschungsdesign und Methodenwahl
- Literaturrecherche und -auswahl
- Phasen des Schreibens (Gliederung, Rohtext, Überarbeitung)
- Formale Anforderungen
- Wissenschaftlicher Schreibstil
- (Schreibtypen und Schreibstrategien)
- (Schreibübungen)
- Zeitmanagement
- und manchmal Inhalte aus angrenzenden Gebieten: Lernen lernen, Prüfungsvorbereitung, Präsentieren usw.
„Wissenschaftliches Arbeiten“ umfasst also erst einmal mehr Inhalte. Es ist meist in der jeweiligen Disziplin verortet. Deshalb betrachten die Studierenden die Wege des Erkenntnisgewinns speziell in dem von ihnen gewählten Studienfach. Sie erhalten einen Einblick in das in ihrer Disziplin Übliche und das aktuell Mögliche.
Daher rückt die Betrachtung des Schreibens an sich in den Hintergrund. Schreiben wird als ein Baustein von vielen gesehen, die zu einem erfolgreichen Studium beitragen.
Mancherorts werden genau deswegen auch noch Inhalte aus angrenzenden Gebieten gelehrt, wie etwa Lerntechniken oder das Präsentieren von wissenschaftlichen Ergebnissen. „Wissenschaftliches Arbeiten“ geht also grundsätzlicher an die Thematik heran als „Wissenschaftliches Schreiben“.
Vom alten Schlag?
Jetzt behaupte ich einfach mal etwas. Wer „Wissenschaftliches Arbeiten“ unterrichtet, ist in den seltensten Fällen gleichzeitig auch ausgebildeter Schreibberater. Eher handelt es sich wohl um (Nachwuchs-)Wissenschaftler, die dieses Fach neben ihrem eigentlichen Fach lehren.
Es würde mich also nicht wundern, wenn im „Wissenschaftlichen Arbeiten“ vielerorts noch gelehrt würde, dass man gefälligst erst dann zu schreiben habe, wenn die vorbereitenden Phasen abgeschlossen sind. So sind die entsprechenden Anleitungen zum Wissenschaftlichen Arbeiten verfasst. Schreiben als Weg zur Erkenntnis oder als Dialog mit sich selbst ist wahrscheinlich noch nicht überall vorgesehen.
Auch bei den verschiedenen Schreibstrategien oder Schreibtypen bin ich mir nicht sicher, inwieweit diese schon in die Curricula des Wissenschaftlichen Arbeitens integriert sind. Daher auch die Klammern in der obigen Aufzählung. Ich kann mir gut vorstellen, dass der planende Schreiber als Ideal gelehrt wird – mit der Folge, dass einige Studierende im Unterricht gedanklich aussteigen, weil sie eben anders an ihre Schreibprojekte herangehen. Oder, schlimmer noch, sie versuchen, dieses vermeintliche Ideal zu erreichen, verbiegen sich dabei und kommen schlechter voran als vorher.
Voneinander lernen?
Wäre es nicht toll, wenn die beiden Ansätze „Wissenschaftliches Arbeiten“ und „Wissenschaftliches Schreiben“ voneinander lernen könnten? Wahrscheinlich bedeutet das vor allem, dass „die Wissenschaftler“ von „den Schreibberatern“ lernen. (Ich benenne die beiden Gruppen von Lehrenden jetzt einfach verkürzt so und stelle das für den Moment einmal so gegenüber). Das betrifft vorrangig die Stellung des Schreibens im Prozess der Erkenntnisgewinnung und die Techniken des Schreibens selbst.
Was meinen Sie? Decken sich meine Beschreibungen mit Ihren Erfahrungen? Oder ist das alles zu pauschal gedacht?
2 Kommentare zu “Wissenschaftliches Arbeiten versus Wissenschaftliches Schreiben”