Was können Sie als Lehrende tun, damit Ihre Studierenden das Schreiben lernen?

Ein Gastbeitrag von Christina Hollosi-Boiger

 

Was können Sie als Lehrende tun, damit Ihre Studierenden das Schreiben lernen?

Als Schreibtrainerin beschäftige ich mich mit dieser Frage schon lange:

Seit 2011 unterrichte ich Schreiben an verschiedenen Hochschulen, Institutionen, Organisationen in Österreich mit ganz unterschiedlichen Teilnehmer*innen (diverse Muttersprachen, Schreib-Erfahrungen, Ausbildungshintergründen, …).

Ich frage vor und in jedem einzelnen Kurs nach den Gelingensbedingungen für Schreiben – und was ich als Lehrende bzw. Workshopleiterin dazu beitragen kann.

 

Ich gebe Andrea im Blogbeitrag vom 20.03.2016 Recht: Schreiben lässt sich nicht lehren!

Doch: Als Lehrende kann ich Lern-Impulse setzen und für jene Bedingungen sorgen, in denen Teilnehmer*innen eigenständig zu Lern-Ergebnissen kommen. Diesen Mix aus Lern-Impulsen und Gelingensbedingungen kann ich als Schreib-Lehrende beeinflussen – und somit flexibel an die Teilnehmer*innen anpassen.

Dazu ist es natürlich wichtig, eine Übersicht über die komplexen Handlungsfelder des Schreibens zu haben. Das Modell der situativen Schreibfelder bietet Lehrenden und Lernenden eine Orientierung über die Themen und konkreten Schreibhandlungen, die in Bezug auf das Schreiben und den Text besprochen und angeregt werden können – und im Folgenden möchte ich Ihnen dieses Modell kurz vorstellen:

Die Schreibfelder

Felder des Schreibens

In der Schreiblehre kann zum Beispiel die Text-Entstehung, der Weg des Textes, der Schreibprozess (Schreibfeld A) besprochen werden. Dieses Handlungsfeld bezeichnet die einzelnen Phasen des Schreibprozesses, von der Ideenfindung über die Konzeption über mögliche Zwischentexte bis zu Finaltext. Auch der Weg des Textes (welche Stationen oder Hände er durchlaufen muss), die Meilensteine, die möglichen Stolpersteine – all das kann in Bezug auf dieses Schreibfeld thematisiert werden.

Hilfreich auf diesem Weg können Schreibtechniken und Schreibstrategien (Schreibfeld B) sein, ebenso wie die Analyse der Infrastruktur des Schreibens (Schreibfeld C), die den Schreib-Ort, die Schreib-Zeit, das Schreib-Material und die Umgebung der Schreibenden einschließt.

Damit rückt die schreibende Person (Handlungsfeld D) in den Fokus, was sich in spezifischen Fragestellungen, wie „Wie stehe ich persönlich zu dem Geschriebenem?“, „Wo und wie darf ich im Text vorkommen bzw. darf ich das Wort „Ich“ schreiben?“, auch „Wie geht es mir beim Schreiben?“

Andere Personen (Handlungsfeld E), die in Beziehung mit dem eigenen Schreiben stehen (z.B. Betreuende bei wissenschaftlichen Abschlussarbeiten oder Kolleg*innen bei einem kollaborativen Schreibprojekt), können dies ebenso beeinflussen wie bisherige Aneignungserfahrungen des Schreibens (Handlungsfeld F). Die Aneignung des Schreibens, der Erwerb verschiedener Schreibstrategien und das Lernen des Feldes „Schreiben“ können z.B. reflexiv betrachtet werden – um daraus neue, individuell passende Strategien zu modellieren.

Aus diesem Feld können auch gelungene Beispiele (Handlungsfeld O) generiert werden oder umgekehrt: Die Orientierung an gelungenen Beispielen kann Sicherheit beim Erlernen des Schreibens bieten.

 

Direkt im Text sichtbar sind die inhaltliche Ebene des Textes (Handlungsfeld I), die strukturelle Ebene des Textes (Handlungsfeld J) und die sprachliche Ebene des Textes (Handlungsfeld K). Diese Ebenen sind stark von den konkreten Anforderungen an den Text (Handlungsfeld L) abhängig, die die Textsorte, das Kommunikationsmedium oder die professional community vorgeben.

Die Sichtbarkeit des Textes (Handlungsfeld M) bezeichnet dabei den Veröffentlichungsgrad des Textes und die intendierte Zielgruppe, die Kommunikationssituation (Handlungsfeld N) bettet den Text in einen größeren Zusammenhang ein, der auch die intendierte Wirkung betrachten kann.

Die Rahmenbedingungen des Textes (Handlungsfeld O) bringen Implikationen für das Schreiben und den Text mit ein, wie etwa die für das Schreiben & Überarbeiten zur Verfügung stehende Zeit, Auftraggeber*innen mit außertextlichen Interessen oder die multimodale Nutzung des Textes.

 

Die einzelnen Handlungsfelder sind keine singulären, in sich geschlossenen Felder – sie hängen miteinander zusammen: Manche Schreibstrategien bedingen zum Beispiel besonders gut strukturierte Texte. Oder vorhandene Beispiele beeinflussen die schreibende Person. Manche von diesen Zusammenhängen sind bereits gut erforscht, andere werden in der aktuellen schreibdidaktischen Literatur kaum beachtet.

Das bringen die Schreibfelder im Lehralltag:

Auf Basis dieses Modells der situativen Schreibfelder, können Sie nicht nur flexibel im Lehralltag reagieren, sondern agil mit Teilnehmer*innen interagieren:

 Vorbereitung, Planung, und Gestaltung von Schreib-Lehr-Settings

Schreib-Lehr-Settings können durch das Modell der situativen Schreibfelder auf einfache Weise teilnehmer*innen- und somit lernenden-orientiert vorbereitet, geplant und gestaltet werden. Denn das Modell kann bei Operationalisierung von Lernzielen genutzt werden, zum Beispiel beim Lernziel „Die Teilnehmer*innen sind nach der Absolvierung in der Lage, eigenständig ein Exposé für eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen“.

Wenn Sie dieses Lernziel umsetzen möchten, haben Sie unzählige Möglichkeiten, diesen Inhalt „Exposé schreiben“ mit verschiedenen Lernformen umzusetzen. Wahrscheinlich machen Sie das nach bestem Wissen und Gewissen, mit Hilfe der vorhandenen Unterlagen aus vorigen Semestern, auf Basis von Fachliteratur etc. Sie zeigen dabei vielleicht auch in Form einer Übersichtsliste auf, welche Themen Sie besprechen – aber Sie zeigen nicht, was Sie nicht unterrichten.

Impuls für Ihr Schreib-Lehr-Setting: Planen Sie doch die Lehreinheit mit Hilfe des Modells der situativen Schreibfelder und wägen Sie ab, welche Felder für die Vermittlung des Exposé-Schreibens relevant sind. Dann strukturieren Sie die Themen entsprechend, zum Beispiel so:

  • die Anforderungen an den Text, die sich auf der inhaltlichen Ebene (I), der strukturellen Ebene (J) und der sprachlichen Ebene des Textes (K) zeigen.
  • Schreibtechniken & Strategien (B), die eine gute Textqualität erzeugen und
  • sich somit auf die Textentstehung (A) auswirken.

Agile Interaktion im Schreib-Lehr-Setting

Das Modell der situativen Schreibfelder bietet die Möglichkeit im Schreib-Lehr-Setting selbst, professionell spontan zu handeln; also agil mit den Teilnehmer*innen zu interagieren, den Lehr-Verlauf anzupassen und adäquate Schreibimpulse auszuwählen.

In Ihrer Schreiblehre können Sie diese Schreibfelder offenlegen und somit aufzeigen, was Studierende eigenständig erarbeiten müssen. Im Beispiel oben wird zum Beispiel die Infrastruktur des Schreibens (C) den Schreibenden überlassen, die Kommunikationssituation des Textes (N) wird als bekannt vorausgesetzt und es werden auch keine Beispiele gelungener Exposés (G) zur Verfügung gestellt.

Sie können dies durch die visuelle Darstellung der Schreibfelder ausweisen – und vielleicht lassen Sie die Studierenden gleich markieren, wo aus der Eigenperspektive weiterer Informationsbedarf besteht.

Zugleich können Sie als Schreiblehrende flexibler auf die Situation reagieren, vielleicht sogar agil mit den Teilnehmer*innen interagieren, indem sie gemeinsam Fragen aufwerfen und nach geeignete Antworten suchen.

Das Modell fördert eine aktive Lernhaltung

Schon alleine mit dem Offenlegen der möglichen Schreibfelder, die man für einen Text besprechen kann, nehmen Sie eine andere Lehrhaltung ein: Sie fordern von den Teilnehmer*innen, sich alle Aspekte des Schreibens und des Textes Gedanken zu machen, sich Text-Wissen anzueignen und selbstverantwortlich zu agieren.

Wenn Sie es zudem schaffen, mit den Teilnehmer*innen agil zu interagieren, zeigen Sie den Teilnehmer*innen Ihre eigene Neugierde, Ihre Erkenntnisbereitschaft – und damit die Fundamente der Wissenschaft.

 

Schreiben mit Chribs – das ist Schreiben mit Grips

Mag.a Christina Hollosi-Boiger, BA (www.schreibenmitchribs.at ) ist seit 2011 als Schreibtrainerin & –beraterin, Hochschuldidaktikerin und Qualitätstechnikerin an Hochschulen und in Organisationen in ganz Österreich tätig.

Sie begleitet Personen, die etwas schreiben müssen / dürfen / sollen / wollen. Fokus ihrer Arbeit ist das systematische und professionelle Verfassen von Texten sowie der nachhaltige Umgang mit Texten, für das sie das Textmanagementsystems TEMASYS® entwickelt hat.

Für sie ist Schreiben Profession und Passion.

PS: Sie erkennen sie am Hut!

 

 

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