Rot, rot, rot sind alle meine Stifte?

Quelle: phdcomics

Kennen Sie diese Situation? Sie lesen eine frühe Version einer studentischen Arbeit und fangen „trotzdem“ an zu korrigieren?

Dabei ertappe ich mich manchmal. Ich gerate ins Korrigieren, auch wenn ich weiß, dass das in dem Moment nicht der Sinn meines Lesens sein soll und weder erwünscht noch angebracht ist.

Das Zeigen früher Textversionen erfordert Vertrauen und kostet Überwindung. Denn sie geben einen ungeschönten Einblick in die Gedankenwelt und offenbaren Unverstandenes. Als Leserin bekomme ich Einblicke in die Textproduktion, in all die Unsicherheiten und noch nicht getroffenen Entscheidungen. Das macht die Schreibenden zunächst einmal verletzlich. Umso besser eigentlich, wenn sie schon selbst wissen, worin die Unzulänglichkeiten der vorgelegten Textversion bestehen. Und doch kann ich manchmal nicht an mich halten und gerate ins Korrigieren. Soll heißen: Ich streiche Formfehler an und bessere Rechtschreibfehler aus. Klarer Fall von nicht hilfreicher Berufskrankheit.

Feedback geben: Bleistift

Anders als der Professor in dem Comic verlange ich selten aktiv von mir aus Textentwürfe von den Studierenden. Im Normalfall verläuft es genau andersherum. Es gibt derzeit hauptsächlich zwei Settings, in denen die Studierenden mich um Text-Feedback bitten.

Im ersten Setting kommen vereinzelte Anfragen gegen Ende der Betreuung von Abschluss- oder Seminararbeiten. Die Besprechungstermine umfassen bis dahin vorrangig die Themenfindung und -eingrenzung, methodische Aspekte und die Annäherung an die zukünftige Struktur der Inhalte (vulgo Gliederung). In einigen wenigen Fällen treten Studierende dann an mich heran und fragen, ob ich eine Vorversion der Arbeit lesen würde – was ich verneine. Ich weigere mich, Vorversionen „abzusegnen“ und sehe keinen Mehrwert darin, eine komplette Arbeit doppelt zu lesen. Im Gegenteil: Es würde mich bei der finalen Korrektur und Notenfindung beeinflussen. Maximal lese ich einen ausgewählten Auszug aus dem Text, anhand dessen ich exemplarisch Verbesserungswürdiges identifiziere.

Das zweite Setting, in dem Studierende um Feedback bitten, ist eine Lehrveranstaltung namens „Praxistransfer“, die es an Berufsakademien gibt. Übersetzt in universitäre Begriffe handelt es sich um eine Mischung aus Sprechstunde und Tutorium. Die Studierenden werden in der Gruppe beim Verfassen ihrer Semesterarbeiten angeleitet und beraten. Im Laufe des Semesters besprechen wir dann auch Auszüge aus frühen Textversionen – wenn es dazu kommt. Denn oft liegen noch gar keine „zeigbaren“ Texte vor, je nach dem wann die Lehrveranstaltung im Stundenplan angesetzt wurde. Außerdem legen die Studierenden eine gewisse Schüchternheit an den Tag, wenn sie ihre Texte in der Gruppe besprechen sollen. Daher feedbacke ich dann eher im Einzelgespräch. Im Gegensatz zu von mir betreuten Arbeiten bin ich in dieser Lehrveranstaltung später nicht zwangsläufig in der Rolle der Bewertenden.

Arbeiten bewerten. roter Kugelschreiber?

Das bringt mich zum nächsten Punkt, der Bewertung. Jetzt ist ein Rollenwechsel angesagt, nun wird die Hierarchie „Lehrender – Studierender“ deutlich. Ich distanzierte mich innerlich und bemühe mich, den Text vorurteilsfrei zu bewerten, obwohl ich seine Entstehungsgeschichte kenne. Gleichzeitig versuche ich, wohlwollend zu lesen.

Abhängig davon, was ich bewerten soll, wird es auf eine eher summative Rückmeldung hinauslaufen oder, trotz der Bewertung, viele Elemente formativer Rückmeldung enthalten. Bei Abschlussarbeiten geht es vor allem um die Note, das Interesse an inhaltlicher Rückmeldung reduziert sich nach meiner Erfahrung fast auf null und kann auch nicht mehr eingefordert werden, wenn bereits die Sektkorken bei der Abschlussfeier geknallt haben.

Bei allen Arbeiten vor der Abschlussarbeit spielt die formative Rückmeldung eine große Rolle. Die studentischen Texte dienen dem Lernfortschritt, und dieses Ziel muss auch beim Bewerten immer präsent sein. Die Kommentare am Text sollen konstruktiv und ermutigend sein. Sie sollen hilfreich wirken bei der Weiterentwicklung des Schreibens.

Ich rede daher mittlerweile nicht mehr von „Korrektur“, das klingt in meinen Ohren zu sehr nach Vokabeltest: ein falsch geschriebenes Wort finden und anstreichen. Wer wollte einen wissenschaftlichen Text wirklich im Ganzen „korrigieren“, als ob es eine einzige gültige Wahrheit gäbe? Das Wort „bewerten“ enthält immerhin das ausführliche Prüfen und Feststellen des Wertes.

Den roten Stift nutze ich schon lange nicht mehr für studentische Texte.

Mehr Literatur und Links zum Thema

Buff Keller, Eva und Stefan Jörissen (2015) Abschlussarbeiten im Studium anleiten, betreuen und bewerten. Verlag Barbara Budrich: Opladen und Toronto.

Wie Sie korrigieren und trotzdem glücklich bleiben

Falls Sie Studierende hatten, die sich nicht so eng betreuen ließen

Und Sie so? Bleistift oder roter Kugelschreiber?

Neurobiologie, was hat das mit uns zu tun?

Das liebe Schreiben. Wir wissen ja alle, wie das geht. Wie es gehen sollte. Wie es bei Anderen wohl so geht.

Hinsetzen, nachdenken, aufschreiben.

Habe ich gehört, dass man das so macht. Denk‘ ich doch mal, dass das stimmt…

Tja, wenn es denn so einfach wäre.

Leider und zum Glück gehört aber noch ein bisschen mehr dazu.

Jetzt kommt die Neurobiologie ins Spiel. Vergleichen Sie einmal die linke und rechte Seite des Comics:

writinghow-it-is-supposed-to-work-phd-comicQuelle: www.phdcomics.com

Jeder von uns saß schon so da wie auf der rechten Seite abgebildet. Die meisten unserer Studierenden saßen schon so da. Im Gehirn läuft eben weit mehr ab als das, was links zu sehen ist.

Leider

Es sieht nach einer qualvollen Erfahrung aus, was da im rechten Bild gezeigt wird – nach langen Stunden des Zweifelns und Verwerfens, in denen man sich schlecht fühlt. Deswegen sage ich „Leider gehört mehr zum Schreiben als das bloße Hinsetzen und Tippen“.

Zum Glück

Wieso sage ich „Zum Glück gehört mehr zum Schreiben“? Nur bedingt vertrete ich die Ansicht, „dass man da eben durch muss, wenn man ein Studium abschließen will“. Es geht nämlich auch anders.

Eigentlich fehlt noch ein drittes Bild. Eines, das die negativen Aspekte ins Positive dreht und damit arbeitet.

  • Motivation

Was ist mit Motivation? Nicht mit der oft beschriebenen fehlenden Motivation, sondern mit dem enthusiastischen Wollen und dem neugierigen Fragen? Wie fördern wir das in den Lehrveranstaltungen und in der Betreuung? Oder genügt es uns schon, den Studierenden diese Haltung im Laufe der Semester wenigstens nicht auszutreiben?

  • Freude

Was ist mit Freude anstelle von Angst und Panik? Vermitteln wir Freude an unserem Fach und am wissenschaftlichen Arbeiten selbst?

  • Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein

Was ist mit Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein, die durch bewältigte Schreibaufgaben entstehen? Wie führen wir als Lehrende die Studierenden zu Erfolgslebnissen, die ermutigen und Lust auf mehr machen?

In den vergangenen Monaten habe ich mich intensiv mit solchen Fragen auseinandergesetzt. Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich ein didaktisches Konzept für die Vermittlung des wissenschaftlichen Arbeitens entworfen und es Anfang des Monats erstmals vor Kolleginnen und Kollegen präsentiert. Es steht ganz im Einklang mit dem Manifest, das ich vor einem halben Jahr veröffentlicht habe. Jetzt ist dieses Konzept also endlich inhaltlich fertig und muss „nur noch“ für die Publikation vorbereitet werden. Sie erfahren es natürlich, wenn es so weit ist.

Wie halten Sie es mit den angesprochenen Aspekten wie Motivation und Freude – kommt das in Ihren Lehrveranstaltungen implizit oder explizit vor?

 

 

„Warum ist er denn nie in die Sprechstunde gekommen?“

Warum der Studierende mit der miserablen Hausarbeit nie eine Beratung in Anspruch genommen hat? Deshalb:

 

DunningKrugerClub

Quelle: „AScienceEnthusiast“

 

Die Mitgliedschaft im Dunnung-Kruger-Club ist einer von vielen möglichen Gründen, warum Studierende nicht über Schreibschwierigkeiten sprechen. Sie erkennen schlicht und einfach nicht, dass sie welche haben.

„If you’re incompetent, you can’t know you’re incompetent. […] the skills you need to produce a right answer are exactly the skills you need to recognize what a right answer is.“

Aus einem Interview mit David Dunning am 20. Juni 2010

Die betreffenden Studierenden denken, dass ihre Herangehensweise an das wissenschaftliche Schreibprojekt richtig ist und zu einem guten Text führen wird. Deswegen sehen sie keine Notwendigkeit, die Sprechstunde oder Schreibberatung aufzusuchen.

Zum Weiterlesen: Kruger, Justin und David Dunning: „Unskilled and Unaware of It: How Difficulties of Recognizing One’s Own Incompetence Lead to Inflated Self-assessments,” Journal of Personality and Social Psychology 1999, Vol. 77, No. 6, pp. 121-1134.

 

 

Brain on a stick

phd012609s_brainonstickQuelle: http://www.phdcomics.com/comics/archive.php?comicid=1126

 

Bei diesem Comic kann einem das Lachen schon ein wenig im Hals stecken bleiben. Gerade weil er aus der Perspektive der Studierenden geschrieben ist, hält er uns Lehrenden den Spiegel vor. Denn wie schnell ist es passiert, dass man die Studierenden auf das Fachliche reduziert?

Natürlich können wir nicht jedem Studierenden als Person gerecht werden. Den kompletten Menschen mit all seinen Gedanken und Träumen lernen wir sowieso nie kennen. Aber zum „Brain on a stick“ sollten wir ihn auch nicht machen.

Vorbeugende Maßnahmen

In den folgenden drei Artikeln habe ich schon einmal etwas dazu geschrieben, wie sich das Problem zumindest teilweise vermeiden lässt:

Der BTDT-Effekt in der Lehre, und wie Sie gleich zu Semesterbeginn entgegensteuern – Hier geht es darum, wie Sie sich mit einer Vor-Abfrage zu Veranstaltungsbeginn besser auf Ihren neuen Kurs einstellen können.

Kann ein Leitfaden die Lehrveranstaltung ersetzen? Ich denke nicht. Meine Argumente für den persönlichen Austausch finden Sie in diesem Beitrag: 3 Gründe, wieso der Unterricht mehr bringt als jeder Leitfaden

Nicht Sie sind das Problem, sondern Ihre Kollegen – In diesem Beitrag lesen Sie die Grundprinzipien einer wertschätzenden Haltung bei der Beratung von Studierenden.

Ein genauerer Blick auf die „Brains on a stick“

„Die Studierenden“ als homogene Gruppe gibt es nicht. Deswegen habe ich eine Matrix entworfen, die vier Typen unterscheidet. Hier geht es zur Typologie.

Weiterführende Gedanken dazu können Sie in dem Beitrag nachlesen: Was Eisenhower mit den Studierendentypen zu tun hat Meine Ideen zu „typgerechten“ Lehrformaten finden Sie ebenfalls dort.

Gerade wenn mich ein bestimmter Studierendentyp mal wieder mit seiner Arbeitshaltung nervt, rufe ich mir das „Brain on a stick“-Bild in Erinnerung. Die Lehre soll die Studierenden schließlich erreichen.

 

 

Abgabefristen – Summer: When does it end?

Weil es jahreszeitlich gerade so schön passt, grabe ich diesen alten Comic einmal aus.

phd090512s_summer

Ich will gar nicht viel dazu schreiben. Mir fällt nur auf, dass es sehr viele Comics zum Thema Zeitmanagement gibt. Wahrscheinlich nicht ohne Grund…

Quelle: Summer – when does it end? von der PHDCOMICS-Website (Vorsicht, nur anklicken, wenn man wirklich zu viel Zeit hat oder das Bedürfnis nach Prokrastination extrem hoch ist!)

Soviel Text entsteht beim Schreiben einer Hausarbeit…

Auf der UTB-Seite habe ich etwas Treffendes gefunden:

Soviel Text entsteht... utb-KarteCopyright: utb/treibsand

Wenn ich den Studierenden das im 1. Semester so sage, ernte ich von einem Großteil amüsiertes Gelächter. Viele nehmen sich in diesem Moment vielleicht vor, es selbst besser zu machen und früh mit der Arbeit zu beginnen.

Wenn wir 2. Semester den Entstehungsprozess der ersten Arbeit reflektieren, wirkt das Lachen beim Anblick des Bildes auf mich etwas gequälter. Da denkt wohl manch einer an diese eine Nacht zurück, in der er die besagten 69 Prozent des Textes verfasst hat. Nicht umsonst haben einige Hochschulen eine „Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeit“ ins Leben gerufen.

Aber Zeitmanagement (und wie man das unterrichten kann) ist ein großes Thema für spätere Blogartikel.