Heidler/Krczal/Krczal: Zu viel versprochen

Heidler, Petra; Krczal, Albin und Eva Krczal (2021): Wissenschaftlich Arbeiten für Vielbeschäftigte. Opladen & Toronto: Verlag Barbara Budrich.

19,90 Euro

180 Seiten

Inhaltsübersicht:

1 Einleitung

2 Lernergebnisse und Leitfragen

3 Themenfindung und Konkretisierung

4 Exposé

5 Bestandteile und Gliederung einer wissenschaftlichen Arbeit

6 Arten von wissenschaftlichen Arbeiten

7 Der Forschungsprozess bei empirischen Arbeiten

8 Der Forschungsprozess bei Literaturarbeiten

9 Literaturrecherche

10 Zitierweise

11 Formale Rahmenbedingungen

12 Literaturverwaltungsprogramme

Heidler, Krczal und Krzcal: Zu viel versprochen

Der Titel des Buches klingt toll: „Wissenschaftlich Arbeiten für Vielbeschäftigte“. Im Klappentext ist die Rede davon, dass man „ohne großen Aufwand“ eine gute wissenschaftliche Arbeit anfertigen könne.

Dementsprechend war meine erste Nachfrage, als das Rezensionsangebot kam, ob es denn darum ginge, wie man trotz zeitlicher Restriktionen eine qualitativ hochwertige Arbeit schreibt. Daran wäre ich interessiert; ich dachte an Vielbeschäftigte wie Studierende im dualen oder berufsbegleitenden Studium, für die ich zwar selbst ein paar Tipps auf Lager habe, aber ich lerne ja gern dazu. Einen Ratgeber für Studierende, die nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ mit ihrer Arbeit einfach nur fertig werden wollen, hätte ich nicht rezensieren wollen.

Tja, was soll ich sagen? Bei dem Buch von Heidler, Krczal und Krczal handelt es sich keineswegs um einen „Augen zu und durch“-Leitfaden. Die Tipps für Vielbeschäftigte habe ich jedoch auch vergeblich gesucht.

Wie ist das Buch aufgebaut?

In zwölf Kapiteln sollen die Vielbeschäftigten erfahren, wie sie nun eine Arbeit erstellen, die den Anforderungen gerecht wird. Die Reihenfolge der Kapitel bzw. die Zuordnung mancher Inhalte zu den jeweiligen Kapiteln erschließt sich mir allerdings nicht.

In der Einleitung sind kurz und knapp die wesentlichen Anforderungen an eine wissenschaftliche Arbeit beschrieben. Das halte ich für eine solide Basis für alles Weitere und die Vertiefung in den entsprechenden Teilen. Kapitel 2 listet die Lernergebnisse und Leitfragen auf – und „Auflisten“ meine ich durchaus wörtlich: Viel Text gibt es in diesem Kapitel nicht. Ab Kapitel 3 (Themenfindung und Konkretisierung) dreht sich zunächst einmal alles um die grundsätzliche Anlage der Arbeit: Exposé (Kap. 4), Bestandteile und Gliederung einer wissenschaftlichen Arbeit (Kap. 5), Arten von wissenschaftlichen Arbeiten (Kap. 6, warum so spät?), bis dann Kapitel 7 und 8 den Forschungsprozess bei empirischen Arbeiten bzw. Literaturarbeiten beschreiben.

Die Techniken der Literaturrecherche und des Zitierens sind das Thema von Kapitel 9 und 10. Darauf folgen die formalen Rahmenbedingungen in Kapitel 11. Erst dann werden in Kapitel 12 verschiedene Literaturverwaltungsprogramme gegenübergestellt. Das hätte sich meiner Meinung nach viel besser beim Recherchieren und Zitieren gemacht, denn dafür sind die Programme ja nun einmal (auch) da.

Was komplett fehlt, sind Hinweise zur Zeitplanung. Hier hätte ich vermutet, dass gerade Vielbeschäftigte darüber gern mehr wissen würden.

Was mich anspricht

Die Betonung der grundsätzlichen Anlage einer Arbeit und die ausführliche Widmung des Forschungsprozesses möchte ich gern als positiv herausheben. Das ist keine Selbstverständlichkeit, dass diese Aspekte so detailliert behandelt werden. Gerade auch die fast gleichberechtigte Darstellung von quantitativen und qualitativen Methoden findet man nicht oft. Allerdings fehlen die Gütekriterien qualitativer Forschung, während die Gütekriterien quantitativer Forschung als allgemeingültig dargestellt werden.

Gut finde ich außerdem, dass den Literaturverwaltungsprogrammen Platz eingeräumt wurde. Auch das geschieht (noch?) selten in der einschlägigen Ratgeberliteratur. Mir fehlt allerdings eine Einordnung der vorgestellten Programme: Warum gerade diese fünf? Wie soll ich konkret auswählen? Dazu steht ein bisschen was in dem Buch, aber richtig handlungsleitend finde ich das für Studierende nicht.

Mit einem Glossar kann bei mir immer punkten. Hier ist eines vorhanden, das sicherlich beim schnellen Nachschlagen sehr hilfreich ist.

Was mir nicht gefällt

Die Liste der Aspekte, die mir nicht zusagen, ist leider sehr umfassend. Ein Hauptkritikpunkt besteht darin, dass es etliche für Studierende irreführende Punkte gibt. Die Diskussion, ob ein Ratgeber zum wissenschaftlichen Arbeiten als Beispieltext für die zu schreibenden Texte gelten können muss, ist alt. Aber selbst wenn man gegen diesen Anspruch argumentiert, so finde ich, vergibt man sich als Autor:in nichts, an bestimmten Stellen diejenige Variante zu wählen, die eben nicht irreführend ist. Auf das Buch von Heidler, Krczal und Krczal bezogen ist das – Beispiel Nr. 1 – die Literaturauswahl, auf der der Ratgeber basiert(viel Gutes und Einschlägiges, aber leider auch Veraltetes und nicht zitierwürdige Quellen). Es ist auf der formalen Seite – Beispiel Nr. 2 – die Zitation von Internetquellen, die an vielen Stellen einfach durch Angabe der URL in der Fußnote geschieht, an anderen nicht. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch inkonsistent.

Viele weitere Kleinigkeiten könnte ich anmerken, erspare es uns aber. Nur eines noch: Die Ansprache der Leser:innen finde ich problematisch. Der Klappentext nutzt das Du, im Buch wird die Sie-Form verwendet, an manchen Stellen wird gar über „die Studierenden“ geschrieben. Das wirkt seltsam distanziert, ich werde auch aus diesem Grund mit dem Buch nicht warm. Das abrupte Ende tut sein Übriges dazu (Kapitel 12.2, „Es gibt kein ‚Richtig‘ und kein ‚Falsch‘“). Da geht es eben noch um die Entscheidung für oder gegen ein Literaturverwaltungsprogramm, als dann ein vielleicht darauf bezogener oder vielleicht auch allgemeingültiger gedachter Satz daran anschließt: „Denken Sie daran, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und jede Forscherin und jeder Forscher strebt danach, die beste Fassung seiner Arbeit zu verwirklichen“. Das hinterlässt bei mir Fragezeichen.

Welchen Studierenden kann man das Buch empfehlen?

Puh… Ich könnte auf Anhieb keine Untergruppe von Studierenden herausdeuten, für die das Buch besonders geeignet wäre. Ist es für den Einstieg gedacht oder für Fortgeschrittene? Für bestimmte Studiengänge?

Für Vielbeschäftigte, wie der Titel suggeriert, ist das Buch genauso geeignet oder ungeeignet wie viele andere Ratgeber auch. Sicher sind viele Beispiele enthalten, aber das allein hilft ja nur bedingt beim Zeitsparen. Was fehlt, um dem Titel gerecht zu werden, sind wirkliche Effizienz-Tipps: Wie finde ich bei der Literaturrecherche schnell qualitativ hochwertige Treffer? Welche Zeitersparnis bieten mir Literaturverwaltungsprogramme? Wie komme ich beim Schreiben zügig voran? Wie kann ich mich beim Überarbeiten fokussieren, so dass das nicht ausufert? (Schreiben und Überarbeiten wurden sowieso komplett ausgeklammert.)

Was bringt das Buch für den Einsatz in der Lehre?

Für Lehrveranstaltungen zum wissenschaftlichen Arbeiten ist das Buch nicht konzipiert. Manchmal hilft ja an der Stelle das Bonus-Material zum Buch. Hier wurde es angekündigt, allerdings kann ich es auf der Website nicht finden.

Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Kotthaus: So viel mehr Antworten als Fragen

Kotthaus, Jochem (Hrsg.) (2020): FAQ Methoden der empirischen Sozialforschung für die Soziale Arbeit und andere Sozialberufe. Opladen/Toronto: Verlag Barbara Budrich.

17,90 Euro

Inhaltsübersicht:

Teil A: Grundlagen

Teil B: Datengenerierung

Teil C: Methoden qualitativer Sozialforschung

Teil D: Die Auswertung empirischer Daten

Teil E: Besondere Aspekte der empirischen Forschung

Eine Leseprobe finden Sie hier: https://budrich.de/news/geblaettert-faq-soziale-arbeit/

Kotthaus: So viel mehr Antworten als Fragen

In diesem Buch werden Fragen beantwortet. Das ist nun nicht weiter außergewöhnlich für ein Buch, das den Bestandteil „FAQ“ im Titel trägt. Hier gelingt jedoch das Kunststück, dass man auch Antworten auf jene Fragen gebannt liest, von denen man gar nicht wusste, dass man sie hätte stellen sollen.

Der Herausgeber, Prof. Dr. Jochem Kotthaus (Professor für Erziehungswissenschaft am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der Fachhochschule Dortmund) legt eine FAQ-Sammlung vor, mit der die insgesamt 16 Autor:innen weit über das thematisch Erwartbare hinausgehen.

Wie ist das Buch aufgebaut?

Das Buch ist in fünf Teile gegliedert. Als erwartbar empfinde ich die Teile B bis D, in denen die Datengenerierung, die Methoden qualitativer Sozialforschung und die Auswertung empirischer Daten thematisiert werden. Das ist nötig, das ist sinnvoll, und das muss ein solches Buch auch leisten, um seinem Titel gerecht zu werden. Was geschieht nun aber in den beiden verbleibenden Teilen des Buches?

Teil A, in dem die wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Grundlagen behandelt werden, gehört für mich zwingend zur Methodenlehre. Immer wieder höre ich allerdings von Lehrenden, dass sie das anders sehen und die Wissenschaftstheorie ausklammern („zu trocken“). Aber wie will ich mit den Studierenden über die Aussagekraft von Ergebnissen sprechen, wenn ihnen diese Hintergründe nicht bekannt sind? Im vorliegende Buch geht es diesbezüglich ans Eingemachte: Die Fragen „Was ist ein Subjekt?“ und „Was sind Theorien?“ kommen noch harmlos daher, aber spätestens bei sperrigeren Fragen wie „Was ist Wirklichkeit?“ oder aber „Was ist Erkenntnistheorie – und warum sollte ich sie nicht ignorieren?“ wird klar: Hier kann man von der Pike auf lernen, was es mit (qualitativer) Forschung auf sich hat und in welchem Verhältnis sie zur Sozialen Arbeit steht.

Der letzte Teil des Buches ist für mich der beste, weil er seinesgleichen sucht. Die anderen Inhalte könnte man alle so oder in ähnlicher Form bereits an anderer Stelle gelesen haben. In Teil E jedoch, („Besondere Aspekten der empirischen Sozialforschung“) erfahren die Studierenden beispielsweise, wie sie die Forschung in ihr Studium integrieren oder welche rechtlichen Details im Forschungsprozess kritisch werden könnten. Auch für mich war das sehr spannend. Da ich ja nicht in diesem Bereich forsche, habe ich nie damit auseinandergesetzt, was denn wäre, wenn ich während meiner Forschung eine Straftat beobachte oder gar selbst im Namen der Forschung eine begehen soll!

Anspruch, Wirklichkeit und noch ein Anspruch

Das Buch soll „Einführung und Anregung“ sein (S. 12). Ich denke, dass es das in jeder Hinsicht schafft. Wie gerade beschrieben, sind die Inhalte vielfältig, hilfreich und relevant. Hinzukommt, dass das Buch mit einem Blick für Studierende geschrieben wurde, ohne dabei anbiedernd zu sein. Bei den Texten hatte ich immer den Eindruck, dass den Autor:innen viel daran liegt, auch tatsächlich verstanden zu werden und den Studierenden Impulse für ihr weiteres Forschen zu geben.

Überhaupt kam mir das Buch sehr zugänglich vor. Das liegt zum einen am Aufbau, zum anderen an der Sprache. Immer wieder wurde ich von witzigen Formulierungen und der direkten Ansprache überrascht. So erhält man in dem von mir hoch geschätzten Teil E – wo sonst? – den Tipp, zumindest zu Beginn nicht in besonders schwierigen oder vulnerablen Gruppen zu forschen. Wenige Seiten später dann liest man: „Sagen Sie bitte nicht, dass Sie doch im Zuhältermilieu oder bei Rockergangs geforscht haben!“

Abschließend möchte ich einen Wunsch äußern, vielleicht erhört ihn ja jemand 😉 Ich wünsche mir, dass auch andere Menschen im Wissenschaftssystem einen solch differenzierten Blick auf ihre Disziplin bzw. deren Methodologie werfen und die Welt mit Hilfe eines ähnlichen Buches daran teilhaben lassen. Das ist anspruchsvoll und wäre gleichzeitig so wertvoll!

Welchen Studierenden kann man das Buch empfehlen?

Mit dem Titel ist es bereits gesagt: „für die Soziale Arbeit und andere Sozialberufe“. Das Buch richtet sich genau an Studierende der genannten Fächer, wobei der Begriff „Sozialberuf“ natürlich Interpretationsspielraum zulässt. Es werden sich die Richtigen angesprochen fühlen (und das wahrscheinlich sehr!).

Erstsemester werden mit diesen FAQ sicher mehr anfangen können als Fortgeschrittene, und so ist das Buch auch gedacht. Allerdings denke ich, dass auch Studierende späterer Semester viel Wissenswertes finden werden. Im „schlechtesten“ Fall fühlen sie sich nach der Lektüre „nur“ in ihrem Wissen bestätigt und somit sicherer auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung.

Was bringt das Buch für den Einsatz in der Lehre?

Für den Einsatz in der Lehre wurde das Buch an sich nicht konzipiert. Es ist noch nicht einmal ein Lehrbuch im klassischen Sinn. Der Herausgeber weist sogar ausdrücklich darauf hin, dass sein FAQ-Buch kein Lehrbuch ersetzen kann, und liefert mit dem Kapitel namens „Welche Bücher muss ich lesen?“ eine annotierte Bibliographie, die zehn ausgewählte Werke umfasst.

Wenn ich in entsprechenden Veranstaltungen – also in Methodenfächern innerhalb eines Studiengangs Soziale Arbeit oder Sozialpädagogik – lehre, verweise ich die Studierenden immer wieder einmal auf passende Abschnitte des Buches. Es eignet sich hervorragend zum Schließen von individuellen Wissens- und Verständnislücken.

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Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

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Quantitative Forschung – Was müssen Einsteiger wissen?

Ein Gastbeitrag von Daniela Keller

Das Feld der quantitativen Forschung ist sehr weit und schreckt vielleicht aufgrund der Nähe zur Mathematik und Informatik viele Studierende ab.

Wie kann man Einsteigern trotzdem einen möglichst einfachen Zugang zu diesem Gebiet geben?

Was muss eine Anfängerin oder ein Anfänger wissen, um mit einem ersten quantitativen Projekt beginnen zu können?

Diese Fragen beantworte ich hier anhand von sechs Punkten:

1. Klare Fragestellung und präzise Hypothesen

Die Forschungsfrage und damit die Fragestellung der Arbeit muss klar formuliert sein. Aus dieser Fragestellung heraus werden anschließend präzise Hypothesen formuliert. Diese Hypothesen dürfen jeweils nur eine Idee enthalten und müssen messbar sein. Messbar heißt: alle für die Beantwortung der Hypothesen benötigten Informationen müssen als Daten vorliegen oder müssen erhoben werden können.

Nur mit einer so klaren Fragestellung und den daraus sich ergebenden präzisen Hypothesen können die Studierenden die nächsten Schritte gehen und verlieren sich nicht in unnötigen oder unmöglichen Datenanalysen.

2. Grundlegendes Verständnis eines Signifikanztests

Die Studierenden müssen verstehen, wie ein Signifikanztest funktioniert. Es muss ihnen klar sein, was eine Nullhypothese und was eine Alternativhypothese ist und wie das Ergebnis des Signifikanztests sich auf diese Hypothesen auswirkt. Sie müssen die Bedeutung der statistischen Signifikanz verstehen und wissen, was das Signifikanzniveau und was die Teststärke sind und wie diese Elemente gemeinsam mit der Fallzahl und der Stärke des Effekts in Wechselwirkung stehen:

  • Um einen kleinen Effekt als signifikant nachzuweisen, benötigt man eine große Fallzahl.
  • Einen großen Effekt kann man auch mit kleiner Fallzahl als signifikant nachweisen.

Dadurch wird es ihnen möglich, das Ergebnis eines Signifikanztests richtig zu interpretieren und richtig in ihr Forschungsergebnis einzuordnen.

3. Bedeutung der Datenerhebung für die Datenqualität

Außerdem sollten die Anwender wissen, woher die Daten kommen und wie sie erhoben wurden. Zudem brauchen sie ein Bewusstsein dafür, wie die Art der Datenerhebung die Datenqualität und damit das Ergebnis der Forschung beeinflusst.

Hier sollten Themen angesprochen werden wie:

  • Grundgesamtheit und Stichprobe,
  • Art der Stichprobenziehung (zufällig, geschichtet, Cluster…),
  • Validität und Reliabilität des Erhebungsinstruments und
  • Erstellung eigener Erhebungsinstrumente (z.B. Fragebogen).

Mit dem Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser Themen werden die Forschenden mehr Sorgfalt bei der Wahl sowohl der Stichprobe als auch der Erhebungsinstrumente walten lassen. Und selbst wenn keine optimalen Bedingungen (keine Repräsentativität, keine validierten Fragebögen) bestehen, werden sie ihre Ergebnisse vor diesem Hintergrund richtig einordnen und diskutieren können.

4. Variablentypen kennen und Unabhängigkeit verstehen

Ganz einfach und greifbar lässt sich vermitteln, dass es verschiedene Variablentypen gibt und dass die Kenntnis des Variablentyps wichtig für die Auswahl der passenden statistischen Verfahren ist. Meist reicht es, wenn man zwischen den Messniveaus metrisch, ordinal und nominal unterscheidet. Es sollte zudem noch angesprochen werden, dass es Grenzfälle gibt wie Likert-Items oder Besonderheiten wie Überlebenszeiten.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der häufig unter den Tisch fällt, ist die von den meisten statistischen Methoden vorausgesetzte Unabhängigkeit der Messungen. Es wird in den meisten Analysemethoden davon ausgegangen, dass die einzelnen untersuchten Fälle (z.B. Probanden) voneinander unabhängig sind. Diese Annahme kann nicht bestehen, wenn es sich um hierarchische Daten handelt, z.B. Messungen an Schülern sowohl aus der gleichen Klasse als auch aus unterschiedlichen Klassen. Dann sind sich die Schüler aus der gleichen Klasse ähnlicher als die aus verschiedenen Klassen und dies führt zu teilweise verbundenen Daten. Solche Daten benötigen besondere Analysemethoden wie z.B. lineare gemischte Modelle.

Komplett verbundene Datensätze, wie z.B. eine Messwiederholung über die Zeit, ist auch mit klassischen Analysemethoden gut umsetzbar und stellt kein Problem dar. Hier muss nur darauf geachtet werden, dass die passende Methode für verbundene Daten ausgewählt wird.

5. Auf Voraussetzungen achten

Natürlich braucht kein Anwender alle statistischen Methoden mit allen zugehörigen Voraussetzungen komplett zu kennen. Ein Einsteiger sollte aber wissen, dass die meisten Signifikanztests und statistischen Modelle bestimmte Voraussetzungen an die Daten stellen und dass diese vom Anwender geprüft werden müssen.

Zum Einstieg kann man dafür zum Beispiel auf die Normalverteilung und deren Überprüfung eingehen, da diese bei zahlreichen statistischen Methoden zu untersuchen ist.

Ziel ist, dass die Anwender dafür sensibilisiert werden bei der Durchführung der Statistik auf die Prüfung und Einhaltung der jeweiligen Voraussetzungen zu achten.

6. Statistiksoftware kennen

Um die Analyse selbst rechnen zu können, müssen die Studierenden eine Statistiksoftware benutzen. Es gibt verschiedene Software mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen hinsichtlich Benutzerfreundlichkeit, Kosten, Zugänglichkeit und Funktionen.

Wichtig ist, dass den Studierenden klar ist, dass sie eine Statistiksoftware benötigen. Um Zeit während der eigentlichen Auswertung zu sparen und Fehler zu vermeiden, lohnt es sich, sich schon vorab mit der Software in den Grundzügen vertraut zu machen.

Fazit

Wenn Sie es schaffen, Ihren Studierenden diese sechs Punkte zu vermitteln, bereiten Sie sie gut auf den Einstieg in das quantitative Forschen vor. Das erste quantitative Projekt Ihrer Studierenden wird ihnen leichtfallen und sie werden dieses Wissen für alle weiteren Projekte nutzen, dort erweitern und vertiefen.

Wenn Sie selbst oder Ihre Studierenden Ihr Statistikwissen vertiefen wollen und sich eine große Portion Motivation und Fokus für Ihr Projekt holen möchten, dann machen Sie mit bei der gratis, online Statistik-Challenge von 11. bis 13. Mai 2020. Anmeldung hier möglich: https://statistik-und-beratung.de/statistik-challenge/

Daniela Keller, Statistikexpertin

Einen früheren Gastbeitrag von Daniela Keller finden Sie hier: Statistische Irrtümer vermeiden

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From bad to better

Meinfelder, Florian und Rebekka Kluge (Hrsg.) (2019): Bad Science: Die dunkle Seite der Statistik. München: Vahlen.

29,80 Euro

Inhaltsübersicht

I Methodische Grundlagen (3 Beiträge)

II (K)eine Anleitung zum Mogeln (3 Beiträge)

III Wie man unter Zuhilfenahme statistischer Methoden Nonsens-Forschung einen wissenschaftlichen Anstrich verpasst (2 Beiträge)

IV Handfeste Konsequenzen in der wirklichen Welt (3 Beiträge)

 

From bad to better

Was ist Wissenschaft? Was ist Pseudo-Wissenschaft? Und was ist einfach nur schlechte Wissenschaft? Unter „Bad Science“ verstehen die Herausgeber des Sammelbandes laut Vorwort „schlampiges Vorgehen beim wissenschaftlichen Arbeiten“, aber auch einseitige Untersuchungen und gefälschte Ergebnisse. Der Fokus des Buches liegt klar auf Letzterem, wie schon der Untertitel „Die dunkle Seite der Statistik“ zeigt. Dahinter steckt der Gedanke, dass Menschen, die versiert mit Statistik umgehen können, diese nicht missbrauchen, sondern sie für gute Wissenschaft nutzen.

Als Herausgeber fungieren Dr. Florian Meinfelder von der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und Rebekka Kluge, die am GESis Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Mannheim promoviert. Bei den Autoren der Beiträge handelt es sich um ehemalige Master-Studierende der Universitäten Bamberg, Berlin und Trier, die im Sommersemester 2016 am Seminar „Survey Methodik“ teilgenommen hatten.

Wie ist das Buch aufgebaut?

Auf den ersten Blick findet man den klassischen Aufbau eines Sammelbands vor: Auf das Vorwort und die Einleitung der Herausgeber folgen nacheinander mehr oder minder aufeinander abgestimmte Beiträge, er schließt mit einem Nachwort der Herausgeber. Im vorliegenden Sammelband ergänzen sich jedoch die vier Teile – „Methodische Grundlagen“, „(K)eine Anleitung zum Mogeln“, „Wie man unter Zuhilfenahme statistischer Methoden Nonsens-Forschung einen wissenschaftlichen Anstrich verpasst“ und „Handfeste Konsequenzen in der wirklichen Welt“ – sehr gut. Zudem sind sie jeweils mit einem einführenden Zwischentext der Herausgeber verbunden. Das Buch wird zu einem angenehmen Mix aus Grundlagen und Anwendung, aus theoretischem Hintergrundwissen zur Statistik und der Beschreibung praktischer Auswirkungen in der echten Welt.

Was lernt man in dem Buch?

Im ersten Teil zu den methodischen Grundlagen geht es zunächst einmal um die Unzulänglichkeiten des p-Werts. Dieser Signifikanzwert ist als Standard derzeit noch nicht aus der Statistik wegzudenken; die als Alternative geltende Bayes-Statistik wird vergleichsweise selten eingesetzt bzw. ist in der einschlägigen Software noch nicht implementiert.

Das sogenannte p-Hacking (die Suche nach einer möglichst spektakulären und somit gut veröffentlichbaren signifikanten Aussage) und das HARKing (Hypothesizing after Results are known) werden anschaulich und an mehreren Beispielen in den folgenden Teilen dargestellt.

Und, leider, leider, lernt man in dem Buch auch, dass Schokolade doch nicht schlank macht (waaas?). Sie erinnern sich: Vor fast fünf Jahren, im März 2015, entstand ein ziemlicher Rummel um eine Studie, die angeblich zeigte, dass Schokolade beim Abnehmen hilft. Nach zwei Monaten erst klärten die Autoren auf, dass es sich um eine Fake-Studie gehandelt hatte, und mahnten so zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit Studienergebnissen.

Welchen Studierenden kann man das Buch empfehlen?

Wer im Studium viel mit Statistik zu tun hat oder sich gar darauf spezialisiert hat, findet in dem vorliegenden Buch eine Zusammenstellung modernerer Ansätze, die so noch nicht in allen Lehrbüchern und noch viel weniger in Lehrunterlagen zu finden sind. Es wäre gut möglich, dass man nach der Lektüre auf einem aktuelleren Wissensstand angelangt ist als eine Lehrperson, die sich seit geraumer Zeit nicht mehr weitergebildet hat, „weil sich bei der Statistik eh nichts ändert“. Das ungläubige Staunen, dass sich da doch etwas tut, sollte man dann aushalten oder verargumentieren können.

Was bringt das Buch für den Einsatz in der Lehre?

Für Lehrende, die bisher nicht gerade tief in die Statistik eingetaucht sind, ist der Sammelband sicher keine gute Einstiegslektüre in das Gebiet. Ein wenig Vorbildung auf diesem Gebiet sollte man schon mitbringen, so etwa das Wissen darüber, was statistische Analysen im Gegensatz zu einer qualitativen Herangehensweise eigentlich leisten sollen und vor allem, was es mit dem Hypothesentesten und dem berühmten p-Wert auf sich hat. Dann macht die Lektüre Laune und es ist möglich, ausgewählte Beispiele zur Diskussion ins Seminar mitzunehmen – auf dass „Bad Science“ erkannt und in Zukunft immer mehr durch „Good Science“ ersetzt werde.

Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

 

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Beautiful questions

Brauchen Sie eine alternative Lehrmethode für „die Basics“ der Lehrveranstaltung Wissenschaftliches Arbeiten? Für die Dinge, die Sie den Studierenden einfach immer erst einmal erklären müssen, bevor Sie tiefer einsteigen wollen?

In diesem Artikel möchte ich Ihnen eine Methode an die Hand geben, mit der Sie solche grundlegenden Inhalte auf eine gewinnbringendere Art behandeln können. Denn mal ehrlich: Oft nehmen die Studierenden diese doch gar nicht richtig auf, wenn Sie Ihre Folien durchgehen. Später im Semester, wenn Sie darauf zurückgreifen wollen, ist nichts da. Vielleicht war es nie da. Vielleicht haben die Studierenden die Inhalte auch einfach an sich vorüberziehen lassen.

Ich halte es in den meisten Fällen für zielführender, wenn die Studierenden sich auch (oder gerade) solche Inhalte aktiv erarbeiten. Das bringt mehrere Vorteile mit sich, die ich am Ende des Artikels resümiere.

Ok, Ärmel hochkrempeln und los geht’s.

Die Methode der „Beautiful questions“

Nehmen wir einmal die Kriterien von Wissenschaftlichkeit als Beispiel. Diese werden typischerweise eher zu Beginn der Lehrveranstaltung thematisiert. Ich meine so etwas wie akademische Redlichkeit, Nachvollziehbarkeit usw. Der entsprechende Lehrvortrag ließe sich unterschiedlich lang ausgestalten. Wenn Sie kurz und knackig einfach nur einen ersten Überblick geben wollen, sind Sie nach wenigen Minuten fertig. Sie könnten auch eine komplette Einheit zu diesem Thema monologisieren. Aber, das Problem: siehe oben. Wer erinnert sich dann Wochen später noch daran?

Den Ausdruck „Beautiful questions“ habe ich übrigens in Swantje Lahms „Schreiben für die Lehre“ (2016 bei UTB) kennengelernt. Dort wird er nach Ken Bain (2004) ebenfalls für Fragen verwendet, die zum Denken anregen. Allerdings stellen dort die Lehrenden die Fragen.

Wie Sie vorgehen

Pro Kriterium von Wissenschaftlichkeit benötigen Sie ein Kärtchen, auf dem auf der Vorderseite das Kriterium nur genannt („Akademische Redlichkeit“) und auf der Rückseite in ein bis zwei Sätzen erläutert wird. Es bietet sich an, die Kärtchen zu laminieren, wenn Sie sie mehrfach einsetzen möchten.

Die Studierenden bilden Gruppen von nicht mehr als 5 Personen. Bei sehr großen Kursen vergeben Sie einfach jede Karte doppelt.

Als Arbeitsauftrag erhalten die Studierenden zum Beispiel das:

Die Erarbeitungsphase dauert etwa 15 Minuten.

Für die anschließende Plenumsphase sollten Sie mindestens 60 Minuten einplanen. Danach ist sicher eine Pause nötig, denn die Aktivität ist doch anstrengend bzw. für einige auch ermüdend. Schließlich muss sehr viel neuer Inhalt aufgenommen und mental einsortiert werden. Das Hin und Her in der Diskussion benötigt ein gewisses Maß an geistiger Flexibilität.

Kärtchen für Kärtchen (die Reihenfolge ist dabei egal) stellen die Gruppen ihr Kriterium vor und richten ihre „most beautiful question“ an das Plenum. Die Gruppe selbst moderiert die Diskussion. Sie als Lehrperson tragen Ihre reiche Erfahrung zur Diskussion bei.

Wie Sie die Ergebnisse sichern können

Ermuntern Sie die Studierenden zum Mitschreiben.

Sammeln Sie nach Ende der Diskussion die „Beautiful questions“ aller Gruppen ein bzw. lassen Sie sie sich zusenden und geben Sie an den Kurs zurück (über die Campus-Plattform oder per E-Mail).

Stellen Sie den Studierenden eine Übersicht aller Kriterien von Wissenschaftlichkeit zur Verfügung, also eine Zusammenfassung aller Kärtchen entweder als eine Folie in Ihrem Foliensatz oder als nachträgliches Handout.

Was bringt‘s?

Die Vorteile der „Beautiful questions“ in der Lehrveranstaltung Wissenschaftliches Arbeiten:

  • Die Studierenden sind aktiver und erinnern sich besser an die Inhalte.
  • Die Studierenden erleben das Fragen als wichtiges Element des wissenschaftlichen Arbeitens.
  • Die Studierenden erleben, dass sie wortwörtlich in Frage stellen dürfen, was eine Lehrperson sagt oder schreibt. Widerspruch ist erlaubt und sogar ausdrücklich erwünscht.
  • Sie als Lehrperson erfahren viel über den Wissenstand und die Denkweise der einzelnen Studierenden.
  • Sie verfügen nach der Einheit über eine ordentliche Anzahl an Fragen, die Sie im Verlauf des Kurses einsetzen können, wenn Sie zu verwandten Themen kommen.
  • In nachfolgenden Kursen können Sie gezielt die eine oder andere Frage für ein Freewriting, eine Diskussion, ein Seminarpaper verwenden.

Der große Nachteil:

  • Es dauert sehr viel länger, die Kriterien von Wissenschaftlichkeit so zu erarbeiten, als sie einfach nur vorzutragen und zu erläutern.

Die gute Nachricht: Die Zeit holen Sie später wieder rein. Sie haben einen reichen Fundus an Diskussionsansätzen und -äußerungen, auf die Sie im Verlauf der Veranstaltung zurückgreifen können – sei es als Einstieg in ein Unterthema oder als Verweis auf bereits Besprochenes.

Probieren Sie es einfach aus!

 

 

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Methoden als Erfahrungsräume

Da das Thema in einer Diskussion in der Facebook-Gruppe Hochschuldidaktik gerade wieder hochkam, möchte ich in diesem Beitrag noch einmal den Aspekt aufgreifen:

„Wo lernt man denn Wissenschaftliches Arbeiten, wenn nicht an der Hochschule?“

Oder, wie ich es in einem älteren Artikel formuliert habe: „Ist es nicht paradox, dass man sich im wissenschaftlichen System gerade ‚Wissenschaft‘ selbst beibringen soll?“

Lassen Sie uns noch tiefer in die gleiche Kerbe schlagen:

Methodisch und methodologisch gut ausgebildete Studierende sind ein Segen.

Hochschulen sollen den Studierenden nicht nur wissenschaftliches Schreiben beibringen (was viele nicht einmal tun), sondern gefälligst auch, wie sie zu neuen Erkenntnissen gelangen können.

Das bedeutet:

Studierende sollen wissen, welche Methode sie im vorliegenden Fall anwenden möchten, um ihre Fragestellung einer Lösung zuzuführen. Sie sollen auch wissen, welche Methode sie besser nicht anwenden.

  • Damit ist einerseits das Wissen darum gemeint, was die Methode zu leisten vermag und was nicht. Studierende sollen wissen, was sie von der gewählten Methode erwarten können und wo die Limitationen liegen. Sie sollen beurteilen können, was herausgekommen ist und wie dies einzuordnen ist.
  • Andererseits geht es um die Möglichkeiten der Studierenden. In seinem Kommentar zu meinem Beitrag von Anfang April schreibt Christian Wymann sinngemäß, die Studierenden sollen realistisch bleiben, wenn sie eine forschende Haltung einnehmen. Dem stimme ich voll und ganz zu. Es ist dabei die Aufgabe der Lehrperson, in der Beratung das Forschungshandeln zu kanalisieren und sinnlose oder überambitionierte Projekte in eine bessere Richtung zu lenken.

Eine These

An der Stelle wage ich einmal eine These: Auch mit der besten Schreibberatung kann niemand aus einer schlecht angelegten Arbeit eine sehr gute machen.

Das ist ja auch gar nicht das Ziel. Aber: Wir brauchen alles drei: Schreibtraining, Schreibberatung und eine solide Methodenausbildung im Fach.

Mit einer soliden Methodenausbildung meine ich nicht nur eine einzelne Vorlesung in Statistik. Wer eine solche Vorlesung besucht hat, weiß danach (eventuell!), was er mit Daten tun kann. Aber woher kommen diese Daten, wie werden sie erhoben? Hat das einmal jemand mit den Studierenden besprochen? Geschweige denn, geübt?

Ich wiederhole mich gern: Methodisch und methodologisch gut ausgebildete Studierende sind ein Segen.

Sie wissen nicht nur, was sie tun wollen, sondern auch noch, wie sie es in die Tat umsetzen. Zusätzlich sind sie in der Lage, den Methodenteil ihrer Arbeit so zu verfassen, dass er der Sache gerecht wird und gut lesbar ist.

Methoden als Erfahrungsräume

Der Ausdruck „Methoden als Erfahrungsräume“ aus der Überschrift stammt übrigens nicht von mir, sondern von Rolf Arnold und Christiane Stroh. Sie verwenden ihn in einem anderen Kontext in ihrem Buch „Methoden Systemischer Erwachsenenbildung“. Gemeint ist, dass die Methode viel mehr als nur der Weg zum Ziel ist, sondern Erfahrungsräume für diejenigen öffnet, die an ihr teilnehmen (in einem Setting der Erwachsenenbildung). Da das empirische Forschen ja vom Wortsinn her ebenfalls mit Erfahrung zu tun hat (griechisch empeiria, Erfahrung), passt das gut. Je nachdem, welche Methode jemand in seinem Forschungsprojekt verwendet, öffnet er den einen oder den anderen Erfahrungsraum. Die Person wird mit Methode A andere bzw. andersartige Ergebnisse herausbekommen als mit Methode B. Daher ist das Wissen um die Vor- und Nachteile der Methoden und deren Aussagekraft so wichtig.

Inwiefern sind Sie bei Ihrer Arbeit mit den Studierenden mit Methodenfragen konfrontiert?

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Die studentische Brainpower anzapfen: Kollegiale Beratung bei Schreibprojekten

Im heutigen Beitrag erfahren Sie, wie Sie sich schamlos in der Lehre ausruhen und die Studierenden arbeiten lassen können.

Wait, what?

Die Methode, die ich Ihnen gleich schildere, beruht tatsächlich darauf, dass Sie als Lehrperson sich größtenteils zurückziehen. Sie schaffen zunächst – ganz im Sinne des facilitating, des Ermöglichens von Lernen – den Rahmen und sind danach hauptsächlich einfach nur noch da. Sie dürfen gespannt zusehen, wie die Studierenden wechselweise Hilfe geben und Hilfe erfahren, und wie sich die Gedanken entfalten. Genieße Sie es!

Die Kollegiale (Fall-)Beratung ist vor allem in den sozialen Berufen weit verbreitet, für den ganz schnellen Einstieg lesen Sie hier oder auch hier.

Wer teilnimmt (und wie viele)

Die Kollegiale Beratung eignet sich für Studierende aller Niveaus. Am besten gelingt sie mit Studierenden, die über ein gewisses Maß an Erfahrung und Vorkenntnissen im wissenschaftlichen Arbeiten verfügen. Die Methode kann jedoch bei Studierenden mit hohem Reflexionsvermögen auch schon gut zu Beginn des Studiums eingesetzt werden. Ich habe beispielsweise auch mit einer Gruppe, die damals am Ende ihres ersten Semesters stand, positive Erfahrungen gemacht.

Fünf Studierende sollten mindestens teilnehmen. Nach oben gibt es keine Begrenzung. In diesem Fall wechseln die Studierenden zwischen Aktivität (Durchführen der Kollegialen Beratung) und Passivität (Beobachten der Kollegialen Beratung). Bei Gruppen, die bereits Erfahrung mit der Methode gemacht haben, können Sie auch mehrere Beratungen parallel laufen lassen, eine entsprechend großzügige Raumsituation vorausgesetzt, so dass sich die Gruppen nicht gegenseitig stören.

Was Sie erreichen

Die Übung macht die studentischen Ressourcen innerhalb einer Gruppe sichtbar. Denn die Lösung für das studentische Schreibproblem ist schon da, die Beteiligten müssen sie nur noch gemeinsam herausarbeiten. Die Lehrperson brauchen sie dazu nicht, auch wenn die Studierenden das am Anfang vielleicht noch denken. Mit der Methode brechen Sie das oft übliche Spiel von „Studierende fragen, Lehrperson erteilt Ratschläge“ auf und schaffen Raum für neue Lösungswege.

Die Übung lässt sich sehr gut nutzen für das Besprechen der Fragestellung einer wissenschaftlichen Arbeit, die unter einem vorgegebenen Thema zu entwickeln ist, für die Gliederungsbesprechung und insgesamt für alle Entscheidungen während des Schreibprozesses, mit denen sich die Schreibenden schwertun. Es gibt also inhaltlich kaum Grenzen.

Wie Sie vorgehen

Die Durchführung einer kollegialen Beratung dauert inklusive Vorbereitung und ggf. Nachbereitung meist 20 bis 30 Minuten, in Ausnahmefällen geht es vielleicht auch einmal schneller oder benötigt einmal mehr Zeit.

Der Ablauf entspricht dem einer regulären kollegialen Beratung: Ein so genannter Fallgeber bringt seinen Fall in die Runde ein. Die Runde besteht aus etwa drei bis vier Beratern plus einem Moderator. Bei der Schilderung des Falls durch den Fallgeber machen sich die Berater Notizen und stellen Verständnisfragen. Auf die vom Fallgeber formulierte Schlüsselfrage antworten sie mit Lösungsvorschlägen, die sich der Fallgeber notiert. Am Ende bedankt sich der Fallgeber bei seinen Beratern.

Vor der allerersten Beratung erläutern Sie den Studierenden die verschiedenen Rollen (Fallgeber, Berater, Moderator etc.). Ich habe zu diesem Zweck ein Handout mit einer tabellarischen Übersicht gestaltet. Das Ziel ist es, dass die Studierenden wissen, wie sie sich in welcher Rolle verhalten sollen. Denn die Lehrperson greift, sobald die Beratung läuft, weder inhaltlich noch in den Prozess ein. Eine Ausnahme davon gibt es nur, wenn der Moderator derart ins Schwimmen gerät, dass die geordnete Durchführung in Gefahr ist.

Wechseln Sie nach Abschluss einer Beratung kurz auf die Meta-Ebene und geben Feedback dazu, wie die einzelnen Rollen ausgefüllt wurden. Am Anfang ist das sicherlich nötig, weil meist niemand Erfahrung mit der kollegialen Beratung mitbringt. Wenn Sie die Methode öfter einsetzen, reduziert sich der Anteil der Reflexionszeit erheblich.

Bei der Durchführung mehrerer Beratungen am Stück erfragen Sie zunächst, welche „Überschriften“ die einzelnen Durchgänge haben (also welche Themen die Studierenden an diesem Tag mitbringen) und gestalten daraus eine ansprechende Reihenfolge.

Potentielle Schwierigkeiten und wie Sie sie lösen können

Was, wenn nicht alles glatt läuft und Sie sich doch nicht entspannt zurücklehnen können? Was kann passieren, und wie gehen Sie damit um?

  • Schwierigkeit 1: Manchmal fällt es schwer, überhaupt einen Studierenden zur Teilnahme zu bewegen.

Gerade am Anfang ist das alles natürlich ungewohnt und erfordert etwas Überwindung. In meinen Veranstaltungen hat es jedoch meist gereicht, den Studierenden die Vorteile der Methode erneut zu schildern. Und hey, was spricht dagegen, diese Form der Beratung einfach einmal auszuprobieren? Die Studierenden haben die Gewissheit, dass wir im Falle des Nicht-Gefallens die Methode auch wieder wechseln. Simple as that.

  • Schwierigkeit 2: Manchmal fällt es den Studierenden schwer, eine Schlüsselfrage zu formulieren.

Mit etwas mehr Vorbereitungszeit funktioniert das dann meist besser. Wenn es gar nicht gelingen will, dann ist das vielleicht vorläufig das Ergebnis: die Erkenntnis, dass das Problem derzeit noch nicht benannt werden kann und weitere Schritte nötig sind.

  • Schwierigkeit 3: Manchmal fällt es schwer, die hundertprozentige Studierendenzentrierung tatsächlich durchzuziehen, und zwar beiden Seiten!

Es kann vorkommen, dass Sie ganz dringend etwas zum Fall beitragen möchten und nicht dürfen. Denn das ist ja gerade nicht Ihre Rolle. Manchmal suchen auch die Studierenden Bestätigung bei Ihnen, entweder die Berater während der Beratung per Blickkontakt („War mein Lösungsansatz richtig?“) oder der Fallgeber nach der Beratung („Welchen Ansatz soll ich denn nun weiterverfolgen?“).

Mein dringender Rat: Halten Sie sich raus! Jedes inhaltliche Eingreifen ist kontraproduktiv. Sie legen damit den Studierenden nahe, dass die Lehrperson „es sowieso am besten weiß“ und am Ende die „Auflösung“ schon präsentieren wird. Welche Folgen das für weitere kollegiale Beratungen hätte, kann man sich leicht ausmalen. Wenn Sie also Ihre eigene Expertise einbringen möchten, finden Sie dafür besser andere Formate, die losgelöst sind von der kollegialen Beratung.

  • Schwierigkeit 4: Manchmal hören Sie sich quasi selbst reden, wenn Studierende das von Ihnen Gelernte reproduzieren und dabei ähnliche Worte wie Sie benutzen.

Ich fürchte, das müssen Sie einfach ertragen. Vielleicht gelingt es Ihnen, es als Kompliment zu nehmen?

Eine extreme Erfahrung: die 180-Grad-Wende

Eine Studierende war zu Beginn der Veranstaltung überaus skeptisch der Methode gegenüber, da ihr bei ihrem speziellen Problem sowieso niemand helfen könne – so ihre Wahrnehmung. Es war ein so einzigartiges Problem, dass niemand aus der Gruppe von über 30 Personen es zuvor gelöst hatte. Es handelte sich um eine wissenschaftliche Arbeit im dualen Studium, und die Studierende musste mit einer bestimmten Konstellation im Praxisbetrieb umgehen (deutlicher kann ich das hier aus Gründen der Wiedererkennbarkeit nicht schreiben). Sie ließ sich dennoch auf die Methode ein. Wie ich das geschafft habe, weiß ich selbst nicht mehr so genau. Mit der Haltung „Na gut, was habe ich zu verlieren“ kam die Studierende nach vorne und stellte ihr Beraterteam zusammen. Dabei wählte sie die mutmaßlich klügsten Köpfe. Nach und nach, bereits nach wenigen Minuten, wich die Hoffnungslosigkeit. Die Studierende hatte von ihrem Beraterteam Denkansätze bekommen, deren Weiterverfolgen ihr lohnenswert erschien. Diese Beratung konnte bereits vor Ablauf der vereinbarten Zeit zur Zufriedenheit aller Beteiligten beendet werden. Eine 180-Grad-Wende von kompletter Hoffnungslosigkeit zu Zuversicht.

Literaturhinweis:

  • „Kollegiale Praxisberatung“ in Macke/Hanke (2016): Kompetenzorientierte Hochschuldidaktik. Weinheim und Basel: Beltz. (eigentlich gedacht für ein Setting mit mehreren Lehrenden, die sich gegenseitig beraten; es lässt sich jedoch übertragen)

 

Welche Erfahrungen haben Sie mit kollegialer Beratung in Studierendengruppen gemacht? Schreiben Sie es gern in die Kommentare.

 

 

Danner-Schröder/Müller-Seitz: Qualitativ hochwertig

Danner-Schröder, Anja und Gordon Müller-Seitz (2017): Qualitative Methoden in der Organisations- und Managementforschung. Ein anwendungsorientierter Leitfaden für Datensammlung und -analyse. München: Vahlen.

Preis: 14,90 Euro

 

Überblick über den Inhalt:

1. Möglichkeiten und Herausforderungen qualitativer Methoden der Organisations- und Managementforschung

1.1 Problemstellung – Herausforderungen qualitativer Methoden der Organisations- und Managementforschung und Konsequenzen für diesen Leitfaden

1.2 Wie der Leitfaden zu nutzen ist

2. Fallauswahl sowie Ein- und Abgrenzung

2.1 Überblick

2.2 Forschungslücken identifizieren und Forschungsfragen ableiten

2.3 Fallauswahlstrategien

2.4 Empirische Rahmenbedingungen

3. Datensammlung

3.1 Überblick

3.2 Vorbereitende Maßnahmen und Überlegungen

3.2.1 Ethische und politische Erwägungen

3.2.2 Feldzugang herstellen

3.2.3 Gütekriterien

3.3 Interviews führen

3.3.1 Formen von Interviews

3.3.2 Entwicklung eines Interviewleitfadens

3.3.3 Hinweise, was es zu berücksichtigen und zu vermeiden gilt

3.4 (Teilnehmend) beobachten

3.4.1 Formen der Beobachtung und verschiedene Beobachtungsdimensionen

3.4.2 Das Protokollieren der erfassten Daten

3.4.3 Hinweise, was es zu berücksichtigen und zu vermeiden gilt

3.5 Dokumente und Artefakte erfassen

4. Ausgewählte Datenanalyseformen

4.1 Überblick

4.2 Sichten und sortieren der Daten

4.3 Daten kodieren und kategorisieren

5. Daten für Ergebnisdarstellungen aufbereiten

5.1 Überblick

5.2 Auswertungsprozess darstellen

5.3 Ergebnisse durch Abbildungen unterstützen

6. Fazit

Danner-Schröder/Müller-Seitz: Qualitativ hochwertig

Vorab: Das Buch erfüllt seinen eigenen Anspruch aus dem Untertitel sehr gut, es ist tatsächlich eine „anwendungsorientierte, methodische Arbeitshilfe für Seminar- und Abschlussarbeiten“. Das unterscheidet es von den meisten (allen?) deutschsprachigen Werken zu Methodenfragen. Es ist das Buch, das im Regal mit der Methodenliteratur noch fehlte.

Auf 112 Seiten geht es von der Fallauswahl über die Datensammlung und die Datenaufbereitung bis hin zur Ergebnisdarstellung. Der Schwerpunkt des Buches liegt eindeutig bei der Datensammlung.

Zwei durchgängige Beispiele aus Danner-Schröders und Müller-Seitz‘ eigener Forschung veranschaulichen die theoretisch-methodischen Inhalte. Das ist zum einen ein Projekt der Autorin („Routinen im Katastrophenmanagement“), zum anderen ein Projekt des Autors („Umgang mit Unsicherheit“). Bei beiden Projekten handelt es sich um „echte Forschung“, nicht um Lehrprojekte.

Als Leserin erhalte ich einen detaillierten Einblick in den Ablauf von A bis Z, die Unwägbarkeiten und die zu treffenden Entscheidungen. Die Schilderungen sind dabei sehr offen, so dass noch unerfahrene Leser direkt sehen können, dass eben nicht immer alles nach Schema F wie aus dem Lehrbuch abläuft. Es werden auch Aspekte thematisiert, die sonst eher ausgeklammert werden, etwa so alltägliche (und gleichzeitig allesentscheidende!) Probleme wie der Zugang zum Feld (S. 36 f.). Weiterhin fand ich sehr wichtig, dass die ethische Dimension bei Befragungen und Beobachtungen angerissen wird (S. 26 ff.), und auch die Subjektivität qualitativer Methoden offengelegt wird. Letzteres wird zum Beispiel an der Frage deutlich, wie man denn ein Ende für seine Datenerhebung findet („Das Gefühl, dass Sie das alles schon einmal gesehen oder gehört haben, ist meist ein guter Indikator, dass Sie genügend Daten gesammelt haben“ (S. 69) – danke, dass es einfach mal jemand so offen schreibt!). Für hilfreich halte ich auch die Anregungen, wie man die Ergebnisse für die Darstellung aufbereitet (S. 98 ff.). Das kommt in vergleichbaren Werken oft zu kurz.

Zielgenau verfasst

Das Buch ist sehr gut lesbar, einfach und verständlich ausgedrückt, so dass nicht die Sprache unnötig den Zugang zu den Inhalten erschwert. Ich finde, man merkt dem Buch an, dass es „vom Leser her gedacht“ ist. Didaktisch sinnvoll der Aufbau: „Ausgewählte Lernziele“ stehen zu Beginn jedes Kapitels, es wurden viele Übungen und Beispiele integriert, und am Ende eines Kapitels finden sich oft so genannte „Anregungen aus der Literatur“. Dabei handelt es sich um Hinweise auf fremde Studien, die in Hinblick auf eine gute Nachvollziehbarkeit ausgewählt wurden. Zu guter Letzt erleichtert ein Glossar das Nachschlagen der Fachbegriffe.

Ausbaufähig an zwei Stellen

Aus meiner Sicht weist das Buch zwei kleinere Schwachstellen auf:

Erstens kommt die Transkription etwas kurz (S. 52 f.). Vor allem über den (oft unterschätzten!) Zeitaufwand finden die Leser keine Angaben und leider auch keine Hinweise auf weiterführende Literatur. Gerade bei zeitlich eng abgesteckten Arbeiten wie eben Seminar- oder Bachelorarbeiten sollten die Studierenden einen Anhaltspunkt dafür bekommen, was machbar ist, um sich notfalls auch gegen die Vorstellungen ihrer Betreuungsperson abgrenzen zu können.

Zweitens wären bei den Studierenden Lösungen oder zumindest Lösungsansätze für die vielen Übungsaufgaben und Reflexionen bestimmt gern gesehen. Hier tappen die Leser im Dunkeln, ob ihre Gedanken denn in eine sinnvolle Richtung gehen.

Welchen Studierenden kann man das Buch empfehlen?

Die Zielgruppe des Buches sind Studierende der Wirtschaftswissenschaften und anderer Fachbereiche, insbesondere der Sozialwissenschaften, die für Seminar- oder Abschlussarbeiten qualitative Methoden einsetzen. Das bedeutet, dass die Entscheidung für die qualitativen Methoden bereits gefallen ist. Denn über die Abwägung „quantitativ vs. qualitativ vs. kombinierter Einsatz“ findet man im Buch keine Informationen oder Entscheidungshilfen – was auch nicht nötig ist, dazu gibt es andere Ratgeber.

Was bringt es für den Einsatz in der Lehre?

In der Lehre sind die vielen Beispiele und Übungsaufgaben sicher hilfreich. Bei der nächsten passenden Gelegenheit werde ich es testen.

 

Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

 

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