„Schreibvermittlung ist eine Gemeinschaftsaufgabe“ – ein Interview mit Swantje Lahm

Mit „Schreiben in der Lehre“ ist kürzlich ein Buch mit vielen Anregungen für eine schreib-intensive Lehre erschienen. Das habe ich zum Anlass genommen, ein ausführliches Interview mit dessen Autorin Swantje Lahm zu führen.

Wie kamen Sie ursprünglich darauf, sich beruflich mit Schreiben und Schreibberatung zu befassen? Gab es einen konkreten Auslöser dafür?

Ja, es gab einen konkreten Auslöser, sogar eine Krise. Ich hatte direkt nach meinem Studium ein Promotionsprojekt angefangen, aber die Forschungsgruppe, in der ich arbeiten wollte, kam nicht zustande. Ich wollte aber unbedingt im Team arbeiten und so stellte sich die Frage: Wenn keine Promotion, was dann?

Ich war nach wie vor sehr an Wissenschaft interessiert. In einem Praktikum im Bielefelder Schreiblabor konnte ich mich aus einer anderen Perspektive mit Wissenschaft befassen – mit den Prozessen der Ideen- und Erkenntnisgenerierung durch Schreiben. Das hat mich sofort angesprochen.

Sie arbeiten seit 2002 im Schreiblabor an der Universität Bielefeld. Was hat sich in dieser langen Zeit geändert? Merken Sie einen Wandel bei den Studierenden? Bei den Lehrenden? Ist die Arbeit für Sie leichter oder schwieriger geworden?

Einrichtungen wie das Schreiblabor werden immer mehr als zur Infrastruktur einer Universität zugehörig betrachtet. So wie niemand daran zweifelt, dass eine Universität eine Bibliothek braucht. Nur noch wenige glauben, wir wären nur dazu da, um leistungschwächere Studierende zu unterstützen – besonders seit wir mit einem Team von Kolleg/innen zusammen arbeiten, die Lehrende in den Fächern sind.

Ob Studierende sich verändert haben, ist schwierig zu sagen. Eine Professorin in der Soziologie sagt immer, man bekommt die Studierenden, die man sich durch die Rahmenbedingungen und Curricula schafft, d.h. wenn alles darauf ausgerichtet ist, dass Studierende in kurzer Zeit möglichst viele Punkte sammeln sollen und jede Leistung darüber hinaus noch benotet wird, darf man sich nicht wundern, wenn vor allem eine extrinsische Motivation greift.

Wir erleben aber gerade im Schreiblabor, dass Lehrende und Studierende beide gleichermaßen unter solchen Bedingungen leiden. Und wer würde behaupten, dass früher alles besser war? Als Andrea Frank das Schreiblabor 1993 gegründet hat war die explizite Vermittlung des Schreibens an Hochschulen noch etwas Exotisches und viele Studierende haben sich in überfordernde Projekte verstrickt, weil ihnen Deadlines, Betreuung – kurz: Struktur – fehlte. Einen gute Balance zwischen Freiheit und Struktur zu finden, ist eine fortlaufende Aufgabe.

Sie haben sich zum Coach ausbilden lassen. Welche Vorteile ziehen Sie daraus? Und: Sollte jeder Schreibberater eine Coaching-Ausbildung haben?

Ich verstehe Coaching als die prozessorientierte Begleitung von Menschen in professionellen Kontexten. Für die Schreibberatung und auch die Arbeit mit Lehrenden ist die Ausbildung als Coach aus folgenden Gründen für mich sehr wichtig:

  1. Ich kenne meine eigenen Schwächen und Vorannahmen, d.h. ich laufe weniger Gefahr, meine Themen auf mein Gegenüber zu projizieren.
  2. Ich weiß, wo Schreibberatung endet und psychosoziale Beratung anfängt. In der konkreten Situation ist das ja nicht immer sofort klar zu erkennen. Jemand, der mit seinem Schreibprojekt nicht weiterkommt, kann sehr verzweifelt sein und z.B. eine depressive Symptomatik entwickeln. Für mich ist entscheidend, darauf zu achten, ob sich die Symptome verändern, sobald wir in die Schreibberatung einsteigen und ob die Person in der Lage ist, die von mir angebotene Unterstützung produktiv zu nutzen. Wenn ich merke, dass die Schreibberatung nicht greift, würde ich an unsere Kolleg/innen in der Zentralen Studienberatung verweisen.
  3. Haltung ist wichtig. Im Kontakt mit Lehrenden versuche ich, ihre Situation und die Eigenlogiken ihres Handelns nachzuvollziehen. Das bewahrt mich davor, im Hinblick auf das Schreiben missionarisch zu werden. Ich gehe immer erstmal davon aus, dass ich keine Ahnung davon habe, was für jemand anderen richtig und hilfreich ist.
  4. Schließlich hat die Ausbildung mein Verständnis für Veränderungsprozesse geschärft und mich Methoden gelehrt, sie zu gestalten. Für mich ist das Arbeiten mit analogen Methoden, also allem was man haptisch im Raum nutzen kann (Figuren, Karten etc.), wichtig – gerade auch in der Schreibberatung, wo es hilfreich sein kann, Gedanken wirklich ‚greif-bar‘ zu machen.

Wie viel Kontakt haben Sie mittlerweile in einer normalen Arbeitswoche noch mit Studierenden? Wenn ich das richtig sehe, besteht Ihre Tätigkeit mittlerweile auch aus vielen anderen Projekten.

Es stimmt: der Fokus meiner Tätigkeit liegt auf der Arbeit mit Lehrenden. Wir haben es uns im Team aber zur Regel gemacht, dass wir mindestens alle zwei Semester selbst eine Veranstaltung geben. Dadurch habe ich regelmässig Kontakt zu Studierenden.

Die Schreibberatung für Studierende wird mittlerweile zu fast 100% von Studierenden der studentischen Schreibberatung skript.um durchgeführt. Mit diesen Studierenden stehen wir Mitarbeiterinnen des Schreiblabors im engen Austausch. Und ich höre natürlich viel von den anderen Lehrenden. Ich hoffe, dass ich also ingesamt noch ganz gut dran bin, an der Lebens- und Schreibwelt von Studierenden.

Das Buch „Schreiben in der Lehre“: Man spürt beim Lesen des Buches, wie wichtig Ihnen das Thema Schreiben ist. Wieso ist es Ihnen ein solches Anliegen?

Ich glaube, weil das Schreiben im besten Sinne ein Prozess der Individuation ist. Also ein Prozess, in dem man sich selbst (er)findet, aber im Kontakt mit anderen. Der extreme Pendelschlag zwischen auf sich selbst zurückgeworfen sein und gleichzeitig dabei doch permanent auch auf andere bezogen sein fasziniert mich. Deshalb ist mir die Gesprächsmetapher in dem Buch auch so wichtig.

Darüber hinaus bin ich fasziniert von den Wegen, die das Schreiben eröffnet. So habe ich zum Beispiel im Jahr 2007 Keith Hjortshoj an der Cornell University in den USA einen Brief geschrieben, weil ich sein Buch „The Transition to College Writing“ so großartig fand. Darüber kam ein Email-Austausch zustande, der mich dann 2008 für einen Monat an das Knight-Institute-for-Writing-in-the-Disciplines nach Cornell geführt hat. Das hatte dann wiederum viele weitere Auswirkungen, eine davon ist das Buch „Schreiben in der Lehre“. Aber alles begann mit diesem Brief. Das ist also das, was mich begeistert, dass man durch Schreiben in der Welt handeln und etwas bewirken kann.

Sie waren immer wieder in den Vereinigten Staaten. Das hat Sie in Ihrer Arbeit sehr geprägt. Wie stark schätzen Sie selbst den amerikanischen Einfluss auf Ihre Gedanken ein? Und wo wären Sie heute ohne die USA-Aufenthalte?

Sicherlich gäbe es das Buch „Schreiben in der Lehre“ ohne die USA-Aufenthalte nicht. Das heißt nicht, dass für mich die USA das geheiligte Land sind und alles dort nur wunderbar ist. Aber durch eine spezifisch historische Konstellation, ist Schreiben an amerikanischen Universitäten bereits im 19. Jahrhundert gelehrt worden und das hat dazu geführt, dass es bereits sehr früh einen expliziten Diskurs über Formen, Ansätze und Methoden gab. Dieser Diskurs fehlte in Deutschland bis in die 90er Jahre des 20. Jahrhundert vollkommen.

Wenn man sich also für die Vermittlung des Schreibens an Hochschulen interessiert, kommt man um die USA eigentlich nicht drumherum. Es ist spannend, in die dortigen Debatten einzutauchen und schnell wird deutlich: es gibt natürlich nicht einen Weg, das Schreiben zu lehren, es ist ein umstrittenes und vieldiskutiertes Thema, wie am besten vorzugehen ist. Wir Europäer sind seit vielen Jahren auf der EATAW (European Association for the Teaching of Academic Writing) mit amerikanischen Kolleg/innen im Austausch und durch diesen Austausch und natürlich der ganz konkreten praktischen Arbeit bin ich nach und nach zu einer Einschätzung gekommen, was in unserem Kontext funktionieren könnte. Aber ich lade ja mit dem Buch auch weiterhin zum Experimentieren ein. Es enhält weniger Rezepte als Versuchsanleitungen. Von meinen USA Aufenthalten habe ich vor allem die Gewissheit mitgenommen, dass schon viele, viele Lehrende sich darauf eingelassen haben, mit dem Schreiben in der Lehre neue Wege zu gehen und davon profitiert haben.

Was von den amerikanischen Konzepten ist übertragbar, was nicht?

Ich würde sagen, Grundideen und Haltungen sind übertragbar. So zum Beispiel die Idee, dass Schreiben nicht jenseits der regulären Lehre in Extra-Kursen gelehrt werden sollte, sondern als integraler Bestandteil der fachlichen Auseinandersetzung. Oder das Verständnis, dass Schreiben ein Prozess ist und gute Texte nicht aus einem Geniestreich heraus enstehen, sondern das Ergbnis von handwerklichen Tätigkeiten sind, die man erlernen kann. Wie ich bereits gesagt habe, ich finde es eigentlich das wichtigste, das mal live zu erleben. Wie sieht es aus, wenn diese Ideen und Überzeugungen gelebt werden?

Der Rest ist dann Handwerkzeug und kontextsensible Umsetzung. Hier spielt die Taktung der Seminarsitzungen sicherlich eine Rolle. Wenn in den USA Studierende wöchentlich mehrere Sitzungen mit einem Lehrenden verbringen, bringt das bestimmte Möglichkeiten für regelmässige Schreibaufgaben mit sich. Aber auch in unserem Ein-Wochen-Rhythmus können Schreibaufgaben von einer Sitzung zur anderen gestellt werden. Von all den Konzepten, die ich kennen gelernt habe, fällt mir keines ein, das in unserem Kontext in keinem Fall machbar wäre. Natürlich sind dabei Anpassungen immer notwendig.

Das Lesen als Teil des wissenschaftlichen Arbeitens rückt seit einigen Jahren stärker in den Fokus, auch in Ihrem Buch. Wieso?

Vermutlich habe ich als jemand, der die Vermittlung des Schreibens immer vom Schreibprozess her gedacht hat, eine etwas andere Wahrnehmung. Für das Schreiblabor hat Lesen immer schon unbedingt dazu gehört. Eine der wichtigsten und ältesten Übungen aus dem Repertoire des Schreiblabors stammt von Gabriela Ruhmann und heißt „Aus alt mach neu“ und thematisiert den Übergang vom Lesen zum Schreiben des eigenen Textes.

Sie haben viele Fachkulturen kennengelernt durch Ihr Studium, durch die Tätigkeit in den verschiedenen Projekten und als Reihenherausgeberin. Was war in all den Jahren die überraschendste Erkenntnis in Hinblick auf die unterschiedlichen Fachkulturen?

Überrascht hat mich, dass viele Naturwissenschaftler/innen, das was sie vor dem Aufschreiben des eigentlichen Textes verfasst haben, nicht als Schreiben bezeichnen würden, obwohl ohne Zweifel viel geschrieben wird, wie z.B. die Laborprotokolle in der Biologie oder der Chemie.

Was ist Ihrer Meinung nach das Verbindende zwischen den Fachkulturen? Oder ist das so wenig, dass Wissenschaftliches Arbeiten zwangsläufig fachspezifisch gelehrt werden muss?

Verbindend ist, dass man sich für das Schreiben in jeder Disziplin auf einen ergebnisoffenen Prozess einlassen muss, d.h. man weiß am Ende noch nicht, was dabei heraus kommen wird. Die Tätigkeiten im einzelnen sind fachspezifisch, z.B. die Art und Weise, wie mit wissenschaftlicher Literatur gearbeitet wird. Ich halte eine fachübergreifend arbeitende Schreibdidaktik für sinnvoll und zwar dann, wenn sie sich auf die Schreibprozesse konzentriert.

Wie kann es noch besser und über die Universität Bielefeld hinaus gelingen, die Fachlehrenden für die Bedeutung des Wissenschaftlichen Arbeitens zu sensibilisieren? Wer sollte das tun, und wie?

Ich gehe davon aus, dass Lehrende sich weitgehend einig sind über die große Bedeutung des wissenschaftlichen Arbeitens. Die Meinungen gehen allerdings dahingehend auseinander, wer, wo, an welcher Stelle im Studium für die Vermittlung zuständig ist. Manchmal wird hier gerne der schwarze Peter immer an die nächste Stelle weiter gereichtet: Betreuer von Abschlussarbeiten beklagen, dass die Fähigkeiten nicht bereits im ersten Semester erworben wurden, die Lehrenden der Grundlagenveranstaltungen beschweren sich über das Niveau, mit dem Schüler/innen aus der Schule entlassen werden usw.

Es wäre wichtig, den Mythos, dass es eine Instanz und einen Ort geben könne, an dem Studierende das Schreiben erlernen, aufzugeben. Schreibvermittlung ist eine Gemeinschaftsaufgabe und gelingt am besten in der Zusammenarbeit von Lehrenden in den jeweiligen Fachbereichen und auch in der Zusammenarbeit mit Schreibzentren. Schreiben muss im ganzen Studium stattfinden – mit entsprechender Rückmeldung auf Texte und Gelegenheiten zum Austausch.

Ich versuche in Gesprächen mit Lehrenden deutlich zu machen, dass sie ihre Fachlehre nicht verlassen, wenn sie das Schreiben explizit zum Thema machen, sondern sich im Gegenteil genuin mit dem Fach beschäftigen, nämlich die Art und Weise, wie dort Erkenntnisse generiert werden. Das ist für viele überzeugend.

Über diese individuelle Ebene hinaus, halte ich es hochschulpolitisch momentan für besonders wichtig, sich über die Schreibinitativen Gedanken zu machen, die im Zuge des „Qualitätspakt Lehre“ an vielen Hochschulen in Deutschland entstanden sind. Viele dieser Projekte sind mittlerweile in der zweiten Förderphase, die 2020 ausläuft. Hier müssten dringend Wege zur Verstetigung gefunden werden, weil sonst kostbar erworbenes Erfahrungswissen verloren geht.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten Vorbehalte der Lehrenden gegenüber „Schreiben in der Lehre“?

Einige Lehrende fürchten, dass ihnen noch etwas Zusätzliches, Fachfremdes aufgezwungen wird. Ich kann das gut nachvollziehen. Lehrende sind seit Jahren in Reformprozesse involviert – wer begibt sich schon gerne erzwungenermaßen in Veränderung? Hinzu kommt, dass Lehrende in der Regel ja selbst in ihrem Studium erfolgreich Schreibende waren und deshalb erschließt sich nicht jedem, warum eine Veränderung überhaupt notwendig ist.

Wie können Lehrende das Schreiben in die Lehre integrieren, wenn das Lehrformat nicht passt? In Blockseminaren stelle ich es mir beispielsweise schwierig vor, mehr als nur einfache Minutenpapiere zu nutzen.

Ich würde empfehlen, weniger von den Formaten auszugehen, sondern von den Zielen. Was sollen die Studierenden am Ende der Veranstaltung wissen und können? Und wie könnte das Schreiben dabei helfen? Es muss ja nicht um jeden Preis geschrieben werden. In den USA gab es an der Miami University vor einigen Jahren eine Initiative „Less is more“, d.h. es wurde hier sogar empfohlen, die Menge der Schreibaufgaben zugunsten einiger, weniger aber lernträchtiger Aufgaben zu reduzieren.

Das Wichtigste ist also, sich genau zu überlegen, warum man mit welchem Ziel was schreiben lässt. Mit Blockveranstaltungen habe ich gute Erfahrungen, weil Studierenden zu den Sitzungen umfangreichere Texte einreichen können und man dann auch ausreichend Zeit hat, um sich mit ihnen auseinander zu setzen.

Wenn die Fach-Lehrenden den Ansatz des Schreibens in der Lehre übernehmen, haben sich dann die Schreibberater nicht selbst abgeschafft?

Ich hatte ja bereits den Mythos erwähnt, die Fiktion, dass Schreiben an einer Stelle im Studium von einer Instanz vermittelt wird. Lehrende und Schreibberater/innen haben jeweils eigene Möglichkeiten und im besten Fall ergänzen sich die Angebote. Wir sind in Bielefeld tatsächlich mit dem Anspruch angetreten, uns im Laufe der Jahre überflüssig zu machen. Das war eine etwas vereinfachte Vorstellung.

Was tatsächlich passiert, ist Ausdifferenzierung: Schreibberater/innen sind für mich Schreibprozessexpert/innen mit eigener Beratungsexpertise. Studierende sind in punkto Bewertung und Noten von ihnen nicht abhängig, daher ist die Beratung gerade in persönlich schwierigen Situationen hilfreich. In der Zusammenarbeit mit Lehrenden bringen die Berater/innen eine überfachliche Perspektive mit ein. Sie rezipieren aktuelle Forschung und pflegen den Austausch mit Kolleg/innen – sind also eine Art „Think Tank“ für Themen rund um das Schreiben. Es ist Sache der Universitäten zu entscheiden, ob sie diese Art von Arbeit als Luxus oder als selbstverständlichen Teil ihrer Infrastruktur betrachten.

Wenn Sie einem Studierenden nur einen einzigen Ratgeber zum Wissenschaftlichen Arbeiten empfehlen dürften, welcher wäre es?

Meine Empfehlung ist, sich mehrere Ratgeber zur Hand zu nehmen, es gibt inzwischen ja unglaublich viele, ein bisschen darin zu lesen und dann zu schauen, wie man sich angesprochen fühlt. Ein guter Ratgeber ist ein Herz- und Hosentaschenbuch, eine Vade mecum, das man immer mich sich herumschleppen möchte. Ein Buch, das sich so anfühlt, als sei es genau für einen selbst geschrieben. Und dann damit arbeiten. Ausprobieren, was empfohlen wird. Schreiben!

Welche Projekte stehen bei Ihnen als nächstes an? Oder ist jetzt nach der Fertigstellung des Buches erst einmal eine kreative Pause angesagt?

Mal schauen, was kommt. In jedem Fall werde ich weiterhin Herausgeberin der Reihe „Schreiben im Studium“ sein. Hier sind einige Bände in Arbeit. Als nächster Band erscheint ein Ratgeber zum „Zusammen schreiben“. Darauf freue ich mich sehr.

Swantje Lahm

Swantje Lahm MA

Swantje Lahm arbeitet seit 2002 im Schreiblabor der Universität Bielefeld. Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist derzeit die Zusammenarbeit mit Lehrenden. Ihr Motto ist: „Schreiben ist Planung. Schreiben ist Improvisation.“ Zwischen diesen beiden Polen bewegt sie sich auch selbst – lehrend und schreibend. Hilfreich für die Arbeit mit Schreibenden, Forschenden und Lehrenden aus unterschiedlichen Disziplinen ist der Blick auf Texte und Prozesse, den sie im Laufe ihres Studiums (Geschichte, Soziologie, Osteuropäische Studien) entwickelt hat. Jüngste Publikation: Schreiben in der Lehre. Handwerkszeug für Lehrende. Verlag Barbara Budrich (2016).

 

Ergänzung vom 16. Dezember 2016

An der TU Dresden entsteht ein Schreibzentrum. Aus diesem Anlass ist eine gekürzte Version des Interviews im dortigen Universitätsjournal erschienen (S. 3).

10 untrügliche Anzeichen, dass Ihr Unterricht nicht ankommt

In Ihrer Vorlesung

1. Die Fragen der Studierenden drehen sich ausnahmslos um Dinge, von denen Sie meinten, sie beim vergangenen Termin bereits ausführlich besprochen zu haben.

2. Ihnen passiert, was ich hier beschrieben habe: Der BTDT-Effekt. Sie lösen Probleme, die für Ihre Studierenden gar keine Probleme sind.

3. Es wird plötzlich ganz still, und Sie sehen nur noch Scheitel. Dabei haben Sie lediglich gefragt, wer mit seiner wissenschaftlichen Arbeit schon begonnen hat: Abgabefristen und Zeitmanagement

In Ihrer Sprechstunde

4. Alle kommen in die Sprechstunde. Und alle stellen sehr grundsätzliche Fragen. Wirklich grundsätzliche Fragen.

5. Niemand kommt in die Sprechstunde. (Oder das hier ist der Grund dafür: „Warum ist er denn nie in die Sprechstunde gekommen?“)

In Ihrem E-Mail-Postfach

6. Studierende fragen, wie viele Quellen sie angeben müssen: Meine persönliche Hassfrage

7. Studierende fragen, ob sie die Quelle auch angeben müssen, wenn sie „nur“ paraphrasieren.

Während der Korrektur

8. Sie können an den Texten das komplette Bietschhorn-Modell abarbeiten: Ulmi et al.: Wer hat’s gefunden?

9. Ihre geheime Stilblüten-Sammlung wächst und wächst und wächst. Da hat wohl jemand nicht genügend Zeit zum Überarbeiten eingeplant: Überarbeiten – Vom Aufräumen zum Dekorieren, Gastbeitrag bei „Statistik und Beratung“.

10. Ihre Bürokollegin sucht das Weite: Wie Sie Hausarbeiten korrigieren und trotzdem glücklich bleiben?

 

Sie dürfen die Liste in den Kommentaren gern fortführen.

11. ?

 

Einfach auffächern und weiterschreiben

Scherübl, Ingrid und Katja Günther (2015): Der Schreibimpulsfächer. Inspirationen für das Selbstcoaching beim Schreiben. Barbara Budrich: Leverkusen.

12,99 Euro

 

Inhaltsverzeichnis

Das Wort „Inhaltsverzeichnis“ wirkt nicht ganz passend für den Schreibimpulsfächer, denn es handelt sich dabei nicht um ein Buch, sondern eben tatsächlich um einen Fächer. Dessen Karten im Format 5,4 x 20 cm sind nach den fünf Phasen einer optimalen Arbeitseinheit gegliedert:

Einstimmen – Loslegen – Durchsteigen – Dranbleiben –Abrunden.

Jede Phase trägt eine bestimmte Farbe auf der Rückseite und dem Register auf der Vorderseite. Das erleichtert den schnellen Zugriff.

 

Cover_Schreibimpulsfächer

Einfach auffächern und weiterschreiben

Der Schreibimpulsfächer ist für das Selbstcoaching gedacht. Seine 55 Schreibimpulse „inspirieren Deinen Schreibprozess genau da, wo Du gerade stehst.“ Demnach soll der Fächer auch nicht angewendet werden, wenn es gerade gut läuft, sondern nur wenn es stockt.

Die Tipps des Schreibimpulsfächers beflügeln und spenden Motivation. Sein Format zwingt zu kurzen, prägnanten Tipps. Für ellenlange Erklärungen ist kein Platz. Das wirkt.

Sowohl handfeste Tipps als auch eher emotionale Tipps sind vertreten. Die Impulse sprechen zudem Geist und Körper an. Das Konzept einer sinnvollen Balance von Konzentration und Erholung, das die Autorinnen verfolgen, ist hier sehr gut umgesetzt.

In die Hand nehmen und wieder ins Handeln kommen

Wer sich ein bisschen mit dem Thema Schreiben befasst hat, kennt viele Tipps aus den einschlägigen Ratgebern. Aber: Haben die Schreibenden diese Tipps dann auch tatsächlich parat, wenn es darauf ankommt? Den Fächer hingegen nimmt man bei Bedarf gern in die Hand, blättert ein bisschen darin und bringt sich dadurch wieder zum Handeln.

Offene Fragen

Zwei Fragen sind bei mir offen geblieben, und ich hoffe auf kundige Antworten von Ihnen.

Erstens: Woher können (gerade unerfahrene) Schreibende wissen, dass ein bestimmter Tipp gerade gut für sie ist? Das, was einen anspricht, kann ja genau in dem Moment ungünstig oder sogar kontraproduktiv sein. Ich denke da zum Beispiel an einen Impuls aus der Kategorie „Loslegen“, der einem empfiehlt, an einer ganz anderen Stelle im Text weiterzuarbeiten: „Folge der Anziehung“. Was, wenn man sowieso dazu neigt, sich zu verzetteln?

Zweitens: Mich würde interessieren, wie es um die Langzeitwirkung bestellt ist. Kann der Schreibimpulsfächer auf Dauer begeistern, oder verfliegt die Begeisterung im Laufe der Zeit?

Welchen Studierenden kann man den Schreibimpulsfächer empfehlen?

Alle, die etwas schreiben müssen oder wollen, können grundsätzlich vom Schreibimpulsfächer profitieren. Dabei ist es egal, wie weit das Studium fortgeschritten ist, oder um welche Fachrichtung es geht. Der Fächer dürfte auch für andere Textsorten als wissenschaftliche Arbeiten hilfreich sein, weil die meisten Impulse eher allgemein gehalten sind.

Vorteilhaft ist es wahrscheinlich, wenn die Schreibenden schon ein wenig Erfahrung mitbringen (vgl. die erste der beiden offenen Frage). Dann fällt es ihnen leichter zu beurteilen, ob ein bestimmter Impuls zu der Situation passt, in der sie sich gerade befinden.

Seine Grenzen hat der Fächer dort, wo es um das Produkt des Schreibens geht. Dabei hilft er nicht, dazu gibt er keine Erläuterungen. Der Fokus liegt auf dem Prozess. Das ist auch gut so. Auf so engem Raum sollte man nicht versuchen, „alles“ unterzubringen, um den Grundgedanken nicht zu verwässern.

Was bringt er für den Einsatz in der Lehre?

Einen direkten Nutzen für die Lehre sehe ich beim Schreibimpulsfächer nicht. Natürlich kann man in der Vorlesung oder in einem Workshop über die einzelnen Tipps sprechen. Der Hauptvorteil des Fächers liegt jedoch in seiner direkten Verfügbarkeit während des Schreibens.

Lehrende können den Schreibimpulsfächer ihren ratsuchenden Studierenden bedenkenlos weiterempfehlen. Ewige Dankbarkeit wird ihnen sicher sein.

 


Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

Ran an die Musterarbeit!

Mein Haus, mein Auto, mein Boot. Ich würde ziemlich viel darauf verwetten, dass im Laufe jedes Semesters der folgende Wunsch auftaucht: „Können Sie uns eine Musterarbeit zur Verfügung stellen?“

Die Studierenden im ersten Semester wollen wissen, „wie so etwas aussieht“. Sie würden gern ein Beispiel dafür haben, „wie es richtig geht“. Es fehlt ihnen ein Beispiel, an dem sie sich orientieren können.

Das Ob: Soll ich? Soll ich nicht?

Nun ist es natürlich problematisch, für eine wissenschaftliche Schreibaufgabe eine Musterlösung zu definieren. Denn es existieren ja potentiell unendlich viele, gleichermaßen  „richtige“ Lösungen. In dem Moment, in dem wir als Lehrende eine davon zeigen, blenden wir den Rest aus. Diesen Umstand müssen die Studierenden erklärt bekommen und auch wirklich verstehen. Sonst lehnen sie sich beim Verfassen ihrer eigenen Arbeit stark an die vermeintlich allein seligmachende Lösung an. Besonders Typ 2- und Typ 3- Studierende sind dafür anfällig: die einen, weil sie möglichst wenig Aufwand betreiben wollen, und die anderen, weil sie alles richtig machen wollen. Und wir korrigieren dann in der Folge ziemlich viele ziemlich ähnliche Arbeiten. Hurra. Das ist wohl nicht die Sorte von Lerneffekt, die wir uns wünschen.

Ein weiteres Problem kommt bei der Auswahl einer Musterarbeit hinzu: die Subjektivität bei der Bewertung von wissenschaftlichen Arbeiten. Dass es sie gibt, ist unbestritten – eine Arbeit, drei Lehrende, vier Meinungen. Wie sollte es also möglich sein, eine Arbeit auszuwählen, die den Studierenden nicht nur die eigenen Vorstellungen und Vorlieben zeigt, sondern die allgemein eine gute Orientierung gibt? Indem jemand eine Arbeit als „Musterarbeit“ bezeichnet, die seine Kollegen schlechter beurteilen würden, schafft er Probleme. Sollten wir das Vorhaben also aufgeben? Ich denke nicht. Es kommt auf die Art der Vermittlung an.

Das Was

Für die Auswahl der Arbeit sollten Sie vor allem einen Tipp beherzigen. Nehmen Sie eine inhaltlich besonders gute Arbeit! Wie meine ich das? Ist das nicht sowieso klar? Ich finde, man kann es nicht deutlich genug sagen: Wählen Sie auf jeden Fall eine Arbeit aus, deren Inhalt Sie wirklich überzeugt. Eine Arbeit, die eine (originelle) Idee konsequent verfolgt.

Das größte Problem – vor allem bei Anfängerarbeiten – ist sowieso die Präzisierung des Themas und das explizite Nennen einer Fragestellung. Darin sollte die Arbeit also gut sein, um als anschauliches Beispiel dienen zu können. Auch das Fazit sollte mindestens gut, wenn nicht sogar sehr gut sein. Denn auch dabei handelt es sich um eine notorische Schwachstelle. Wenn Sie dafür Ihren Studierenden ein gut gemachtes Beispiel zeigen können, haben Sie schon viel gewonnen.

Wie diese Arbeit formal aussieht, sollte wirklich zweitrangig sein. Die formalen Aspekte werden sowieso andauernd überbetont. Von den Studierenden erwarte ich, dass sie sich etwa einen Seitenrand von 2,5 cm statt 3 cm vorstellen können, wenn dieser gewünscht ist. Solche Fehler in der Musterarbeit sind verzeihbar, weil es ein Leichtes ist, sie bei der Besprechung zu korrigieren. Ist die Arbeit allerdings inhaltlich schwach, wird es schwierig, diesen Mangel bei der Besprechung in der Lehrveranstaltung zu heilen. (Wenn Sie eine Arbeit haben, die sowohl inhaltlich als auch formal hervorragend ist, verwenden Sie natürlich die.)

Gehen Sie also auf die Suche nach einer älteren studentischen Arbeit, die Sie anonymisiert verwenden können. Stöbern Sie in den sehr gut bewerteten Arbeiten, bis Sie eine finden, die Sie gern besprechen wollen. Es soll Ihnen ja auch Spaß machen. Ihre Begeisterung für eine gut durchdachte wissenschaftliche Arbeit darf gern rüberkommen.

Das Wann

Es bietet sich an, die Arbeit relativ spät im Semester durchzugehen, wenn alle Themen des Wissenschaftlichen Arbeitens bereits abgedeckt wurden. Die Studierenden benötigen dieses Basiswissen, um überhaupt eine Chance zu haben, sinnvoll über die verschiedenen Aspekte sprechen zu können. Im Vorfeld bleibt dann auch Zeit, um einzelne Auszüge von fremden Arbeiten gemeinsam durchzusprechen. Zum krönenden Abschluss kann es dann um eine komplette Arbeit mit allen Bestandteilen gehen. Jetzt betrachten wir auch den Aufbau und die Schlüssigkeit des gesamten Texts.

Ermöglichen Sie den Studierenden rechtzeitig den Zugang zu der Arbeit, damit sie alles in Ruhe anschauen und auf sich wirken lassen können. Studierende, die unvorbereitet zu dieser Lehrveranstaltung kommen, haben nur halb so viel davon.

Das Wie

Bevor wir beginnen, bitte ich die Studierenden, mit der Denkhaltung „Überarbeiten“ an den Text zu gehen, als wäre es ein eigener zu überarbeitender Text. Der Fokus liegt dabei auf der inhaltlichen Seite. Ihr persönliches Motto dieser speziellen Lehrveranstaltung sollte sein: „HOC vor LOC“ (Higher Order Concerns vor Lower Order Concerns).

Die Besprechung muss relativ eng angeleitet sein, sonst bleibt man bei den LOCs hängen. Die sind erstens für die Studierenden leichter zu entdecken und bieten zweitens vor allem den unvorbereiteten Studierenden eine Möglichkeit, doch etwas beizutragen („Auf S. 5 fehlt unten ein Komma.“). Dass uns das nicht wesentlich weiterbringt, sollte klar sein.

Wie gehe ich also vor? Auf jeden Fall nicht der Reihe nach von der ersten bis zur letzten Seite. Es ist vielmehr ein wildes Hin- und Herblättern in der Arbeit.

Hangeln Sie sich beispielsweise an den folgenden Leitfragen entlang:

Anfangskapitel

  • Wie ist die Einführung in das Thema gelungen?
  • Wurde eine Fragestellung formuliert?
  • Wie präzise ist die Fragestellung?

Schlusskapitel

  • Sind hier die Ergebnisse der Arbeit prägnant zusammengefasst?
  • Erhält der Leser einen guten Einblick in die Ergebnisse?
  • Wie verhält sich das Schlusskapitel zum Anfangskapitel?

Hauptteil

  • Ist ein roter Faden erkennbar?
  • Sind irrelevante Inhalte zu finden, fehlen im Gegenzug wichtige Inhalte?
  • Wie ist die Quellenarbeit gelungen?

Sie können sich bei der Besprechung auch an Ihrem Korrekturleitfaden orientieren und den Studierenden einen kleinen Einblick in Ihre Korrekturroutine gewähren. Seien Sie sicher, dass in dem Fall die Aufmerksamkeit besonders groß sein wird.

Insgesamt gilt: Weniger ist mehr. Überladen Sie diese Besprechung nicht. Überlegen Sie vorher, was Ihnen wirklich wichtig ist.

Das Danach

Mit der Besprechung ist es nicht getan. Geben Sie Ihren Studierenden noch etwas Schriftliches an die Hand. Es sind sowieso nicht alle anwesend, nicht jeder bekommt in der Lehrveranstaltung alles mit, Missverständnisse entstehen immer und verbreiten sich sonst weiter.

In dem Dokument sollte deutlich vermerkt sein, dass es nur exemplarisch die besonders gelungenen Stellen und die Schwachstellen der Musterarbeit aufzeigt. Im Wesentlichen liste ich die mir wichtigen Punkte auf und schreibe dazu noch ein paar Anmerkungen nieder.

Fazit

Natürlich löst auch diese Vorgehensweise nicht das oben angesprochene Problem der Subjektivität bei der Bewertung. Es mildert es aber durch die Transparenz deutlich ab. Bei der Besprechung wird deutlich, was absolute No-Gos beim Verfassen einer Arbeit sind. Zusätzlich können Sie thematisieren, an welchen Stellen diejenigen, die die Arbeit schreiben, und diejenigen, die sie anschließend bewerten, über Spielraum verfügen.

Für mich überwiegt der Nutzen, den die Studierenden aus einer solchen Besprechung einer Musterarbeit ziehen. Sie erhalten tatsächlich die gewünschte Orientierung und gehen mit einer größeren Sicherheit an ihr erstes eigenes wissenschaftliches Schreibprojekt.

 

Schreiben lässt sich nicht lehren

Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Rohfassung des Texts entsteht.

„Der Text entsteht.“ Klingt das nicht toll? Das erweckt den Eindruck, als würde der Text ohne Zutun von außen, also einfach ganz von allein wachsen, bis er eben damit fertig ist.

Viele Ratgeber zum Wissenschaftlichen Arbeiten (Theisen oder Brink, um nur zwei zu nennen) schweigen sich darüber aus, wie Schreibende von den ersten Skizzen zur Rohfassung gelangen. Die Ratgeber zum Wissenschaftlichen Schreiben hingegen sind natürlich voll mit Methoden und Übungen. (Wissenschaftliches Arbeiten vs. Schreiben)

Frühere Blogartikel in der Rubrik „Materialien“ beschreiben ein paar der Vorarbeiten im wissenschaftlichen Arbeitsprozess: das Finden einer Fragestellung, die Literaturrecherche, das Erstellen einer Gliederung. Damit soll nicht gesagt sein, dass Schreiben generell erst nach dem Durchlaufen dieser Schritte passieren darf. Im Gegenteil: Schreiben ist ein wichtiges Werkzeug im gesamten Arbeitsprozess. Was ich jetzt meine, ist die ausformulierte Rohfassung – ein einigermaßen lesbarer, zusammenhängender Text, der als Grundlage all die Stichworte, Versatzstücke, Clusterings und Mindmaps nutzt, die bis zu diesem Zeitpunkt erarbeitet wurden. Ein vorläufig fertiger Text, wie man ihn klassischerweise jemandem zum Lesen gibt, um Feedback zu erhalten.

Das Schreiben dieses Rohtexts lässt sich nicht gut lehren. Lehrende können diesen Vorgangs nicht so leicht erklären wie etwa Zitierregeln oder die Möglichkeiten der Online-Recherche. Warum? Es gibt keine einzelnen Schritte, die man einfach nacheinander ausführt, damit ein Rohtext entsteht. Um einen Sachverhalt zu beschreiben oder eine These argumentativ zu belegen, kann man eine fast unendliche Zahl an möglichen Sätzen verwenden.

Schreiben lehren = aufräumen

Sie könnten an der Stelle in der Lehrveranstaltung über wissenschaftlichen Schreibstil im Allgemeinen und im Besonderen sprechen. Aber was bringt es? Die Studierenden sind noch mit ganz anderen Fragen beschäftigt. Im Endeffekt bewirkt es eine Überforderung, vor allem wenn es sich um das erste Semester handelt. Angebrachter wäre es, über die wichtigsten Schreibstrategien zu sprechen.

Sie sollten an dieser Stelle vor allem eines tun – aufräumen! Und zwar mit der Vorstellung des idealen Schreibers in den Köpfen der Studieren.

Wissenschaft hat immer mit Lesen und Schreiben zu tun. In manchen Disziplinen kommen zwar noch andere Tätigkeiten hinzu, wie etwa das Durchführen von Experimenten oder Befragungen. Das Lesen und Schreiben aber ist allen Wissenschaften gemein.

Vom idealen Wissenschaftler nehmen viele Studienanfänger an, dass dieser auch komplexe, wissenschaftliche Texte mühelos lesen, ihren Inhalt auf Anhieb verstehen und diesen dann auch noch dauerhaft behalten kann.

Ähnliches gilt für das Schreiben: Vermutetermaßen ist der ideale Wissenschaftler derart genial, dass er seine Ideen direkt druckreif zu Papier bringt. Sind seine Gedanken erst einmal zu Ende gedacht, formuliert er sie mühelos zu einem wohlstrukturierten und gut lesbaren Text.

Also erst einmal aufräumen in den Köpfen, weg mit den Mythen:

  • „Um gut zu schreiben, muss man auf jeden Fall begabt sein.“
  • „Schreiben heißt, direkt einen druckreifen Text zu formulieren.“
  • „Wer lange für die Überarbeitung braucht, hat vorher viel falsch gemacht.“

Wenn Sie diese Mythen thematisieren, reden Sie am besten von sich selbst und Ihren Schreibprojekten. Sie werden merken, dass die Studierenden aufmerksamer als sonst zuhören. Plötzlich geht es um das echte Leben, um Erfahrungen aus erster Hand. Lassen Sie die Studierenden daran teilhaben. Erklären Sie, dass nicht immer alles gleichmäßig abläuft beim Schreiben. Dass sich Zeiten auf der Überholspur mit Zeiten im Stau und in Sackgassen abwechseln. Nicht so erfahrene Schreiber wissen das noch nicht, weil sie es noch nicht (oder nicht so oft) erlebt haben.

Alle Wege führen nach Rom

Achtung: Sagen Sie immer dazu, dass Ihr Weg nur ein Weg von vielen ist. Viele Studierende sind auf der Suche nach dem einen richtigen Weg (gerade die Typ 2-Studierenden). Sie wollen erklärt bekommen, wie das alles richtig geht, und fragen sinngemäß: „Wie muss ich mich beim Erstellen meiner wissenschaftlichen Arbeiten verhalten, um auf jeden Fall Erfolg zu haben?“ Antworten, die aus einzelnen Tipps bestehen, können hilfreich sein. Und zwar dann, wenn sie zufällig auf Studierende treffen, die genau auf diese Weise gut arbeiten und nur einen kleinen Anstoß brauchten.

Beispiel: Die Studierenden erhalten in der Lehrveranstaltung den Tipp, nach einem festen Rhythmus immer zur gleichen Uhrzeit für eine vorab festgelegte Dauer zu schreiben. Das funktioniert bekanntlich für einige Schreibende sehr gut. Andere hingegen fühlen sich dadurch eingeengt und kommen überhaupt nicht mehr ins Schreiben.

Der Lehrende produziert mit so einem einseitigen Tipp also zwei Gruppen von Studierenden: erstens die, bei denen es fortan mit dem Schreiben besser vorangeht, und zweitens die, die mit dieser Vorgehensweise nichts anfangen können. Je nach Veranlagung werden sich Studierende der zweiten Gruppe entweder in Zukunft schlecht fühlen („Ich mache zwar alles, genau wie er es gesagt hat, aber es funktioniert trotzdem nicht. Es muss an mir liegen.“) oder die Ratschläge und damit die Kompetenz des Lehrenden anzweifeln („Sein toller Tipp hat mir überhaupt gar nichts gebracht.“).

Eigentlich muss die Antwort an die Studierenden also lauten: „Erweitern Sie Ihr Repertoire an Arbeitstechniken, und finden Sie heraus, in welchen Situationen Ihnen was genau am besten hilft.“ Das ist eine unbequeme Antwort, weil dieses Herausfinden ein Ausprobieren erfordert. Das wiederum bedeutet, dass es zwischendurch zu Rückschlägen kommen wird. Aber auch das können Sie den Studierenden erklären: So etwas gehört zu einem Lernprozess dazu. Auch hier können Sie ja wieder von sich selbst sprechen und erklären, welche Tipps Sie einmal vergeblich ausprobiert haben.

Quality Time

Klagen über schlechte Texte von Studierenden haben Sie im Kollegenkreis sicher mehr als einmal gehört. Es genügt ja mitunter ein einziges, klug gewähltes Stichwort, um Lehrende dazu zu bringen, sich stundenlang über die Qualität der eingereichten Texte zu beschweren. Die Studierenden heutzutage können eben einfach nicht mehr schreiben, lautet dann das Fazit.

Falsch, die Studierenden heutzutage müssten ihre Texte einfach mehr überarbeiten. Viele Arbeiten sind so schlecht, weil sie zu wenig überarbeitet werden. Die Qualität kommt bei der Überarbeitung.

Bei den Studierenden fehlt es oft an dem Wissen über die Notwendigkeit des Überarbeitens. Es fehlt aber auch an einem guten Zeitmanagement. Letzteres entwickelt sich meist erst über die Semester.

Ermuntern Sie also die Studierenden, mehr „Quality Time“ für ihren Text einzuplanen. Sprechen Sie in Ihrer Lehrveranstaltung die folgenden Aspekte an:

  • die Notwendigkeit des Überarbeitens („Überarbeiten bringt Qualität.“),
  • die verschiedenen Ebenen der Überarbeitung (inhaltlich, sprachlich und formal),
  • die dazugehörigen Techniken und
  • die dafür zu veranschlagende Zeit.

Manche Ratgeber empfehlen, bis zu 50 Prozent der Gesamtzeit für die Überarbeitung einzuplanen. Ich ernte oft ungläubige Blicke, wenn ich das in der Vorlesung sage. Nach der Abgabe der Arbeit räumen dann manche Studierende freimütig ein, dass da wohl doch etwas Wahres dran ist und ihr Text mit einer längeren Überarbeitungszeit noch an Qualität gewonnen hat (oder hätte….).

Schreiben lehren = überarbeiten lehren

Statt allzu ausführlich auf stilistischen Empfehlungen einzugehen, reiße ich dieses Thema nur kurz an und verwende im ersten Semester fremde Texte. In den Folgesemestern ist immer noch Zeit für die detaillierte Betrachtung von Techniken und Stilfragen. Dann können die Studierenden auch auf ihre ersten eigenen Erfahrungen mit dem wissenschaftlichen Schreiben zurückgreifen.

Welche Art von Texten nutze ich?

 

  • 3 Einleitungen zum gleichen Thema

Da in meiner Lehrveranstaltung zu diesem Zeitpunkt noch keine eigenen Texte vorliegen, greife ich auf Auszüge aus älteren Arbeiten zurück. Und selbst wenn die Studierenden schon Texte verfasst hätten: Die meisten Erstsemester (und nicht nur die) öffnen sich sowieso eher ungern vor ihren Mitstudierenden. Zudem gilt das „Gesetz des Schulhofs“ – Kritisiere nicht, wenn Lehrende zuhören.

Machen Sie auch nicht den Fehler, für eine solche Übung einen eigenen Text auszuteilen. Ich spreche aus leidvoller Erfahrung. Es ist nicht schön, wenn so viele, zum größten Teil im Feedback-Geben unerfahrene Leser den eigenen Text durch die Mangel drehen. Einmal und nie wieder!

Also nehme ich drei Einleitungen aus studentischen Texten, die das gleiche Thema behandeln: eine von mir als gut befundene, eine mittelgute und eine schlechte Variante. Einleitungen wähle ich aufgrund ihrer Bedeutung für den wissenschaftlichen Text. Die Studierenden sehen bei dieser Übung noch einmal, dass unter einem Thema verschiedene Fragestellungen bearbeitet werden können. Sie erkennen auch die Wirkung einer schwammig formulierten oder gar einer nicht näher benannten Fragestellung. Einleitungen bieten auch die Gelegenheit, noch einmal darüber zu sprechen, dass der Leser zu Beginn der Arbeit „abgeholt“ werden muss.

  • „Musterarbeit“

Wenn das Semester weiter fortgeschritten ist, kommt eine so genannte „Musterarbeit“ ins Spiel. Dabei handelt es sich um eine komplette studentische Arbeit, und eben nicht nur um einen Auszug daraus. So können wir auch über übergeordnete Aspekte wie den Aufbau des gesamten Textes oder die Übergänge zwischen den Kapiteln sprechen und gemeinsam herausfinden, ob die Arbeit in sich geschlossen ist. Die Denkhaltung bei dieser Übung lautet „Überarbeiten“ – gemeinsam mit den Studierenden gehe ich so an den Text, als wäre es ein eigener zu überarbeitender Text (ausführlicher Beitrag zum Thema: Musterarbeit).

Schreiben lehren = aufräumen = überarbeiten lehren

Die Aussage „Schreiben lässt sich nicht lehren“ ist in dieser Absolutheit natürlich nicht richtig. In dem Beitrag habe ich dargestellt, wieso ich vor allem bei Studienanfängern recht wenig über die Entstehung des, äh pardon, das Verfassen des Rohtexts rede, sondern mich mehr auf das Aufräumen mit hartnäckigen Mythen und auf das Überarbeiten konzentriere.

Schreiben lehren = aufräumen = überarbeiten lehren – Wie sieht Ihre Gleichung beim Lehren des Rohtextens aus?

HSW-Themenschwerpunkt 5+6/2015: Hurra, Gleichgesinnte!

Themenschwerpunkt: Anleitung zum Erwerb wissenschaftlicher Schreibkompetenzen durch Studierende

Das Hochschulwesen. Forum für Hochschulforschung, -praxis und -politik.

63. Jahrgang, Heft 5+6 2015

 

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HSW-Themenschwerpunkt: Hurra, Gleichgesinnte!

Die Doppelausgabe 5+6/2015 der Zeitschrift „Das Hochschulwesen“ widmet einen Schwerpunkt der Frage, wie Lehrende ihren Studierenden wissenschaftliche Schreibkompetenzen vermitteln können. Drei Beiträge liefern Erfahrungen aus der Praxis und vielfältige Anregungen:

  • Kühl, Stefan: Der publikationsorientierte Erwerb von Schreibkompetenzen. Zur Orientierung des studentischen Schreibens am wissenschaftlichen Veröffentlichungsprozess, S. 143-157
  • Oberzaucher, Frank, Stefanie Everke Buchanan und Benjamin Kerst: Schreibprozessorientierte Seminare wagen, S. 189-193
  • Schultz, Julia; Deutsche Grammatik als „Schreibwerkstatt“: Reflexionen zu einer Lehrveranstaltung mit experimentellem Charakter, S. 194-200

Neue Wege

Frank Oberzaucher, Stefanie Everke Buchanan und Benjamin Kerst von der Universität Konstanz befassen sich damit, wie Seminare schreibprozessorientiert gestaltet werden können. Aufbauend auf Girgensohns/Sennewalds Stufenmodell des Arbeitsprozesses beim wissenschaftlichen Schreiben legen sie konkret dar, wie sie in einem soziologischen Seminar alle fünf Phasen des Modells umgesetzt (also diese in die Veranstaltung geholt) haben.

Julia Schultz, Universität Heidelberg, beschreibt die Erfahrungen, die sie mit ihrem neuen schreibintensiven Lehrformat gemacht hat. Ausgewählte schreibdidaktische Methoden begleiteten die Studierenden durch das komplette Semester. Während sich anfangs einige erst noch an die unbekannten Methoden gewöhnen mussten, stellte sich das Experiment am Ende als gelungen heraus. Die Qualität der Texte stieg, und sowohl die Studierenden als auch die Dozentin empfanden die neuartige Lehrform als Bereicherung und Zugewinn.

Rückbesinnung

Auf den ausführlichen Beitrag von Stefan Kühl, Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld, möchte ich näher eingehen. Er schildert, wie Studierende durch ein entsprechendes Lehrkonzept systematisch an den wissenschaftlichen Publikationsprozess herangeführt werden können und welchen Nutzen sie daraus ziehen.

Kühls Ausgangspunkt ist folgender: Die ungezählten Ratgeber zum wissenschaftlichen Arbeiten entfalten nicht die gewünschte Wirkung, und viele Lehrende nehmen das gesunkene Niveau studentischer Arbeiten fatalistisch in Kauf. Gleichzeitig ist es im Sinne des Gesamtsystems jedoch wünschenswert, wissenschaftliche Standards aufrechtzuerhalten. Also müssen neue Konzepte entwickelt werden, mit denen es gelingt, die Schreibkompetenz der Studierenden zu fördern.

Bei Kühls publikationsorientierten Ansatz geht es weniger darum, dass einige wenige Studierende ihre herausragenden Arbeiten tatsächlich veröffentlichen. Vielmehr sollen alle Studierenden fünf verschiedene Textsorten (Artikel, Rezension, Buch, Forschungsantrag und Essay) kennenlernen und mit ihren Arbeiten selbst die für die Wissenschaft typischen Feedback-Prozesse durchlaufen. Anders als üblich werden die studentischen Arbeiten also nicht nur für einen einzigen Leser, nämlich den Lehrenden, verfasst, sondern für möglichst viele. Dieser Umstand wirkt auf die einzelnen Studierenden mitunter sehr motivierend. Allerdings ist das jedoch nicht immer leicht zu implementieren. Denn dieser Ansatz läuft der herrschenden Kultur entgegen – im Beisein der Lehrkraft hat man sich nicht zu kritisieren (von Kühl „Gesetz des Schulhofs“ genannt).

Im abschließenden Abschnitt des Artikels diskutiert Kühl die Möglichkeiten und Grenzen des Konzepts und ordnet es mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in die Anforderungen an moderne Hochschullehre ein: Brauchen denn diese „Schmalspurstudierenden“, die ja nur den Bachelorabschluss anstreben, überhaupt so etwas wie eine publikationsorientierte Lehre? Die Antwort lautet natürlich ja, und mir gefällt die Argumentation (kurz gesagt: wider die direkte Verwertbarkeit).

Letztlich geht es um eine Rückbesinnung auf den ursprünglichen Zusammenhang zwischen dem wissenschaftlichen Artikel und der Prüfungsform „Hausarbeit“ (S. 145), wobei dem Konzept wohlgemerkt nichts Rückständiges anhaftet. Durch die Verortung im derzeitigen Hochschulsystem wird deutlich, wieso eine solche publikationsorientierte Vorgehensweise auch heutzutage sinnvoll sein kann.

Hurra, Gleichgesinnte!

Insgesamt hatte ich bei der Lektüre aller drei Beiträge den Eindruck, dass da Gleichgesinnte schreiben – nämlich solche, die die Studierenden voranbringen wollen und dafür neue Wege in der Lehre suchen. Ich freue mich auch immer sehr, wenn jemand offen ausspricht, dass die Gründe für die (angeblich) schlechten Schreibfähigkeiten der Studierenden nicht nur in den Studierenden selbst liegen, sondern ganz, ganz eventuell auch bei den Lehrenden zu suchen sind. Oder deutlicher ausgedrückt:

„Man muss es klar sagen, es sind oft in erster Linie die Lehrenden, die Nachholbedarf haben. Die mangelnde Schreibkompetenz der Studierenden sind auch traditionellen Vorstellungen der Konzeption von Lehrveranstaltungen geschuldet (z.B. wenige bis keine Schreibaufgaben im Semester, keinerlei Feedbackkultur oder Sensibilität für Schreibanregungen)…“ (Oberzaucher, Evereke Buchanan, Kerst, S. 193)


Herzlichen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

Nicht Sie sind das Problem, sondern Ihre Kollegen

Ok, das war jetzt gemein.

Wir alle haben hoffentlich sehr kompetente und nette Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir gern zusammenarbeiten. Aber da gibt es eben auch die anderen. Um einmal Pareto zu bemühen: 20 Prozent der Kollegen verursachen 80 Prozent des Ärgers.

Um diese 20 Prozent Problemkollegen soll es heute gehen.

Schreibberater und Schreib-Abrater

In dieser Infografik können Sie sehen, wie sich die Hochschulen in Deutschland zahlenmäßig zu Schreibzentren und zu den Dozierenden verhalten. Das Ergebnis: 427 zu 31 zu 381.269.

Es gibt also wenige Schreibzentren im Vergleich zur Zahl der Hochschulen. Würden die Dozierenden die Schwierigkeiten abfedern, die aus diesem Mangel entstehen, wäre die Situation nur halb so schlimm. Unter den besagten 381.269 Dozierenden sind jedoch mit Sicherheit viele, die grundsätzlich anders an wissenschaftliche Schreibaufgaben herangehen als ein ausgebildeter Schreibberater. Solche, die sich nicht des Stellenwerts bewusst sind, den das Schreiben im wissenschaftlichen Arbeitsprozess haben kann.

Zum Glück gibt es diejenigen Kollegen, die sich Gedanken gemacht haben und daher den Studierenden nicht nur fachlich, sondern auch „schreibtechnisch“ gut weiterhelfen. Dann gibt es da noch die, die wenigstens keinen Schaden anrichten, weil sie in der Hinsicht einfach nichts tun. Bei den Problemkollegen hingegen passiert allerdings leider nicht einfach nur nichts, sondern – viel schlimmer – die Studierenden werden schlecht beraten.

Eckpfeiler der Schreibberatung

Das personenzentrierte Beraten liefert erste Ansatzpunkte für das, was – bei Nicht-Beachten – in der Interaktion zwischen Dozierenden und Studierenden schieflaufen kann.

Mit personenzentrierter Beratung ist eine Grundhaltung gemeint, „die den Ratsuchenden ermöglicht, das Gespräch nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Als Beratende sollten Sie die Ratsuchenden als Person schätzen, deren Autonomie achten und ihnen Entscheidungsfreiheit zugestehen.“ (Grieshammer et al., 2013, „Zukunftsmodell Schreibberatung“ et al., S. 98 (zur Rezension)).

Alles Rogers?

All das fußt auf Carl Rogers‘ Menschenbild und seinem nicht-direktiven (klientenzentrierten) Ansatz des Beratens. Die Ratsuchenden erhalten Impulse von den Beratenden, bleiben jedoch selbst Experten für die Lösung ihres Problems.

Die Studierenden werden bei einer solchen Beratung in die Lage versetzt, selbst die verschiedenen Lösungswege abzuschätzen und eigenständig über ihr weiteres Vorgehen zu entscheiden. Dabei ist es hilfreich, wenn sie die eigenen Fähigkeiten realistisch einschätzen können. Denn wenn Selbstbild und Handeln auseinanderklaffen, droht der Schreibprozess ins Stocken zu geraten. Das bedeutet für die Beratung einerseits, gemeinsam das Selbstbild des Schreibenden zu reflektieren, und andererseits verschiedene Schreibtechniken zu vermitteln oder auch direkt während der Beratung zu erproben.

An die Beratenden stellt ein solches personenzentriertes Vorgehen folgende Anforderungen:

  • Empathie: Sie können sich auf den Ratsuchenden und die Situation einstellen.
  • Akzeptanz und positive Wertschätzung: Sie nehmen die Studierenden ernst und trauen ihnen eigenständige Entscheidungen zu.
  • Kongruenz und Echtheit: Sie sollen sich echt verhalten und offen ihre momentane Verfassung zeigen.
  • Transparenz: Dies betrifft die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung, die offen gelegt werden sollen.

(vgl. Grieshammer et al., S. 100)

So weit, so gut. Aber kommen wir wieder zurück zu den problematischen 20 Prozent. Warum sind manche Kollegen Problemkollegen? Ein Blick auf die genannten Anforderungen hilft weiter:

1) Kollegen ohne Empathie

  • Leider können sich Problemkollegen nicht richtig gut auf die Ratsuchenden und die Situation einstellen.

Sie haben schon vergessen, wie das war, als sie selbst ihre ersten Schritte in der Wissenschaft gemacht haben. Sie holen die Studierenden nicht dort ab, wo sie stehen, und erzählen von hehren Ansprüchen an die hohe Wissenschaft, während die Studierenden noch um die Basics ringen. Mit „Basics“ ist dabei nicht Kleinkram im Stile von „Wo setze ich welches Satzzeichen bei den Quellenangaben?“ gemeint, sondern durchaus Fragen inhaltlicher Art oder der methodischen Herangehensweise an die Forschungsfrage (sofern eine solche überhaupt schon vorhanden ist: Fehler Nr. 1).

Problemkollegen fordern, alles müsse beim Wissenschaftlichen Arbeiten zwingend genau so gemacht werden, wie sie es gelernt haben oder es sich über die Jahre selbst angeeignet haben. Ein Problemkollege, der selbst beim Schreiben dringend erst eine Gliederung braucht und diese beim Schreiben nur noch abarbeitet, will es von den Studierenden genauso. Wer selbst beim Schreiben immer jede Menge Ideen generiert, stellt das als den allein glücklich machenden Weg hin.

Abseits der Beratungssituation zeigen sich weitere schädliche Verhaltensweise von Problemkollegen. Zum Beispiel unfreundliche Korrekturen mit komplett durchgestrichenen Passagen oder arroganten Kommentaren („Nonsens!“ oder ähnliche Nettigkeiten). Oder chronische Nicht-Erreichbarkeit für Feedbackgespräche nach der Korrektur und Notenvergabe. Problemkollegen führen, wenn überhaupt, Tür-und-Angel-Gespräche und kanzeln die Studierenden ab. Ade Lernprozess – schade um all die Mühe, die in der studentischen Arbeit steckt.

2) Kollegen ohne die nötige Akzeptanz und positive Wertschätzung für die Studierenden

  • Leider nehmen Problemkollegen die Studierenden mit ihren Anliegen nicht ernst.

Sie glauben: „Schreiben kann man halt“ oder „Das mussten wir uns auch alles selbst erarbeiten.“ Wozu also überhaupt beraten?

  • Leider trauen Problemkollegen den Studierenden keine eigenständige Entscheidungen zu.

Sie haben ein schlechtes Bild von den Studierenden und halten die heutige Generation von Studierenden für faul. (Diese Art von Beschwerden über „die Jugend“ kennt man ja seit Sokrates…). Problemkollegen werfen den Studierenden Unwillen vor, wenn es sich eigentlich um Anfängerschwierigkeiten handelt. In ihren Augen haben die Studierenden eben nicht ausdauernd genug versucht, das Problem eigenständig zu lösen. Das Einholen von Feedback wird nicht als sinnvolle Strategie des Vorankommens interpretiert, sondern als Unselbständigkeit.

Manche Problemkollegen lassen auch den „guten Studierenden“ (sprich: den Einser-Kandidaten) und vor allem den selbstsicher auftretenden Studierenden weitgehend freie Hand. Den Rest beraten sie auf eine direktive Art und Weise. Unschön wird das spätestens dann, wenn sich diese Kollegen im Nachhinein nicht mehr an ihre eigenen Ratschläge erinnern und diese schlecht bewerten.

3) Kollegen, die keine Kongruenz und Echtheit zeigen

  • Leider sind Problemkollegen nicht authentisch.

Sie verstecken sich hinter Konventionen und Belehrungen über vermeintlich allgemeingültige Gebote und Verbote („Sie müssen aber…!“ und „Sie dürfen auf keinen Fall…!“).

Sie zeigen den Studierenden ihr Pokerface und lästern im schlimmsten Fall hinterher bei den Kollegen. Damit ist nicht gemeint, dass die Studierenden im Gespräch jeden negativen Eindruck des Beratenden ungefiltert abbekommen müssen. Ich selbst habe allerdings nur gute Erfahrungen damit gemacht, in der Beratung meine persönliche Wahrnehmung der Ratsuchenden und ihrer momentanen Situation zu schildern. Die Studierenden fühlen sich „gesehen“ und verstanden.

4) Kollegen, die nicht transparent sind

  • Leider machen Problemkollegen die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung nicht transparent.

Die Studierenden hegen falsche Erwartungen und sind dann enttäuscht. Dies betrifft vor allem die doch oft gewünschte vorzeitige „Absegnung“ der Arbeit, also die Frage, „ob das alles so richtig ist“. Darauf wird es während einer Beratung allerdings keine abschließende Antwort geben können. Problemkollegen antworten auf solche Fragen gern vorschnell mit „Ja, ja, das passt schon“ – und merken dann später bei der Benotung, dass eben doch nicht alles passte. Das schlägt sich in einer schlechten Note nieder, die die Studierenden kalt erwischt. Denn angeblich war doch alles in Ordnung.

Nix mehr roger(s)?

Sie können sich leicht ausmalen, was passiert, wenn Studierende an einen Problemkollegen geraten. Sie werden frustriert („Ich habe alles falsch gemacht!“), verunsichert („Wie ist es denn nun richtig?“) und blockiert („So wie bisher darf ich nicht an diese Aufgabe gehen.“). In einem Wort: demotiviert.

Ärgert Sie das genauso wie mich?

Schlüsselkompetenz Schreiben?

427 Hochschulen

427 Hochschulen gab es in Deutschland im Wintersemester 2014/15.

31 Schreibzentren

Die Zahl der Schreibzentren lag ein Jahr davor bei 31 und hat sich seitdem vermutlich etwas erhöht, es existiert keine offizielle Zählung. Einen Überblick über die vielfältigen Angebote zu erhalten, ist schwierig. Denn die Bezeichnungen variieren: Schreibzentrum, Schreibberatung, Schreiblabor… Zudem sind die Angebote institutionell unterschiedlich verankert: von der eigenständigen Einheit innerhalb der Hochschule bis zum sporadisch stattfindenden Workshop eines einzelnen Lehrenden…

381.269 Dozierende

Über 381.000 Dozierende lehren an den Hochschulen. Selbst wenn sie nicht Wissenschaftliches Arbeiten lehren, begleiten sie doch auf die eine oder andere Art die Studierenden bei deren Schreibprojekten oder bewerten die fertigen Arbeiten.

Bei den Dozierenden handelt es sich in den wenigsten Fällen ausgebildete Schreibtrainer. Und wie viele von ihnen die Methoden des Wissenschaftlichen Arbeitens und Schreibens intensiv reflektiert haben, kann keiner wissen. Damit meine ich nicht, dass die Dozierenden nicht selbst wissenschaftlich arbeiten. Ich will sagen, dass sie möglicherweise die eigene Praxis zum allgemeingültigen Standard erheben. So verwehren sie unbewusst den Studierenden den Zugang zu anderen (nützlichen!) Herangehensweisen.

Schlüsselkompetenz Schreiben

So richtig fröhlich stimmt mich das nicht. Wie geht es Ihnen damit?

Wissenschaftliches Arbeiten versus Wissenschaftliches Schreiben

Auf meiner „Über diesen Blog“-Seite schreibe ich

„Deshalb blogge ich: Weil ich meine Erfahrungen mit dieser „Prozessbegleitung“ [im Wissenschaftlichen Arbeiten] weitergeben und mich darüber austauschen möchte. Es existiert noch kein Ratgeber zur Lehre in diesem Fach. Gerade zu Beginn meiner Lehrtätigkeit vor etwa zehn Jahren hätte ich mir einen gewünscht.“

Moment mal. Kein Ratgeber? Gibt es nicht ungezählte Bücher zum Wissenschaftlichen Arbeiten? Ja, gibt es, und jedes Jahr kommen ein paar neue dazu. Diese Publikationen richten sich allerdings an Studierende und nicht an diejenigen, die den Studierenden die Methoden und Techniken des Wissenschaftlichen Arbeitens vermitteln sollen.

Ok, aber was ist mit all den Büchern für Schreibberater, Schreibtrainer, Schreibdidaktiker und wie sie nicht heißen? Stimmt, da ist schon deutlich mehr zu holen. Sie bedienen sich der angelsächsischen Tradition des Academic Writing und haben viel zu bieten, weil das im deutschen Sprachraum noch nicht so verankert ist. Auf einige dieser Ratgeber gehe ich im Lauf der Zeit auch noch ein. Sie sind für die Lehre im Fach „Wissenschaftliches Arbeiten“ ziemlich hilfreich. Und dann auch wieder nicht. Warum ist das so?

Stellen wir einmal die klassischen Inhalte der beiden Ansätze gegenüber.

Inhalte „Wissenschaftliches Schreiben“

  • Phasen des Schreibens (Fragestellung, Recherche, Gliederung, Rohtext, Überarbeitung)
  • Formale Anforderungen
  • Wissenschaftlicher Schreibstil
  • Schreibtypen und Schreibstrategien
  • Schreibübungen
  • Zeitmanagement des Schreibprojekts

Das Schreiben steht hier also ganz klar im Fokus, so sagt es ja auch schon der Name. Der Ausgangspunkt aller Gedanken ist die Textproduktion in der Wissenschaft – Schreiben als Schlüsselkompetenz für ein erfolgreiches Studium. Diejenigen Phasen im Schreibprozess, die nicht direkt mit der Textproduktion zu tun haben (also etwa das Erarbeiten der Fragestellung oder die Literaturrecherche), scheinen dem Schreiben untergeordnet oder nur ein Teil davon zu sein. Sie dienen als Mittel zum Zweck, denn ohne sie gäbe es schließlich niemals einen guten fertigen Text. Diese Fokussierung auf die Textproduktion mag damit zu tun haben, dass die Schreibzentren der Hochschulen fachübergreifend tätig sind. Ein kompetenter Austausch zu den konkreten fachlichen Inhalten ist vermutlich nicht immer zu gewährleisten. Es wäre ja schon ein großer Zufall, wenn immer ein Schreibberater aus der benötigten Disziplin verfügbar wäre.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich finde diese Vorgehensweise weder besser noch schlechter. Es ist einfach ein anderer Ansatz.

Inhalte „Wissenschaftliches Arbeiten“

  • Wissenschaft und Wissenschaftstheorie
  • Themeneingrenzung und Fragestellung
  • Forschungsdesign und Methodenwahl
  • Literaturrecherche und -auswahl
  • Phasen des Schreibens (Gliederung, Rohtext, Überarbeitung)
  • Formale Anforderungen
  • Wissenschaftlicher Schreibstil
  • (Schreibtypen und Schreibstrategien)
  • (Schreibübungen)
  • Zeitmanagement
  • und manchmal Inhalte aus angrenzenden Gebieten: Lernen lernen, Prüfungsvorbereitung, Präsentieren usw.

„Wissenschaftliches Arbeiten“ umfasst also erst einmal mehr Inhalte. Es ist meist in der jeweiligen Disziplin verortet. Deshalb betrachten die Studierenden die Wege des Erkenntnisgewinns speziell in dem von ihnen gewählten Studienfach. Sie erhalten einen Einblick in das in ihrer Disziplin Übliche und das aktuell Mögliche.

Daher rückt die Betrachtung des Schreibens an sich in den Hintergrund. Schreiben wird als ein Baustein von vielen gesehen, die zu einem erfolgreichen Studium beitragen.

Mancherorts werden genau deswegen auch noch Inhalte aus angrenzenden Gebieten gelehrt, wie etwa Lerntechniken oder das Präsentieren von wissenschaftlichen Ergebnissen. „Wissenschaftliches Arbeiten“ geht also grundsätzlicher an die Thematik heran als „Wissenschaftliches Schreiben“.

Vom alten Schlag?

Jetzt behaupte ich einfach mal etwas. Wer „Wissenschaftliches Arbeiten“ unterrichtet, ist in den seltensten Fällen gleichzeitig auch ausgebildeter Schreibberater. Eher handelt es sich wohl um (Nachwuchs-)Wissenschaftler, die dieses Fach neben ihrem eigentlichen Fach lehren.

Es würde mich also nicht wundern, wenn im „Wissenschaftlichen Arbeiten“ vielerorts noch gelehrt würde, dass man gefälligst erst dann zu schreiben habe, wenn die vorbereitenden Phasen abgeschlossen sind. So sind die entsprechenden Anleitungen zum Wissenschaftlichen Arbeiten verfasst. Schreiben als Weg zur Erkenntnis oder als Dialog mit sich selbst ist wahrscheinlich noch nicht überall vorgesehen.

Auch bei den verschiedenen Schreibstrategien oder Schreibtypen bin ich mir nicht sicher, inwieweit diese schon in die Curricula des Wissenschaftlichen Arbeitens integriert sind. Daher auch die Klammern in der obigen Aufzählung. Ich kann mir gut vorstellen, dass der planende Schreiber als Ideal gelehrt wird – mit der Folge, dass einige Studierende im Unterricht gedanklich aussteigen, weil sie eben anders an ihre Schreibprojekte herangehen. Oder, schlimmer noch, sie versuchen, dieses vermeintliche Ideal zu erreichen, verbiegen sich dabei und kommen schlechter voran als vorher.

Voneinander lernen?

Wäre es nicht toll, wenn die beiden Ansätze „Wissenschaftliches Arbeiten“ und „Wissenschaftliches Schreiben“ voneinander lernen könnten? Wahrscheinlich bedeutet das vor allem, dass „die Wissenschaftler“ von „den Schreibberatern“ lernen. (Ich benenne die beiden Gruppen von Lehrenden jetzt einfach verkürzt so und stelle das für den Moment einmal so gegenüber). Das betrifft vorrangig die Stellung des Schreibens im Prozess der Erkenntnisgewinnung und die Techniken des Schreibens selbst.

Was meinen Sie? Decken sich meine Beschreibungen mit Ihren Erfahrungen? Oder ist das alles zu pauschal gedacht?